Zum ersten Mal steht ein Ex-Bundespräsident vor Gericht. Am Donnerstag beginnt der vermeintliche Prozess des Jahres. Außerdem in der Presseschau: Das LG Frankfurt verurteilt eine RZ-Terroristin, die evangelische Kirche gibt sich ein neues kollektives Arbeitsrecht, der EGMR moniert mangelnden Schutz gegen Nacktaufnahmen in Schweden, und warum das Klavierspiel eine spanische Pianistin ins Gefängnis bringen könnte.
Thema des Tages
LG Hannover - Wulff-Prozess: An diesem Donnerstag beginnt am Landgericht Hannover der Prozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff, dem Vorteilsannahme vorgeworfen wird. Die Welt (Ulrich Exner) stellt die Anklage und die Akteure vor.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert ein "Musterverfahren für Unverhältnismäßigkeit", weil es trotz "exzessiver Ermittlungen" nur um einen Betrag von 753,90 Euro gehe. Die Ermittlungen seien "der robenverkleidete Aufstand des angeblichen Volkszorns gegen den vermeintlichen Repräsentanten eines korruptiven Politikstils" gewesen, ein "Missbrauch der Justiz durch Justizorgane".
focus.de (Martina Fietz) referiert die Kritik von zwei Anwälten zum Beginn des Ermittlungsverfahrens gegen Wulff. Die Staatsanwaltschaft sei durch "rechtswidrige" Presse-Berichterstattung zur Einleitung des Verfahrens gedrängt worden. bild.de berichtet, wie der Angeklagte Wulff derzeit lebt.
Rechtspolitik
BKA-Herbsttagung: Die FAZ (Peter Carstens) berichtet von der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA). BKA-Chef Jörg Ziercke warnte eindringlich vor der Bedrohung durch Cyberkriminalität. Außerdem müsse die Polizei nach öffentlichen Fahndungsaufrufen die in Massen eingehenden Hinweisen schneller bearbeiten und entstehenden Lynchstimmungen durch "taktische Öffentlichkeitsarbeit" vorbeugen.
Informationelle Selbstbestimmung: Die FAZ dokumentiert den Vortrag, den Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio auf der BKA-Herbsttagung über die Bedrohung der Freiheit im Internet hielt. Er fordert die Bürger auf, intensiver darüber nachzudenken, wie man das Persönlichkeits- und das Selbstbestimmungsrecht im Netz wahren und stärken kann.
Unternehmensstrafrecht: Joachim Jahn (FAZ) kritisiert im Wirtschafts-Leitartikel den NRW-Vorschlag für ein Unternehmensstrafrecht, über den am Donnerstag die Justizministerkonferenz berät. Der Vorschlag sei "untauglich und unnötig". Das System des Strafrechts passe nur auf Menschen, nicht auf Institutionen. Wenn ein Unternehmen zur Strafe für Verfehlungen des Vorstandes aufgelöst werde, sei dies eine Mitbestrafung der unschuldigen Arbeitnehmer. Jahn schlägt stattdessen vor, die Geldbußen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zu erhöhen.
Justiz
BGH zu Delisting: Aktiengesellschaften müssen beim Rückzug von der Börse ihren Aktionären kein Barabfindungsangebot mehr machen, beschloss der Bundesgerichtshof laut lto.de. Die Karlsruher Richter änderten damit ihre Rechtsprechung, nachdem das Bundesverfassungsgericht letztes Jahr dafür den Weg ebnete.
BGH zur Unterlassung im Urheberrecht: Wenn nur fünf von 34 Fotos eines Werks unzulässig im Internet veröffentlicht wurden, kann sich ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch dennoch auf alle 34 Fotos richten. Auf diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs weist internet-law.de (Thomas Stadler) hin. Eine Wiederholungsgefahr gelte "für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen".
BAG zu Betriebsrenten für Ältere: Wer erst mit 50 Jahren bei einem Unternehmen eingestellt wird, kann von der Betriebsrente ausgeschlossen werden, meldet lto.de. Das Bundesarbeitsgericht sehe in einer derartigen Ausschlussklausel keine verbotene Altersdiskriminierung.
LG Frankfurt spricht RZ-Urteil: Das Landgericht Frankfurt verurteilte das ehemalige Mitglied der Revolutionären Zellen Sonja Suder wegen zweier Sprengstoffanschläge und einem Brandanschlag Ende der 70er-Jahre zu dreieinhalb Jahren Haft. Eine Beteiligung am Angriff auf die OPEC-Konferenz 1975 konnte nicht nachgewiesen werden, berichtet die taz (Pascal Beucker). Suder verließ den Gerichtssaal in Freiheit, weil sie in Untersuchungs- und Auslieferungshaft bereits mehr als zwei Drittel der Strafe verbüßt hat.
OLG München - NSU-Prozess: Am Dienstag sagte die Friseurin Silvia S. aus, die dem Mitangeklagten Holger G. 2005 für 300 Euro ihre AOK-Karte verkaufte, die später von Beate Zschäpe benutzt wurde. Die Zeugin habe provozierend viele Erinnerungslücken gehabt, berichten u.a. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und zeit.de (Tom Sundermann).
Bundesanwaltschaft - NSA-Spionage: Die SZ (Wolfgang Janisch) erläutert, dass die Überwachung von Angela Merkels Handy ebenso als geheimdienstliche Agententätigkeit strafbar sein könnte wie eine flächendeckende Ausforschung der deutschen Bevölkerung. Doch das sei "bloße Theorie", bisher habe die Bundesanwaltschaft nicht einmal ein Ermittlungsverfahren, sondern nur Prüfvorgänge eingeleitet. Und sobald die Bundesregierung signalisiere, dass Nachforschungen gegen deutsche Interessen verstoßen, würden die Bundesanwälte den Fall zu den Akten legen.
StA Bonn - versuchte Nötigung Steinbrücks: Die Bonner Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren wegen versuchter Nötigung gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Post eingestellt. Der Mann hatte den SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Wahlkampf per Brief zum Rückzug der Kandidatur gedrängt und mit Enthüllungen gedroht. Die Staatsanwaltschaft konnte dem Brief keine Drohung mit einem empfindlichen Übel entnehmen, berichtet spiegel.de.
Bearbeitungsgebühren von Banken: Der Anwalt Axel Pabst schildert in der FAZ, wie Banken die einhellige Rechtsprechung von acht Oberlandesgerichten zur Unzulässigkeit von Bearbeitungsgebühren bei Verbraucherkrediten missachten. Bankkunden müssten in jedem Einzelfall die Bank zur Rückzahlung der rechtswidrigen Gebühren verklagen. Eine Klagewelle rolle deshalb durch das Land.
Fachanwälte: lto.de (Johanna Strohm) gibt einen Überblick über die Tätigkeiten der rund 47.000 deutschen Fachanwälte. Frauen seien unterrepräsentiert, weil sie oft in Teilzeit arbeiteten und deshalb die Anforderungen nicht erfüllen könnten.
Recht in der Welt
EGMR - Nacktaufnahmen in Schweden: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Schweden zur Zahlung von 10.000 Euro Entschädigung an eine heute 26-jährige Frau verurteilt, berichtet die FAZ (Helene Bubrowski). Die Beschwerdeführerin war als 14-Jährige von ihrem Stiefvater heimlich nackt gefilmt worden. Der Mann konnte damals nicht bestraft werden, weil es keine Strafvorschrift für heimliche Aufnahmen gab. Damit habe Schweden gegen seine Pflicht verstoßen, effektive Rechtsmittel zur Ahndung solcher Persönlichkeitsrechtsverletzungen bereit zu stellen.
EGMR - kurdische Dörfer: Die Türkei muss 41 kurdischen Klägern eine Gesamtsumme von 2,3 Millionen Euro Entschädigung zahlen. Das entschied laut spiegel.de der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Sie hatten 1994 bei einem Einsatz der türkischen Luftwaffe Angehörige verloren. Die Türkei versuchte, die Todesopfer der kurdischen Rebellenorganisation PKK in die Schuhe zu schieben und wurde nun wegen mangelnder Aufklärung des Vorfalles verurteilt.
Türkei - Folter: Das oberste Berufungsgericht der Türkei hat lebenslange Haftstrafen gegen zwei Justizvollzugsbeamte und ihren Vorgesetzen bestätigt, berichtet die FAZ (Michael Martens). Die drei Männer hatten 2008 in einem Istanbuler Gefängnis den Häftling Engin Ceber misshandelt und getötet. Das Urteil gelte als Meilenstein zu mehr Rechtsstaatlichkeit in der Türkei.
Sonstiges
Evangelisches Arbeitsrecht: Mit einem neuen Kirchengesetz will die Evangelische Kirche Deutschlands ihr kollektives Arbeitsrecht neu regeln. Gewerkschaften müssten mehr als bisher in die Verhandlungen einbezogen werden, auch "kirchengemäße" Tarifverträge sollen künftig möglich sein. Ein Streikrecht gibt es aber immer noch nicht. Auf lto.de schildert Rechtsprofessor Gerhard Robbers die Neuregelung, die weiter gehe als vom Bundesarbeitsgericht im letzten Winter gefordert.
Brandgutachten Ouri Jalloh: Im Fall des Afrikaners Ouri Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, haben Freunde ein aus Spenden finanziertes neues Brandgutachten vorgelegt, berichtet die taz (Christian Jacob). Das Gutachten schließt aus, dass sich Jalloh, wie bisher angenommen, selbst angezündet hat. Bisherige Prozesse gegen Dessauer Polizisten endeten mit Freispruch oder Geldstrafen wegen fahrlässiger Tötung.
Das Letzte zum Schluss
Anklage gegen Pianistin: In einem Prozess vor dem Landgericht Girona in Nordspanien verlangte die Staatsanwaltschaft eine siebeneinhalbjährige Freiheitsstrafe gegen eine Pianistin, meldet spiegel.de. Die damalige Musikstudentin soll ihre Nachbarin durch regelmäßiges Klavierspiel schwer belästigt haben.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. November 2013: Wulff-Prozess beginnt – Neues evangelisches Arbeitsrecht – Schutz gegen Nacktaufnahmen . In: Legal Tribune Online, 13.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10023/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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