Die rechtlichen Grenzen zulässiger Satire bleiben umkämpft. Außerdem in der Presseschau: Zschäpe fühlt sich missverstanden, Schlecker wird angeklagt und das fliegende Spaghettimonster unterliegt gegen den Landesbetrieb Straßenbau.
Thema des Tages
StA Mainz – Jan Böhmermann: Die Bundesregierung möchte sich noch einige Tage Zeit lassen, um über das Strafverlangen des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gegen den Satiriker Jan Böhmermann zu entscheiden. Nach geltender Rechtslage muss sie nach § 104a Strafgesetzbuch (StGB) der Strafverfolgung wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts (§ 103 Abs. 1 StGB) zustimmen. Ermittlungen können allerdings bereits wegen einfacher Beleidigung (§ 185 StGB) geführt werden, da Erdogan auch als Privatperson Strafantrag gestellt hat. Erdogans deutscher Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger kündigte an, er sei bereit, "bis zur letzten Instanz" zu gehen. Böhmermann selbst steht inzwischen unter Polizeischutz. Es berichten der Tsp (Kurt Sagatz/Jost Müller-Neuhof), lto.de und die BadZ (Christian Rath).
Über die rechtlichen Grenzen zulässiger Satire spricht die SZ (Andreas Zielke) mit der Kunst- und Medienanwältin Anja Brauneck. Die FAZ (Edo Reents) interviewt hierzu "Titanic"-Anwältin Gabriele Rittig. Der SWR RadioReport Recht (Klaus Hempel) spricht ausführlich mit dem Medienanwalt Niklas Haberkamm. Die BadZ (Christian Rath) stellt einige vom Bundesverfassungsgericht zur Reichweite der Kunstfreiheit entschiedene Fälle vor.
Zudem geht Rechtsprofessor Stefan Talmon in einem Gastbeitrag in der FAZ der Frage nach, ob die Türkei Deutschland im Falle unterbliebener Strafverfolgung auf internationaler Ebene völkerrechtlich zur Verantwortung ziehen könne. Lawblog.de (Udo Vetter) schlägt ein Schiedsverfahren zwischen Erdogan und Böhmermann vor.
§ 103 StGB: Hinsichtlich der bereits geforderten Abschaffung des Sonderparagraphen, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter härter bestraft als andere Beleidigungen, äußerte sich das Bundesjustizministerium zurückhaltend – es gebe bislang keine offizielle Prüfung, so das Hbl (Anja Stehle) und die taz (Ulrich Schulte). Christian Rath (taz) hält eine Streichung des Paragraphen für sinnvoll, denn er sei überflüssig und belaste zudem die Regierung, die die Entscheidung über die Ermächtigung treffen und öffentlich vertreten muss.
Rechtspolitik
Wahlrecht: Bundestagspräsident Norbert Lammert will mit einer Änderung des Wahlrechts verhindern, dass die Anzahl der Abgeordneten im Bundestag immer weiter steigt, wie spiegel.de erläutert. Das Parlament könne durch Überhang- und Ausgleichsmandate zukünftig arbeitsunfähig groß werden. Robert Roßmann (SZ) und Günter Bannas (FAZ) begrüßen diese Initiative, rechnen ihr allerdings wenig Erfolgsaussichten zu.
Wiederaufnahme des Strafprozesses: Ist ein Angeklagter vom Strafgericht rechtskräftig freigesprochen worden, kann ein Verfahren gegen ihn auch dann nicht wieder aufgenommen werden, wenn neue belastende Beweismittel auftauchen. Einer repräsentativen Umfrage zufolge halten 91 Prozent der Deutschen dies für falsch, berichtet spiegel.de (Gisela Friedrichsen). In Auftrag gegeben wurde sie von der Plattform Change.org anlässlich der Petition von Hans von Möhlmann, dessen Tochter 1981 getötet wurde und der seither für eine Verurteilung des mutmaßlichen Täters kämpft.
Vergaberecht: Auf lto.de erklärt Rechtsanwältin Monika Prell ausführlich die ab dem 18. April in Kraft tretenden Reformen im Vergaberecht. Unternehmen müssten sich mit einigen Umstellungen vertraut machen.
Gerichtsöffentlichkeit: In zwei ausführlichen Gastbeiträgen in der FAZ wird die Frage thematisiert, wie und in welchem Umfang die Öffentlichkeit im Gerichtssaal gewährleistet werden soll. Der Luxemburgische Rechtsprofessor Burkhard Hess spricht sich dabei für mehr Übertragungen, auch etwa über Soziale Medien, aus, die zeitgemäß seien. Rechtsprofessor Heiner Alwart hingegen warnt vor TV-Übertragung aus dem Gerichtssaal: Zu viele Bilder verstellten den Blick auf das, worum es in den Prozessen wirklich ginge.
Privacy Shield: Die "Artikel 29-Datenschutzgruppe", eine Gruppe aus Vertretern der Datenschutzbehörden der EU, äußert massive Kritik an dem geplanten "Privacy Shield"-Abkommen zwischen der EU und den USA. Insbesondere die massenhafte Auswertung europäischer Daten durch US-amerikanische Behörden werde weiterhin nicht wirksam verhindert, so die FAZ (Hendrik Kafsack) und blog.beck.de (Axel Spieß).
Islamgesetz: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer schlägt ein deutsches Islamgesetz vor, mit dem die Verbreitung extremistischer Ideen in Moscheen verhindert werden soll, etwa durch das Verbot der Finanzierung aus dem Ausland und der verpflichtenden Ausbildung von Imamen in Deutschland, so die SZ. Parvin Sadigh (zeit.de) hält Präventionsbemühungen für sinnvoll, den Gesetzesvorschlag aber für zu simpel – er verkenne die Komplexität des deutschen Islams und seiner Schwierigkeiten.
Ärztekorruption: Der Bundestag will am heutigen Donnerstag ein Gesetz verabschieden, nach dem Korruption im Gesundheitswesen strenger bestraft wird. Entgegen dem ursprünglichen Ansinnen der Bundesregierung reicht zur Strafbarkeit allerdings kein bloßer Verstoß gegen Berufsrecht aus. Notwendig soll eine Wettbewerbsverzerrung durch die Handlung sein, etwa zugunsten einer Pharmafirma, so die FAZ (Joachim Jahn).
Justiz
OLG München – NSU: Im Terrorprozess um den NSU hat die Hauptangeklagten Beate Zschäpe einen handgeschriebenen Brief an den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl verfasst, in dem sie sich für das Verhalten ihrer Altverteidiger Stahl und Heer entschuldigt. Diese hatten im Februar einen Zeugen unterbrochen, der sich über die mangelnde Entschuldigung Zschäpes beklagte. Mit dem Brief wolle sich Zschäpe vermutlich gleichzeitig in ein besseres Licht rücken und die Pflichtverteidiger vorführen, schreiben spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und die FAZ (Helene Bubrowski/Karin Truscheit).
ThürVerfGH zu AfD-Antrag: Den Normenkontrollantrag der Thüriger AfD zur Anordnung zum Winterabschiebestopp des Innenministeriums hat der Thüringer Landesverfassungsgerichtshof als unzulässig abgewiesen. Der Anordnung fehle als Verwaltungsvorschrift mangels Außenwirkung die Gesetzesqualität, so lto.de. Auf Verfassungsblog.de kritisiert Maximilian Steinbeis das Minderheitsvotum des Thüringer Verfassungsrichter Baldus, der die Ansicht seiner Kollegen ablehnte und diesen politische Ziele unterstellte.
StA Berlin – Volker Beck: Die Ermittlungen gegen den grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sind gegen Zahlung von 7.000 Euro eingestellt worden, meldet spiegel.de. Bei Beck waren im März 0,6 Gramm einer "betäubungsmittelsuspekten" Substanz, vermutlich Crystal Meth, gefunden worden.
StA Stuttgart – Anton Schlecker: Vier Jahre nach der Insolvenz des Unternehmens Schlecker hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Unternehmer Anton Schlecker sowie dessen Frau, Tochter, Sohn und zwei Wirtschaftsprüfer erhoben. Es geht vor allem um vorsätzlichen Bankrott – Anton Schlecker soll angesichts der drohenden Pleite Vermögen beiseite geschafft haben, so spiegel.de und ausführlich das Hbl (Massimo Bognanni).
BGH zu gemieteter Einbauküche: Der Bundesgerichtshof hat in einem ungewöhnlichen Einzelfall entschieden: Ein Mieter kann zur weiteren Zahlung der auf eine Einbauküche entfallenden Miete auch dann verpflichtet sein, wenn diese gestohlen und der Vermieter hierfür entschädigt wird. Dass die Küche nicht mehr da ist, begründe keinen Mangel, so die FAZ (Joachim Jahn) und lto.de (Ulf Nadarzinski).
LG Frankfurt (Oder) zu "Spaghettimonster": Die "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters" darf nicht auf Hinweisschildern an den Ortseingängen von Templin auf ihre Gottesdienstzeiten hinweisen, entschied das Landgericht Frankfurt (Oder). Der Verein der selbsternannten "Pastafaris" beruft sich darauf, mit dem Brandenburger Landesbetrieb Straßenwesen die Installation der Schilder vereinbart zu haben, was dieser bestreitet. Zu der Frage, ob die Bevorzugung großer Religionsgemeinschaften im öffentlichen Leben gerechtfertigt sei, äußerte sich das Gericht nicht, so spiegel.de.
LG Hannover – Porsche-Klagen: Das Landgericht Hannover hat entschieden, dass die meisten Anlegerklagen gegen Porsche gebündelt und zentrale Streitfragen nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) an das Oberlandesgericht Celle verwiesen werden. In den Zivilklagen geht es um den Vorwurf der falschen Information der Märkte während des Übernahmeversuchs des Volkswagen-Konzerns im Jahr 2008, so die FAZ (Joachim Jahn).
StA Oldenburg – Morde durch Krankenpfleger: Dem Ex-Krankenpfleger Niels H., der Patienten eigenmächtig ein Herzmedikament gespritzt und für den Tod von fünf Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, können wahrscheinlich weitere Tötungen nachgewiesen werden. Nach umfangreichen Ermittlungen, unter anderem durch Exhumierung ehemaliger Patienten, gibt es inzwischen bei 24 Toten konkrete Hinweise hierauf, so spiegel.de.
Anwalt gegen Flüchtlingsunterkünfte: Die Zeit (Sebastian Kempkens) porträtiert den Hamburger Baurechts-Anwalt Gero Tuttlewski, der seit zwei Jahren in etlichen Verfahren Bürger vertritt, die gerichtlich gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften vorgehen. Inzwischen sei er Teil des in Hamburg gut organisierten Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik des Senats, der häufig auch mittels Feinheiten des Baurechts ausgefochten wird.
Recht in der Welt
Panama – Mossack Fonseca: Ermittler in Panama haben die Räume der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca durchsucht, aus deren Datenpool die geleakten "Panama Papers" stammen. Festgestellt werden soll, ob die Firma im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Briefkastenfirmen in illegale Aktivitäten wie Geldwäsche oder Terrorfinanzierung verwickelt ist, berichte die SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) und gibt einen Überblick über die weltweit laufenden Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Unternehmens.
Polen – Verfassungsgericht: Im Konflikt um den Verfassungsumbau in Polen hat das EU-Parlament das Land am gestrigen Mittwoch ausdrücklich in einer Resolution kritisiert. Es sei "ernsthaft besorgt, dass die faktische Lähmung des Verfassungsgerichts in Polen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gefährdet". Wie bereits die Venedig-Kommission unterstrichen hatte, müssten Entscheidungen des Verfassungsgerichts respektiert werden, berichtet die Welt (Gerhard Gnauck).
USA – Lufthansa: Im Streit um Entschädigungszahlungen verklagen Hinterbliebene von Opfern des Germanwings-Absturz im März vergangenen Jahres nun die Lufthansa-Flugschule. Diese hätte die jahrelangen Depressionen des Piloten Andreas Lubitz erkennen können und ihn nicht zur Flugausbildung zulassen dürfen, so zeit.de. Lubitz hatte das Flugzeug in suizidaler Absicht abstürzen lassen.
Sonstiges
Islamistenprozess-Zeuge unglaubwürdig? Spiegel.de schreibt über den Journalisten und ehemaligen ehemaligen Bundeswehroffizier Franz Feyder, der bereits bei verschiedenen Verfahren gegen Syrien-Rückkehrer als Zeuge vernommen wurde. Auf ihn griffen deutsche Ermittlungsbehörden häufiger zurück, weil ihnen ein Einblick in das Bürgerkriegsgebiet schwer falle. Allerdings ließen Ungereimtheiten an der Glaubwürdigkeit seiner Geschichten zweifeln, weshalb auch manche Gerichte diesen nicht folgten.
Cum-Ex-Geschäfte: Am heutigen Donnerstag beschäftigt sich der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestags damit, warum diese Praxis so lange nicht gestoppt werden konnte. Allerdings, so das Hbl (Donata Riedel), lägen nun eine Reihe von Urteilen aus Hessen vor, die die Deals alle als Steuerbetrug werteten. "Wo kämen wir denn hin, wenn Gerichte akzeptierten, dass man sich nicht gezahlte Steuern mehrfach erstatten lassen kann?", wird der hessische Finanzminister Schäfer zitiert.
Pfändungsschutzkonten: Die SZ (Kristiana Ludwig) schreibt, dass die Finanzämter häufig erfolglose Pfändungsversuche kleiner Beträge bei überschuldeten Bürgern durchführen. Zwar sollten Pfändungsschutzkonten dies vermeiden, weshalb die Privatwirtschaft vor dem nutzlosen Aufwand vermehrt zurückschrecke. Etwa 60 Prozent aller Kontopfändungen würden inzwischen aber von staatlichen Behörden veranlasst. Diese seien, da gleichzeitig Gläubiger und Vollstrecker, in einem Interessenskonflikt.
Das Letzte zum Schluss
Der Jungbullenfall im Strafrecht: Ein Bauer, der bei einer Leasingfirma 90 Milchkühe geleast hatte, ließ 23 davon schlachten. Das war allerdings nicht vereinbart, besser gesagt ganz und gar abredewidrig. Das Amtsgericht Lüdenscheid verurteilte ihn daher, weil er "an 16 Tagen (...) jeweils ein oder mehrere geleaste Milchkühe einer Schlachtung zugeführt", "jeweils die Vergütung für die geschlachteten Tiere vereinnahmt und damit eine veruntreuende Unterschlagung" begangen habe, wie leasing-hilfe.de (Rechtsanwalt Tobias Goldkamp) berichtet. Vielleicht die zeitgemäße Form des berüchtigten Jungbullenfalls aus dem Jurastudium?
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. April 2016: Was darf Satire? / Zschäpe schreibt Brief / Schlecker angeklagt . In: Legal Tribune Online, 14.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19153/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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