Europäischer Gerichtshof entscheidet über deutsche Preisbindung für Medikamente. Außerdem in der Presseschau: Dynamische IP-Adressen unterfallen dem Datenschutzrecht und der Prozess gegen jugendliche mutmaßliche Terroristin beginnt.
Thema des Tages
EuGH zu Preisbindung für Medikamente: Die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneien in Deutschland verstößt gegen EU-Recht und ist daher für ausländische Verkäufer nicht bindend, wenn diese rezeptpflichtige Medikamente über den Versandhandel in Deutschland verkaufen. Das entschied nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf einen Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf hin. Zur Begründung führte der EuGH aus, dass die Preisbindung für ausländische Unternehmer stärkere Auswirkungen habe als für deutsche, weil sie nur durch den Versandhandel einen Zugang zum deutschen Markt hätten und der Preis im Versandhandel ein noch entscheidenderer Faktor sei. Der Argumentation, dass die Preisbindung für die Gesundheit der Menschen in Deutschland notwendig sei, etwa weil durch sie eine flächendeckende Medikamentenversorgung gewährleistet werde, folgte das Gericht nicht und ließ in der Folge auch keine Ungleichbehandlung aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu. Durch das Urteil wurde der Klägerin, einer Patientenvereinigung, Recht gegeben. Deren Mitglieder dürfen sich weiterhin einen Rabatt von der niederländischen Online-Apotheke DocMorris gewähren lassen. Ob es allerdings dabei bleibt, ist fraglich – möglich wäre auch, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in Deutschland vollständig zu verbieten. Es berichten die SZ (Kim Björn Becker/Wolfgang Janisch), die FAZ (Andreas Mihm/Hendrik Wieduwilt), die taz (Christian Rath) sowie Rechtsanwalt Arne Thiermann auf lto.de.
Die FAZ (Susanne Preuss) erläutert die praktischen Auswirkungen für Verbraucher. Werner Bartens (SZ) begrüßt das Urteil als ersten Schritt gegen die überteuerten Medikamentenpreise in Deutschland, die lediglich Pharmaunternehmen und Apotheken, nicht aber die Patienten schützten.
Rechtspolitik
Al-Bakr/Justizvollzug: Die Zeit (Christian Fuchs/Anne Hähnig/Stefan Schirmer – Vorabmeldung) setzt sich im Zusammenhang mit dem Suizid des mutmaßlichen Terroristen Al-Bakr mit Versäumnissen in verschiedenen Bereichen der Justiz und Politik auseinander, und geht dabei insbesondere auf das sächsische Gefängnissystem ein. Die taz (Sabine am Orde) interviewt den Kriminologen Thomas Feltes zu dem Fall, der fordert, Selbstmordattentäter immer zunächst in besonderen Schutzzellen unterzubringen. Bundesjustizminister Heiko Maas lehnt derweil Forderungen nach einem Bundesgefängnis für Terroristen ab, wie ebenfalls die SZ meldet.
Die FAZ (Reinhard Müller) porträtiert den gerade pensionierten Bundesverfassungsrichter Herbert Landau, der nun die von der Sächsischen Staatsregierung eingesetzte Expertenkommission "Polizeiliche Ermittlungsarbeit und Strafvollzug bei terroristischen Selbstmordattentätern am Fall Al-Bakr" leiten soll.
Überwachung von "Gefährdern": Im Zusammenhang mit dem mutmaßlich vereitelten Terroranschlag des Syrers Jaber Al-Bakr und Forderungen nach mehr Überwachung von Flüchtlingen spricht netzpolitik.org (Constanze Kurz) mit dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Jannik Rienhoff über aktuelle Diskussionen im Sicherheitsrecht. Dabei geht es insbesondere um den Begriff des "Gefährders" sowie um Sinn und Berechtigung flächendeckender Überwachungsmaßnahmen.
Minderjährigenehen: Im Interview mit zeit.de (Andrea Dernbach) spricht sich Kinderrechtsexperte Daniel Bär dagegen aus, im Ausland geschlossene Ehen Minderjähriger in Deutschland grundsätzlich zu verbieten und aufzuheben. Im Sinne des Kindeswohls sei es sachgerechter, den Einzelfall und damit auch die Nachteile zu berücksichtigen, die sich aus der Aufhebung der Ehe ergeben könnten.
Störerhaftung: Als Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Störerhaftung plant die Bundesregierung, das Telemediengesetz nachzubessern. Betreiber unverschlüsselter WLAN-Hotspots sollen nicht für das Verhalten von Gastnutzern haften, und auch vor Kosten durch Abmahnungen geschützt werden, berichtet zeit.de.
Justiz
EuGH zu IP-Adressen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zwei datenschutzrechtliche Grundsatzfragen entschieden: Dynamische IP-Adressen sind personenbezogene Daten, ihre Speicherung unterliegt damit dem Datenschutzrecht. Die Speicherung kann aber aus wichtigem Grund zulässig sein und das deutsche Datenschutzrecht ist insoweit zu streng. Die Entscheidung erging auf einen Vorlagebeschluss der Bundesgerichtshofs (BGH), der vom EuGH wissen wollte, ob auch bei dynamischen, sich andauernd ändernden IP-Adressen der Nutzer "bestimmbar" im Sinne der EG-Datenschutzrichtlinie sei. Dies bejahte das höchste europäische Gericht grundsätzlich und entschied in der Konsequenz, dass auch für IP-Adressen das Datenschutzrecht gilt, wonach die Erhebung und Verwendung der Daten nur bei gesetzlicher Erlaubnis oder Einwilligung des Betroffenen zulässig ist. Auf die zweite Vorlagefrage, unter welchen Voraussetzungen die Verarbeitung dieser Daten zulässig sei, entschied der EuGH, dass das deutsche Recht hier zu streng sei, weil es die Verwendung bislang nur zu Abrechnungszwecken zulässt. Die Umsetzung der EU-Richtlinie erfordere hingegen eine Abwägung zwischen den Interessen des Websitebetreibers und jenen des Nutzers. Es berichten u.a. die Rechtsanwälte Gero Ziegenhorn und Katharina von Heckel auf lto.de, die taz (Christian Rath) und netzpolitik.org (Ingo Dachwitz).
BVerfG zu Grundstücksenteignung: Bei schweren Grundrechtseingriffen wie einer Enteignung darf sich das Gericht im einstweiligen Rechtsschutz nicht auf eine summarische Prüfung beschränken, entschied das Bundesverfassungsgericht. Dem Bauträger eines Kohlekraftwerks war mittels einer sogenannten Besitzeinweisung erlaubt worden, den Bau auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin noch vor Abschluss des Enteignungsverfahren zu beginnen. Hiergegen suchte sie vergeblich Rechtsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dessen Entscheidung das BVerfG nun aufhob, meldet lto.de.
OLG Celle – Prozess gegen junge Islamisten: Am heutigen Donnerstag beginnt vor dem Oberlandesgericht Celle der Prozess gegen die 16-jährige Safia S., die im Februar einen Polizisten in Hannover mit einem Messer in den Hals gestochen und lebensgefährlich verletzt haben soll. Es werden islamistische Motive vermutet, schreibt spiegel.de (Jörg Diehl/Julia Jüttner). Die Entwicklung und zunehmende Radikalisierung der Jugendlichen schildert die SZ (Annette Ramelsberger). Über den Mitangeklagten 20-jährigen Hasan K., der nach einer Reihe von Ermittlungspannen nach Griechenland geflohen, von dort aber wieder ausgeliefert worden war, berichtet ebenfalls die SZ (Lena Kampf/Georg Mascolo).
VG Neustadt zu AfD-Mietvertrag: Der Hambacher Schloss-Betriebs GmbH wurde mittels einstweiliger Anordnung verboten, der AfD das Schloss für eine Veranstaltung nur unter weitgehenden Auflagen zu vermieten. Sich ein Recht zur fristlosen Kündigung "aus Gründen der Sicherheit für Besucher und Gäste" einräumen zu lassen sowie Werbung für die Veranstaltung zu untersagen, "um wirtschaftlichem Schaden und Personenschäden auf dem Gelände des Hambacher Schlosses vorzubeugen", sei unverhältnismäßig, meldet lto.de.
VG Berlin – Flugzeugeinreise von Flüchtlingen: Vor dem Verwaltungsgericht in Berlin klagen 23 syrische Flüchtlinge dagegen, dass die Bundesregierung unter Drohung von Zwangsgeld die Airline Air Berlin zur Kündigung eines Fluges brachte, mit dem 115 syrische Flüchtlinge auf sicherem Wege nach Deutschland einreisen wollten. Initiiert worden war der Flug vom "Zentrum für Politische Schönheit", das auf die Problematik der fehlenden legalen Fluchtwege aufmerksam machen wollte, wodurch Schlepperringe und lebensgefährliche Reiserouten unterstützt würden. Dies berichtet die taz (Martin Kaul).
LG Düsseldorf – 33-jähriger Erbstreit: lto.de berichtet vom Erbstreit der beiden Enkel des ARAG-Gründers Heinrich Faßbender. Dieser ist seit nunmehr 33 Jahren beim Landgericht Düsseldorf anhängig. Nun wurde tatsächlich ein Gutachter vernommen, der vor sieben Jahren beauftragt worden war – das seit Jahren erste Ereignis in dem schleppenden Verfahren. Ein Ende ist nicht in Sicht.
AG Dillenburg – Tötung durch Kuh: Im Prozess um den gewaltsamen Tod einer Spaziergängerin gibt es neue Hinweise darauf, dass die als 'Tätertier' ausgemachte Kuh Verona die Frau nicht allein getötet haben, sondern andere Kühe daran beteiligt gewesen sein könnten. Die Besitzerin der Kuh war in erster Instanz wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, dieses Urteil aber vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main aufgehoben worden, so dass nun erneut verhandelt werden muss. Die Verteidigung hat in der Zwischenzeit ein neues Gutachten eingeholt, berichtet die FAZ (Timo Frasch).
BAG zum AGG: community.beck.de (Christian Rolfs) stellt aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Entschädigungsklagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zusammen.
"Göhrde-Morde": Die Zeit (Anne Kunze/Felix Rohrbeck) schildert die Ermittlungen zur Ermordung zweier Liebespaare im niedersächsischen Göhrde im Jahr 1989, die bis heute nicht zur Überführung des Täters geführt haben. Viele Anstrengungen auf eigene Faust unternimmt Wolfgang Sielaff, ehemaliger Leiter des Landeskriminalamtes (LKA) Hamburg, der die bisherigen Ermittlungen kritisiert. Seine Schwester war von demselben Täter getötet wurde, der auch für die Göhrde-Morde in Frage kommt.
Bundesverfassungsrichter a.D. Hömig gestorben: Wie die FAZ berichtet, ist der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Hömig verstorben, der von 1995 bis 2006 dem ersten Senat angehörte.
Recht in der Welt
USA – Deutsche Bank: Die Zeit (Arne Storn) schildert die Vergleichsverhandlungen der Deutschen Bank mit dem Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika. Letzteres verlangt 14 Milliarden Dollar für den Abschluss des jahrelangen Rechtsstreits um Hypothekenwertpapiere aus den Jahren 2005 bis 2007. Beschrieben wird insbesondere die Arbeit der wichtigsten Verhandlungspersonen – seitens der Bank Chefjustiziar Steven Reich, seitens des Justizministeriums der hochrangige Mitarbeiter William Baer.
IStGH/Kongo – Anwälte verurteilt: Der Internationale Strafgerichtshof hat den Kongolesen Jean-Pierre Bemba, der im März wegen Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik verurteilt worden war, noch einmal verurteilt – und seine vier Verteidiger ebenfalls. Alle wurden der "korrupten Beeinflussung" von Zeugen schuldig gesprochen, weil Entlastungszeugen ihre Aussage detailliert vorgegeben oder ihnen Gegenleistungen angeboten worden waren, berichtet die taz (Dominic Johnson).
Polen – Abtreibungsverbot: In einem Gastbeitrag in der SZ schreibt die polnische Journalistin und Soziologin Ludwika Włodek über den Kampf gegen ein totales Abtreibungsverbot in Polen und warum das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche so bedeutsam sei.
Sonstiges
Sachsen – Wahlprüfungsverfahren: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna von Notz beschäftigt sich auf verfassungsblog.de mit den rechtlichen Hintergründen des Wahlprüfungsverfahrens bezüglich des sächsischen Landtags. Ein AfD-Abgeordneter hatte Wahlbeschwerde eingelegt, weil er nachträglich von der Kandidatenliste gestrichen worden war, was die Autorin als Wahlverstoß einstuft. Brisanz hat das Verfahren zudem, weil gegen die AfD-Vorsitzende Frauke Petry wegen ihrer Aussage vor dem Wahlprüfungsausschuss wegen Meineid und uneidlicher Falschaussage ermittelt wird.
Zeugen vor Gericht: Die BadZ (Christian Rath) spricht mit Stefan Caspari vom Deutschen Richterbund darüber, wie Gerichte die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen einschätzen. Es gebe hierfür viele Anhaltspunkte im Aussageverhalten. Auch Zeugen, die die Wahrheit sagen wollten, seien allerdings recht unzuverlässige Beweismittel, da sie sich oft unabsichtlich irrten.
Heizen im Winter: Die FAZ erläutert die rechtliche Situation hinsichtlich der Pflichten eines Wohnungsmieters zur kalten Jahreszeit. Es gebe zwar keine Pflicht zu heizen, jedoch eine Obhutspflicht, Schäden von der Wohnung abzuhalten. Solche könnten etwa durch geplatzte Rohre oder Schimmelbildung entstehen.
Das Letzte zum Schluss
SM-Studio in der WEG: Typische Streitverfahren in Wohnungseigentümergemeinschaften drehen sich meist um Betriebskostenverteilung, Topfpflanzenaufstellung im Treppenhaus oder einheitliche Gestaltung der Balkone – nicht so jedoch in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten, von dem der Justillion (Stephan Weinberger) berichtet. Hier musste festgestellt werden, dass "die Nutzung eines Teileigentums als SM-Studio typischerweise mit unzumutbaren Belästigungen einhergeht, die einen Unterlassungsanspruch anderer Hauseigentümer begründet". Ein Kellerraum war durch Kettenrasseln, lautes Stöhnen und regen Publikumsverkehr auffällig geworden, was die Eigentümer der darüber liegenden Wohnung nicht hinnehmen wollten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Oktober 2016: Preisbindung wackelt / IP-Adressen und Datenschutz / Islamistenprozess beginnt . In: Legal Tribune Online, 20.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20910/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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