Nun hat auch Ralf Wohlleben sein Schweigen im NSU-Prozess gebrochen. Außerdem in der Presseschau: Der bayerische Verfassungsschutz soll Zugang zu Vorratsdaten bekommen, doch keine Sozialhilfe für EU-Ausländer und eine liebeskranke Rentnerin.
Thema des Tages
NSU-Prozess – Aussage von Ralf Wohlleben: Nach Beate Zschäpe hat nun überraschend auch der wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagte Ralf Wohlleben sein Schweigen im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München gebrochen. In seiner von ihm selbst verlesenen Aussage, schilderte er seinen Werdegang und die Beziehung zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, dem NSU die Mordwaffe beschafft und von den Morden gewusst zu haben, stritt er ab.
Auf Nachfragen des Gerichts will er am heutigen Donnerstag mündlich eingehen. Über die Einzelheiten berichten FAZ (Karin Truscheit), spiegel.de und SZ (Annette Ramelsberger u.a.). Auf zeit.de (Tom Sundermann) findet sich die vollständige Aussage zum Nachlesen. Es sei kein Zufall, dass nach Zschäpe nun auch Wohlleben spreche. Ihre Aussagen seien letzte Versuche, Höchststrafen abzuwenden, befindet die taz (Konrad Litschko). Nach Einschätzung von Heribert Prantl (SZ) sind Aussagen von Wohlleben, in denen er sein Leben als Neonazi schildert, wichtig für das NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Denn er sei NPD-Funktionär in Thüringen gewesen. Sein Verhältnis zur Gewalt sage somit einiges über die Verhältnisse in der NPD.
Rechtspolitik
EU-Datenschutz-Grundverordnung: Die Verhandlungsrunde von Europäischem Rat, Europäischer Kommission und Europäischem Parlament am Dienstag wird voraussichtlich die letzte zur Datenschutz-Grundverordnung gewesen sein. Die nun beschlossene Fassung gelte als final, schreibt lto.de (Julia Wendler) und gibt einen Überblick über die grundlegenden Neuerungen.
Was sich dadurch für Nutzer und Unternehmen ändert, stellt auch die FAZ (Hendrik Kafsack) in Form von Frage und Antwort vor.
Eine deutliche Verbesserung gebe es bei Verbraucherrechten, die künftig vor heimischen Behörden durchgesetzt werden können. Zudem würden Unternehmen dazu verpflichtet, standardmäßig die datenschutzfreundlichsten Einstellungen anzubieten, schreibt die taz (Sveja Bergt). Der Rechtsanwalt Niko Härting sieht darin dagegen auf lto.de ein Instrument der Bevormundung. Die Einwilligung in die Datenverarbeitung werde durch die Verordnung für so viele Fallkonstellationen als unwirksam erklärt, dass sie in der Praxis kaum noch etwas wert sein werde. In die gleiche Richtung argumentiert er im Interview mit zeit.de (Patrick Beuth).
Zugriff auf Vorratsdaten: Ein Gesetzentwurf, den die bayrische Landesregierung am Dienstag auf den Weg gebracht hat, soll dem bayerischen Verfassungsschutz den Zugriff auf die Daten der Vorratsdatenspeicherung ermöglichen. Diese Daten sind, nach der Regelung im Telekommunikationsgesetz (TKG), vor allem für die polizeiliche Verwertung bestimmt. Klar ist, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst keinen Zugriff haben. Für die Länder heißt es im TKG dagegen allgemein "Gefahrenabwehrbehörden der Länder". Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) habe sich nun darauf berufen, dass damit auch der Landesverfassungsschutz gemeint sei, schreibt die taz (Christian Rath).
Urheberrechtsreform: Der Cheflektor des Verlags C.H. Beck Detlef Felken widmet sich in der Zeit dem Referentenentwurf zur Reform des Urheberrechts. Danach soll künftig jeder Autor sein Buch fünf Jahre nach Ablieferung aus dem Verlag, der es verlegt hat, abziehen und an den nächsten Verlag weiterverkaufen können. Mit dieser Neuregelung entwerte der Gesetzgeber den urheberrechtlich relevanten Einfluss des Erstverlages und betreibe faktisch eine Enteignung, ohne dass ein von Autoren artikulierter Reformbedarf gegeben sei.
Leiharbeit/Werkverträge: Der Referentenentwurf zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen zieht Befürchtungen nach sich, dass derzeit legale Vertragsformen mit einem Schlag illegal werden, schreibt Hbl (Axel Schrinner u.a.). Der vorgesehene Kriterienkatalog im Bürgerlichen Gesetzbuch, anhand dessen künftig zwischen Werkvertrags- und regulären Arbeitsverhälnissen unterschieden werden soll, sei zu eng, weil die Grenzen fließend und in jedem Einzelfall zu prüfen seien.
Kinderschutzgesetz: Anlässlich des am gestrigen Mittwoch verabschiedeten Evaluationsberichts zum Kinderschutzgesetz, das 2012 als Reaktion auf Missbrauchsfälle verabschiedet worden war, stellt die taz (Heide Oestreich) die von Familienministerin Manuela Schwesig für das nächste Jahr beabsichtigten Novellierungen vor. So solle das System der Familienhebammen durch Finanzierung über einen Fond verstetigt werden. Heikel sei das Vorhaben, die Elternrechte zu beschneiden, indem Kinder, die viele Jahre in einer Pflegefamilie verbracht haben, dort verbleiben sollen.
Baden in Berlin: Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin das Hundeverbot am Schlachtensee mit guten Gründen gekippt habe, müsse nun eine dauerhafte Lösung her, meint Jost Müller-Neuhof (Tsp) und schlägt ein Gesetz vor, das die Bezirke ermächtigt, hundefreie Zonen auszuweisen.
Justiz
BGH zu Werbung in Autorespondern: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Werbung in automatisierten Bestätigungsmails, sogenannten Autorespondern, unzulässig sein kann. Ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Empfängers sei jedenfalls dann gegeben, wenn dieser zuvor dem Erhalt von Werbung widersprochen habe.
Gegenstand des Verfahrens vor dem BGH war eine mit Werbung versehene Standardeingangsbestätigung einer Versicherung, über die sich der Empfänger zweimal per E-Mail beschwerte, woraufhin er jeweils erneut eine Bestätigungsmail mit Werbung erhielt. Dagegen klagte er schließlich auf Unterlassung, schreibt der Rechtsanwalt Martin Schirmbacher auf lto.de. Internet-law.de (Thomas Stadler) weist darauf hin, dass sich der Pressemitteilung des BGH nicht entnehmen lasse, ob bereits die erstmalige Zusendung einer Bestätigungsmail mit Werbezusatz als Rechtsverstoß erachtet wurde.
Nach Einschätzung der SZ (Wolfgang Janisch) knüpft der BGH mit der Entscheidung an seine Rechtsprechung aus Zeiten analogen Briefverkehrs an. Für elektronische Post ergebe sich die Unzulässigkeit der Zusendung von Werbung ohne Einwilligung des Adressaten auch aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Insbesondere die Frage, wann eine solche Einwilligung gegeben sei, bereite in der Praxis aber Schwierigkeiten.
BSG/SG Berlin zu Sozialhilfe für EU-Ausländer: Nun hat das Sozialgericht Berlin entschieden, dass EU-Ausländer auf Arbeitssuche in Deutschland weder Anspruch auf Hartz IV noch auf Sozialhilfe haben und sich damit in offenen Widerspruch zur jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestellt. Sozialhilfe könne seit der Einführung der Hartz-Reform nicht mehr an Personen gezahlt werden, die grundsätzlich gesund und damit erwerbsfähig seien. Soweit das BSG meine sich über diesen eindeutigen, im Sozialgesetzbuch XII verankerten, Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen zu können, sei dies verfassungsrechtlich nicht haltbar. Über die Entscheidung berichtet lto.de.
Die FAZ (Corinna Budras) merkt an, dass beim BSG derweil an der eingeschlagenen Linie festgehalten wird und am Mittwoch drei weiteren EU-Ausländern Sozialhilfe zugesprochen wurde. In den Verfahren stelle sich nun die Besonderheit, dass die jeweiligen Sozialhilfeträger hinzugezogen werden müssten und nicht wie bisher nur die Jobcenter.
In Teil 2 seiner Auseinandersetzung mit dem Grundsatzurteil des BSG auf juwiss.de erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter Florian Wilksch, warum darin eine weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit den Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 und 3 Abs. 1 Grundgesetz zu vereinbarende Rechtsfortbildung contra legem zu sehen ist.
BSG zu Nachzahlung von Sozialbeiträgen: Wie die SZ (TÖ) berichtet, hat das Bundessozialgericht entschieden, dass 3.300 Zeitarbeitsunternehmen wegen unwirksamer Tarifverträge Sozialbeiträge rückwirkend nachbezahlen müssen und sich nicht auf Vertrauensschutz berufen können. Sie hatten Leiharbeiter auf Basis eines Tarifvertrags mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) beschäftigt, der 2010 vom Bundesarbeitsgericht das Recht abgesprochen worden war, Tarifverträge abzuschließen. In solchen Fällen gilt bei Leiharbeitern der Grundsatz, dass sie wie die Stammbelegschaft entlohnt werden müssen, was sich auf die Sozialbeiträge auswirkt.
OLG Hamm zu Parallelvollstreckung von Fahrverboten: Das Oberlandesgericht Hamm hat klargestellt, dass auch bei zwei Fahrverboten je mit und ohne Abgabefrist nicht parallel vollstreckt werden darf. Durch den Ausschluss der Parallelvollstreckung solle verhindert werden, dass die viermonatige Abgabefrist ausgenutzt wird, um Fahrverbote zusammenzulegen. Dafür reiche es aus, wenn die Frist bei der Vollstreckung eines der verhängten Fahrverbote gelte, was bei solchen Mischfällen der Fall sei, schreibt lto.de.
KG Berlin zu "Uber Black": Auch das auf Beförderung in schwarzen Luxusautos ausgerichtete gesonderte Geschäftsmodell "Uber Black" des Online-Beförderungsvermittlers Uber verstößt gegen Wettbewerbsrecht, entschied das Kammergericht Berlin. Die Fahrten dürften höchstens zum Selbstkostenpreis angeboten werden, berichtet lto.de.
AG Regensburg zu Redtube-Abmahnungen: Wie internet-law.de (Thomas Stadler) meldet, hat das Amtsgericht Regensburg die sogenannten Redtube-Abmahnungen einer mittlerweile nicht mehr existenten Abmahnkanzlei als vorsätzliche unerlaubte Handlung angesehen und den abmahnenden Anwalt zum Schadenersatz verurteilt.
VG Köln zu Suizidmittel: Das Verwaltungsgericht Köln hat entschieden, dass das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht verpflichtet werden kann, einem Ehepaar den Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zum Zwecke des Suizids zu bewilligen. Ein Recht auf Erlaubnis lasse sich weder aus den Grundrechten noch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ableiten, so das Gericht nach Meldung von lto.de.
VG Gelsenkirchen – Jäger als Tierschutzverband: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat am heutigen Donnerstag darüber zu befinden, ob die im Bundesjagdgesetz festgeschriebene Waidgerechtigkeit, nach der Jäger den Lebensraum der Tiere zu erhalten haben, auch Tierschutz ist. Denn der nordrhein-westfälische Landesjagdverband klagt in einem bundesweit einmaligen Fall gegen das Landesumweltministerium auf Anerkennung als Tierschutzverband. Dieses hatte den Antrag unter Verweis darauf verwiesen, dass für die Anerkennung eine überwiegende Förderung von Tierschutzzielen gegeben sein müsse. Die Kriterien für die Anerkennung seien hoch, seit 2013 das Gesetz über das "Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine" beschlossen worden sei, das die Einflussmöglichkeiten von Tierschützern stärke, schreibt die taz (Claudia Hennen).
Recht in der Welt
Türkei – Abschiebungen nach Syrien: Amnesty International wirft türkischen Behörden vor, Flüchtlinge aus Syrien in "Haftzentren" festzuhalten und zur Rückkehr in das Bürgerkriegsland zu zwingen. Die Türkei verstoße damit eindeutig gegen internationales Recht. Die "Haftzentren" seien mit EU-Mitteln eingerichtet worden, geben spiegel.de und taz (Jürgen Gottschlich) die Kritik wieder.
Sollte die Kritik zutreffen, seien die angeblichen moralischen Standards der EU als leeres Gerede enttarnt, meint Christian Bommarius (BerlZ).
Polen – Verfassungsgericht: Polens Regierung legt nach beim Versuch das Verfassungsgericht unter seine Kontrolle zu bringen. Ein Gesetzentwurf über den das Parlament noch an diesem Donnerstag in erster Lesung abstimmen will, sieht vor, dass das Verfassungsgericht bei etlichen Verfahren künftig nur noch in voller Besetzung entscheiden kann. Zudem sollen Verfassungsrichter künftig nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Parlamentspräsidenten vereidigt werden und Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit von Parteien eingeschränkt werden, schildert SZ (Florian Hassel).
Sonstiges
Abgas-Skandal: Drei Monate nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals hat nun auch das Europäische Amt für Betrugsbkämpfung Ermittlungen gegen VW aufgenommen. Dabei geht es um die Frage, ob VW Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu Unrecht erhalten und EU-Gelder für Forschung und Entwicklung zweckentfremdet hat. Die EIB habe dem Konzern günstige Kredite unter anderem für die Entwicklung umweltfreundlicher Motoren gewährt. Auch das EU-Parlament sei mit dem Abgas-Skandal befasst und werde einen Untersuchungsausschuss einsetzen, der die Rolle der EU-Kommission beleuchten soll, schreibt die taz. Weil wichtige Programme für die Manipulation der Abgaswerte vom Autozulieferer Bosch kamen, ermittelt die Staatsanwalt Stuttgart nun auch gegen den Zulieferer. Es werde dem Verdacht nachgegangen, ob sich die Firma an einer möglichen Straftat von VW beteiligt hat, gibt SZ (Thomas Fromm u.a.) die Auskunft der Staatsanwaltschaft wieder.
Vorgehen gegen Hasskommentare: Nach Meinung von Christian Bommarius (BerlZ) darf Justizminister Heiko Maas Facebooks Ankündigung, sich bei der Überprüfung gemeldeter Inhalte künftig nach deutschem Recht richten zu wollen, als Erfolg seiner "Task-Force" betrachten. Von einem Forschritt lasse sich allerdings erst sprechen, wenn Facebook deutlich und transparenter als bisher gegen Hasskommentare vorgehe. Sollte sich der Konzern dazu auch zukünftig außerstande sehen, müsse ihm die Justiz entschlossener als bisher auf die Sprünge helfen.
Westlicher Lebensstil: Auf rechtslupe.de werden die Voraussetzungen für die Annahme einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des Asylverfahrensgesetzes beleuchtet. Diese seien bei afghanischen Frauen, die infolge eines längeren Aufenthaltes in Europa in einem solchen Maße westlich geprägt wurden, dass ihnen eine Anpassung ihres Lebensstils an in Afghanistan erwartete Verhaltensweisen und Traditionen nicht mehr zuzumuten sei, gegeben.
Das Letzte zum Schluss
Liebesterror: Die FAZ (Reiner Burger) schildert den Fall eines Pfarrers, der seit fünfzehn Jahren von einer liebestollen Rentnerin verfolgt wird. Sie rufe ihn mehrmals täglich an, teile ihm ihre sexuellen Wünsche in Briefen, Mails und SMS mit und dekoriere den Vorgarten des Pfarrhauses mit Herzen, Blumen und Luftballons. Wegen Nachstellung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz war sie dafür im März 2014 vom Amtsgericht zu vierzehn Monaten Freiheitsentzug ohne Bewährung verurteilt worden. Es schien, als hätte der Pfarrer wenigstens eine Weile lang seine Ruhe. Weil aber sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Berufung einlegten, wurde das Verfahren neu aufgerollt. Nun befand das Landgericht Arnsberg, dass die Schuldfähigkeit der Rentnerin nicht eindeutig feststellbar sei. Auch ihre Einweisung in die Psychiatrie komme nicht in Betracht. Sie sei zwar lästig, aber nicht gemeingefährlich. Der Liebesterror für den Pfarrer geht damit wohl weiter.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Dezember 2015: Redsamkeit im NSU-Prozess / Griff nach Daten / SG Berlin stellt sich gegen BSG . In: Legal Tribune Online, 17.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17892/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag