Das Schicksal der Häftlinge in Guantanamo ist weiter ungewiss – nun ist die US-Regierung zumindest zur Veröffentlichung der Namen aller Häftlinge verurteilt worden. Außerdem in der Presseschau: die Reform des Revisionsrechts im Zivilprozess, die Befragung von Carsten S. von der Nebenklage im NSU-Verfahren, die Sicherheitsvorkehrungen beim Obama-Besuch und warum der belgische König vielleicht doch nicht abdanken könnte.
USA – Guantánamo: Ein Gericht in Washington hat die US-Regierung verurteilt, die Namen aller Häftlinge des Gefangenenlagers Guantánamo im Südosten von Kuba zu veröffentlichen. Die amerikanischen Tageszeitungen "Miami Herald" und "New York Times" hatten zuvor auf Grundlage des Gesetzes zur Informationsfreiheit Anträge auf Preisgabe der Namen gestellt. Die Liste der nunmehr veröffentlichten Namen umfasst auch die 46 als "unbefristete Häftlinge" eingestuften Insassen. Diese gelten nach Einschätzung des Pentagon als zu gefährlich, um freigelassen zu werden, und können gleichzeitig auch nicht vor Gericht gestellt werden, weil sie mit brutalen Verhörmethoden befragt worden waren, und die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht vor Gericht verwendet werden können. zeit.de, die taz (Dorothea Hahn) und die FAZ (Matthias Rüb) berichten.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Änderungen im Revisionsrecht: Rechtsprofessor Raphael Koch und Rechtsreferendar Alexander Scheuch stellen auf lto.de die vergangene Woche vom Bundestag verabschiedeten Änderungen des Revisionsrechts im Zivilprozess vor, die verhindern sollen, dass eine Partei einen Rechtsstreit in letzter Instanz einseitig beendet. Hintergrund ist, dass besonders Banken oder Versicherungen oft auf diese Weise versuchen, ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zu verhindern, wenn sich im Revisionsverfahren eine für sie ungünstige Entscheidung abzeichnet. Sowohl Anerkenntnis des gegnerischen Anspruchs als auch Rücknahme der Revision sollen daher nach der Neuregelung von der Mitwirkung der Gegenseite abhängig sein. Auch die SZ (Friedrike Krieger) schildert die Gesetzesänderung.
Kollektive Vermögensanlagen: Rechtsanwalt Jürgen van Kann befasst sich auf der Recht und Steuern-Seite der FAZ mit dem Gesetz für kollektive Vermögensanlagen, das im Mai vom Bundestag zur Umsetzung einer Richtlinie über Verwalter alternativer Investmentfonds beschlossen wurde. In dem neuen, 350 Paragraphen starken Kapitalanlagengesetzbuch (KaGB) werden die bislang im Investmentgesetz enthaltenen aufsichtsrechtlichen Vorschriften für Anlagen in Wertpapierfonds erweitert und auf alternative Investments, etwa Hedgefonds und Private-Equity-Fonds, angewandt. Insbesondere regelt das Gesetz eine neuartige zweijährige Ausschüttungssperre ab Erwerb der Kontrolle über ein Unternehmen mit Ausnahme der laufenden Gewinne, um die Ausschlachtung des Unternehmens mit dem Ziel schneller Profite zu verhindern.
Selbstanzeige von Unternehmen: Angesichts der derzeitigen Diskussion um die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht betonen Rechtsanwältin Ocka Stumm und Rechtsanwalt Jochen Meyer-Burow auf der Recht und Steuern-Seite der FAZ, dass dieses Instrument auch für Unternehmer und deren Angestellte wichtig sein kann. Viele Unternehmer seien sich gar nicht bewusst, wie leicht man sich etwa im Hinblick auf die Umsatzsteuer wegen Steuerhinterziehung strafbar machen könne. Auch kämen die Strafzumessungsleitlinien des Bundesgerichtshofs, wonach bei hinterzogenen Steuern von mehr als einer Million Euro eine Freiheitsstrafe verhängt werden muss, bei mittelständischen und größeren Unternehmen, die derartige Beträge schnell erreichten, grundsätzlich zur Anwendung.
Weitere Themen - Justiz
NSU-Verfahren – Aussage Carsten S.: Das NSU-Verfahren wurde gestern mit der Befragung des Angeklagten Carsten S. durch die Nebenkläger fortgesetzt. In seiner Aussage gab S. unter anderem an, dass er mit dem V-Mann des Verfassungsschutzes Tino Brandt über seine Kontakte zu den untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe gesprochen habe. Die wesentlichen Ereignisse des Verhandlungstags fassen spiegel.de (Gisela Friedrichsen), die taz (Marlene Halser, Andreas Speit) und die FAZ (Karin Truscheit) zusammen.
NSU-Verfahren - Rechtsanwaltsgebühren: Der SWR-Terrorismusblog (Holger Schmidt) befasst sich mit den Rechtsanwaltsgebühren für die Nebenklagevertretung beim NSU-Verfahren. Die Höhe der Sätze für Verhandlungstage und des Pauschalbetrags für die zeitweise Vertretung anderer Nebenkläger würden nach Ansicht des früheren OLG-Richters und Gebührenexperten Detlef Burhoff von den Oberlandesgerichten höchst unterschiedlich festgelegt und seien insgesamt zu niedrig. Er beobachte eine generelle Tendenz, dass Pflichtverteidiger in "Umfangsverfahren" nicht mehr angemessen honoriert werden, so Burhoff.
OLG Schleswig-Holstein zu Fahrradhelmen: spiegel.de (Frank Patalong) greift das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein auf, wonach einen Fahrradfahrer, der ohne Helm fährt, bei Verkehrsunfällen eine Mitschuld trifft. Das deutsche Recht kenne an vielerlei Stellen das Prinzip, im Schadensfall auch für eigentlich erlaubte Dinge haftbar gemacht zu werden, die erkennbar ein Gefahrenpotential enthalten. Dass dies im Fall des Fahrradhelms auf ersten Blick nicht so plausibel erscheine, liege vielleicht daran, dass das Fahrrad noch immer als "Halb-Verkehrsmittel" wahrgenommen werde, bei dem andere Maßstäbe gelten.
Mit Einführung einer solchen "De-Facto-Helmpflicht" setzt sich das Gericht über die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Helmpflicht hinweg, meint dagegen Christian Rath (Badische Zeitung). Eine Schadens-Selbstbeteiligung von Radfahrern sei nur in Ordnung, wenn sie selbst etwas falsch gemacht haben.
EuGH zu Kartellverstoß: Nach knapper Meldung der SZ und der FAZ hat der Europäische Gerichtshof gestern entschieden, dass ein Unternehmen die Verhängung einer Geldbuße wegen Kartellverstoßes nicht mit dem Verweis auf den Rat eines Anwalts oder den Irrtum eines nationalen Kartellgerichts abwenden kann. Im konkreten Fall ging es um ein österreichisches Kartell von Speditionen, das zuvor vom Kartellgericht in Österreich wie auch vom Oberlandesgericht Wien aus verschiedenen Gründen nicht beanstandet worden war.
BGH zur gesetzlichen Vertretung von Unternehmen: Die FAZ (Joachim Jahn) schildert eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach bei Klagen von Vorständen gegen ihr Unternehmen dieses stets vom gesamten Aufsichtsrat vertreten werde. Das Gremium müsse mit einem ausdrücklichen Beschluss entscheiden, ob es sich überhaupt gegen die Klage verteidigen oder Rechtsmittel einlegen wolle. Dadurch werde laut Gerichtshof auch nicht die Verteidigungsmöglichkeit des Unternehmens in Eilfällen eingeschränkt, da zunächst der Aufsichtsratsvorsitzende als Vertreter ohne Vertretungsmacht agieren könne, und das Gesamtorgan dies mit Mehrheit später genehmigen könne.
AG Dresden – Lothar König: Seit April läuft vor dem Amtsgericht Dresden der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Strafvereitelung. Ihm wird vorgeworfen, im Februar 2011 bei einer Demonstration gegen einen Aufmarsch Rechtsextremer in Dresden zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben. Die taz (Sebastian Erb) schildert ausführlich den bisherigen Prozessverlauf und urteilt, Königs Verteidigung habe die Vorwürfe Stück für Stück wiederlegen können. Am 5. Juli will das Schöffengericht das Urteil sprechen.
AG Potsdam zu Selbstverstümmelung: Nach Meldung von spiegel.de ist ein Zahnarzt aus Brandenburg wegen Vortäuschens einer Straftat und versuchten Betruges vom Amtsgericht Potsdam zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann sich seinen linken Zeigefinger abgeschnitten hatte, um Geld von seiner Versicherung zu kassieren. Der Zahnarzt selbst hatte dargestellt, zwei Männer seien in seine Praxis eingedrungen seien und hätten ihm den Finger aus Verärgerung darüber abschnitten, dass sie bei ihm nichts erbeuten konnten.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Frankreich – Strafverfahren gegen Ribéry: Vor einem Gericht in Paris hat gestern der Prozess gegen die französischen Fußball-Profis Franck Ribéry und Karim Benzema begonnen, denen vorgeworfen wird, vor vier Jahren Sex mit einer minderjährigen Prostituierten gehabt zu haben. Ribéry selbst räumt den Geschlechtsverkehr ein, allerdings habe er weder dafür bezahlt noch gewusst, dass sie minderjährig gewesen sei. Nach Bericht der SZ (Stefan Ulrich) und spiegel.de (Stefan Simons) setzte das Gericht das Verfahren nach Prozessbeginn auf Antrag des Verteidigers Ribérys aus, um vom französischen Kassationsgerichtshof prüfen zu lassen, ob das Gesetz, das Sex mit minderjährigen Prostituierten unter Strafe stellt, klar genug formuliert ist.
USA – Paula Cooper freigelassen: Nach Meldung der FAZ (Christian Heil)
ist die ehemals jüngste Todeskandidatin der USA, Paula Cooper, nach fast 30 Jahren wegen guter Führung aus dem Gefängnis entlassen worden. Cooper war 1986 für den Mord an einer 78 Jahre alten Religionslehrerin zum Tode verurteilt worden. Das Todesurteil gegen die zum Tatzeitpunkt Fünfzehnjährige hatte weltweites Aufsehen erregt; 1989 hatte der US-Supreme Court die Strafe zu 60 Jahren Gefängnis umgewandelt.
Ungarn – Anklage gegen mutmaßlicher NS-Täter: Die Staatsanwaltschaft Budapest hat gestern gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher Laszlo Csatary Anklage erhoben. Dem heute 98-jährigen ungarischen Staatsbürger wird vorgeworfen, als Lagerkommandant im heutigen Kosice 1944 an der Misshandlung und Deportation tausender Juden nach Auschwitz und andere Vernichtungslager mitgewirkt zu haben. Wie die SZ (Cathrin Kahlweit) erinnert, hatte das Simon-Wiesenthal-Zentrum Csatary als einen der meistgesuchten Kriegsverbrecher geführt, bis er schließlich von zwei britischen Reportern in Budapest aufgespürt wurde, wo er nach seiner Ausweisung aus Kanada unbehelligt gelebt hatte.
Sonstiges
Sicherheitsmaßnahmen bei Obama-Besuch: lto.de (Claudia Kornmeier) befragt den Ministerialrat und Polizeirechtler Frank Ebert aus Anlass des Besuchs von US-Präsident Obama zu den Sicherheitsmaßnahmen, welche die Polizei zum Schutz eines Staatsgasts treffen darf. Beispielsweise könne nach dem Berliner Polizeigesetz wie jetzt vor dem Brandenburger Tor bereits bei der abstrakten Gefahr eines Anschlags eine Sperrzone eingerichtet werden. In diesem Sicherheitsbereich habe die Polizei dann besondere Befugnisse und könne etwa anordnen, dass Fenster geschlossen bleiben oder keine Fahrräder abgestellt werden.
Recht auf Kenntnis der Abstammung: Die Rechtswissenschaftlerin Andrea Kießling setzt sich auf dem juwiss-blog mit dem Recht eines Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung auseinander. Dieses hat in jüngster Zeit aus zwei Perspektiven Bedeutung erlangt. So sieht das vorletzte Woche im Bundestag verabschiedete Gesetz der vertraulichen Geburt vor, dass das Auskunftsrecht des Kindes unter einem Vorbehalt der leiblichen Mutter stehen kann. Für den Fall einer anonymen Samenspende hatte dagegen das Oberlandesgericht Hamm Anfang des Jahres entschieden, dass ein Kind einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Reproduktionsmediziner über die Identität ihres biologischen Vaters hat.
Das Letzte zum Schluss
Königliche Gene: Eine 45-jährige Frau hat in Belgien König Albert, Prinzessin Astrid und Kronprinz Philippe auf Abgabe einer DNA-Probe verklagt, um auf diese Weise nachzuweisen, dass sie die uneheliche Tochter Alberts ist, als die sie inoffiziell bereits seit langem gilt. Laut SZ (Javier Cárceres) hat die Klägerin kein schlechten Moment ausgewählt: So schütze die belgische Verfassung den König vor einer solchen Klage nach übereinstimmender Auffassung belgischer Verfassungsrechtler nur, solange er im Amt ist. In Belgien frage man sich daher, ob König Albert seine angeblich geplante und terminierte Abdankung nun wieder absagen werde.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. Juni 2013: Häftlinge nicht mehr namenlos – erschwerte Revisionsrücknahme – Sicherheitsvorkehrungen beim Staatsbesuch . In: Legal Tribune Online, 19.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8958/ (abgerufen am: 20.07.2024 )
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