Die EU-Kommission macht Front gegen Zinsmanipulationen. Was drakonisch klingt, wird aber als Einknicken vor den Banken kritisiert. Außerdem in der Presseschau: NRW will Unternehmensstrafrecht, BGH will Auszeit bei Anwalts-Zulassung, Zigarettenqualm als Körperverletzung und warum ein New Yorker Wolkenkratzer beschlagnahmt werden soll.
Thema des Tages
EU – Zinsmanipulation: Die EU will die Referenzzinssätze Libor und Euribor künftig schärfer überwachen. Wie die SZ (Alexander Hagelüken/Markus Zydra) im "Geld"-Teil berichtet, sieht der Verordnungsentwurf der EU-Kommission für Manipulationen Strafen von bis zu 500.000 Euro für Privatpersonen und 1.000.000 Euro für Unternehmen vor. Abgeordnete des EU-Parlaments verlangen schärfere Regelungen und kritisieren, dass Finanzkommissar Michel Barnier den Mitgliedstaaten zu sehr entgegengekommen sei.
Auch Alexander Hagelüken (SZ) kritisiert den Kommissionsvorschlag. Der klinge zwar hart, sei aber zu weich. Insbesondere sei eine zentrale Kontrolle durch die europäische Börsenaufsicht vonnöten – doch die habe Barnier auf Kritik aus London hin gestrichen. Ulrike Hermann (taz) hält das vor dem Hintergrund der in London erfolgten Manipulationen für einen "Treppenwitz der Geschichte" und resümiert: "Der Sieger heißt: Bank". Gerald Braunberger (FAZ) nimmt die EU-Initiative gegen Vorwürfe aus der Bankenbranche in Schutz – die "Regulierungswut" hätten sich die Banken durch Missbrauch "selbst eingebrockt".
Rechtspolitik
NRW für Unternehmensstrafrecht: Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat einen Gesetzentwurf für ein Unternehmensstrafrecht verabschiedet, der zunächst der Justizministerkonferenz vorgestellt und dann im Bundesrat eingebracht werden soll. Wie die FAZ (Reiner Burger) berichtet, sieht der Entwurf strafrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen selbst vor; diese reichen von Geldstrafen über den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen bis hin zur Unternehmensauflösung. Bislang könnten nur natürliche Personen, also Unternehmensmitarbeiter belangt werden.
EU – Verordnung zu Netzneutralität: Die EU-Kommission hat einen Verordnungsentwurf zur Regelung der Netzneutralität vorgelegt. Mit diesem befasst sich auf lto.de der Rechtsreferendar Vyacheslav Bortnikov und befürchtet, die Verordnung könnte mehr Probleme schaffen als sie zu lösen verspricht. Insbesondere mit der durch Grundrechtecharta und Menschenrechtskonvention geschützten Meinungsvielfalt könnten Regelungen in Konflikt geraten, die Endnutzern erlauben, "Spezialdienste" mit höherer Übertragungsqualität zu buchen. Denn dies widerspreche der von der Meinungsvielfalt geforderten kommunikativen Chancengleichheit.
Auch Thomas Stadler (internet-law.de) kritisiert den Entwurf: Von der "Festschreibung der Netzneutralität" sei "allenfalls noch eine leere Hülle übrig geblieben" – selbst ein Mindeststandard werde nicht etabliert.
Gesetz zu Kassenärzte-Korruption: Nachdem der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr die Anwendbarkeit der Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuchs auf Kassenärzte mangels Amtsträgereigenschaft verneint hatte, wollten Regierung und Opposition diese Gesetzeslücke schließen. Da ein Streit um das "Wie" der Regelung und die von ihr erfassten Berufsgruppen entbrannt ist, wird der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf am Freitag im Bundesrat voraussichtlich scheitern, berichtet die SZ (Guido Bohsem).
Ohne Wahlalter: In der Zeit begründen Felix Finkbeiner und Wolfgang Gründinger ihre Initiative für eine Abschaffung des Mindestwahlalters. Jeder solle wählen dürfen, wann er wolle, schließlich gehe laut Grundgesetz alle Staatsgewalt "vom Volke aus" – ohne Altersbeschränkung. Mit diesem Argument wollen die beiden die anstehende Bundestagswahl beim Wahlprüfungsausschuss anfechten – und auch bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.
Justiz
BGH – Anwaltszulassungen: Der Bundesgerichtshof hat einem Bericht der FAZ (Joachim Jahn) zufolge Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aufgefordert, im Streit um die Zulassung neuer Anwälte an Deutschlands höchstem ordentlichen Gericht keine "vollendeten Tatsachen" zu schaffen. Vielmehr solle sie den Ausgang der Konkurrentenklage eines vom BGH-Wahlgremium abgelehnten Rechtsanwalts abwarten.
LG Hamburg zu Link-Beschlagnahme: Das Landgericht Hamburg ist dem staatsanwaltlichen Ansinnen entgegengetreten, Links auf im Internet befindliche Dokumente zu "beschlagnahmen". Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen den Rechtsanwalt von Gustl Mollath wegen "Verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen". Er soll unerlaubt Verfahrensunterlagen übers Internet verfügbar gemacht haben; die Staatsanwaltschaft wollte diese löschen lassen. Genüsslich berichtet lawblog.de (Udo Vetter) von dem Gerichtsbeschluss, der noch weitere "Missverständnisse" der Staatsanwaltschaft richtigstelle und deutliche Zweifel des Gerichts an der Strafbarkeit des anwaltlichen Tuns offenbare. blog.beck.de (Henning Ernst Müller) liefert einen Überblick über das zugrundeliegende Strafverfahren und stellt es in den Kontext der einschlägigen Rechtsprechung.
AG Erfurt zu Zigarettenrauch als Körperverletzung: Einer anderen Person Zigarettenqualm ins Gesicht zu blasen ist eine Körperverletzung, gegen die man sich zur Wehr setzen darf. Dies entschied laut lto.de das Amtsgericht Erfurt, das den Glaswurf einer jungen Frau auf einen penetranten Raucher durch Notwehr gerechtfertigt sah und sie deshalb freisprach.
NSU-Prozess – Verteidigerhonorare: Am heutigen Donnerstag meldet sich auch Wolfgang Janisch (SZ) zum Honorar-Streit im NSU-Prozess zu Wort. Einerseits sei die 77.000-Euro-Forderung des Zschäpe-Anwalts Wolfgang Stahl "natürlich illusorisch". Andererseits sei sie auch "weder dreist noch unverschämt", sondern mache vielmehr darauf aufmerksam, dass Gerechtigkeit Geld koste. Gerade bei Pflichtverteidigungen sei die Höhe der Vorbereitungspauschale, bei der das Gericht anders als bei den Tagessätzen Spielraum habe, entscheidend dafür, ob auch hochkarätige Anwälte ein solches Mandat übernähmen.
In einem weiteren Artikel erläutert die SZ (Annette Ramelsberger) die Berechnung von Pflichtverteidiger-Honoraren.
LG Köln – Sal. Oppenheimer-Prozess: Die Zeit (Wolfgang Gehrmann) befasst sich ausführlich mit dem Prozess um die Privatbank Sal. Oppenheimer vor dem Kölner Landgericht. Dabei gehe es um Untreue-Vorwürfe gegen fünf Personen – vier ehemalige Gesellschafter und einen ihrer Geschäftsfreunde. Sie sollen für den Niedergang der Bank 2010 verantwortlich sein. Auch das Handelsblatt (Massimo Bognanni) berichtet vom Prozess, bei dem es auch um den Verdacht eines Insidergeschäfts gehe.
LG Hannover – Wulff-Prozess: Die SZ (Hans Leyendecker) berichtet, dass der Vorteilsnahme-Prozess gegen Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) und den Filmproduzenten David Groenewold wohl später beginnen und länger dauern werde als bislang angenommen. Dies sei aus Justizkreisen an die Öffentlichkeit gedrungen. Das "Termingerangel" deute auch darauf hin, dass der Prozess tatsächlich stattfinden und es nicht zu einer Einstellung des Verfahrens kommen werde.
VGH Kassel zu Sonntagsarbeit: Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat einige Regelungen der hessischen Bedarfsgewerbeverordnung für nichtig erklärt. Diese sahen Bereichsausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot unter anderem für Callcenter vor. Derart weitgehende Regelungen hätte der Gesetzgeber jedoch selbst treffen und nicht an den Verordnungsgeber delegieren dürfen, berichtet blog.beck.de (Markus Stoffels). Andere Regelungen zur Videotheken und Bibliotheken habe der Verwaltungsgerichtshof wegen Unvereinbarkeit mit der Ermächtigungsgrundlage für unwirksam erachtet.
Recht in der Welt
Griechenland – politischer Mord: Griechenland wird von einem politischen Mordfall erschüttert. Ein linker Musiker wurde von einem Anhänger der rechtsradikalen Partei Chrysi Avgi ("Goldene Morgenröte") erstochen. Die SZ (Christiane Schlötzer) berichtet über den Fall und die Diskussion um ein Verbot der laut Umfragen immer mehr Unterstützung genießenden Partei.
In einem gesonderten Kommentar begrüßt Schlötzer ein "Ende des Wegschauens" und befürwortet ein Verbot "zumindest der Sturmtruppen von Chrysi Avgi".
USA – Kunsthändlerin gesteht: In einem vielbeachteten Kunstfälscherprozess in New York hat die Kundthändlerin Glafiria Rosales zugegeben, 15 Jahre lang gefälschte Werke abstrakt-expressionistischer Künstler wie Jackson Pollock vertrieben zu haben. Die SZ (Rich) berichtet im Feuilleton.
Sonstiges
Neues Wahlrecht: In einem Interview mit der SZ (Wolfgang Janisch) erläutert der emeritierte Staatsrechtler Hans Meyer die Auswirkungen des neuen Wahlrechts auf die kommende Bundestagswahl. Es werde einerseits "eindeutig gerechter", weil Überhangmandate ausgeglichen würden, andererseits verlören so Wahlstrategien wie das Stimmen-Splitting ihren Effekt. Auch die FAZ (Günter Bannas) setzt sich mit dem Thema auseinander.
Verfassungsschutz speicherte Journalisten-Daten: Der niedersächsische Verfassungsschutz hat offenbar unzulässigerweise persönliche Daten von Journalisten gespeichert, obwohl keine Hinweise auf einen extremistischen Hintergrund der betroffenen Personen vorgelegen hätten. Laut spiegel.de prüft der Anwalt einer Betroffenen ein verwaltungsgerichtliches Vorgehen, weil das Amt die Speicherung auf ein Auskunftverlangen hin zudem geleugnet hatte.
Juristische Ausbildung
Rep-Kultur: Auf spiegel.de (Maria Timtschenko) findet sich ein Artikel zur juristischen Examensvorbereitung – und dem ungebrochenen Trend zu privaten Repetitorien. Diese wiederum machten "ihr Geld vor allem mit der Versagensangst verunsicherter Kandidaten". Doch die Universitäten steuerten nun gegen.
Das Letzte zum Schluss
Wolkenkratzer-Beschlagnahme: Die New Yorker Staatsanwaltschaft will einen kompletten Wolkenkratzer beschlagnahmen, berichtet spiegel.de. Laut einem Gerichtsbeschluss hätten zwei Partner des Eigentümers Mieteinnahmen unter Verstoß gegen das Geldwäschegesetz an die größte staatliche Bank Irans transferiert. Dabei handele es sich um Tarnfirmen, die Geschäfte der iranischen Regierung verschleiern sollen. Durch den Beschluss stehe der "größten Beschlagnahme im Kampf gegen den Terrorismus" nichts mehr im Wege, wird der zuständige New Yorker Staatsanwalt zitiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. September 2013: EU gegen Zinsmanipulation – Gesetzentwurf zu Unternehmensstrafrecht – Körperverletzung durch Rauch . In: Legal Tribune Online, 19.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9585/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag