Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2013: Wulff erhält "Vor-Freispruch" – 50 Jahre Auschwitz-Prozess – Chodorkowskij vor Begnadigung

20.12.2013

Recht in der Welt

Russland – Chodorkowskij-Begnadigung: FAZ und SZ (Julian Hans) berichten, dass der russische Präsident Wladimir Putin den seit mehr als zehn Jahren inhaftierten Oligarchen und Oppositionellen Michail Chodorkowskij begnadigen will. Er habe die Krankheit der Mutter des Inhaftierten als Begründung für die "in allernächster Zeit" erfolgende Begnadigung und geäußert, dass er "keine Grundlage" für einen dritten Prozess gegen Chodorkowkij sehe. Bisher sei vermutet worden, dass er abermals verurteilt werden würde. Die taz (KHD/GB) portraitiert den baldigen Ex-Häftling. Nach einem Bericht der Welt bestätigte Putin außerdem, dass sowohl die verurteilten Pussy-Riot-Mitglieder als auch die angeklagten Greenpeace-Aktivisten unter die vorgesehenen Massenamnestie fielen.

Peter Sturm (FAZ) vermutet einen Zusammenhang mit den bald beginnenden olympischen Spielen im russischen Sotschi und sieht in der Begnadigung ein Symptom für die "Willkür im Justizwesen" in Russland. Barbara Oertel (taz) sieht das ähnlich: "Von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung von Menschenrechten kann keine Rede sein." Auch Frank Nienhuysen (SZ) attestiert "taktische Gnade", Clemens Wergin (Welt) sieht in der "Geste eines Zaren" vor allem ein Zeichen für ein gefestigtes "System Putin". Dagegen sieht der Russland-Experte Hans-Henning Schröder in einem Gastkommentar für das Handelsblatt in "Putins großem Coup" mehr als bloß vorweihnachtliche Milde, und zwar eine "offensive Botschaft an die russischen Unternehmer und die europäische Politik."

USA – Grenzen für die NSA? Ein von US-Präsident Barack Obama beauftragtes Fachgremium zur Überprüfung der Geheimdienstbefugnisse ist nach einem Bericht der FAZ (Andreas Ross) zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Armeegeheimdienst NSA engere Grenzen gesetzt werden sollten. So solle ihm die Speicherung von Telefon-Metadaten untersagt und lieber die Telefongesellschaften zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet werden. Zudem spreche sich der Bericht für den Abschluss internationaler Geheimdienstabkommen und für eine Gleichbehandlung der Daten von Ausländern mit denen von US-Bürgern aus. Auch die SZ (Nicolas Richter) wartet mit einer ausführlichen Schilderung des Berichts auf, während das Handelsblatt (Grischa Brower-Rabinowitsch) die zentralen Aussagen übersichtlich zusammenfasst.

Während Nicolas Richter (SZ) die Vorschläge als "Rückkehr zur Vernunft" begrüßt, hält Richard Wagner (FAZ) das Papier für nicht mehr als ein "symbolisches Entgegenkommen". Letztlich würden sich die Amerikaner "ihre 'robusten' Möglichkeiten zum Datensammeln erhalten, weil ihnen trotz aller Kritik die Abwehr terroristischer Gefahren über alles geht." Ansgar Graw (Welt) betont, dass der Bericht eine "schallende Ohrfeige" für Obama sei.

USA – Debra Milke wohl bald frei: Die in den USA vor fast 23 Jahren wegen Anstiftung zum Mord an ihrem Kind zum Tode verurteilte gebürtige Berlinerin Debra Milke kommt voraussichtlich Ende Januar frei. Eine Wiederaufnahme des Mordprozesses erscheint unwahrscheinlich, nachdem dem früheren Hauptbelastungszeugen, einem Polizisten, durch ein Gericht ein Aussageverweigerungsrecht zugestanden worden ist. Das ursprüngliche Urteil war aufgehoben worden, nachdem herausgekommen war, dass der Polizist schon in anderen Fällen Falschaussagen getätigt hatte, berichtet die FAZ (Christiane Heil).

Ägypten – Mubarak-Söhne freigesprochen: Ein Kairoer Gericht hat die Söhne des 2011 gestürzten ägyptischen Ex-Präsidenten Husni Mubarak sowie dessen Regierungschef vom Vorwurf der Korruption freigesprochen. Einen Tag zuvor war der im Sommer gestürzte Ex-Präsident Muhammad Mursi wegen Spionage und andere Verbrechen angeklagt worden, berichtet die FAZ (Markus Bickel).

rkei – Urteil gegen Gezipark-Aktivisten: Nach nur zehnminütiger Verhandlung ist in Istanbul ist der erste Gezipark-Prozess zu Ende gegangen. Aufgrund einer SMS wurde der Aktivist Bimen Zartar wegen Beleidigung des Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte geschrieben "Der Motherfucker Tayyib schickt jetzt seine Wasserwerfer", berichtet die taz (Jürgen Gottschlich). Angeblich seien insgesamt 255 Verfahren in Vorbereitung, Anwälte gingen sogar von 610 Anklagen aus.

Großbritannien – Soldatenmörder verurteilt: Die Mörder des britischen Soldaten Lee Rigby sind von einem Geschworenengericht in London am gestrigen Donnerstag schuldig gesprochen worden. Das Opfer war mit Messer und Beil getötet worden; einer der Angeklagten stilisierte sich während des Prozesses als Kämpfer Allahs. Das Strafmaß soll im kommenden Jahr bekanntgegeben werden, berichtet die taz (Daniel Zylbersztajn).

Sonstiges

Neue Datenschutzbeauftragte: Die FAZ (Peter Carstens) porträtiert auf der "Zeitgeschehen"-Seite die neue Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff (CDU). Die Juristin werde sich wohl anders als ihr Vorgänger Peter Schaar weniger als "Kronzeuge der jeweiligen Opposition" verhalten, habe aber so vielleicht die "Aussicht, mit etwas mehr Gelassenheit, aber auch größerem Rückhalt die Stellung des Datenschutzbeauftragten im Regierungsalltag personell und materiell angemessen zu stärken." Auch die Welt stellt die "umstrittene Juristin" vor. lto.de (Claudia Kornmeier) mutmaßt, der Posten der Datenschutzbeauftragten sei bloß ein "Trostpreis" für die nicht wiedergewählte Ex-Bundestagsabgeordnete.

Geschäftsführer-Haftung im Insolvenzrecht: Auf dem Handelblatt-Rechtsboard befasst sich der Rechtsanwalt Matthias Kampshoff mit der Haftung von Geschäftsführern in der Insolvenz. Der Gesetzgeber habe es versäumt, diese im Rahmen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen eindeutig zu regeln, was insbesondere bei der Eigenverwaltung zu unklaren Haftungsrisiken führe.

Das Letzte zum Schluss

Unwillkommene Weihnachtsgrüße: Die FAZ (Helene Bubrowski) berichtet über eine gerichtlich aufgewärmte sächsische Weihnachtsposse von 2009: Damals hatte sich Ministerpräsidenten Stanslaw Tillich (CDU) in einem an sämtliche Landesbeamte, aber auch an die Richter gerichteten Schreiben an "seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" gewendet, ihnen "gesegnete und frohe Weihnachten" gewünscht und sich für ihren "Anteil am erfolgreichen Wahljahr 2009". Während die meisten Richter von dieser Anrede bloß irritiert gewesen seien, brachte ein Arbeitsrichter den Fall vor das Richterdienstgericht und wollte festgestellt wissen, dass er kein Mitarbeiter, sondern unabhängiger Richter sei. Nachdem das Dienstgericht die Klage zunächst per Gerichtsbescheid wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen hatte, muss es sich auf Geheiß des Bundesgerichtshofs nun erneut mit dem richterlichen Anliegen befassen – weil es laut Karlsruher Richter nicht per den Verwaltungsgerichten vorbehaltenen Gerichtsbescheid, sondern nach mündlicher Verhandlung per Urteil hätte entscheiden müssen. Eine echte Weihnachtsposse eben.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2013: Wulff erhält "Vor-Freispruch" – 50 Jahre Auschwitz-Prozess – Chodorkowskij vor Begnadigung . In: Legal Tribune Online, 20.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10437/ (abgerufen am: 02.07.2024 )

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