Vor 100 Tagen enthüllte Edward Snowden die Überwachungsaktivitäten der NSA. Demnächst könnte sich die UNO mit dem Thema beschäftigen. Außerdem in der Presseschau: das Europäische Parlament zu Bankenaufsicht und Visumsfreiheit, das BVerwG am Entscheidungs-Fließband, Polizei im Stadion und Rechte an "YMCA".
Thema des Tages
Datenüberwachung I: Nach Informationen der FR (Steven Geyer) hat die Bundestagsfraktion der Grünen beim UN-Menschenrechtsausschuss Beschwerde wegen der Spionageaktivitäten der NSA eingelegt. Diese stellten einen "fundamentalen Angriff auf die Demokratie in Deutschland" dar und könnten zu einer "Einschüchterung der demokratischen Debatte und Kultur" führen. Zudem verletzten die USA durch diesen Eingriff in die freie und private Kommunikation der Bürger gegen die Artikel 17 und 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Erreicht werden solle, dass sich US-Behörden vor dem Gremium über den genauen Umfang der Maßnahmen erklärten.
Datenüberwachung II: Vor 100 Tagen machte Edward Snowden die Überwachungsaktivitäten des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA bekannt. Aus diesem Anlass ruft Heribert Prantl (SZ) in einem längeren Artikel das Zeitalter der "digitalen Inquisition" aus. In diesem seien Grundrechte nur noch "Bauklötzchen der alten Welt" und die westliche Welt damit beschäftigt, ihre "Rechtsstaaten in Präventions- und Sicherheitsstaaten umzubauen." Angesichts der Machtlosigkeit nationaler Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts gegenüber globaler Observation bedürfe es einer digitalen Bürgerrechtsbewegung, die sich gegen das neue Überwachungszeitalter zur Wehr setzt. Dass hierfür notwendige Maß an Empörung sei allerdings noch nicht erreicht, konstatiert Prantl.
Weitere Beiträge der SZ zeichnen den Weg Snowdens in sein russisches Asyl nach (John Goetz) und beschäftigen sich mit unterschiedlichen Reaktionen auf die Enthüllungen des Whistleblowers in China (Kai Strittmatter), Israel (Peter Münch), Brasilien (Peter Burghardt) - und Deutschland (Oliver Hollenstein). Ein junger Mann aus Griesheim bei Darmstadt lade seit Bekanntwerden der Enthüllungen zu wöchentlichen "Spaziergängen" zum örtlichen sogenannten Dagger-Komplex, der von US-Geheimdiensten betrieben wird, ein.
Rechtspolitik
Telekommunikation: Neelie Kroes, die EU-Kommissarin für Digitale Agenda, hat einen Verordnungsentwurf zur Entwicklung des Telekommunikationsmarktes in Europa vorgestellt, in dessen Mittelpunkt nach dem Bericht der FAZ (Hendrick Kafsack/Henrike Roßbach) die Stärkung von Verbraucherrechten durch eine Abschaffung der sogenannten Roaming-Gebühren für die Nutzung von Mobiltelefonen im Ausland steht. Außerdem seien eine Vereinheitlichung der Regulierung der Telekombranche und bessere Koordination bei der Vergabe von Mobilfunklizenzen vorgesehen.
In seinem Kommentar bedauert Markus Beckedahl (netzpolitik.org), dass noch nicht absehbar sei, ob ein versprochenes Verbot von "Blocken und Drosseln" in dem Entwurf enthalten sei. Telekommunikationsunternehmen hätten durch diese Praxis, aber auch durch die Erhebung von Durchleitungsgebühren für bestimmte Dienste deren Priorisierung oder Diskriminierung in der Hand und gefährdeten damit grundrechtswidrig die Netzneutralität.
Bankenaufsicht: Das Europäische Parlament hat am gestrigen Donnerstag beschlossen, dass ab Herbst 2014 Großbanken unter der Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen. Nach Darstellung der SZ (Cerstin Gammelin/Markus Zydra) seien rund 130 systemrelevante Banken der Euro-Zone betroffen, die zusammen 85 Prozent der Bilanzsumme aller Geldinstitute ausmachten. Die Schaffung eines europäischen Abwicklungsmechanismus für Banken hingegen sei rechtlich wie politisch weiterhin umstritten.
Aussetzung der Visumsfreiheit: In einem weiteren Beschluss hat das Europäische Parlament eine Verordnung verabschiedet, nach der die EU-weite Visumsfreiheit für solche Länder ausgesetzt werden kann, deren Bürger zu viele offenkundig unbegründete Asylanträge stellen. Wie die FAZ (Nikolas Busse) schreibt, solle die Maßnahme Asylmissbrauch vor allem aus jugoslawischen Nachfolgestaaten eindämmen.
Justiz
EuGH – Leerverkäufe: Die Klage Großbritanniens vor dem Europäischen Gerichtshof gegen eine europäische Verordnung, nach der die Behörde für Börsenaufsicht (ESMA) zum Verbot sogenannter Leerverkäufe ermächtigt wird, steht nach Darstellung der FAZ (Joachim Jahn) vor einem Erfolg. Der zuständige Generalanwalt hätte dargelegt, dass die von Rat und Parlament für die Verordnung herangezogene Rechtsgrundlage überdehnt worden sei, weil die ESMA zu letztverbindlichen Entscheidungen ohne Einspruchsrecht nationaler Aufsichtsbehörden ermächtigt worden sei. Dem Votum des Generalanwalts folge das Gericht üblicherweise.
BVerwG zur Erstattung von Kinderbetreuungskosten: Eltern können die Kosten einer selbst organisierten Kinderbetreuung von der zuständigen Kommune zurückfordern, wenn die Kommune zuvor auf einen zeitlich drängenden Bedarf hingewiesen wurde. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht in entsprechender Anwendung einer Vorschrift aus dem SGB VIII nach Bericht der taz (Christian Rath) im Fall einer Mutter aus Rheinland-Pfalz, wo seit 2008 ein landesrechtlicher Anspruch auf einen Kita-Platz besteht. Die nun entwickelten Grundsätze seien wegen des seit August bundesweit geltenden Anspruches auf einen Kita-Platz übertragbar. Auch die FAZ (Friedrich Schmidt/Corinna Budras) berichtet.
BVerwG zu Rückfallvermögen: Das Land Berlin hat nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Anspruch auf Übertragung sogenannten Rückfallvermögens gegen den Bund. Dies betrifft Liegenschaften, die vor 1945 vom damaligen Staat Preußen dem Deutschen Reich übertragen wurden und während der Teilung der Stadt wegen alliierter Vorbehaltsrechte nicht rückübertragen werden konnten, schreibt die FAZ (Mechthild Küpper). Eine ab dem 3. Oktober 1990 laufende einjährige Frist zur Anmeldung der Ansprüche sei von den damaligen rot-grünen und schwarz-roten Senaten des Stadtstaates versäumt worden.
BVerwG zu Burkinis: Das "Burkini"-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mittwoch wird nun auch von lto.de ausführlich dargestellt. Das Leipziger Gericht entschied, dass eine muslimische Schülerin keinen Anspruch auf Befreiung vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht hätte, wenn sie an diesem in einem den ganzen Körper verhüllenden Badeanzug, dem sogenannten Burkini, teilnehmen könne.
Die SZ behandelt das Urteil als ganzseitiges Thema des Tages. Ein Beitrag (Johan Schloemann) befasst sich mit dem Sinn des Grundrechts der Religionsfreiheit und dessen Verhältnis zu einem pluralistischen Gemeinwesen. Ein weiterer Artikel (Stefan Ulrich) erklärt Hintergründe und Auswirkungen des 2010 in Frankreich beschlossenen Burka-Verbots. Ein dritter Beitrag (Oliver Hollenstein) schließlich berichtet über die durchaus geteilten Reaktionen muslimischer Gemeinden und Verbände auf das Urteil. Tanjev Schultz (SZ) kommentiert das Urteil als "richtig", da es die Religionsfreiheit "auf ihr richtiges Maß" bringe. Ein Gericht könne jedoch nur den rechtlichen Rahmen eines toleranten Miteinanders klären, die "Idee der Toleranz" beinhalte darüber hinaus auch das Gewährenlassen von Andersartigkeit und Unterschieden. Dementsprechend müsse Schülern auch der Anblick einer Kopftuch tragenden Lehrerin zumutbar sein.
BVerwG zu "Krabat"-Film: Eine weitere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur teilweisen Befreiung vom Schulunterricht aus religiösen Gründen kritisiert Rechtsanwalt Thomas Langer auf lto.de. Die letztinstanzliche Ablehnung eines Antrags auf Nicht-Teilnahme an einer Vorführung der Literaturverfilmung "Krabat" hält Langer für "im Ergebnis wenig überzeugend und in der Begründung nicht tragfähig." Denn der mit der Sache befasste Senat hätte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Gunsten einer "weit gefassten Interpretation der Schulpflicht" den gebotenen Ausgleich der widerstreitenden Verfassungsrechtspositionen im Sinne praktischer Konkordanz unterlassen.
BGH zu Dokumentationspflichten bei Deal: Rechtsanwalt Detlef Burhoff (strafrecht.jurion.de) berichtet über ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juli, mit der das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verständigung im Strafverfahren vom März umgesetzt hat. Nach dem jetzigen Richterspruch hält ein bloßer protokollarischer Hinweis auf das Stattfinden einer Verständigung einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
BayVGH zu Kampfhundesteuern: Gemeinden dürfen mit erhöhten Steuern die Haltung gefährlicher Hunderassen zurückdrängen, die Steuer dürfe jedoch nicht darauf angelegt sein, durch ihre "erdrosselnde Wirkung" die Haltung derartiger Hunde praktisch unmöglich zu machen. Dies entschied nach Meldung der SZ (Wolfgang Janisch) der bayerische Verwaltungsgerichtshof auf Klage eines Ehepaars, dass für die von ihm gehaltene Rottweilerhündin 2.000 Euro bezahlen sollte, wohingegen die Haltung gewöhnlicher Hunde örtlich mit 75 Euro pro Jahr besteuert worden sei.
ArbG Eberswalde zu sittenwidrigen Löhnen: Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Eberswalde sind Stundenlöhne unter drei Euro für Pizzaboten sittenwidrig. Das beklagte Unternehmen müsse daher rund 11.000 Euro Aufstockungsleistungen für geringfügig Beschäftigte an das klagende Jobcenter zurückzahlen, schreibt die Welt (Stefan von Borstel) und berichtet über weitere krasse Fälle von Lohndumping speziell in Ostdeutschland.
Recht in der Welt
Norwegen – Breivik: Nach einer Meldung der taz darf der als Massenmörder verurteilte Anders Behring Breivik in seiner Haftanstalt bei Oslo ab sofort in Eigenregie Staatswissenschaft studieren. In Ausübung seines Rechts auf Studium oder Arbeit werde Breivik ein Raum und entsprechende Literatur zur Verfügung gestellt.
Niederlande – Kolonialverbrechen: Nach Meldung der Welt hat sich die niederländische Regierung durch ihren Botschafter für von Kolonialtruppen während des indonesischen Unabhängigkeitskrieges von 1945 bis 1949 verübten Verbrechen entschuldigt. Bereits zuvor sei angekündigt worden, an Witwen von Getöteten 20.000 Euro zu zahlen.
Australien – Milliardenerbe: In Perth/Australien hat ein zwölf Jahre währender Rechtsstreit über eines der größten Eisenerzvorkommen der Welt sein Ende gefunden. Wie die FAZ (Christoph Hein) schreibt, muss Gina Rinehart, die "reichste Frau des Asien-Pazifik-Raumes" die Hälfte des Vorkommens an die Erben des Geschäftspartners ihres verstorbenen Vaters übertragen. Über den Streitwert sei unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden.
Indien – Vergewaltigung: Sascha Zastiral (taz) kommentiert anlässlich der für den heutigen Freitag angesetzten Strafmaß-Verkündung im indischen Prozess gegen die Vergewaltiger von Delhi, dass auch ein Todesurteil nichts an der "endlosen Gewalt gegen Frauen" im Land ändern werde, solange der Justiz- und Sicherheitsapparat im Land nicht "massiv reformiert" werde.
Sonstiges
Polizei auf Schalke: Nach teils heftiger Kritik an einem harten Polizeieinsatz während eines Champions-League-Spiels zwischen Schalke 04 und einem griechischen Verein im vergangenen Monat hat der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) angekündigt, die Polizei aus dem Stadion des Vereins zurückziehen zu wollen. Außerhalb würden jedoch nach Darstellung Jägers im nordrhein-westfälischen Innenausschuss genügend Kräfte bereitstehen, um in Notsituationen einzugreifen, schreibt die Welt (Lars Wallrodt) in ihrem Sport-Teil unter Bezugnahme auf einen Bericht des WDR.
Ossietzky-Skandal: Das Feuilleton der FAZ (Regina Mönch) erinnert anlässlich einer Podiumsdiskussion an den Ossietzky-Skandal in der DDR. 1988 hatten Schüler der Ossietzky-Oberschule in Berlin-Pankow in einer Wandzeitung vorgeschlagen, die Friedfertigkeit des Landes durch einen Verzicht auf die üblichen Militärparaden zum Nationalfeiertag des Landes zu beweisen. Daraufhin wurden die heute teils prominenten Verantwortlichen aufgrund persönlicher Intervention der damaligen Ministerin für Volksbildung, Margot Honecker, unter Bruch "eines halben Dutzend geltender DDR-Gesetze, Verfassung inklusive" von der Schule relegiert und so zu einem der "Symbole des Aufbruchs" in der bald untergehenden DDR.
Das Letzte zum Schluss
YMCA im Angebot: Der Song "YMCA" der Gruppe Village People gilt als verlässliches Mittel, um eingeschlafene Partys wieder aufzumuntern. Die Verwendung kann ab sofort jedoch teuer werden. Wie die SZ (SCRO) in ihrem Wirtschafts-Teil schreibt, hat Victor Willis, der "Polizist" der Gruppe, einen sechsjährigen Rechtsstreit über die Rechte an diesem und anderen Hits der Band gewonnen. Willis wisse noch nicht, was er mit seinem wiedererlangten geistigen Eigentum anstelle, er denke aber "darüber nach", den übrigen, weiterhin um die Welt tourenden Mitgliedern der Band die Verwendung zu verbieten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. September 2013: 100 Tage Überwachungsskandal – Kita-Platz – Stadion ohne Polizei . In: Legal Tribune Online, 13.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9550/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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