Der BGH stärkt das Selbstbestimmungsrecht von Wachkoma-Patienten. Es kann auch ohne tödliche Krankheit auf den mutmaßlichen Willen ankommen. Außerdem in der heutigen Presseschau: LG Oldenburg verurteilt HIV-infizierte Prostituierte zu Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung, Positionspapier von Abgeordneten zur Suizidhilfe, Klage gegen US-amerikanische Drohnenangriffe im Jemen - und wie ein Anwalt seinen eigenen Fehler in eine Attacke auf den Gegner ummünzte.
Thema des Tages
BGH zu "Sterbewunsch": Der Bundesgerichtshof beschloss am gestrigen Donnerstag, dass bei fehlender Patientenverfügung stets der mutmaßliche Wille eines Patienten bezüglich lebenserhaltender Maßnahmen maßgeblich ist - unabhängig vom Stadium der Krankheit. Das Gericht bestärkt damit die geltende Rechtslage. Demnach sei der Wille des Betroffenen auch unabhängig von der Art und Weise der Willensäußerung entscheidend, solange dieser zuverlässig festzustellen ist. Eine Patientenverfügung sei somit nicht notwendig. Der BGH hob ein Urteil des Landgerichts Chemnitz auf. Dies entschied über den Antrag auf Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen, welchen Ehemann und Tochter einer Wachkoma-Patientin erwirken wollten. Die betroffene Frau hatte dieses Vorgehen bei Eintreten entsprechender Umstände wohl mehrfach und ernstlich gewünscht. Das LG lehnte den Antrag ab und begründete sein Urteil mit "erhöhten Beweisanforderungen" an den Patientenwillen, wenn die Sterbephase noch nicht erreicht ist. Das Gericht wird sich nun erneut mit dem "Sterbewillen" der Koma-Patientin befassen müssen. Es berichten die FAZ (Helene Bubrowski), die SZ (Wolfgang Janisch) sowie tagesschau.de (Frank Bräutigam/Michael-Matthias Nordhardt).
Christian Bommarius (BerlZ) skizziert den rechtlichen Weg der Familie durch die verschiedenen Instanzen. Er bedauert sowohl die Richter in einem solchen Fall sowie Patienten, deren Willen zu sterben erst höchstrichterlich zur Durchsetzung verholfen werden muss.
Rechtspolitik
Suizidhilfe: Peter Hintze (CDU) und verschiedene Koalitionskollegen – unter anderem Karl Lauterbach (SPD) – stellten am gestrigen Donnerstag ihr Positionspapier zur Suizidhilfe vor. Demnach soll Beihilfe zur Selbsttötung durch Ärzte künftig ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetzbuch erlaubt werden. Dies soll das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und die Rechtssicherheit der Ärzte stärken. Diese Hilfe soll aber nur unter bestimmten, strengen Voraussetzungen gewährt werden dürfen. Ein Verbot organisierter Suizidhilfe ist im Konzept bisher nicht enthalten, würde aber wohl Unterstützung bei besagten Abgeordneten finden. Über den Vorschlag berichten die SZ (Nina von Hardenberg), die BerlZ (Mira Gajevic), die taz (Christian Rath), und zeit.de (Katharina Schuler).
Darüber hinaus informiert die FAZ (Heike Schmoll) über die Kritik an der geplanten Regelung und gibt eine kurze Übersicht über die verschiedenen Vorschläge zur Suizidhilfe. Neben dem dargestellten Gesetzentwurf befürwortet eine weitere Gruppe ein möglichst umfassendes Verbot der Suizidhilfe, eine andere will die organisierte Beihilfe zum Suizid verbieten, aber keine Neuregelung für Ärzte einführen.
Matthias Kamann (Die Welt) kommentiert die geplante Pönalisierung organisierter Suizidhilfe. Er gibt zu bedenken, dass eine Regelung im Strafrecht als "ultima ratio" entsprechend begründet werden muss. Insbesondere sei zu erläutern, aus welchem Grund die Suizidhilfe durch einen Verein zu bestrafen sei, die Beihilfe durch Familienangehörige hingegen straflos bleiben solle.
Reform des BVerfGG: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Roßner setzt sich für lto.de mit der Reform der Wahl der Bundesverfassungsrichter im Bundestag auseinander. Er fasst die Ursache für die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Wahl in einem Wahlausschuss zusammen und beschreibt ferner, weshalb sich durch die Verlagerung der Wahl ins Plenum an dem Wahlausgangwohl kaum etwas ändern wird.
"Steuerschlupfloch" für Lizenzgebühren: Hessens Finanzminister, Thomas Schäfer (CDU), brachte am vergangenen Donnerstag im Bundesrat eine Gesetzesinitiative gegen "Steuerflucht" ein. Ein wichtiger Punkt seines Vorschlags sieht die Beseitigung des "Steuerschlupflochs Patentbox" vor. Deutsche Unternehmen gründen wegen der dortigen geringeren Besteuerung Tochtergesellschaften im Ausland, welche alle Rechte und Lizenzen besitzen. An diese Tochterunternehmen zahlen sie Lizenzgebühren – beispielsweise für Patentrechte. Diese Ausgaben können sie nun in Deutschland vom steuerpflichtigen Gewinn abziehen. Dies soll nun beschränkt werden, indem dieser faktische "Steuererlass" zukünftig nur noch für Tochterunternehmen gelten soll, die in einem Land ansässig sind, dessen Steuersatz dem deutschen entspricht. Es berichten die SZ (Guido Bohsem) und die FAZ (Joachim Jahn).
Justiz
BVerwG zu Hundesteuer: Am vergangenen Mittwoch entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass eine Kampfhundesteuer von 2.000 Euro pro Jahr wegen der "erdrosselnden Wirkung" einem Verbot der Kampfhundehaltung gleich komme. Die Anwältin Anja Balitzki und die Unternehmensjuristin Christina Brick informieren über dieses Urteil auf lto.de. Sie geben die Entscheidung des Gerichts wieder und monieren unter anderem die mangelnde Rechtssicherheit durch das Urteil. Es sei nach wie vor nicht klar, in welcher Höhe die Kampfhundesteuer als legitim erachtet wird.
AG Dresden – Anti-Nazi-Protest: Das Strafverfahren gegen Markus Tervooren, den Berliner Geschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BDA), wegen Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Störungen von Versammlungen wurde am gestrigen Donnerstag eingestellt. Der Angeklagte muss eine Geldauflage in Höhe von 500 Euro bezahlen, melden die taz (Michael Bartsch) und die SZ. Bernhard Honnigfort (BerlZ) kommentiert: "Die Anklage wirkte erschreckend willkürlich", kommt dann aber zum Schluss: "Trotz Pfusch und Wurstigkeit, es gibt noch Richter, die solchem Treiben ein Ende setzen."
LG Oldenburg zu HIV-Übertragung: Das Landgericht Oldenburg hat eine HIV-infizierte Prostituierte zu vier Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Sie habe in drei Fällen ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihren Freiern gehabt, ohne sie über ihre Infektion aufzuklären. Die Sicherungsverwahrung sei aus präventiven Erwägungen notwendig, da die Verurteilte bereits einschlägig vorbestraft ist und als unbelehrbar gilt. Die Deutsche Aids-Hilfe sieht in der Androhung der Sicherungsverwahrung wegen des Übertragungsrisikos "ein völlig falsches Signal". Dies meldet die FAZ (Reinhard Bingener).
VG Köln – US-Drohnenangriffe: Von der US-Airbase im rheinland-pfälzischen Ramstein werden US-amerikanische Drohnenangriffe auf den Jemen unterstützt. Drei Jemeniten klagen vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesregierung. Sie solle entsprechende Aktivitäten der USA unterbinden. Die Anwälte der Betroffenen sehen die US-Drohnenangriffe als völkerrechtswidrig an. Sie sehen weiter in der Duldung von Drohneneinsätzen aus Ramstein einen Verstoß gegen die staatliche Schutzpflicht aus dem Grundrecht auf Leben. Darüber informiert jetzt auch die taz (Christian Rath).
Recht in der Welt
Österreich – Verfassungsbeschwerde wegen Hypo Group Alpe Adria: Die Bayerische Landesbank hat vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof eine Verfassungsbeschwerde wegen Enteignung eingereicht. Ein in Österreich erlassenes Sondergesetz sieht die Zahlung eines sofortigen Sanierungsbeitrags über 800 Millionen Euro der Landesbank (als ehemaliger Eigentümerin) an die Bank Hypo Group Alpe Adria vor. Ebenso sollen Verbindlichkeiten der HGAA gegenüber der BayernLB bis 2019 nicht befriedigt werden. Der österreichische Verfassungsrechtler, Heinz Mayer, rechnet damit, dass das Gesetz aufgehoben wird. Ein öffentliches Interesse an der Enteignung sei nicht vorhanden und somit sei diese verfassungswidrig. Dies teilt die FAZ (Rüdiger Kohn/Christian Geinitz) mit.
Pakistan – Todesurteil: Eine Christin ist in Pakistan wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden. Ihr Antrag auf Berufung ist am gestrigen Donnerstag gescheitert. Sie wolle nun den Obersten Gerichtshof anrufen, meldet die taz.
USA – Später Freispruch: Ein vor 29 Jahren unter anderem wegen Mordes Verurteilter wurde am gestrigen Donnerstag von einem New Yorker Gericht frei gesprochen und aus dem Gefängnis entlassen. Die Verurteilung habe auf einem "falschen Geständnis" beruht. Dies meldet die SZ.
Sonstiges
Bundeswehreinsätze im Ausland: spiegel.de (Matthias Gebauer) berichtet von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von Bundeswehreinsätzen, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) plant. Juristen aus anderen Ressorts der Bundesregierung halten die geplanten Einsätze in der Ostukraine und vor allem im Irak für verfassungsrechtlich bedenklich. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit solle zwei Drohnen für die Überwachung des Waffenstillstands in der Ostukraine erhalten. Dies sei der erste bewaffnete Einsatz der Bundeswehr für die OSZE. Des Weiteren sollen irakische Sicherheitskräfte militärisch durch Bundeswehrsoldaten geschult werden. Es sei fraglich, ob diese Einsätze einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit dienen.
Das Letzte zum Schluss
Anwalt auf Krawall gebürstet: Das Verfahren war abgeschlossen. Der Verlierer sollte zahlen. Nicht ohne Konfusion nahm aber dann die Gegenseite folgende Zahlungsaufforderung des Anwalts der obsiegenden Partei zur Kenntnis: "Ihre Mandantschaft hat den Betrag bezahlt. Wir fordern Ihre Mandantschaft auf, bis zum… zu zahlen." Der verwirrte Anwalt wandte sich also mit der berechtigten Frage, wie er das Schreiben zu verstehen habe, an seinen Kollegen. Dieser sah sich infolgedessen gezwungen, härtere Saiten aufzuziehen, leitete umgehend das Zwangsvollstreckungsverfahren ein und teilte dies der umso verwirrteren Gläubigerpartei wie folgt mit: "Bisher war es ja ein konstruktives Miteinander in diesem Verfahren. Wenn Sie jetzt die Konfrontation wollen, sollen Sie es so haben. Nur weil ich mich verschrieben habe und das Wort "nicht" vergessen habe, ändert sich nichts. Ihr Mandant hat nicht bezahlt und es gibt auch keine Fristverlängerung. Wir werden sofort in die Zwangsvollstreckung gehen." Von einer wohl etwas überzogenen Reaktion berichtet r24.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Oktober 2014: BGH stärkt Selbstbestimmungsrecht von Patienten – Positionspapier zur Suizidhilfe – Sicherungsverwahrung für HIV-infizierte Prostituierte . In: Legal Tribune Online, 17.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13513/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag