Wie weit reichen die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank? Vor der Verhandlung am EuGH gehen darüber die Meinungen auseinander. Außerdem in der Presseschau: Regeln für Lobbyismus, Rückkehr des Radikalenerlasses, Verfassungsbeschwerden gegen Freihandel, jugoslawischer Geheimdienst in der Bundesrepublik und ein überzeugendes Argument für kurze und klare AGB.
Thema des Tages
EuGH – EZB: Im Februar hat das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das sogenannte OMT-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) deren auf Währungspolitik beschränktes Mandat überschritten hat. Ein ausführlicher Vorbericht der SZ (Wolfgang Janisch/Claus Hulverscheidt) stellt vor der am heutigen Dienstag stattfindenden mündlichen Verhandlung die tatsächlichen und rechtlichen Aspekte des Falls vor. Wirtschaftlich sei die Maßnahme zur Euro-Rettung schon wieder "Geschichte", weil allein die Ankündigung des EZB-Chefs Mario Draghi im Juli 2012 die bis dato erhobenen Risikoaufschläge auf südeuropäische Anleihen gesenkt habe. Dagegen habe das Programm nach der im Februar dieses Jahres geäußerten Ansicht des BVerfG die Kompetenzen der EZB überschritten. Das angerufene Gericht müsse nun unter Berücksichtigung der Argumente des Karlsruher Gerichts darüber befinden, wo "die rote Linie" bei den Zuständigkeiten europäischer Institutionen zu ziehen sei. Ein Urteil der Großen Kammer des EuGH werde im kommenden Frühjahr erwartet.
Reinhard Müller (FAZ) stellt das abweichende Sondervotum der mittlerweile ausgeschiedenen Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff an den Beginn seines Kommentars. Über ihre Einschätzung, dass in dem Bemühen, die Herrschaft des Rechts zu sichern die Grenzen richterlicher Kompetenz überschritten worden seien, "kann man streiten." Es sei dagegen mittlerweile gefestigte Rechtsprechung, dass Karlsruhe auf Individualbeschwerden hin überprüfen kann, ob dass Wahlrecht von Bürgern "im Zuge der fortschreitenden europäischen Integration ausgehöhlt zu werden droht." Eine diesbezügliche Klärung sei wohl auch vom BVerfG beabsichtigt worden. Dagegen wäre es überraschend, wenn das OMT-Programm vom EuGH für europarechtswidrig erklärt wird. Als tatsächliches Thema der Verhandlung bezeichnet Jens Münchrath (Handelsblatt) im Leitartikel der Zeitung grundsätzliche Fragen über Geldpolitik und deren Grenzen. Mit deren Beantwortung seien die Richter jedoch überfordert.
Auch nach Sebastian Jost (Welt), ebenfalls im Leitartikel, stünden grundsätzliche Fragen zur Entscheidung. Das der EZB gewährte "Unabhängigkeitsprinzip" sei durch das OMT-Programm aus den Fugen geraten, es könne der Bank nicht selbst überlassen werden, wie weit sie ihr Mandat ausdehnen wolle. Der EuGH müsse daher klarstellen, dass auch die EZB "nicht außerhalb des Rechts" stehe. Ulrich Schäfer (SZ) hält dagegen ein bis zum BVerfG reichendes "Missverständnis über die Grenzen der Geldpolitik" für einschlägig. Tatsächlich obliege der EZB etwa die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der EU oder die Pflege einer nachhaltigen Entwicklung. Nichts anderes habe EZB-Präsident Draghi mit seiner streitgegenständlichen Äußerung bezweckt. Demgegenüber wäre ein gerichtliches Verbot des Ankaufs von Staatsanleihen "absurd."
Rechtspolitik
Lobbyismus: Anlässlich der Vorstellung ihres Lobby-Berichts forderte die Organisation Transparency International nach dem Bericht der SZ (Daniela Kuhr) "verbindliche Regeln für den Lobbyismus in Deutschland." So sollte ein sogenannter legislativer Fußabdruck in Entwurfsbegründungen deutlich machen, aufgrund welcher Interessen konkrete Paragrafen formuliert worden seien. Ein Lobbyregister würde nachvollziehbar machen, in wessen Auftrag Agenturen oder Kanzleien tätig würden. Das föderale System der Bundesrepublik erlaube es Interessenverbänden derzeit, ihre Wünsche und Absichten auf zahlreichen Ebenen zu vertreten. Auch die FAZ (Joachim Jahn) berichtet kurz über die Forderungen.
Radikalenerlass: Nach der Enthüllung der mutmaßlich rechtsextremen Vergangenheit eines beim Amtsgericht Lichtenfels tätigen Richters streitet die bayerische Staatsregierung über eine Rückkehr zur Regelanfrage nach dem im Freistaat 1991 abgeschafften, sogenannten Radikalenerlass. Während Justizminister Winfried Bausback (CSU) die Maßnahme befürworte, habe sich Ministerpräsident Horst Seehofer dagegen ausgesprochen, schreibt die SZ (Katja Auer u.a). Nach Bericht der FAZ (Albert Schäffer) soll das mutmaßliche Vorleben des Richters zufällig durch den Beteiligten eines aktuellen Prozesses enthüllt worden sein. Spiegel.de (Conny Neumann/Wolf Wiedmann-Schmidt) schreibt, dass sich der Richter am heutigen Dienstag vor dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg über seine Vergangenheit und seine politischen Einstellungen erklären müsse.
Crowdfunding: Ein Referentenentwurf der Bundesregierung sieht zahlreiche gesetzliche Änderungen vor, durch die Kleinanleger besser geschützt werden und gleichzeitig ein rechtlicher Rahmen für das sogenannte Crowdfunding geschaffen werden soll. Speziell den letzteren Aspekt unterzieht Rechtsanwalt Alexander Knauss für lto.de einer kritischen Würdigung. Der Autor erklärt hierzu das Konstrukt der gerade von Startups genutzten Finanzierungsform, die geltenden aufsichtsrechtlichen Bestimmungen und die im Entwurf vorgesehenen Änderungen. Er bemängelt, dass etwa die vorgesehene Werbebeschränkung einer größeren Bedeutung des Crowdfundings im Wege stehe.
Andrea Voßhoff: Im Rahmen eines Titelthemas zu Google befragt das Handelsblatt (Till Hoppe) die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff zu den Monopolstrukturen der Suchmaschine, einem durch die Kritik an diesen gewachsenen Bewusstsein für Datenschutz und möglichen staatlichen Schutzpflichten gegenüber der Datensammlung durch Konzerne.
Justiz
BVerfG – Freihandelsabkommen: Beim Bundesverfassungsgericht sind gegenwärtig 231 Verfassungsbeschwerden gegen die geplanten Freihandelsabkommen Ceta und TTIP anhängig. Die auf die Initiative einer Musiklehrerin zurückzuführenden Beschwerden rügten vor allem Investitionsschutz- und Schiedsgerichtsklauseln als Verletzung von Demokratieprinzip, Gleichheitsgebot, Menschenwürde und anderer Verfassungswerte, schreibt die taz (Christian Rath).
LAG Schleswig-Holstein zu Diskriminierungs-Nachweis: Mit den Voraussetzungen einer Beweislastumkehr nach § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes befasste sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in einem Urteil vom April. Um die Vermutung einer diskriminierenden Behandlung nach der Norm auslösen zu können, müsse nach dem Bericht von Christian Rolfs (beck.blog.de) demnach bei einer fiktiven Bewerbung neben objektiv größtmöglicher Vergleichbarkeit der Testpersonen auch die zugrunde liegende Situation vergleichbar sein. Weil im Streitfall bereits die erste Anforderung nicht erfüllt gewesen sei, wies das Gericht die Klage ab.
OLG München – Geheimdienstmord: Aus Anlass des am kommenden Freitag vor dem Oberlandesgericht München beginnenden Prozesses gegen ehemalige jugoslawische Geheimdienstler wegen der Ermordung eines kroatischen Separatisten im Jahre 1983 beleuchtet ein längerer Artikel der taz (Lisa Schnell) den Hintergrund des Verfahrens. Seit den 1960er Jahren seien mindestens 30 Exilkroaten in der Bundesrepublik getötet worden, viele der Taten seien indes "erstaunlich schnell zu den Akten gelegt worden." Ob dieser Umstand der besonderen Situation Jugoslawiens geschuldet gewesen sei und also deutsche Dienste von Einzelheiten zumindest Kenntnis besessen hätten, würde auch im jetzt anstehenden Prozess thematisiert.
HansOLG zu Google: Rechtsanwalt Karsten Gulden (infodocc.info) berichtet über einen ablehnenden Prozesskostenhilfe-Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts, durch den einem Kläger beschieden wurde, die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung zur Durchsetzung eines Löschanspruchs gegen Google biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zum einen sei Google Germany und nicht die Betreiberin Google Inc. in Anspruch genommen worden, zum anderen auch nicht dargelegt worden, welche Inhalte als rechtswidrig angesehen werden müssen.
LG Berlin zu "Kugelbombe": Wegen der Detonation einer "Kugelbombe", einem chinesischen Feuerwerkskörper, auf einer Berliner Demonstration im Jahr 2010, ist der Hauptangeklagte vom Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden. Die Anklage eines versuchten Mordes hätte sich nicht bestätigt, schreibt die taz (Marlene Gürgen). Stattdessen erging die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz.
LG Köln – Helmut Kohl: Vor dem Landgericht Köln haben Vertreter des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl den Journalisten Heribert Schwan auf Herausgabe sämtlicher Kopien und Abschriften der von diesem angefertigten Tonbänder mit Aufnahmen Kohls verklagt. Zudem seien zwei einstweilige Verfügungen gegen Schwan und dessen Verlag Random House mit dem Ziel beantragt worden, bestimmte Äußerungen in dem soeben erschienenen Buch Schwans zu unterlassen, meldet lto.de.
LG Stade – Erlaubnistatbestandsirrtum: In einem Strafverfahren vor dem Landgericht Stade hat die Staatsanwaltschaft gegen den wegen der Tötung eines Einbrechers Angeklagten einen Freispruch beantragt. Entsprechend der Einlassung des angeklagten Rentners, er habe vor Abgabe des tödlichen Schusses einen von den Einbrechern ausgehenden Schuss vernommen, ließe sich zumindest ein solcher Eindruck nicht ausschließen, gibt die SZ (Hans Holzhaider) das Plädoyer der Anklagebehörde wieder.
VG Stuttgart zu Rundfunkbeitrag: In einer Entscheidung vom Beginn des Monats hat das Verwaltungsgericht Stuttgart zwei gegen den Rundfunkbeitrag erhobene Klagen abgewiesen. Nach den nun bekanntgegebenen Begründungen sei die Beitragspflicht sowohl mit dem Grundgesetz als auch mit europarechtlichen Bestimmungen vereinbar, meldet lto.de.
Recht in der Welt
Russland – Justizreform: Die FAZ (bet) berichtet über Auswirkungen einer im letzten Jahr in Russland in die Wege geleiteten Justizreform. Durch diese sei das bislang eigenständige oberste Handelsgericht mit dem obersten ordentlichen Gericht verschmolzen worden. Nach der Einschätzung ausländischer Beobachter habe sich die Handelsgerichtsbarkeit bis dato durch "Automatisierung der Abläufe" und Transparenz ausgezeichnet.
USA – Beats vs. Bose: Vor einem Gericht in Wilmington/USA haben die Kopfhörer-Hersteller Beats und Bose ihren Patentstreit beendet. Wie die SZ (Pascal Paukner) schreibt, beantragten die Parteien übereinstimmend auch, die von der Internationalen Handelskommission der USA eingeleitete Untersuchung einzustellen.
Südafrika – Oscar Pistorius: Der Prozess gegen den wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Oscar Pistorius ist in Pretoria/Südafrika mit der Verhandlung über das Strafmaß fortgesetzt worden. Zeugen der Verteidigung schilderten den Athleten als verantwortungsbewussten und reuevollen Mann, schreibt die FAZ (Claudia Bröll). Eine Mindeststrafe für fahrlässige Tötung sehe das Landesrecht nicht vor.
Sonstiges
Whistleblower: Das von Dieter Deiseroth und Annegret Falter herausgegebene "Whistleblower in der Sicherheitspolitik" würdigt die SZ (Heribert Prantl) in einer Besprechung als "Kompendium der Whistleblowerei". Der Band dokumentiert die Verleihung der Whistleblower-Preise an Chelsea Manning 2011 und Edward Snowden 2013 und wird ergänzt durch einen "profunden" Einleitungsaufsatz des Bundesverwaltungsrichters Deiseroth.
Whistleblowing: In einem Gastkommentar für das Handelsblatt stellt Rechtsanwältin Katrin Scheicht die rechtlichen Bedingungen für Whistleblower in Deutschland dar. Während für Beamte bei Korruptionsdelikten Anzeigen erlaubt seien, werde die Rechtslage für Arbeitnehmer nach wie vor richterrechtlich geprägt. Die Arbeitsgerichte müssten hierbei zunächst feststellen, ob die Aufdeckung von Missständen als Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zu werten sei, berücksichtigten aber auch Belange der Meinungsfreiheit.
Gefängnis-Arbeit: Eine vor kurzem in Berlin gegründete Gefangenen-Gewerkschaft fordert, den Mindestlohn auch für die Arbeit von Häftlingen einzuführen. Die taz (Meriem Strupler) berichtet über das Vorhaben.
Pizza-Bestellung: Rechtsfragen rund um die Pizza-Bestellung bei einem Lieferdienst erläutert in einem Gastbeitrag für die FR Rechtsanwalt Christian Solmecke.
Das Letzte zum Schluss
AGB: In einem Kommentar fordert Kritsanarat Khunkham (Welt) "dringend" Kurz-AGB. Gerade bei Angeboten zu Diensten für Smartphone-Nutzer verhinderten Allgemeine Geschäftsbedingungen in Romanlänge, dass Nutzer diese tatsächlich lesen oder gar verstehen. Dass für die Forderung ein echtes Bedürfnis besteht, belegt der Autor mit folgendem Beispiel. In London bot eine Firma Fußgängern "kostenloses WLAN" gegen Einwilligung zu einer "Herodes-Klausel" an. Diese besagte, dass Nutzer ihre Erstgeborenen abtreten müssten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. Oktober 2014: EuGH zu EZB – Radikalenerlass gegen rechtsextreme Richter? – Jugoslawische Geheimdienstmorde . In: Legal Tribune Online, 14.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13471/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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