Am heutigen Dienstag beginnt der Deutsche Juristentag. Die FAZ kennt dessen Themen. Außerdem in der Presseschau: Reform der Hartz-IV-Sanktionen, Prozessauftakt gegen vermeintlichen IS-Kämpfer vor dem OLG Frankfurt, Rupert Scholz hält Fahrdienst Uber für rechtmäßig, Anklage gegen SS-Wachmann und eine chinesische Idee zu mehr Sicherheit für Fußgänger.
Thema des Tages
DJT: In mehreren Kurzbeiträgen stellt die FAZ die inhaltlichen Schwerpunkte des am heutigen Dienstag beginnenden 70. Deutschen Juristentags in Hannover vor.
Reinhard Müller stellt das zu Fragen der Aufgabenverteilung zwischen Europäischer Union und Mitgliedsstaaten tagende Forum vor. Im Bereich des Wirtschaftsrechts wird Gutachter Gregor Bachmann "Detailkorrekturen" bei der Organhaftung vorschlagen, schreibt Joachim Jahn. Für das öffentliche Recht verneinen nach Darstellung von Reinhard Müller die Gutachter Simon Kempny und Ekkehart Reimer die Notwendigkeit einer Neugliederung des Bundesgebiets bei der Reform der bundesstaatlichen Finanzverfassung. Der Gutachter Gralf-Peter Calliess nennt in seinem prozessrechtlichen Gutachten Ideen für eine Erhöhung der Attraktivität von Zivilgerichten. Gerade im Handelsrecht würden Parteien immer häufiger alternative Formen der Konfliktlösung wie z.B. Schiedsverfahren suchen, schreibt Helene Bubrowski.
Im arbeitsrechtlichen Gutachten spricht sich Klaus Bepler, früherer Richter am Bundesarbeitsgericht gegen ein Tarifeinheitsgesetz aus und sieht die Tarifautonomie durch die gesetzliche Mindestlohn-Regelung gefährdet, so Joachim Jahn. Helene Bubrowski fasst das Strafrechts-Gutachten von Tatjana Hörnle zusammen. Die Rechtsprofessorin spreche sich gegen "psychologisierende und individualisierende Ansätze" bei der Strafzumessung aus. Für diese seien allein die Wertungen der deutschen Rechtsgemeinschaft verbindlich. Das Regierungsvorhaben zu sogenannten Hate Crimes sei "symbolische Gesetzgebung". Zum urheberrechtlichen Gutachten des Rechtsprofessors Ansgar Ohly hebt Joachim Jahn die Forderung nach einem spezialisierten Spruchkörper beim Europäischen Gerichtshof und Kritik an Neuregelungen, etwa zum Leistungsschutzrecht für Verlage hervor.
Rechtspolitik
Hartz-IV-Sanktionen: Ein vom Bundesarbeitsministerium erarbeitetes Positionspapier sieht die Vereinfachung und teilweise Streichung von Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger vor. Unter anderem sollen die nach Lebensalter der Empfänger gestuften Sanktionsmöglichkeiten abgeschafft werden, schreibt die SZ (Thomas Öchsner). Wegen eines möglichen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz stünden diese in der besonderen Kritik von Verfassungsrechtlern.
NSU-Konsequenzen: In einer Anhörung vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses informierten die Bundestagsabgeordneten Eva Högl (SPD), Petra Pau (Linke), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Clemens Binninger (CDU) über die aus dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses auch für die Berliner Sicherheitsbehörden zu ziehenden Konsequenzen. Die taz-Berlin (Plutonia Plarre) berichtet.
Finanzausgleich: Über die Versuche des Bundesfinanzministeriums, eine Neuordnung der Verteilung der Finanzen zwischen Bund und Ländern zu erreichen, schreibt spiegel.de (David Böcking). Dabei bleibe "der Dschungel des deutschen Föderalismus" zugunsten von Detailveränderungen aber wohl bestehen.
Beteiligungsgesetz: Mecklenburg-Vorpommern arbeitet derzeit auf Initiative von Energieminister Christian Pegel (SPD) am Entwurf eines bundesweit einzigartigen Bürgerbeteiligungsgesetzes, nach dem Investoren Anwohnern von Windkraftanlagen Anteile in einer bestimmten Größenordnung anbieten müssen. Das Vorhaben solle die Akzeptanz für solche Anlagen stärken, Vorbild sei ein dänisches Gesetz, schreibt die FAZ (Frank Pergande).
Unternehmensstrafrecht: Das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) berichtet über Experten-Kritik an dem vom nordrhein-westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) beworbenen Gesetzentwurf einer strafrechtlichen Haftung von Unternehmen. Ein vom Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) vorgestellter Gegenentwurf räume dagegen durch die stärkere Berücksichtigung unternehmensinterner Compliance-Systeme die Prävention in den Vordergrund.
Justiz
BGH zu künstlichen Cannabinoiden: Beck.blog.de (Jörn Patzak) meldet einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom August, in dem ein Angeklagter wegen des Verkaufs von Kräutermischungen, sogenannter künstlicher Cannabinoide, vom Vorwurf des Inverkehrbringens von Arzneimitteln freigesprochen wurde. Die Entscheidung orientiere sich an der vom Europäischen Gerichtshof gesetzten Linie zu sogenannten neuen psychoaktiven Substanzen.
OLG Frankfurt – Terrorismus: Über den Prozessauftakt im Verfahren gegen den mutmaßlichen IS-Kämpfer Kreshnik B. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. berichten unter anderem SZ (Susanne Höll), FAZ (Alexander Haneke), FR (Stefan Behr) und spiegel.de (Jörg Diehl). Dem Angeklagten sei vom Gericht angeboten worden, die Anklage im Gegenzug für ein Geständnis und Reue auf die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu beschränken und eine mögliche Höchststrafe auf eine Jugendstrafe mit maximal vier Jahren drei Monate zu begrenzen. Außerdem würde auf den weiteren Anklagepunkt der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat verzichtet. Der Verteidiger des 20-Jährigen habe eine Erklärung für den nächsten Prozesstag am Freitag angekündigt. Zudem wurden vor Gericht offenbar abgefangene Telefonate des Mannes aus Syrien mit seiner in Deutschland befindlichen Schwester abgespielt. Diese belegten offenbar die damalige Orientierungslosigkeit des jungen Mannes.
LG Frankfurt – Uber: Im Rahmen des vor dem Landgericht Frankfurt anhängigen Verfügungsverfahrens gegen den Fahrdienst Uber haben die Anwälte der Vermittlungs-Plattform ein Rechtsgutachten des Staatsrechtlers Rupert Scholz eingereicht. Wie das Handelsblatt (Christoph Schlautmann, Zusammenfassung) zu berichten weiß, hält Scholz das Geschäftsmodell von Uber für rechtmäßig. Weil Beförderungsleistungen vom Unternehmen nur vermittelt, nicht jedoch selbst durchgeführt würden, sei der Regelungsbereich des Personenbeförderungsgesetzes nicht eröffnet. Zudem hätten die bisherigen Entscheidungen die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit nicht im erforderlichen Maße berücksichtigt.
LG München – BayernLB: Die FAZ (Henning Peitsmeier) berichtet über die Zeugenaussage des Investors Tilo Berlin im Strafprozess gegen frühere Vorstände der BayernLB vor dem Landgericht München. Die verfahrensgegenständliche Übernahme der österreichischen Hypo Alpe Adria-Bank habe der Zeuge den nun Angeklagten als "High-Risk-Investment" dargestellt, Aussagen zu mutmaßlich von ihm vermittelten Absprachen der Banker mit verstorbenen Landeshauptmann Jörg Haider jedoch verweigert.
LG Essen – RWE: Das hessische Umweltministerium hat nach einer Meldung der Welt den Zugang der Klageschrift des Energiekonzerns RWE bestätigt. Vor dem Landgericht Essen verlangt das Unternehmen vom Land und vom Bund wegen der rechtswidrigen Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis 235 Millionen Euro Schadensersatz.
StA Hannover – SS-Wachmann: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Anklage gegen einen 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen erhoben. Als Freiwilliger der Waffen-SS soll der Mann 1944 im Konzentrationslager Auschwitz bei der Abfertigung neu ankommender Transporte von jüdischen Häftlingen mitgewirkt haben, schreibt faz.net (Alexander Haneke).
StA Kiel – Waltraud Wende: Die SZ (Johann Osel) führt den Rücktritt der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) auf den "Druck der Justiz" zurück. Die Kieler Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Wende wegen Bestechungsverdacht. Hintergrund ist eine mutmaßliche Absprache mit dem Verwaltungschef ihrer früheren Arbeitgeberin, der Universität Flensburg, über die Option der Rückkehr für den Fall des Ausscheiden aus dem Kabinett.
Recht in der Welt
Belgien – Suizidhilfe: In Belgien hat sich ein seit über 30 Jahren im Gefängnis sitzender Sexualstraftäter das Recht auf einen ärztlich assistierten Suizid erstritten. Wie spiegel.de schreibt, halte sich der Mann für unheilbar psychisch krank und erfülle damit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine im Land zulässige Suizidhilfe.
USA – NSA: Nach einer Meldung von netzpolitik.org (Chris A.) hat das Gericht der Vereinigten Staaten betreffend die Überwachung der Auslandsgeheimdienste FISC der NSA die auf 90 Tage befristete Erlaubnis gegeben, Telefon-Metadaten zu sammeln. Eine vom Senat des Landes geplante Reform der Überwachungspraxis des Dienstes habe bislang noch keine politische Mehrheit gefunden.
Sonstiges
BND-Auslandsaufklärung: Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker die Auffassung vertreten, dass die Auslandsaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst rechtswidrig ist und zudem auch verschiedene Bestimmungen des G10-Gesetzes, etwa zur strategischen Fernmeldekontrolle nicht der Verfassung entsprechen. Ein Aufsatz Bäckers, den Thomas Stadler (internet-law.de) zusammenfasst, führt diese Ansichten aus.
Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung: In einem Gastkommentar für das Handelsblatt beklagt Rechtsprofessor Klaus Volk, dass die Einführung des Selbstleseverfahrens die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen "de facto" ausgeschlossen habe. Wegen der großen Praktikabilität der Regelung werde man aber "das Rad der Geschichte der Öffentlichkeit nicht zurückdrehen."
Uli Hoeneß: Die FAZ (Karin Truscheit) schreibt über Berichte, nach denen der wegen Steuerhinterziehung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilte Uli Hoeneß bereits in Kürze mit Vollzugslockerungen rechnen könnte und erläutert das hierfür beachtliche Verfahren.
Lynchjustiz: Für die SZ bespricht Rudolf Walther "Lynchjustiz in den USA" des Historikers Manfred Berg. Die Studie beschreibt die bis weit in das 20. Jahrhundert verbreitete Praxis vor allem aus historischer Perspektive und definiert den Lynchmord als "extralegale Bestrafung angeblicher Verbrecher durch mehr oder weniger organisierte Gruppen", die sich im Einklang der "gemeinschaftlichen Verteidigung von Recht und Ordnung" wähnen.
Das Letzte zum Schluss
Vorfahrt für Smartphones: Um Zusammenstöße und Unfälle abgelenkter Smartphone-Benutzer zu senken, führt die chinesische Stadt Chongqing einen ausschließlich von diesen zu nutzenden Gehweg ein. Der Bericht von spiegel.de (fko) vermutet in der Maßnahme zwar einen Marketing-Gag, weist aber gleichzeitig auf zahlreiche internationale Studien hin, die eine erhöhte Unfallhäufigkeit von Mobiltelefon-benutzenden Fußgängern belegten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. September 2014: Deutscher Juristentag – IS-Kämpfer vor Gericht – Rupert Scholz pro Uber . In: Legal Tribune Online, 16.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13187/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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