Im Fall Johnny K. hat das Landgericht Berlin die sechs Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt. Außerdem in Presseschau: Ein "drittes Geschlecht" schleicht sich in die Rechtsordnung, Wulff soll angeblich wegen Vorteilsnahme angeklagt werden, Anwälte reden erwiesenermaßen Fachchinesisch – und ein Journalist möchte wohl mal in der ARD "Arschloch" sagen.
Urteil im Fall Johnny K.: Das Landgericht Berlin hat für alle Angeklagten im Fall Johnny K. Haftstrafen verhängt. Viereinhalb Jahre Haft wegen Körperverletzung für Onur U. als Haupttäter, für die fünf weiteren Angeklagten zwischen zwei Jahren und drei Monaten und zwei Jahren und acht Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei. Die sechs jungen Männer hatten den 19-jährigen Johnny K. im Oktober vergangenen Jahres auf dem Alexanderplatz verprügelt. Dass Johnny K. an den Verletzungen starb, sei dabei Onur U. zuzurechnen, weil er den ersten Schlag gesetzt habe, so das Gericht. Von dem Prozess berichtet die SZ (Constanze von Bullion) in einer ausführlichen Reportage auf der Seite 3, sowie spiegel.de (Julia Jüttner) und die taz (Plutonia Plarre).
Weil die Täter aus türkischen Familien kommen, widmet sich die taz (Daniel Bax) Kriminalitätsstatistiken, wonach Gewalttaten auffällig oft von jungen Männern mit Migrationshintergrund verübt werden. Dafür sei jedoch weniger die Herkunft, als mehr der Bildungsstand, die soziale Lage und der Erziehungsstil ausschlaggebend.
Michael Mielke (Welt) kommentiert, kein Strafmaß könne den Tod eines Menschen aufwiegen. Das Gericht habe Schuld der Täter und die Umstände der Tat einordnen müssen – der Fall sei ein "sinnloser" und "feiger" Angriff gewesen, aber "kein eiskalt geplanter Mord". In einem weiteren Kommentar fragt sich Daniel Bax (taz) wie auf den Tod Johnny K.'s angemessen reagiert werden könnte. Um solche Taten zu verhindern, sei "Präventionsarbeit im Kleinen" notwendig.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Das Leerstellen-Geschlecht: Auf eine bisher wenig beachtete "juristische Revolution" macht die SZ (Heribert Prantl) aufmerksam. Ab dem 1. November gilt eine Änderung des Personenstandsgesetzes, wonach bei intersexuellen Menschen auf eine Geschlechtsangabe im Geburtenregister verzichtet werden kann. Das führe faktisch zu einem "dritten Geschlecht" und werfe zahlreiche Rechtsfragen auf, weil weitere Gesetze, die auf "Frauen" oder "Männer" Bezug nehmen, nicht geändert wurden. Unklar sei etwa, welche Regeln für die Eheschließung und die Lebenspartnerschaft gelten.
"No-Spy"-Abkommen: Das geplante deutsch-amerikanische "No-Spy"-Abkommen begründe kein rechtlich durchsetzbares Verbot von US-Spionage, berichtet die SZ (Susanne Höll) unter Berufung auf "deutsche Sicherheitskreise". Auch Patrick Beuth (zeit.de) ist der Ansicht, an der Überwachung der "ganz normalen Menschen" werde sich nichts ändern. Lediglich Behörden und Wirtschaft würden verschont bleiben. Die taz (Astrid Geisler) führt ein Interview mit Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag und Vizevorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er bewirbt das "No-Spy"-Abkommen als "bemerkenswerten Vorschlag". Es handele sich um eine Selbstverpflichtung der Geheimdienste und die Zusicherung, wechselseitig die Gesetze zu achten.
Funkzellenabfrage in Schleswig-Holstein: Nach Berlin und Sachsen hat auch Schleswig-Holstein offenbar massenhaft Handy-Daten abgefragt. netzpolitik.org (Andre Meister) berichtet über eine Antwort der Landesregierung auf Anfrage der Piraten-Fraktion. Demnach seien in den letzten vier Jahren 848 Funkzellenabfragen durchgeführt worden. Die Praxis sei datenschutzrechtlich zweifelhaft. So werde die Funkzellenabfrage nicht nur bei schweren Straftaten eingesetzt und auch dann, wenn der Tatverdächtige das Handy nur mitgeführt, aber nicht telefoniert hat. Zumindest werde "fast immer" ein richterlicher Beschluss oder eine "staatsanwaltliche Eilanordnung" eingeholt.
Bundesjustizministerin im Interview: Die Welt (Berndt Röttger/Matthias Iken/Christian Unger) spricht mit der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über Bürgerrechte und den NSA-Skandal, Steuerpläne, die PKW-Maut für Ausländer und den Vorwurf, auch in der FDP habe es Debatten zur Straffreiheit für Pädophilie gegeben.
Weitere Themen - Justiz
Anklage gegen Wulff: Nach Informationen der Welt (Ulrich Exner) soll der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff am 1. November vor dem Landgericht Hannover wegen Vorteilsnahme angeklagt werden – nicht aber wegen Bestechlichkeit. Einen entsprechenden Beschluss wolle die Zweite Große Strafkammer am 27. August verkünden. Gerichtssprecher wollten die Informationen nicht bestätigen. Ein weiterer Bericht der Welt (Ulrich Exner) stellt den Richter Frank Rosenow als einen besonnen Juristen vor, schildert die Hintergründe des Verfahrens und erklärt den Unterschied zwischen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme.
BVerfG zu Unterbringung: Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines Mannes statt gegeben, der rund zwölf Jahre in der Psychiatrie untergebracht war, nachdem er eine Frau bedrängt hatte. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet, war der Mann im Oktober 2012 entlassen worden. Im Jahr 2011 hatten die Gerichte noch an der Unterbringung festgehalten – was das Verfassungsgericht nun beanstandete. Es sei nicht ausgeführt worden, inwiefern erhebliche Straftaten des Mannes drohten. Dieselbe Kammer des Zweiten Senats werde wohl in absehbarer Zeit über die Beschwerde Gustl Mollaths entscheiden.
BGH zu Hard Rock Café: Das Heidelberger Hard Rock Café darf sich weiterhin so nennen, obwohl es nicht zur Kette der Hard Rock Cafés gehört – es darf aber keine "Hard Rock"-Werbeartikel vertreiben. Das hat der Bundesgerichtshof am Donnerstag entschieden. Wie blog.beck.de (Fabian Reinholz) erläutert, hatte die Kette den Namen seit den siebziger Jahren geduldet und damit ihre markenrechtlichen Unterlassungsansprüche verwirkt. Werbeaktionen seien dagegen jeweils aufs Neue eine Verletzung von Markenrechten.
OVG Münster zu Tagesmutter: Müssen sich Eltern mit der Betreuung bei einer Tagesmutter statt mit einem Kita-Platz für ihr unter dreijähriges Kind zufrieden geben? Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das in einer Eilentscheidung bejaht und damit einer Beschwerde der Stadt Köln gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln statt gegeben. Ein Termin für das Hauptverfahren stehe noch nicht fest, so die taz (Anja Krüger).
AG Kassel zu Meese: Marc Reichwein (Welt-Feuilleton) befasst sich mit dem Prozess gegen Jonathan Meese. Neben der Strafsache habe der Prozess letztlich auch Sympathie und Antipathie für Meese "mitverhandelt", sowie "Bewusstwerdung", über "das, was (nicht nur Meeses) Kunst darf, will und dürfen können soll". Das Amtsgericht Kassel hatte den Künstler freigesprochen, nachdem er auf einer Veranstaltung den Hitlergruß gezeigt hatte.
OLG München – HRE Vorstandssitzung: Die SZ (Markus Zydra) berichtet über das "Musterverfahren" um Schadensersatzansprüche von Aktionären gegen die Pleite-Bank Hypo Real Estate vor dem Oberlandesgericht München. Derzeit gebe es vor allem Streit um ein Protokoll der entscheidenden Vorstandssitzung vom 29. August 2007 – die Anwälte der Bank wollen das Papier nicht herausgeben. Eine erste mündliche Verhandlung könnte es noch in diesem Jahr geben.
Interview mit Suhrkamp-Sachwalter: Die FAZ (Sandra Kegel) führt ein Interview mit dem Sachwalter des Suhrkamp-Insolvenzverfahrens, Rolf Rattunde. Er erklärt, für das Insolvenzverfahren vor dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg spiele es keine Rolle, dass das Frankfurter Landgericht kürzlich zum Streit zwischen den Gesellschaftern erklärt hatte, die Insolvenz solle offenbar nur dazu dienen, den Minderheitsgesellschafter Hans Barlach zu schwächen. Außerdem geht es um die bevorstehenden Verfahrensschritte und die Verfassungsmäßigkeit des neuen Insolvenzrechts.
Fachchinesisch beim Anwalt: Anwälte verstehen nicht, was ihre Mandanten wollen – und die Mandanten verstehen nicht, was der Anwalt erklärt. Zu diesem Ergebnis kommt die Sprachwissenschaftlerin Ina Pick in ihrer Doktorarbeit über die Kommunikation in der anwaltlichen Erstberatung. spiegel.de (Christian Lauenstein) stellt die Studie vor.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Bradley Manning: Der US-Soldat Bradley Manning hat sich vor dem Militärgericht in Fort Meade dafür entschuldigt, mit seinen WikiLeaks-Enthüllungen aus dem Irak-Krieg Menschen verletzt und den USA geschadet zu haben. Das meldet zeit.de. Manning ist wegen Spionage und Diebstahls schuldig gesprochen worden, bis zum 23. August soll nun über das Strafmaß beraten werden – dem 25-Jährigen drohen bis zu 90 Jahre Haft. Psychologen bescheinigten Manning extremen Stress und Persönlichkeitsstörungen zum Zeitpunkt der Tat.
USA – Falscher Rockefeller: Der Deutsche Christian Karl Gerhartsreiter, der in den USA als "falscher Rockefeller" bekannt wurde muss für 27 Jahre ins Gefängnis, so spiegel.de. Die Jury hatte ihn im April schuldig befunden, 1985 den Sohn seiner Vermieterin umgebracht zu haben. Nun hat das kalifornische Gericht das Strafmaß festgelegt. Gerhartsreiter bestreitet die Tat.
Sonstiges
Gefahrengebiete in Hamburg: Der Rechtswissenschaftler Christian Ernst befasst sich auf dem Juwiss-Blog mit dem "Gefahrengebiet" im Hamburger Polizeirecht. Die Hamburger Polizei habe in den letzten Jahren rund 40 solcher Gefahrengebiete definiert, um - ähnlich dem New Yorker "stop and frisk" - Bürger anlassunabhängig zu kontrollieren. Problematisch sei jedoch, dass die Einordnung als Gefahrengebiet nicht öffentlich gemacht werde.
Balkonrecht: Der Rechtsanwalt Dominik Schüller schildert auf lto.de verschiedene mietrechtliche Entscheidungen zur Balkonnutzung – Grillen und Partys sind unter Umständen erlaubt, Sex und Cannabis-Anbau dagegen nicht.
Das Letzte zum Schluss
Late-Night-Show: Arschloch sagen darf nur die ARD? Jan Fleischhauer (spiegel.de) macht sich Gedanken zu Beleidigung und übler Nachrede. Anlass: Fleischhauers Kollege Matthias Matussek war in der ARD-Show "Krömer" zu Gast und wurde dort "die ganze Zeit nur angepöbelt". Die Ausstrahlung der Sendung konnte Matussek aber nicht verhindern - das Oberlandesgericht Hamburg entschied, er sei schließlich im Studio sitzen geblieben und habe damit seine Einwilligung erteilt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. August 2013: Haftstrafen im Fall Johnny K. – Ein drittes Geschlecht im Gesetz – Anklage gegen Wulff . In: Legal Tribune Online, 16.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9372/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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