Ermitteln sie oder ermitteln sie nicht? In der NSA-Affäre zeigt sich die Bundesanwaltschaft unentschlossen und die Bundesregierung zögerlich. Unterdessen kündigt Obama vage Reformen an. Außerdem in der Presseschau: Tötung statt Mordparagraf, "Schadensfall Kind", Klaus Pflieger über die RAF - und was der EGMR zu Politiker-Geliebten und ihren Büchern sagt.
Thema des Tages
Ermittlungen in NSA-Affäre? Generalbundesanwalt Harald Range erwägt ein Ermittlungsverfahren, nachdem US-Geheimdienste angeblich das Handy der Bundeskanzlerin abgehört haben - das berichtet der Spiegel (Blome/Gude/Knaup/Neukirch/Poitras/Rosenbach/Schindler/Schmid/Stark, Zusammenfassung auf spiegel.de). Noch sei jedoch offen, ob es tatsächlich dazu komme. Die Bundesregierung befürchte ein Zerwürfnis mit den USA. Wie die Montags-SZ (Hans Leyendecker) erklärt, hat die Bundesanwaltschaft zwei sogenannte Beobachtungsvorgänge angelegt. Dabei gehe es zum einen um das Handy der Kanzlerin, zum anderen um die mutmaßliche massenhafte Überwachung von Telefonaten und Emails deutscher Staatsbürger. Derzeit sei es "am wahrscheinlichsten", dass die Bundesanwaltschaft zwar einen ausreichenden Anfangsverdacht bejahe, aber nach Paragraf 153d der Strafprozessordnung von einem Ermittlungsverfahren absehe, um die Beziehungen zu den USA nicht zu gefährden. Auch die Montags-FAZ (Günter Bannas) berichtet.
Laut einem weiteren Bericht der Montags-FAZ (Günter Bannas/Reinhard Müller) kritisieren der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, dass noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.
Christian Rath (Montags-taz) kommentiert, die Justiz müsse "aufpassen, dass sie am Ende des ganzen Schauspiels von den Bürgern noch ernst genommen wird". Es sei "peinlich", dass es noch keine Ermittlungsverfahren gebe - und selbst wenn es dazu kommen sollte, werde es jedenfalls keine Anklage gegen US-Offizielle geben.
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Wie spiegel.de (Veit Medick) berichtet, haben sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Streit um einen neuen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung geeinigt. Demnach soll ein Entwurf erst vorgelegt werden, wenn der Europäische Gerichtshof über die Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung entschieden hat. Allerdings sollen bereits Vorbereitungen getroffen werden, um auf das Urteil rasch reagieren zu können.
Tötung statt Mord: Der Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller (blog.beck.de) kommentiert den Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins, den Mordparagrafen zu streichen und für die Tötung eines Menschen einen Strafrahmen von fünf Jahren bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe einzuführen. In minder schweren Fällen solle eine Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren verhängt werden. Müller betont, eine Reform sei zwar notwendig, kritisiert jedoch, dass die Unterscheidung mehr oder weniger schwerer Tötungsdelikte damit allein den Gerichten überlassen würde.
Suizidhilfe: Im Interview mit der Montags-FAZ (Reinhard Bingener/Helene Bubrowski) fordert Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, "jede Form der organisierten Selbsttötungshilfe" zu verbieten. Insbesondere sollten auch Ärzte keine Suizidhilfe leisten dürfen. Vor einer Entscheidung des Bundestages bedürfe es jedoch einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Zudem sei es richtig, den Fraktionszwang aufzuheben.
Mindestlohn: Laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kann es gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Grundgesetz verstoßen, wenn ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird, aber bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern - etwa Studenten und Rentner - außen vor bleiben. Das berichtet die Montags-SZ (Thomas Öchsner). Zuvor hatten Unionspolitiker entsprechende Vorschläge geäußert.
Nachträgliche Therapieunterbringung: Die Montags-taz-Nord (Friederike Gräff) spricht mit dem Kriminologen Johannes Feest. Er kritisiert die Pläne der großen Koalition, verurteilte Straftäter nachträglich in der Psychiatrie unterzubringen.
Justiz
EuGH zu EU-Grundrechten: Der Rechtswissenschaftler Christopher Unseld analysiert auf verfassungsblog.de eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Horizontalwirkung von europäischen Grundrechten. Demnach können sich Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern grundsätzlich auf die EU-Grundrechtecharta berufen. Dies gelte jedoch nicht, wenn das einschlägige Grundrecht - hier ging es um Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern nach Artikel 27 der EU-Grundrechtecharta - nicht hinreichend bestimmt ist. Der Gerichtshof habe damit seine sogenannte Mangold-Rechtssprechung eingeschränkt, die horizontale Wirkung von EU-Grundrechten aber zugleich gestärkt.
BGH - Fischer widerspricht Nehm: Auf lto.de widerspricht Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, einem Beitrag des früheren Generalbundesanwalts, Kay Nehm, im Streit um das "Vier-Augen-Prinzip" des Bundesgerichtshofs. Fischer hatte bereits mehrfach kritisiert, dass regelmäßig nur zwei von fünf Richtern der Strafsenate die Akten lesen, wenn sie eine Revision per Beschluss verwerfen. Nehm hatte den "harschen Ton" der Auseinandersetzung gerügt und in einem Zehn-Augen-Prinzip nicht mehr Rechtssicherheit gesehen. Fischer wirft Nehm ebenfalls harsche Töne vor und betont, es sei sinnvoll und machbar, dass alle Richter die Akten lesen.
BGH - Helme für Radfahrer: Bekommt eine Radfahrerin nach einem Unfall weniger Schadensersatz, weil sie keinen Helm getragen hat? Mit dieser Frage wird sich der Bundesgerichtshof beschäftigen müssen, nachdem das Oberlandesgericht Schleswig einer Radfahrerin ohne Helm lediglich achtzig Prozent Schadensersatz zugesprochen hatte. Der Spiegel (Guido Kleinhubbert) schildert den Fall.
LG Hannover - Olaf Glaeseker: Die Samstags-Welt (Ulrich Exner) und die Samstags-FAZ (Robert von Lucius) berichten von dem Prozess gegen Olaf Glaeseker, den früheren Sprecher des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Glaeseker ist vor dem Landgericht Hannover wegen Bestechlichkeit angeklagt. Dabei geht es um den sogenannten "Nord-Süd-Dialog", ein Wirtschaftstreffen, das Wulff als niedersächischer Ministerpräsident organisieren ließ. Nun sagte der damalige Chef der niedersächsischen Staatskanzlei, Lothar Hagebölling, als Zeuge aus. Er erklärte, er habe das enge Verhältnis von Glaeseker zu dem zuständigen Eventmanager Manfred Schmidt nicht gekannt - unklar sei, ob es Wulff bekannt war.
LG Duisburg - Rockerbande: Vor dem Landgericht Duisburg müssen sich zwei Mitglieder der Rockerbande Satudarah verantworten. Sie sollen einen anderen Satudarah-Rocker zu Anschlägen auf verfeindete Hells Angels angestiftet und in großem Stil mit Waffen und Drogen gehandelt haben. Weil die Taten aber nur mit erheblichem Aufwand nachgewiesen werden könnten, werde sich das Gericht wohl auf erhebliche Strafrabatte einlassen, wenn die Angeklagten ein Geständnis ablegen, so spiegel.de (Jörg Diehl).
LG Hamburg - Theo Sommer: Am kommenden Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Hamburg ein Prozess gegen Theo Sommer. Dem früheren Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" werde Steuerhinterziehung in neun Fällen vorgeworfen, berichtet die Montags-FAZ (Alexander Armbruster). Insgesamt soll Sommer Einkünfte in Höhe von mehr als einer halben Millionen Euro nicht angegeben haben. Gegenüber dem "Hamburger Abendblatt" habe Sommer erklärt, "aus Schusseligkeit oder Schlamperei" versäumt zu haben, bestimmte Einkünfte anzugeben.
LG Köln - Redtube-Gutachten: Udo Vetter (lawblog.de) befasst sich mit einem Gutachten der Münchner Patentanwälte Diehl & Partner, das im Redtube-Fall um die Abmahnungen von Pornonutzern eine wichtige Rolle gespielt habe. Das Gutachten sollte klären, ob eine bestimmte Software die Download-Aktionen korrekt erfassen konnte und war offenbar die Grundlage dafür, dass das Landgericht Köln für die Abmahnungen "grünes Licht" gab, so Vetter. Allerdings erschöpfe sich das Gutachten in "Beteuerungen", dass die Software zu korrekten Ergebnissen komme, ohne zu erklären, wie dies technisch funktioniere.
Schadensfall behindertes Kind: Die Samstags-taz-Nord (Friederike Gräff) spricht mit dem Rechtsanwalt Oliver Tolmein über Fälle, in denen Eltern behinderter Kinder den Arzt verklagen, der die Behinderung bei pränatalen Untersuchungen übersehen hat. Tolmein kritisiert solche "Schadensfall Kind"-Prozesse – die allerdings seltener würden, weil insbesondere Trisomie 21 häufig erkannt würde und die meisten Eltern dann einen Schwangerschaftsabbruch vornähmen. Allerdings vertrete er nun erstmals selbst Eltern, die Schadensersatz von einem Arzt verlangen, wolle aber deutlich machen, dass das Kind nicht als Schaden angesehen werde.
Recht in der Welt
USA - NSA-Überwachung: Der Präsident der USA, Barack Obama, hat in einer Grundsatzrede zum NSA-Überwachungsskandal erklärt, Staats- und Regierungschefs der engsten Verbündeten dürften künftig nicht mehr von den US-Geheimdiensten abgehört werden. Grundsätzlich würden aber weiter Informationen über die Absichten der Regierungen gesammelt. Obama kündigte zudem Reformen bei der Telefonüberwachung von US-Bürgern an. Besonders ausführlich berichten die Samstags-FAZ (Andreas Ross), und spiegel.de (Sebastian Fischer). Die wichtigsten Passagen der Rede erklärt süddeutsche.de (Johannes Kuhn). Fragen und Antworten zu Obamas Plänen stellt die Montags-FAZ (Andreas Ross) zusammen. Die Samstags-Welt (Ansgar Graw) geht insbesondere darauf ein, wie die Telefonüberwachung im Inland künftig geregelt werden könnte. spiegel.de fasst die Reaktionen deutscher Politiker zusammen, denen die Versprechen Obamas nicht weit genug gehen.
Sonstiges
Klaus Pflieger im Interview: Der Spiegel (Michael Sontheimer/Simone Salden, Zusammenfassung auf spiegel.de) führt ein Interview mit dem ehemaligen Bundesanwalt Klaus Pflieger über die Ermittlungen gegen die linke Terrororganisation RAF. Pflieger betont, es hätten zwar nicht alle Fälle aufgeklärt werden können, er sei aber überzeugt, dass es keine Fehlurteile gegeben habe. Um die historische Wahrheit zu erfahren, solle man in bestimmten Fällen auf weitere Strafverfolgung verzichten.
Genussrechte: Der Rechtsprofessor Tim Drygala erklärt auf lto.de die Rechte von Anlegern, die Genussrechte an dem finanziell angeschlagenen Energieunternehmen Prokon inne haben. Genussrechtsgläubiger stünden im Falle eine Insolvenz "in der Schlange ganz hinten", das sei aber kein Grund, Genussrechte generell zu verbieten.
Schenkungssteuer: Der Rechtsanwalt Alexander Knauss erklärt auf lto.de, warum die Ex-Freundin von Oliver Kahn, Verena Kerth, teure Geschenke wie Designer-Kleidung und Luxusuhren möglicherweise versteuern muss - nämlich dann, wenn es sich nicht um übliche Gelegenheitsgeschenke handelt und die Freibetragsgrenze überschritten ist.
Plagiat bei Scheuer? Die Prager Universität solle die Doktorarbeit von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer auf Plagiate überprüfen, fordert der Juraprofessor Wolfgang Löwer, Ombudsmann für die deutsche Wissenschaft. Löwer sagte gegenüber der FAS (Thomas Gutschker/Timo Frasch), Scheuer habe offenbar abgeschrieben - ob absichtlich oder versehentlich müsse nun geklärt werden.
Das Letzte zum Schluss
EGMR zu Sex-Affären von Politikern: Nicht zur Affäre um den französischen Präsidenten François Hollande, aber zu einer des früheren finnischen Premierministers, hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu entscheiden. Wie internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet, bestätigten die Richter eine Entscheidung des finnischen High Courts: Die Ex-Geliebte darf Details zum Sexualleben des Regierungschefs nicht in einem Buch veröffentlichen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. Januar 2014: Ermittlungen in NSA-Affäre – Tötung statt Mord – Behindertes Kind als Schaden . In: Legal Tribune Online, 20.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10711/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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