Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2013: Wulff erhält "Vor-Freispruch" – 50 Jahre Auschwitz-Prozess – Chodorkowskij vor Begnadigung

20.12.2013

Justiz

50 Jahre Auschwitz-Prozess: Die FAZ (Alexander Haneke) beschäftigt sich mit dem ersten deutschen Auschwitz-Prozess vor dem Landgericht Frankfurt/Main vor 50 Jahren. Dass es überhaupt zu dem Prozess gekommen sei, sei "einer Reihe von Zufällen" geschuldet, deren Anfang ein als Souvenir aufbewahrtes Paket verkohlter Akten aus dem ausgebrannten Breslauer Polizeigericht gewesen sei. Wie sich später herausgestellt habe, habe es sich dabei um Erschießungslisten aus Auschwitz gehandelt. Auch die SZ (Ronen Steinke) berichtet und stellt den damaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in den Mittelpunkt, der als Jude selbst verfolgt worden war und dessen Name "für eine scharfe Abrechnung mit der NS-Vergangenheit" stand, "die vielen Deutschen zu weit" ging. Auch die taz (Rudolf Walther) bringt im "Kultur"-Teil einen ausführlichen Bericht und verweist auf die Dokumentationsarbeiten des Fritz-Bauer-Instituts. Auf spiegel.de beschreibt der Historiker Otto Dov Kulka, der als Kind in Auschwitz war, seine Zeugenaussage im Prozess.

Reinhard Müller (FAZ) meint, "das Neue, das Verstörende" sei damals gewesen, dass in Deutschland "ein ordentlicher Strafprozess über das Unbegreifliche" stattgefunden habe und würdigt Fritz Bauer als "Ausnahmeerscheinung". Gleichzeitig erinnert er an den Schutz von Tätern durch Verjährungsregeln, das Davonkommen der "feineren Herren des Rassenwahns" und die völkerrechtliche Weiterentwicklung bis zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, an der Deutschland "großen Anteil" habe.

LG Dresden zu Wasserwerken: Das Landgericht Dresden hat einem Bericht der FAZ (Peter Schilder) zufolge im den früheren Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig, Klaus Heininger, wegen Bestechlichkeit, Untreue und Bilanzfälschung zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Vier Jahre und zwei Monate sowie fünf Jahre Haft gab es für zwei mitangeklagte Helfer und Finanzberater. Das Urteil sei deutlich härter ausgefallen als ein erstes Urteil des Landgerichts, das wegen eines rechtsfehlerhaften Deals aber vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden worden sei.

LG Göttingen – Organspende-Prozess: Die FAZ (Andreas Nefzger) berichtet auf ihrer "Deutschland und die Welt"-Seite über den seit einem Vierteljahr vor dem Landgericht Göttingen laufenden Organspende-Prozess gegen den Chirurgen Aiman O. Er soll Daten manipuliert haben, "um seinen Patienten Spenderlebern zuzuschustern". Die Anklage laute auf versuchten Totschlag und in drei Fällen auf Körperverletzung mit Todesfolge, weil drei ohne Not transplantierte Patienten an den Folgen der Operation gestorben sein sollen. Der Prozess verlaufe teils hochemotional, Belege für ein korruptes Verhalten des Arztes hätten sich bislang nicht gefunden. Die Manipulationsvorwürfe sehe das Gericht aber ausweislich der abschlägigen Bescheidung eines Antrags auf Aufhebung des Haftbefehls gegen den Angeklagten als "im Kern erwiesen" an – es bestehe nach wie vor dringender Tatverdacht.

AG Wuppertal – Schwarzfahrerin "Oma Gerti": Die SZ (Bernd Dörries) widmet dem am gestrigen Donnerstag vor dem Amtsgericht Wuppertal verhandelten Prozess gegen die 87-jährige Gertud F., bekannt als "Oma Gerti", einen ausführlichen Bericht. Angeklagt wegen 22-fachen Schwarzfahrens in Zügen der Deutschen Bahn, habe die Frau seit einiger Zeit in Untersuchungshaft gesessen. Nachdem der vernommene psychiatrische Gutachter einen "Grenzfall" ausgemacht habe, solle im Januar ein neuer Gutachter über die Verhandlungs- und Schuldfähigkeit entscheiden. Bis dahin komme Gertrude F. frei.

StA Köln – Redtube-Ermittlungen: Laut spiegel.de hat die Kölner Staatsanwaltschaft Ermittlungen im Zusammenhang mit der Abmahnwelle gegen Benutzer der Porno-Streamingseite Redtube eingeleitet. Möglicherweise seien gegenüber dem Landgericht Köln zur Erlangung der Nutzerdaten falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben worden.

OLG München – NSU-Prozess: Die FAZ (Karin Truscheit) berichtet über den NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München und die weitere Vernehmung von Siegfried Mundlos, dem Vaters des mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos. Dieser habe in seiner Aussage den Verfassungsschutz beschuldigt, über V-Leute Steuergelder in die rechte Szene "hineingepumpt" zu haben und seine mutmaßlich gegenüber der Polizei getätigte Aussage über den Mitangeklagten Ralf Wolleben dementiert. Nebenklagevertreter hätten darauf in einem Beweisantrag gefordert, die Vernehmungsbeamten als Zeugen zu laden. Auch die Welt (Hannelore Crolly) berichtet über den zweiten Tag der Vernehmung von Siegfried Mundlos und hebt hervor, dass dieser sich nun "plötzlich zahm" gegeben habe. Auch spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet.

OLG München zu Kirch-Prozess: Das Oberlandesgericht München hat in einem Urteil im Zusammenhang mit der Insolvenz der Kirch-Gruppe erneut Vorwürfe gegen die Prozessführung der Kirch-Erben erhoben. Diese hätten dem Gerichtsgutachter "diverse Unterlagen vorenthalten". Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet.

Nach einem Bericht der SZ (Klaus Ott) erhärten sich derweil auch Vorwürfe gegen die beklagte Deutsche Bank und deren Ex-Chef Rolf Breuer, im Schadensersatzprozess fälschlich Zerschlagungspläne hinsichtlich des Kirch-Konzerns bestritten zu haben. Eine E-Mail aus der Londonder Investmentabteilung der Bank belaste diese schwer und spreche von einem Projekt "Barolo" zur Zerschlagung des Kirch-Konzerns. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittele bereits wegen Prozessbetrugs; eine Anklage zumindest gegen Breuer gelte als sicher. Im Wirtschafts-Teil beschäftigt sich die SZ (Klaus Ott/Uwe Ritzer) noch einmal ausführlicher mit der fraglichen E-Mail und ihren möglichen Konsequenzen.

Marc Beise (SZ) sieht für den Fall, dass es sich bei der E-Mail tatsächlich um den "rauchenden Colt", also den Beweis für das Fehlverhalten der Bank handelt, "ein neues, gewaltiges Imageproblem" auf die Deutsche Bank zukommen.

LG Köln – Klage gegen Sal. Oppenheim: Die Bank Sal. Oppenheim sieht sich einer weiteren Millionenklage ausgesetzt. Nach dreijährigen Vergleichsverhandlungen habe Sabine Rau, Erbin der Rau Lebensmittelwerke GmbH, nun beim Landgericht Köln Klage auf Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe erhoben. Die Klägerin wirft der Bank vor, ihr "Vermögen vernichtet" zu haben. Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet über den Fall, der sich in diverse weitere Schadensersatzforderungen prominenter Geschädigter gegen die Bank einreihe, über die der Bericht auch einen Überblick gibt.

BAG zu HIV-Infektion: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass HIV-Infizierte nicht allein wegen ihrer Krankheit entlassen werden dürfen. Die Infektion sei nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz mit einer Behinderung gleichzusetzen, was eine besonderen Diskriminierungsschutz zur Folge habe, so das Gericht laut FR.

EuGH zu Widerruf von Lebensversicherungen: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Versicherte ihre vor 2008 abgeschlossenen Lebensversicherungen unbegrenzt lange widerrufen können, wenn sie über ihr Widerrufsrecht nicht korrekt belehrt worden sind. Die konkreten Auswirkungen des Urteils könnten erst abgeschätzt werden, wenn der Bundesgerichtshof das zugrundeliegende Verfahren entschieden habe, so die FAZ (Joachim Jahn). Dieser hatte den EuGH um die Prüfung der europarechtlichen Zulässigkeit einer Befristung des Widerrufsrechts trotz mangelnder Aufklärung ersucht. Auch die SZ (Friederike Krieger) berichtet.

EuG zu Sammelklage gegen EZB: Das Europäische Gericht hat eine Sammelklage von rund 5.000 deutschen Bürgern gegen die Europäische Zentralbank abgewiesen. Nach einem kurzen Bericht der FAZ (Joachim Jahn) hielt das Gericht die Klage, mit der sich die Kläger gegen den Ankauf von Staatsanleihen durch die Bank wehren wollten, für unzulässig, weil es noch keine Umsetzungsmaßnahmen von Notenbanken gebe, die die Kläger beträfen.

BVerfG zu Braunkohle: Auf lto.de setzt sich der Rechtswissenschaftler Felix Ekhardt mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Braunkohletagebau in Garzweiler auseinander. Das Gericht gebe in seinem Urteil zwar klare, aber wenig überzeugende Antworten auf die Fragen nach der Zulässigkeit von klimaschädlichem Braunkohletagebau, dem Recht auf Heimat und wer bestimmen darf, was das Gemeinwohl ist.

EEG-Beihilfeverfahren: Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) befürchtet im Zusammenhang mit dem von der EU-Kommission angestrengten Beihilfeverfahren wegen der Befreiung stromintensiver Unternehmen von der EEG-Umlage nichts Geringeres, als dass es der EU als Rechtsgemeinschaft "das Genick brechen könnte". Er rechnet damit, dass sich die Bundeskanzlerin im Zweifel weigern wird, die nicht bezahlten Umlagen bei der Industrie einzutreiben.

EuGH zu Vorratsdatenspeicherung: Auf juwiss.de präsentiert Lorin-Johannes Wagner "assoziative Anmerkungen" zu den Schlussanträgen des Generalanwalts im Verfahren zur Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2013: Wulff erhält "Vor-Freispruch" – 50 Jahre Auschwitz-Prozess – Chodorkowskij vor Begnadigung . In: Legal Tribune Online, 20.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10437/ (abgerufen am: 21.07.2024 )

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