Die Edathy-Affäre ist inzwischen auch eine Friedrich- und eine Oppermann-Affäre. Es bleibt aber die Frage, ob die Hannoveraner Staatsanwaltschaft überreagierte? Außerdem in der Presseschau: BVerfG-Beschluss zur Zweitwohnungssteuer, Justizreform in der Türkei, Hans-Jürgen Papier will Glaubwürdigkeit des ADAC retten und erneut bedroht ein Teilchenbeschleuniger die Erde.
Thema des Tages
StA Hannover - Kinderporno-Ermittlungen gegen Edathy: Am Freitag hat die Staatsanwaltschaft Hannover erstmals öffentlich bestätigt, dass sie seit dem 28. Januar ein Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Abgeordneten Sebastian Edathy (SPD) wegen Besitzes von Kinderpornographie führt. Dabei schilderten die Staatsanwälte, dass Edathy sich von 2005 bis 2010 in konspirativer Weise Bilder und Videos von nackten oder halbnackten Jungs im Grenzbereich zur Kinderpornographie beschafft habe. Wie andere Staatsanwaltschaften auch, habe man daraus einen Anfangsverdacht auf den Besitz von strafbarer Kinderpornographie abgeleitet. Es berichtet die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Tanjev Schultz).
Heribert Prantl (Samstags-SZ) kritisiert das Vorgehen der Staatsanwaltschaft: "Man hat keine festen Anhaltspunkte für eine Straftat, durchsucht aber, um feste Anhaltspunkte zu finden – und dann damit die vorherige Durchsuchung zu begründen. Und wenn man sie nicht findet, wird gesagt, dass wohl Beweise vernichtet worden seien." Eine solche "Beweisermittlungsdurchsuchung" verstoße gegen jede Verhältnismäßigkeit und liege daher "hart an der Grenze zur Verfolgung Unschuldiger (§ 344 des Strafgesetzbuches)".
Sebastian Edathy kritisiert im Interview mit dem Spiegel (Veit Medick, Zusammenfassung) das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als ungeheuerlich. "Sie wirft mir ausdrücklich kein strafbares Verhalten vor, was sie aber nicht davon abhält, Details eines legalen Verhaltens zum Gegenstand einer Pressekonferenz zu machen." Inzwischen hat Edathy auch Dienstaufsichtbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft erhoben, berichtet spiegel.de.
Der Spiegel (Dietmar Hipp) bespricht mit Strafrechtsexperten die Grenzen der Strafbarkeit von Posing-Photos. Entscheidend sei die objektiv pornographische Qualität der Bilder, auf die Empfindung eines pädophilen Betrachters komme es nicht an. lto.de (Constantin von Lijnden) interviewt den Medienrechtler Marco Gercke. Dieser hält die Materialien, die Edathy bestellt hatte, für legal. "Nacktbilder in natürlichen Posen unterfallen grundsätzlich nicht dem Pornographiebegriff." Eine Hausdurchsuchung sei aber mit Blick auf möglicherweise strafbares Material dennoch zulässig gewesen. Die Montags-taz (Christian Rath) sieht das Problem weniger im Verhalten der Staatsanwaltschaft als in der Strafnorm, die einen großen Graubereich zwischen legalem und illegalem Verhalten geschaffen habe. Heribert Prantl (Montags-SZ) sieht Edathy trotz der vermeintlich rechtswidrigen Ermittlung politisch zurecht im Aus und konstatiert eine moralische "Kontaktschuld". Edathy habe sich in ein "höchst fragwürdiges Milieu" begeben.
Minister Friedrich - Geheimnisverrat? Am Freitagnachmittag trat der ehemalige Innen- und spätere Agrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zurück. Er hatte im Oktober SPD-Chef Gabriel von den Verwicklungen Edathys unterrichtet. Ihm war daraufhin ein strafbarer Geheimnisverrat vorgeworfen worden. Die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) skizzierte die Rechtslage: "Politische Fürsorge ist kein Rechtfertigungsgrund für die Verletzung eines Dienstgeheimnisses. Ein Anfangsverdacht dürfte nicht leicht zu verneinen sein. Allerdings wird die Verletzung des Dienstgeheimnisses nur mit Ermächtigung verfolgt." Christian Rath (Samstags-taz) hält das Verhalten Friedrichs zwar für rechtfertigbar, es habe aber gute andere Gründe für einen Rücktritt gegeben, insbesondere die dilletantische Art der Informationsweitergabe und die jetzige "jämmerliche" Verteidigung Friedrichs.
SPD-Spitze - Strafvereitelung? Nach Friedrichs Rücktritt greifen vor allem CSU-Politiker die SPD-Spitze an. Diese solle auch über personelle Konsequenzen nachdenken, weil sie im Verdacht steht, Edathy gewarnt zu haben. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bestritt dies und verteidigte auch seine Nachforschungen bei BKA-Chef Ziercke, wie spiegel.de meldet. Die Montags-taz (Christian Rath) schildert, was für und was gegen die These spricht, die SPD-Spitze habe den Abgeordneten gewarnt. Im Interview mit zeit.de (Zacharias Zacharakis) weist der Strafrechtler Nikolaos Gazeas darauf hin, dass eine Strafvereitelung nur bei vorsätzlichem Handeln der SPD-Spitzenpolitiker in Frage komme. Falls Edathy keine Straftaten nachgewiesen werden können, gehe es eventuell sogar nur um versuchte Strafvereitelung.
Rechtspolitik
Abgeordnetenbestechung - OLG-Zuständigkeit: Der CSU-Abgeordnete Thomas Silberhorn schlägt vor, dass nur Oberlandesgerichte über die Bestechung von Abgeordneten entscheiden sollen. Für die Ermittlungen sollen die Staatsanwaltschaften am jeweiligen Oberlandesgericht zuständig sein, berichtet der Spiegel. Anlass der Überlegung: Die Koalition plant, die Strafbarkeit der Abgeordneten-Bestechung stark auszuweiten.
Justiz
BVerfG zu Zweitwohnungssteuer: Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung der Zweitwohnungssteuer in Konstanz für verfassungswidrig erklärt, weil dort hohe Mieten prozentual geringer belastet wurden als niedrige Mieten. Dies widerspreche dem aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, berichtet die Samstags-Welt.
BGH zu Fahrlässigkeit von Drogenarzt: Der Bundesgerichtshof hob die Verurteilung eines Arztes wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf, berichtet die Montags-SZ (Annette Ramelsberger). Der Arzt hatte Drogenabhängigen Schmerzpflaster verschrieben, die diese auskochten, um sich den so gewonnenen Wirkstoff zu spritzen. Zwei Patienten starben dabei an einer Überdosis. Der Bundesgerichtshof nimmt nun an, dass hier kein bedingter Vorsatz, sondern grobe Fahrlässigkeit vorlag. Ein Arzt habe auch bei "medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten" in der Regel das Wohl des Patienten im Blick. Auch bei Drogenabhängigen gehen die Richter grundsätzlich von Selbstverantwortung aus.
Ruanda-Prozesse: Am Dienstag wird das Oberlandesgericht Frankfurt/Main sein Urteil im Fall des ehemaligen Bürgermeisters Onesphore Rwabukombe verkünden, dem Beteiligung am Völkermord an den Tutsi 2004 vorgeworfen wird. Aus diesem Anlass gab die Samstags-SZ (Ronen Steinke) einen Überblick über die beiden anderen deutschen "Ruanda-Prozesse". Am Oberlandesgericht Stuttgart werde gegen den in Deutschland lebenden Präsidenten der im Kongo kämpfenden Hutu-Miliz FDLR verhandelt. Und am Oberlandesgericht Düsseldorf sind drei Hutu-Aktivisten angeklagt, denen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Geschildert werden dabei auch die spezifischen Probleme solcher Prozesse.
Mappus-Prozesse: Anlässlich eines Auftritts des ehemaligen baden-württembergischen Regierungschefs Stefan Mappus (CDU) vor einem Untersuchungsausschusses des Landtags gibt die Samstags-SZ (Roman Deininger) einen Überblick über die Prozesse, die Mappus im Zusammenhang mit dem mutmaßlich überteuerten Kauf von EnBW-Aktien führt. So hat er das Land verklagt, um im Untersuchungsausschuss als "Betroffener" auch Fragen stellen zu können. Außerdem will er seine einstigen anwaltlichen Berater von Gleiss Lutz verklagen, weil sie ihn schlecht beraten und nicht auf verfassungsrechtliche Risiken hingewiesen hätten.
VG Minden zu Personalaustattung der Justiz: Ein Ex-Richter klagte beim Verwaltungsgericht Minden. Weil das Land NRW zuwenig Richter eingestellt habe, habe das Amtsgericht Herford, an dem er beschäftigt war, keine korrekten Geschäftsverteilungspläne aufstellen können. Er habe deshalb im Jahr 2012 zuviel arbeiten müssen. Das Verwaltungsgericht Minden erklärte die Klage, die für Aufsehen gesorgt hatte, jetzt für unzulässig, da der Kläger nicht mehr im Dienst sei, berichtet blog.strafrecht.jurion.de (Detleff Burhoff).
Richterdienstgerichtshof Stuttgart - richterliche Unabhängigkeit: Der Karlsruher OLG-Richter Thomas Schulte-Kellinghaus kämpft in zweiter Instanz gegen die Kritik der OLG-Präsidentin Christine Hügel, die ihn zu höheren Erledigungszahlen aufforderte, weil er den Pensenschlüssel erheblich unterschreite. Die Anwältin von Schulte-Kellinghaus begründete am Freitag einen ausführlichen Befangenheitsantrag gegen die Richter des Richterdienstgerichtshofs, denen sie unter anderem "intellektuelle Hemmungen und Denkblockaden" vorwarf, so die Badische Zeitung (Bettina Wieselmann).
NPD-Anwalt Peter Richter: Der Spiegel (Dietmar Hipp/Christina Hebel) stellt den 28-jährigen Saarbrücker Anwalt Peter Richter vor, der die NPD derzeit in mehreren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt. Er sei juristisch versiert und lasse seine rechtsradikalen Ansichten nur selten durchscheinen.
Recht in der Welt
Türkei - Justizreform: Das türkische Parlament hat unter Tumulten eine von Präsident Tayyip Erdogan (AKP) betriebene Justizreform beschlossen, berichtet die Montags-SZ (Christiane Schlötzer). Bislang war der weitgehend unabhängige Hohe Richterrat für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Künftig soll der Justizminister das letzte Wort bei der Ernennung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten haben. Mit dem Gesetz erhält der Justizminister auch das Recht, Ermittlungen gegen Mitglieder des Richterrats einzuleiten. Außerdem wird die Zusammensetzung des Gremiums verändert.
Ägypten - Mursi im Glaskasten: Im Hochverrats-Prozess gegen Ägyptens ehemaligen Staatschef Mohammed Mursi (Muslimbrüder) protestierte dessen Anwalt dagegen, dass Mursi jetzt in einem schalldichten Glaskasten sitzen müsse. Die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant sei zu sehr behindert. Der Prozess wurde daraufhin unterbrochen, meldet spiegel.de. An früheren Prozesstagen hatte Mursi lautstark die Verhandlung gestört.
USA/Australien - NSA gegen Anwälte:Der australische Geheimdienst Australian Signals Directorate soll im Auftrag der NSA eine amerikanische Anwaltskanzlei ausspioniert haben, meldet zeit.de. Die Kanzlei habe in einem Handelsstreit die indonesische Regierung gegen die USA vertreten. Die NSA weist den Vorwurf zurück.
Sonstiges
Hans-Jürgen Papier beim ADAC: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier wird künftig den ADAC bei seinem Reformprozess beraten, meldete die Samstags-FAZ. Papier wird Mitglied eines neuen Beirats und will dem ADAC so helfen, seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
Haftkosten: Aus Anlass einer niederländischen Diskussion um die Beteiligung von Häftlingen an ihren Haftkosten stellt lto.de (Daniel Grosse) die entsprechenden Möglichkeiten in Deutschland dar.
Rückfallstudie: Nun greift auch spiegel.de die vom Bundesjustizministerium herausgegebene Rückfallstudie auf. Sie wird zusammengefasst und mit mehreren Schaubildern illustriert.
Das Letzte zum Schluss
Existenz der Erde bedroht: Zwei amerikanische Juristen fordern eine Überprüfung des Teilchenbeschleunigers RHIC auf Long Island, meldet spiegel.de. Die dort geplanten Experimente "würden die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sogenannte seltsame Materie entsteht, die dann normale Materie in seltsame Materie umwandeln und so die gesamte Erde zerstören könnte." Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt dieses Szenarios sei zwar gering, aber beachtlich, schließlich gehe es um die Existenz der Erde.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. - 17. Februar 2014: "Kontaktschuld" von Sebastian Edathy – Hans-Jürgen Papier beim ADAC – Existenz der Erde bedroht . In: Legal Tribune Online, 17.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11016/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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