Die Fußball-WM erweist sich als günstiger Zeitpunkt für unpopuläre Maßnahmen. Außerdem in der Presseschau: neue Abstimmungsregeln bei der EZB, Elbvertiefung vor dem BVerwG, Abschlussverfügung im Fall Fitschen, gebührenschneidende Hartz-IV-Anwälte, britische Skilehrerlizenz in Frankreich, Argentiniens Schulden und CR7 als Marke.
Thema des Tages
WM: Die allgemeine Fußballbegeisterung lädt Regierende immer wieder dazu ein, im Windschatten einer Weltmeisterschaft quasi unbemerkt unpopuläre Maßnahmen durchzubringen. So wurde 2006 die Mehrwertsteuererhöhung beschlossen, 2010 der Anstieg der Krankenkassenbeiträge. Das auch die jetzigen, durch Brasilien 2014 geprägten Wochen von der Regierungskoalition eifrig zu diesem Zweck genutzt werden, belegt die Welt (Mathias Kamann u.a.) mit mehreren Beispielen. So plane Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Vorstellung der Pkw-Maut für Anfang Juli, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) habe den vom Bundestag zu beschließenden Ankauf bewaffneter Drohnen auf Ende Juni terminiert. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) versuche derweil, die von ihm betriebenen Reform der Lebensversicherungen im Eiltempo umzusetzen. Und schließlich soll das neue Tätigkeitsfeld des vormaligen Kanzleramtsministers Ronald Pofalla an diesem Mittwoch vom Aufsichtsrat seines neuen Arbeitgebers, der Bahn AG, festgelegt werden.
Rechtspolitik
Gesellschaftsrecht: Ulrich Noack (Handelsblatt-Rechtsboard) berichtet über eine Veranstaltung des Instituts für Unternehmensrecht, auf der Rechtsprofessor Ulrich Seibert für das Bundesjustizministerium aktuelle Gesetzesvorhaben vorstellte. Als Beispiele werden Entwürfe etwa zur Frauenquote in Aufsichtsräten oder zur Vorstandsvergütung genannt.
Geheimdienste: In einem Kommentar zur NSA-Überwachungs-Affäre bezeichnet Hans Leyendecker (SZ) die Erklärungen eines "Teils des politischen Betriebs", die Verlautbarungen des Whistleblowers Edward Snowden seien nicht überprüfbar und man selbst besäße nur "Zeitungswissen," als entweder "puren Zynismus oder eine Kapitulation". Träfe diese Einschätzung zu, müsse die Bundesregierung als Dienstherr der deutschen Spionageabwehr die Konsequenzen ziehen. Sie wolle dies aber nicht, wie die "zum Teil noch ausgebaute Zusammenarbeit" von Verfassungsschutz und BND mit amerikanischen Diensten belege.
Google und Kartellrecht: In einem Kommentar zum laufenden Kartellverfahren der EU-Kommission gegen die Suchmaschine Google warnt Werner Mussler (FAZ) vor der Vermengung mit datenschutzrechtlichen Aspekten. Diese seien entgegen anders zu verstehender Wortmeldungen vieler Politiker mitnichten Gegenstand des wettbewerbsrechtlichen Verfahrens. Dieses müsse klären, ob Google seine unstreitig marktbeherrschende Position tatsächlich missbrauche. Weiter sei zu fragen, ob sich diese Marktbeherrschung vergleichbar zum Internet Explorer von Microsoft statt durch Eingriffe der Wettbewerbsbehörde nicht viel eher durch die "Dynamik des Marktes" beseitigen lasse.
EZB: Mit dem Beitritt Litauens zur Währungsunion im kommenden Jahr tritt auch eine neue Abstimmungsregel für die Europäische Zentralbank (EZB) in Kraft. Stimmrechte im Rat der Bank würden künftig "rotieren," schreibt die FAZ (Philip Plickert) und berichtet über Kritik an dieser Regel, nach der auch der Chef der Bundesbank alle fünf Monate auf sein Stimmrecht verzichten müsse.
Nach Philip Plickert (FAZ) überschatte die jetzt im Streit stehende Regelung aus einer "Schönwetterphase" der Währungsunion vor gut zehn Jahren die ohnehin "krasse" Unterrepräsentation Deutschlands im EZB-Rat. Die Bundesregierung scheue vor einer Auseinandersetzung hierüber aber zurück, weil sie keine neue EU-Vertragsdebatte wolle. Claus Hulverscheidt (SZ) macht dagegen ein "fundamentales Missverständnis" jener Kritiker aus, nach denen der EZB-Rat als "Dachverband nationaler Partikularinteressen" diene. Stattdessen bedeute Währungsunion "den beinahe unwiderruflichen Ersatz nationaler Souveränität durch ein neu zu definierendes gemeinschaftliches Interesse".
Prostitution: Das Bundesfamilienministerium arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf, nach dem die Betreiber von Bordellen künftig gewerberechtlicher Aufsicht unterworfen werden sollen. Der Vorstoß diene der Bekämpfung von Zwangsprostitution, schreibt die taz (Christian Jakob). Eine Anhebung der Altersgrenze für die Ausübung von Prostitution sei dagegen in der Koalition umstritten.
Justiz
BVerwG - Elbvertiefung: Die FAZ (cmu) berichtet über den im kommenden Monat vor dem Bundesverwaltungsgericht beginnenden Prozess zur umweltrechtlichen Zulässigkeit der geplanten Elbvertiefung in Hamburg. Zwar sei eine Vorlage der Frage an den Europäischen Gerichtshof denkbar, angesichts der Ansetzung mehrerer Verhandlungstermine aber nicht wahrscheinlich. Das Infrastrukturprojekt diene dem verbesserten Zugang großer Frachtschiffe zum Hamburger Hafen, nach der Ansicht klagender Umweltverbände bestehe hierfür angesichts alternativer Häfen wie etwa Wilhelmshaven kein Bedarf.
OLG Köln zu Werbeanrufen: Auch telefonische Kundenbefragungen zur Zufriedenheit mit Leistungen eines Anbieters nach einer Reklamation sind einwilligungspflichtige Werbeanrufe. Dies entschied nach einer Meldung von Udo Vetter (lawblog.de) das Oberlandesgericht Köln auf eine Klage der Bundesverbraucherzentrale. Nach der Beweisaufnahme habe für das Gericht festgestanden, dass der Anruf zuvörderst die Kundenzufriedenheit mit den Serviceleistungen des Auftraggebers und damit Werbecharakter besessen habe.
LG Berlin – Geflüchteter Mörder: In einem Bericht über den vor einem Monat aus der Berliner JVA Moabit geflüchteten Untersuchungshäftling Metin M. schreibt die SZ (Verena Mayer), dass der gegen ihn laufende Prozess wegen Mordes eines stadtbekannten Disco-Betreibers am kommenden Donnerstag vor dem Landgericht Berlin fortgesetzt wird. Möglich sei dies, weil der Angeklagte unentschuldigt fehle und auch bereits Gelegenheit gehabt habe, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
StA München – Deutsche Bank: Die Münchner Staatsanwaltschaft arbeitet nach einem Bericht des Handelsblatts (Laura de la Motte/Peter Köhler) derzeit an einer Abschlussverfügung zu den Ermittlungen gegen den Co-Vorstandschef der Deutsche Bank, Jürgen Fitschen, wegen Prozessbetrugs. Ob hiermit eine Anklage wegen der Äußerungen Fitschens im Schadensersatzverfahren der Kirch-Erben verbunden ist, sei offen, werde aber erwartet.
Kündigungsgrund Facebook: Immer häufiger müsse sich die Rechtsprechung mit Kündigungen befassen, die mit Social-Media-Aktivitäten von Arbeitnehmern begründet wurden. Dies schreibt das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) und nennt einige Beispiele, in denen Arbeitnehmer Bilder aus Arbeitsabläufen posteten oder Vorgesetzte kritisierten. Eine einheitliche Linie in der Rechtsprechung sei noch nicht erkennbar, bei unsachlichen Beschreibungen von Chefs werde aber berücksichtigt, ob die Äußerung allgemein oder nur für sogenannte enge Freunde zugänglich gemacht wird.
Hartz-IV-Klagen: Nun berichtet auch die FAZ (Joachim Jahn) über die Auskunft der Bundesregierung zur Erfolgsquote sogenannter Hartz-IV-Klagen in der Sozialgerichtsbarkeit. Joachim Wagner, Autor des Buches "Vorsicht Rechtsanwalt" führe viele Widersprüche und Klagen von Leistungsempfängern auf "Gebührenschneiderei" von Anwälten zurück, die formale Fehler überlasteter Sachbearbeiter in den Jobcentern ausnutzten. Einer Äußerung des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, nach der mit Hartz IV "kein Geld zu verdienen sei," beweist nach Ansicht Wagners, "dass er von der Wirklichkeit in diesem Segment des Berufsstandes nicht viel weiß".
Recht in der Welt
Frankreich – Skilehrer: Ein britischer Skilehrer in den französischen Alpen ist wegen jahrelangen Unterrichts ohne gültige Lizenz zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro verurteilt worden, meldet die SZ. Der Verurteilte berufe sich auf sich seine britische Skilehrerlizenz und werfe Frankreich einen Verstoß gegen EU-Recht, namentlich die Personenfreizügigkeit und eine Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen vor.
USA/Argentinien – Schulden: Nach einer Meldung von spiegel.de hat der Oberste Gerichtshof der USA die Revision eines Urteils, das Argentinien zu Milliardenzahlungen an Gläubiger verpflichtet, abgelehnt. Betroffen sind Forderungen aus dem Staatsbankrott des südamerikanischen Landes vor gut zehn Jahren. Die von einem Hedgefonds angeführte Gruppe von Gläubigern hatte argentinische Umschuldungsangebote mit Forderungsverzichten abgelehnt und in den USA erfolgreich die volle Zahlung ihrer Forderungen eingeklagt.
USA – Kostenerstattung: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt berichtet Rechtsanwalt Christian Harmsen über einen Rechtsprechungswandel in den USA. Ausgehend von einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs würden dort nun Gerichte bei der Bewertung der Kostentragungspflicht in Patentstreitigkeiten auch die Beweggründe der Klagen in Betracht ziehen. Dies sei ein Gewinn für Unternehmen, die von Patentverwertungsgesellschaften häufig ohne Aussicht auf Erfolg verklagt würden und bislang aus Angst, auf den Kosten anwaltlicher Vertretung sitzen zu bleiben, in teure Vergleiche einwilligten.
Sonstiges
Opferberatung: Die SZ (Annette Ramelsberger) erinnert an eine Vereinbarung des Koalitionsvertrages, nach der die neue Bundesregierung die Beratung für Opfer rechtsradikaler Gewalt verbessern wollte. Ein von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) angekündigtes Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus sehe zwar die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen vor und biete etwa Beratung bei der Verhinderung von NPD-Aufmärschen auf lokaler Ebene an. Dagegen würde die Finanzierung der Beratung konkret betroffener Opfer seit Jahren stagnieren.
NSU: Nun bespricht auch die FAZ (Nils Minkmar) in ihrem Feuilleton das Buch "Heimatschutz" von Stefan Aust und Dirk Laabs zum mörderischen Wirken des NSU. Der Rezensent erkennt in den "fundierten Recherchen" der Autoren "einen Roman unserer jüngsten Vergangenheit," der zutage fördere, dass "unsere offene Gesellschaft" in ihrer Mitte eine geschlossene unterhalte.
Sex-Steuer: Die FAZ (Manfred Schäfers) berichtet über eine Sondersteuer für sexuelle Dienstleistungen, die als besondere Spielart der Vergnügungsteuer von mehreren nordrhein-westfälischen Kommunen erhoben wird. Obwohl Interessenverbände gegen die Steuer protestieren, sei die Rechtslage eindeutig: Kommunen könnten Aufwandsteuern "erfinden, solange sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind".
WM und Arbeitsrecht: Wie sich Fußballbegeisterung und arbeitsvertragliche Pflichten vertragen, verrät spiegel.de (Elke Spanner). Bei Arbeitsplätzen, an denen auch zu Übertragungszeiten gearbeitet werde, müsse vor dem Einschalten von Fernseher oder Livestream der Vorgesetzte gefragt werden. Wer jetzt erst auf die Idee komme, sich für die spannendsten Spiele Urlaub zu nehmen, habe zumindest bei länger planenden Arbeitgebern schlechte Karten und laufe dann auch Gefahr, durch kurzfristige Krankmeldungen eine Kündigung zu provozieren.
Das Letzte zum Schluss
Marke CR7: Der gestrige Montag war kein guter Tag für Cristiano Ronaldo. Auch abseits des Fußballfeldes sind Zweifel an der Ausnahmestellung des Portugiesen angebracht: Wie Stefan Fuhrken (markenblog.de) schreibt, ist zwar sein Kürzel "CR7" seit Juni 2008 europaweit markenrechtlich geschützt. Bereits seit über 50 Jahren besteht aber die deutsche Wort-/Bildmarke "C-R-7" bzw. "CE – ERR – SIEBEN" mit Schutz in der Markenklassifikation für "Stillweine, Schaumweine, Malzweine, Fruchtweine, Fruchtschaumweine, Wermutweine".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Juni 2014: Rechtspolitisches WM-Fieber - Gebührenschneiderei mit Hartz IV - Argentinische Schulden in den USA . In: Legal Tribune Online, 17.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12278/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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