Müssen Radler künftig Helm tragen, um vollen Schadensersatz zu bekommen? Das muss jetzt der BGH entscheiden. Außerdem in der heutigen Presseschau: Justizminister Heiko Maas (SPD) wirbt für das Freihandelsabkommen TTIP, die grüne Rechtspolitikerin Katja Keul will regulieren und trotzdem liberale Politik machen, fast jede zweite Hartz IV-Klage ist erfolgreich - und warum die Polizei nach einer missglückten Festnahme keinen Schadensersatz bekommt.
Thema des Tages
BGH - Helmpflicht für Radfahrer: Am kommenden Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof über die Frage, ob sich Radfahrer nach § 254 BGB ein Mitverschulden an ihren eigenen Kopfverletzungen vorwerfen lassen müssen, wenn sie ohne Fahrradhelm fahren. Grundlage ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig, das einer Radfahrerin, die von einer grob fahrlässigen Autofahrerin schwer verletzt wurde, den Schadensersatz um 20 Prozent kürzte, weil die Radlerin auf einen Helm verzichtete. Die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) und der Focus (Petra Hollweg/Ansgar Siemens - Zusammenfassung) bringen Vorberichte.
Rechtspolitik
Maas zu TTIP: Justizminister Heiko Maas (SPD) wirbt im Interview mit der FAS (Ralf Bollmann/Inge Klöpfer) für das geplante euro-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP. Das Abkommen sei eine "riesige Chance", das zu niedrigeren Preisen führen werde. Die Bundesregierung werde dafür sorgen, dass die Rechte der Verbraucher "an keiner Stelle" eingeschränkt werden. "Die Vereinigten Staaten und die EU dürfen in allen Bereichen die jeweils besten Standards behalten." Über kommunale Daseinsvorsorge und Kultur werde erst gar nicht verhandelt. Schiedsgerichte für Investorenschutz werde es nicht geben, wenn es nach der Bundesregierung geht. Am Ende müsse nicht nur das Europaparlament zustimmen, sondern auch die 28 nationalen Parlamente.
Grüne Rechtspolitik: Im Interview mit der taz (Christian Rath) erläutert die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul, wie sich grüner Liberalismus von FDP-Politik unterscheidet: "Regulierung und Freiheit sind kein Widerspruch. Oft kann die Freiheit nur mit Hilfe des Staates gesichert werden." Konkret geht es um grüne Positionen zur organisierten Suizidhilfe, zu bloßstellenden Photos und zur Kontrolle der Prostitution.
Inklusion: Heribert Prantl (Montags-SZ) proklamiert im Leitartikel "ein Behindertengrundrecht: das Grundrecht auf Inklusion." Prantl folgert: "Inklusion verlangt eine Zeitenwende. Sie wird viel Geld kosten. Aber sie wird die Gesellschaft wunderbar verändern – wenn die Gesellschaft erkennt, dass Hilfebedürftigkeit keine Störung ist, sondern zum Menschsein gehört."
Mord: Die FAS (Julia Schaaf) schildert ausführlich den Anlass der geplanten Reform der Tötungsdelikte. "Es darf nicht sein, dass wir an einer so zentralen Stelle einen Straftatbestand haben, bei dem es immer wieder Umgehungsstrategien braucht, um zu adäquaten Urteilen zu kommen", zitiert sie die Strafrechtlerin Annette Grünwald.
Stalking: lto.de (Annelie Kaufmann) beschreibt einen Gesetzentwurf von Bayern und Hessen zur Verschärfung des Stalking-Paragraphen. "§238 StGB soll demnach von einem Erfolgs- in ein Eignungsdelikt umgestaltet werden. Das heißt, es soll nicht mehr darauf ankommen, ob die Tat eine schwere Beeinträchtigung verursacht hat. Stattdessen soll genügen, dass sie geeignet ist, dies zu tun." Geschildert werden auch Therapiemöglichkeiten für Stalker.
Promillegrenze für Radfahrer: Der Verkehrsrechtler Dieter Müller referiert auf lto.de neue Untersuchungen zur Fahrtüchtigkeit alkoholisierter Radfahrer. Diese legten zwar keine Absenkung der Promillegrenzen durch die Rechtsprechung nahe, für sinnvoll hält Müller aber die Einführung eines neuen Ordungswidrigkeiten-Tatbestandes durch den Gesetzgeber.
Präsident der EU-Kommission: Im Verfassungsblog streiten zwei Rechtsprofessoren über die Wahl des Präsidenten der EU-Kommission. Matthias Kumm sieht eine rechtliche Verpflichtung des Rates, den Kandidaten vorzuschlagen, der als Spitzenkandidat die Europawahl gewonnen hat. Kenneth Armstrong bestreitet eine solche Verpflichtung nicht nur, sondern hielte ein derartiges Vorgehen des Rates (falls dieser dabei von einer Rechtspflicht ausgeht) sogar für rechtswidrig. Das Europäische Parlament, so Armstrong weiter, habe zwar ein Vetorecht für Vorschläge des Rates, dürfe dieses aber nicht so einsetzen, dass der Rat nur noch den vom Parlament favorisierten Kandidaten vorschlagen kann.
Verbraucherschutz: Am Freitag trat die Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie in Kraft, die zu zahlreichen Änderungen im BGB führte. Diese werden von lto.de ausführlich vorgestellt.
Justiz
BGH zu Verspätungen im Flugverkehr: Der Bundesgerichtshof entschied am Freitag, dass Fluggesellschaften nicht für Verspätungen in Folge von Streiks und Radarausfällen haften. Die Airlines seien auch nicht verpflichtet, für solche Vorkommnisse Ersatzmaschinen mit Crew vorzuhalten. spiegel.de berichtet.
LSG Berlin/Brandenburg zu künstlicher Befruchtung: Krankenkassen dürfen bei unverheirateten Paaren nicht freiwillig die vollen Kosten einer künstlichen Befruchtung übernehmen. Dies wäre nach Ansicht des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nur möglich, wenn der Gesetzgeber entgegenstehende gesetzliche Regeln ändern würde, meldet die Samstags-taz (Heike Haarhoff).
StA Hannover - Wulff: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat die vorsorglich eingelegte Revision gegen den Freispruch für Christian Wulff zurückgezogen, meldet lto.de. Ludwig Greven (zeit.de) kommentiert: "Juristisch ist Wulff damit rehabilitiert. Ob er es auch politisch ist, hängt vom Auge des Betrachters ab. Aus meiner Sicht ist er nicht der Justiz und jagdeifrigen Journalisten zum Opfer gefallen, sondern sich selbst."
BVerfG - Rüstungsexporte: Im Verfahren um die Transparenz der Genehmigung von Rüstungsexporten hat sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle brieflich an die Bundesregierung gewandt und Aufklärung über widersprüchliches Vorbringen gefordert, berichtet die taz (Christian Rath). In der mündlichen Verhandlung habe die Regierung Vorabzusagen an Waffenhersteller als unverbindlich dargestellt, gegenüber Abgeordneten später jedoch als rechtlich verpflichtend.
LG Berlin - Costa Concordia: Zwei Passagiere des havarierten Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia haben einen Berliner Reiseveranstalter, bei dem sie die Reise gebucht hatten, auf Schadensersatz wegen Verletzungen und Todesangst verklagt. Am 3. Juli findet am Landgericht Berlin ein Gütetermin statt, meldet der Focus. Dies sei der erste derartige Prozess in Deutschland.
StA Leipzig - Hetzjagd von Mügeln: Der Spiegel (Steffen Winter - Zusammenfassung) stellt den Bericht der Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg zu einem rassistischen Angriff auf Inder im sächsischen Mügeln vor. Polizei und Justiz hätten den Fall 2007 trotz klarer Indizien nicht als rechtsextreme Tat gewertet.
Hartz IV-Klagen: Nach Angaben der Bundesregierung, über welche die Montags-Welt (Martin Greive) berichtet, haben 41,7 Prozent aller Klagen gegen Hartz IV-Bescheide Erfolg. Ähnlich hoch ist die Erfolgsquote von Klagen gegen Sanktionen, die gegen Hartz IV-Empfänger verhängt wurden.
Recht in der Welt
Österreich - Schuldenschnitt: Die große Koalition in Österreich plant einen Schuldenschnitt bei der maroden verstaatlichten Bank Hypo Alpe Adria. Kleinanleger und die bayerische Landesbank sollen auf knapp zwei Mrd. Euro verzichten, obwohl das Land Kärnten einst für die Investments bürgte. Die Betroffenen kündigten Klagen an, berichtet die Samstags-FAZ (Stephan Löwenstein).
Sonstiges
Einbrüche: Die FAS (Corinna Budras) schildert ausführlich die Gründe für die geringe Aufklärungsquote (15 Prozent) bei Einbrüchen und verschiedene Tätertypen. Die meisten Täter seien zwar Serientäter. Wenn sie gefasst werden, könnten ihnen aber meist nur einzelne Taten nachgewiesen werden, was zu milden Strafen führe. Das Risiko sei also recht gering.
BND-Massenüberwachung: Die Montags-SZ (Frederik Obermaier) interviewt Bertold Huber, der als Mitglied der G-10-Kommission die Abhörtätigkeit der Geheimdienste überwacht. Huber kritisiert, dass der BND bei der Überwachung von reiner Auslandskommunikation ohne gesetzliche Grundlage handele. Fraglich sei auch, ob die geplante Massenerfassung der Kommunikation in offenen sozialen Netzwerken vor dem Grundgesetz Bestand hätte.
Das Letzte zum Schluss
Kein Schadensersatz für Polizei: Nachdem die Polizei in Wuppertal irrtümlich eine falsche Wohnung gestürmt hat, verlangte sie vom völlig überraschten Bewohner auch noch Schadensersatz, weil sich eine Polizistin bei der Festnahme verletzt hatte. "Beim Fesseln musste ich am Arm ziehen. Da spürte ich einen Schmerz im Rücken..." Wie bild.de (Andreas Wegener)http://http:// meldet, wurde die Klage abgewiesen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. - 16. Juni 2014: Helm oder Freiheit - Maas für TTIP - grün und liberal . In: Legal Tribune Online, 16.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12267/ (abgerufen am: 05.07.2024 )
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