EU-Parlament und Werchowna Rada haben dem Assoziierungsabkommen zugestimmt. Außerdem in der Presseschau: Justizminister Maas erntet Kritik für seine Forderung nach Offenlegung von Googles Algorithmus, das LG Frankfurt hat die einstweilige Verfügung gegen Uber wieder aufgehoben, der EGMR stärkt die Rechte der Opposition, Kritik an Sterbehilfe für Gefangene in Belgien und das demokratiehindernde Fehlen von Übersetzungen von EU-Dokumenten ins Deutsche.
Thema des Tages
EU – Assoziierungsabkommen mit der Ukraine: Das Europäische Parlament und das Parlament in Kiew (Werchowna Rada) haben am Dienstag gleichzeitig für das umstrittene Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Urkaine gestimmt. Nun müssen noch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Das Abkommen ist Teil der Brüsseler Nachbarschaftspolitik zur stärkeren Bindung sechs ehemaliger Sowjetrepubliken an die EU um durch politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel stabile Verhältnisse an den EU-Außengrenzen zu schaffen. Der anhaltende Widerstand Russlands, insbesondere wegen des enthaltenen Freihandelsabkommens, könnte sich, nach verschiedentlich geäußerten Befürchtungen europäischer Politiker, noch negativ auf den endgültigen Inhalt des Abkommens auswirken. Kurz vor der Abstimmung war Ende letzter Woche noch der geplante Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Regelungen zum Freihandel auf Drängen Russlands bis Ende 2015 verschoben worden. Es berichtet unter anderem die taz (Eric Bonse) und die Welt (Florian Eder/Christoph B. Schiltz ), die auch auf die Rolle des Abkommens als politischer Sprengstoff in der Beziehung beider Parteien zu Russland eingeht.
Thomas Ludwig (Handelsblatt) sieht denn auch in dem Verschieben des Freihandelsabkommens die Einsicht "nicht unnötig Öl in ein ohnehin schwer zu löschendes Feuer zu gießen".
Rechtspolitik
Anti-Stress-Verordnung: Auf lto.de begrüßt Rechtsanwalt Christian Oberwetter, dass die Regierung sich mit der nun für 2016 geplanten Anti-Stress-Verordnung nicht stresst. Er stellt die bereits bestehenden Regelungen zum Arbeitnehmerschutz in diesem Bereich vor und die Möglichkeiten ihrer konkreten Umsetzung. Insbesondere für klare Regeln zur Trennung von Dienst und Freizeit sowie zum Umgang mit digitalen Medien könne eine gut durchdachte Verordnung jedoch sorgen.
Reden zum 70. DJT: Von der Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck zum Auftakt des 70. Deutschen Juristentages berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). Vor dem Hintergrund des Diktums "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat" sprach er davon was Recht leisten kann. Im Hinblick auf die viel kritisierte juristische Aufarbeitung der deutschen Unrechtsregime sagte Gauck: "Was nach rechtsstaatlichen Maßgaben nicht verurteilt werden kann, darf auch nicht verurteilt werden." Gerichtsverfahren böten aber auch ohne Verurteilung einen Ort der Auseinandersetzung mit Geschehenem. lto.de (Pia Lorenz) bezieht auch die Reden des Vorstandspräsidenten des Deutschen Juristentags Thomas Mayen und von Justizminister Heiko Maas in ihren Bericht ein.
Maas will Googles Algorithmus: Die SZ berichtet von der Forderung des Justizministers Heiko Maas, Google solle seinen Suchalgorithmus offenlegen. Justizstaatssekretär Gerd Billen weist auf die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens hin, die ihm die Macht zur Beeinflussung ganzer Geschäftsfelder einräume und mit einer gewissen Verantwortung einhergehe. Datenschutzexperte und Blogger Jürgen Greuter warnt, dass Kenntnis des Algorithmus die Beeinflussung der Suchergebnisse durch Dritte ermögliche.
Carsten Knop (FAZ) hält Maas' Forderung für "abstrus", selbst wenn die Eindämmung der marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens zugunsten des Wettbewerbs grundsätzlich sinnvoll sei. Karl-Heinz Büschemann (SZ) meint es gehe um Geschäftsgeheimnisse und vom Coca-Cola-Konzern könne man auch das Brauserezept nicht fordern. Insbesondere eine bessere Aufklärung der Nutzer sei hilfreicher als dieser juristisch fragwürdige Vorstoß.
Tarifeinheit und Arbeitskampfrecht: Rechtsprofessor Gregor Thüsing kritisiert im Handelsblatt den Vorschlag der Arbeitsgruppe zum Gesetzentwurf zur Tarifeinheit. Danach blieben entscheidende Fragen unbeantwortet. Etwa die Frage des Streikrechts der Minderheitengewerkschaften würde letztlich den Gerichten überlassen. Wesentliche Fragen der Grundrechtsausübung habe aber der Gesetzgeber zu entscheiden, Tarifeinheit ohne ein gesetzliches Arbeitskampfrecht gehe nicht. Wenn wenig einschneidende Normen gewollt seien, könne man diese auf Regelungen zum Arbeitskampf im besonders sensiblen Gebiet der Daseinsvorsorge beschränken.
Justiz
BGH zu Reiseverträgen: Der Bundesgerichtshof hat die Klage von Verbraucherschützern abgewiesen, die erreichen wollten, dass ohne Angabe genauer Flugzeiten eine Buchung nicht bestätigt werden darf. Vertragsschlüsse mit der Angabe "Genaue Flugzeiten noch nicht bekannt" seien jedoch nicht zu beanstanden, so der BGH nach Meldung der FAZ und lto.de.
OLG Hamm zu Gefängnisärzten: Auch ein Gefängnisarzt ist den Insassen als seinen Patienten gegenüber ausschließlich Arzt und hat nach medizinischen Gesichtspunkten zu entscheiden. So entschied das Oberlandesgericht Hamm laut lawblog.de (Udo Vetter) als ein Gefängnisarzt wegen Unstimmigkeiten zwischen seinem Patienten und dem Personal der Haftanstalt eine Drogentherapie des Inhaftierten nicht fortsetzen wollte und dessen Drogenersatzmittel um 50 Prozent kürzte. Der Gefangene habe Anspruch auf Verlegung in eine andere Haftanstalt.
LG Frankfurt zu Uber: Das Landgericht Frankfurt hat die einstweilige Verfügung gegen Uber nun doch aufgehoben. Zwar hält das Gericht an der Rechtswidrigkeit des Geschäftsmodells von Uber fest, es fehle aber an der im Eilverfahren nötigen Eilbedürftigkeit, meldet lto.de. Die antragstellende Taxi Deutschland Servicegesellschaft wolle aber nun vor das Oberlandesgericht ziehen, denn entgegen der Feststellung des Landgerichts sei eine frühere Antragstellung wegen erforderlicher Beweisermittlung nicht möglich gewesen, berichtet auch die SZ (Jan Wilmroth). Die taz (Christian Rath) stellt das Verfahren und die Entscheidungen etwas ausführlicher dar.
LAG Hessen – Pause im Zinshändlerstreit: Das Landesarbeitsgericht Hessen hat den auf diesen Freitag angesetzten Gerichtstermin auf den 31. Oktober verschoben, um der Deutschen Bank und den vier von ihr zuvor entlassenen Zinshändlern weitere Gelegenheit zum Vergleich zu bieten, berichtet das Handelsblatt (Peter Köhler). Die Kündigungen waren ergangen wegen Fehlverhaltens bei der Ermittlung von Referenzzinsen.
LG München – Anklageschrift Deutsche Bank: Wie das Handelsblatt (Peter Köhler/Kerstin Leitel) schreibt, liegt den Anwälten der ehemaligen Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank nun die 110-seitige Anklageschrift vor. Den Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Fitschen, weil er die Falschaussage anderer nicht verhindert habe, bezweifelt die Kanzlei Linklaters in einem Gutachten und auch der pensionierte Präsident des Stuttgarter Oberlansdesgerichts, Eberhard Stilz.
AG Kerpen zu Fake-Profilen bei Ebay: Wer bei der Anmeldung bei Ebay entgegen den Nutzungsbedingungen keine korrekten Angaben mache, könne bei Zuschlag keine Lieferung verlangen, da kein Kaufvertrag zustande komme, entschied das Amtsgericht Kerpen nach Meldung von lawblog.de (Udo Vetter).
AG Koblenz zu Haftung von Anschlussinhabern: Rechtsanwalt Karsten Gulden (infodocc.info) teilt mit, dass das Amtsgericht Koblenz eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung abgewiesen habe, weil die Klägerin nicht habe nachweisen können, dass die Beklagte und nicht ein Anschlussmitinhaber die Rechtsverletzung begangen habe. Es sei grundsätzlich von der Rechtstreue eines Anschlussinhabers auszugehen und diesem könne nicht auferlegt werden nachzuweisen wer außer ihm Verantwortlich sei. Das überdehne die sekundäre Darlegungslast.
EuGH-Richter von Danwitz im Interview: Der deutsche Richter am Europäischen Gerichtshof und Kammervorsitzende Thomas von Danwitz spricht mit der SZ (Wolfgang Janisch) im Interview über die wertbildende Bedeutung des EuGH neben dem Bundesverfassungsgericht, welche sich auf die EU-Grundrechte-Charta beziehe und so jedem Gericht einen eigenen Entscheidungsraum belasse. Er äußert sich auch zu den Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung und dem "Recht auf Vergessen". Bei Letzterem hält er die Kritik, an einem Vorrang des Persönlichkeitsrechts im Zweifel nicht für gerechtfertigt. Der Vorrang beziehe sich nicht auf die Medienfreiheit oder das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sondern auf die wirtschaftlichen Interessen Googles.
Recht in der Welt
EGMR zu Meinungsfreiheit im Plenarsaal: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass auch und gerade im Plenarsaal die Meinungsfreiheit gilt. Grundlage war ein Ordnungsgeld, welches der ungarische Parlamentspräsident Mitgliedern der Opposition auferlegte, die ihre ablehnende Haltung der Regierungspolitik gegenüber im Plenarsaal auf Transparenten kund taten. Maximilian Steinbeiß (verfassungsblog.de) berichtet und sieht einen möglichen Einfluss auf Ordnungsmaßnahmen im deutschen Bundestag.
USA – Schadensersatz für Prozess-Trittbrettfahrer: Der Bundesverband Deutscher Industrie, die American Chamber of Commerce in Germany und ihre jeweiligen Britischen Pendants unterstützen mit einem sogenannten Amicus-Brief ("Schriftsatz eines Freundes") den britischen Ölkonzern BP im Prozess vor dem US Supreme Court. Der Konzern klagt, weil von der Entschädigung, die im Vergleichswege im Schadensersatzprozess wegen des "Deepwater Horizon"-Unglücks 2010 gezahlt wurden, Teile auch Klägern zugesprochen wurden, die selbst nicht betroffen waren. Eine solche Ausweitung der Schadenshaftung wollen auch die Freunde aus der Deutschen und Britischen Wirtschaft unbedingt verhindern. Das Handelsblatt (Jürgen Flauer/Carsten Herz/Thomas Jahn) berichtet.
USA – Klage gegen Deutsche Bank: Der US-Bundesstaat Virginia verklagt die Deutsche Bank, weil sie 2004 dem staatlichen Rentenfonds Wertpapiere verkauft habe, die mit stark ausfallbedrohten Immobilienkrediten abgesichert gewesen seien. Das meldet spiegel.de.
Schweiz – Vaterschaftsurlaub: Rechtswissenschaftlerin Irene Grohsmann (juwiss.de) spricht sich für eine gesetzliche Verankerung von Vaterschaftsurlaub in der Schweiz aus. Dass dieser bisher nur Müttern zustehe, stehe nicht nur im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Auch in der Schweizer Verfassung bestehe ein Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Eine solche aber stelle es dar, wenn nur der Mutter Zeit zum ersten Bindungsaufbau mit dem Kind gewährt werde. Auch die Durchbrechung tradierter Geschlechterrollen sei im Sinne dieser Vorschrift.
Belgien – Todesstrafe auf Verlangen? Die Erlaubnis Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu dürfen, die einem wegen Mordes und Vergewaltigung lebenslänglich in Haft sitzenden Belgier erteilt wurde, ist laut SZ und FAZ (Michael Stabenow) harscher Kritik ausgesetzt. Der Betroffene habe zunächst versucht psychiatrische Hilfe durch Verlegung in eine Spezialklinik in den Niederlanden zu erlangen. Dass er nunmehr mangels Behandlungsmöglichkeit die Flucht in den Tod suche, berge die Gefahr einer Einführung der Todesstrafe durch die Hintertür warnt der Vorsitzende der Belgischen Sterbehilfe-Kommission Wim Distelmans.
Schottland – Perspektiven für Anwälte: Auf lto.de schreibt Rechtsprofessor André Niedostadek zur Rolle der Anwaltschaft in der Auseinandersetzung um die Schottische Unabhängigkeit. Er reißt die unterschiedlichen Rechtssysteme im Vereinigten Königreich an, in welchem das Schottische auch kontinentaleuropäisch geprägt ist. Er stellt die Positionen der Anwälte vor, die sich einen Vorteil von der Unabhängigkeit versprechen – bisher werde "der eigentliche Kuchen im fernen London verteilt" – und jener, die ihren Arbeitsmarkt insbesondere durch Unternehmensabwanderung eher gefährdet sehen. Jedenfalls aber blieben für die Juristen die offenen Rechtsfragen zur Umsetzung der Unabhängigkeit zu klären.
Sonstiges
Mangelnde Übersetzung von EU-Dokumenten: Die FAZ (Reinhard Müller) schreibt zu Forderungen Deutscher Politiker nach mehr Übersetzungen von EU-Dokumenten ins Deutsche. Viele Dokumente, ohne deren Kenntnis kein informierter Standpunkt eingenommen werden könne, fehlten. Ausschüsse hätten deshalb schon mehrfach keine Stellungnahmen abgegeben. Das sei auch nicht nur für die deutsche Sprache der Fall und gefährde die Mitwirkung nationaler Parlamente an europäischer Gesetzgebung.
Studie zu Datenschutzerklärung bei Apps: Datenschutzerklärungen bei Apps sind unzutreffend, unverständlich und ungenau. Dies stellt eine Studie des Global Privacy Enforcement Networks fest. 85 Prozent klärten nicht hinreichend auf. Deutsche Betreiber verstoßen damit gegen §§ 13 und 15 des Telemediengesetzes und können mit Bußgeldern belegt werden. Bayern hat dies laut lto.de bereits eingeleitet.
Offenlegung von Rückkehroptionen: Vor dem Hintergrund des Falles der ehemaligen Schleswig-Holsteinischen Wissenschaftsministerin Wara Wende setzt sich Rechtswissenschaftlerin Anna von Notz (verfassungsblog.de) mit der Rückkehroption verbeamteter Politiker auseinander. Sie schildert, warum es im Fall Wende nicht um eine solche Rückkehroption geht und spricht sich für eine Offenlegungspflicht für Rückkehroptionen aus, die gesetzlich weitgehend nicht unmittelbar bestehe, im Gegensatz zu Offenlegungspflichten nicht verbeamteter Politiker.
Das Letzte zum Schluss
Google ist noch kein Cellophan: Im Gegensatz zu anderen Marken, die zu generischen Begriffen geworden sind, wie Cellophan, Thermos oder in einigen Ländern Aspirin, hat Google durch die Nutzung des Verbs "to google" wie die in Deutschland "googeln" seine Markenrechte (noch) nicht verloren entschied ein US-Amerikanisches Gericht laut heise.de. Das generische Nutzung als Verb lasse noch eine Trennung von der spezifischen Marke zu.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. September 2014: Maas und der Google-Algorithmus – Keine Eilbedürftigkeit bei Uber – Fehlende Übersetzungen bei EU-Dokumenten . In: Legal Tribune Online, 17.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13203/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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