Entschädigung für Menschenrechtsverletzungen: Der EGMR verurteilt die Türkei. Außerdem in der Presseschau: Wiederaufnahmeverfahren im Fall Peggy vor Abschluss, Neustart im Middelhoff-Verfahren, Fußfessel ohne Strom, Anklage gegen Roger Kusch, die Atomindustrie und das Recht, Folterbericht von Amnesty International und ein Gangster-Rapper auf der Flucht.
Thema des Tages
Entschädigung: Wegen Menschenrechtsverletzungen zu Lasten griechischer Zyprer im Norden der Insel muss die Türkei nach einer Entscheidung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 90 Millionen Euro Entschädigung zahlen. Dies melden spiegel.de und faz.net (Reinhard Müller).Bereits 2001 habe das Gericht zahlreiche Verstöße der Türkei gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) während der Besetzung Nordzyperns festgestellt, eine Entschädigung aber offengelassen. Nun müsse die türkische Regierung mit 30 Millionen Euro etwa 1.500 Hinterbliebene von Opfern entschädigen, die restliche Summe solle der Entschädigung griechisch-zypriotischer Bürger dienen, die im Nordteil Diskriminierungen ausgesetzt seien.
Dass die Urteilsgründe der Entscheidung selbst vom "wichtigsten Beitrag zum Frieden in Europa und in der Geschichte des Gerichts" und dem Beginn einer "neuen Ära in der Durchsetzung der Menschenrechte" sprechen, stellt Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) an den Beginn seines Berichts, der zunächst die juristischen Hintergründe erläutert, um im Anschluss die Neuerungen festzuhalten. Bemerkenswert sei vor allem, dass nun eine Entschädigung nach Artikel 41 EMRK auch bei Staatenbeschwerden möglich sei. Voraussetzung hierfür wäre, dass der klagende Staat nicht nur allgemein die Rechtsordnung verteidigen wolle, sondern - wie nun geschehen - seinen Bürgern oder anderen Opfern Gerechtigkeit für erlittene Menschenrechtsverletzungen zu verschaffen beabsichtige. Die nun ausgeurteilte Entschädigung entspreche dabei "einem Strafschadensersatz für hartnäckige Menschenrechtsverletzer." Die Verteilung der Geldes sei demgegenüber unklar, das Gericht habe von der Republik Zypern lediglich einen "effective mechanism" gefordert, der den Berechtigten innerhalb von 18 Monaten Beträge zukommen lassen muss. Im Ergebnis sei festzuhalten, dass sich der Gerichtshof nicht mehr damit zufrieden gebe, Menschenrechtsverstöße bloß festzustellen und die Herstellung rechtmäßiger Zustände dem Ministerrat zu überlassen.
Rechtspolitik
Ausländerrecht: Die FAZ (Uta Rasche) berichtet über Einzelheiten des vom Bundesinnenministerium vorgelegten Gesetzentwurfs zur "Modernisierung" des Ausländerrechts. So sollen nach dem Entwurf Asylbewerber ohne eigenen Lebensunterhalt und Verfolgung im Heimatland schneller abgeschoben werden können. Geduldete Ausländer, die wirtschaftlich integriert sind, sollten dagegen künftig leichter einen sicheren Aufenthaltsstatus erlangen können. Reinhard Müller (FAZ) meint, es sei "im Sinne aller", dass "Kriminelle und solche, die Behörden in die Irre führen, künftig schneller abgeschoben werden sollen".
Vorratsdatenspeicherung: In einem Kommentar bemängelt Jasper von Altenbockum (FAZ), dass nach der NSA-Affäre alles, "was die Kombination von Polizei und Daten hergibt" als "Überwachung" verdächtigt werde. Bei der mit lediglich leicht erhöhten polizeilichen Aufklärungsquoten begründeten Kritik an der Vorratsdatenspeicherung werde dagegen vergessen, dass im für die Speicherung relevanten Bereich der Schwerkriminalität auch leichte Schwankungen dieser Quote "über das große Ganze der inneren Sicherheit sehr viel aussagen können."
Europaparlament: Die FAZ (Hendrick Kafsack/Werner Mussler) beschreibt die seit dem Vertrag von Lissabon erweiterten Kompetenzen des Europaparlaments. Norbert Häring (Handelsblatt) fragt dagegen aus Anlass eines Wahlappells des Direktors der EU-Grundrechtsagentur in einer Kolumne, ob es stimme, dass das Europaparlament Grundrechte schützt. Die Frage wird verneint. Im Umgang mit datenschutzrechtlich bedenklichen Praktiken der USA in Europa habe sich bewiesen, dass "Prüfen, Zuhören und Empfehlen" der europäischen Parlamentarier in keinem Fall "eine Bedeutung" habe.
Mindestlohn: Das Handelsblatt (Melanie Rübartsch) lässt Arbeitsrechtler mit Kritik am geplanten Mindestlohngesetz zu Wort kommen. Speziell die Haftung von Unternehmen dafür, dass ihre Subunternehmer gesetzeskonform entlohnen, lasse eine Klagewelle befürchten.
Justiz
OLG Frankfurt zu Verschwiegenheitspflicht: Markus Stoffels (beck.blog.de) verweist auf eine Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt zu einem Urteil aus dem Bereich der "Whistleblower-Problematik". Ein beklagter Personalberater haftet nach dieser Entscheidung für die dem klagenden Unternehmen entstandenen Entschädigungs-Kosten nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Der Beklagte habe einer Stellenbewerberin mitgeteilt, dass die Klägerin keine Frau einstellen wolle und ihr zu einem letztlich erfolgreichen arbeitsgerichtlichen Verfahren geraten. Den Entschädigungsbetrag muss der Berater nach der jetzigen Entscheidung wegen Verstoßes gegen Verschwiegenheits- und Treuepflichten zu einem Drittel zurückerstatten. Die Klägerin müsse sich ein überwiegendes Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie die wesentliche Schadensursache, den AGG-Verstoß, selbst gesetzt habe.
LG Bayreuth – Fall Peggy: Über das Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Bayreuth im Fall der 2001 verschwundenen Peggy schreibt die SZ (Hans Holzhaider) im Rahmen einer Seite Drei-Reportage. Hierzu werden ausführlich die fraglichen Vernehmungen des angeklagten Ulvi K. sowie die Gründe der letztlich erfolgten Wiederaufnahme beschrieben und prognostiziert, dass am kommenden Mittwoch wegen fehlender Beweise und einem "nicht hieb- und stichfesten" Geständnis ein Freispruch ergehen wird. Nach dem Bericht von bild.de (Jörg Völkerling) wird der Angeklagte allerdings auch in diesem Fall bis auf weiteres in der geschlossenen Psychiatrie verbleiben.
LG Essen – Thomas Middelhoff: Im Verfahren gegen den vor dem Landgericht Essen wegen Untreue angeklagten Manager Thomas Middelhoff musste der Prozessbeginn aus der vergangenen Woche wiederholt werden. Wie die FAZ (Brigitte Koch, Zusammenfassung) schreibt, habe das Gericht es versäumt, einen Beschluss zur möglichen Befangenheit einer Schöffin herbeizuführen. Nachdem dies nachgeholt wurde, wurde die Anklage erneut verlesen, auch der Angeklagte wiederholte seine Erklärung "im Eiltempo".
AG Moabit – Fußfessel: Wegen zahlreichen Verstößen gegen seine Führungsaufsicht wurde ein Berliner zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Weil er die Batterien einer ihm nach Verbüßung einer anderen Haftstrafe angelegten Fußfessel nur unregelmäßig auflud, sei das Gerät zum Teil tagelang ausgefallen, schreibt die taz-Berlin (Plutonia Plarre).
StA Hamburg – Roger Kusch: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen den ehemaligen Justizsenator der Hansestadt Anklage wegen Totschlags erhoben. Wie die taz-Nord (Friederike Gräff) schreibt, soll Kusch nach Ansicht der Anklagebehörde gemeinsam mit einem Nervenarzt im November 2012 zwei ältere Frauen in mittelbarer Täterschaft getötet haben. Die Opfer seien Mitglieder des von Kusch gegründeten Vereins "Sterbehilfe Deutschland" gewesen, vor ihrem Ableben jedoch nicht die vom Verein selbst gebilligten Kriterien einer begleiteten Selbsttötung erfüllt haben. Den Angeschuldigten sei es zuvörderst darum gegangen, einen Präzedenzfall zu schaffen.
Privatsphäre und Arbeit: Eine Rechtsprechungssammlung zum Thema Privatsphäre bei der Arbeit veröffentlicht spiegel.de (Elke Spanner). So hielt es zum Beispiel das Landesarbeitsgericht Köln für rechtens, dass eine Flughafen-Sicherheitsfirma ihren Mitarbeitern die Farbe ihrer Unterwäsche vorschrieb. Bunte Muster könnten unter der Dienstkleidung hervorschimmern.
Atom-Klagen: Aus Anlass von Überlegungen deutscher Stromkonzerne, den Betrieb und die Entsorgung noch bestehender Atomkraftwerke einer öffentlich-rechtlichen Stiftung zu überantworten, erklärt die SZ (Heribert Prantl) den "Hintergrund der juristischen Ansprüchlichkeit der Atomindustrie". Diese sei in den späten 1950er Jahren durch den Staat zum Atom-Einstieg gedrängt worden und sehe sich seitdem wegen umfangreicher öffentlicher Förderung als Anspruchsinhaberin. So würde die 2010 beschlossene und später widerrufene Laufzeitverlängerung von der Branche als Enteignung gewertet und zur Grundlage einer durchaus erfolgversprechenden Verfassungsbeschwerde mehrerer Konzerne gemacht.
Daniel Wetzel (Welt) hält die Konzernpläne angesichts der weitreichenden politischen Ablehnung für gescheitert, erinnert aber an die Verantwortung des Staates. Dieser habe laut Atomgesetz die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu besorgen und habe diese, etwa am Standort Gorleben auch nach Jahrzehnten nicht durchgesetzt. Angesichts dieses Versagens sei es "zu einfach" die Energiekonzerne "stur" zur Pflichterfüllung anzuhalten.
BRAK zu NSA-Überwachung: Zu einer Debatte der Konsequenzen aus dem NSA-Überwachungs-Skandal für die anwaltliche Verschwiegenheit tagte am vergangenen Freitag die Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin. Lto.de (Constantin van Lijnden) fasst die Redebeiträge auch "abseits allgemeinpolitischer Appelle" zusammen und konstatiert "Resignation" bei der Frage einer Sicherung digitaler Kommunikation. Tatsächlich existierten funktionierende Verschlüsselungstechniken würden, worauf ein Redner hinwies, auch von Mandanten häufig als zu mühselig empfunden.
Recht in der Welt
Griechenland – Goldene Morgenröte: Die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte darf nach einer Entscheidung des obersten Gerichts in Athen zur Europawahl antreten. Ein Ausschluss von Kandidaten sei nur bei rechtskräftigen Verurteilungen möglich, die Ermittlungen gegen Parteifunktionäre wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung liefen jedoch noch, schreibt die taz (Jannis Papadimitrou).
VAR – Jörg Albrecht: In ihren Feuilletons bringen die SZ (Christopher Schmidt) und FAZ (Hubert Spiegel) Interviews mit dem Schriftsteller Jörg Albrecht, der vor zwei Wochen in Abu Dhabi/Vereinigte Arabische Emirate festgenommen wurde und noch immer im Land festsitzt. Als Gast einer Buchmesse war Albrecht mutmaßlich wegen Spionage festgenommen worden, nachdem er in einem Botschaftsviertel fotografiert hatte.
USA – Richterin Sotomayor: Die SZ (Verena Mayer) stellt in ihrem Panorama Sonia Sotomayor, Richterin am Supreme Court der USA vor. Die erste Latina und überhaupt erst dritte Frau in vergleichbarer Position bewarb in Berlin die deutschsprachige Ausgabe ihrer Autobiografie.
Sonstiges
Folter: Welt (Dietrich Alexander) und taz (Bernd Pickert) schreiben über einen jetzt vorgestellten Bericht von Amnesty International zum weltweiten Einsatz von Folter. 30 Jahre nach Verabschiedung der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen würde in gut der Hälfte der Unterzeichnerstaaten auch weiterhin gefoltert, dabei sei das Verbot auch für Staaten außerhalb der Konvention "längst geltendes Völkergewohnheitsrecht", so die taz.
Uli Hoeneß: Vor dem Hintergrund des bekannt gewordenen Antrags von Uli Hoeneß, seine Haft nicht in der JVA Landsberg antreten zu müssen, stellt die SZ (Annette Ramelsberger) dessen mutmaßliche Rechtsgrundlage, den "Bayerischen Vollstreckungsplan" vor. Abweichungen von diesem ließen sich in der Regel nur mit dem Argument begründen, dass die Resozialisierung des Häftlings gefährdet sei.
Kriminalfall: In der Rubrik "Politisches Buch" bespricht die SZ (Hans Holzhaider) "Der Fall Scholl" von Anja Reich. Das "zeitgeschichtliche Tableau, gleichzeitig eine Art Schelmenroman" stellt die Lebensgeschichte des SPD-Politikers Heinrich Scholl vor, der als umtriebiger Bürgermeister der Kleinstadt Ludwigsfelde bei Berlin überregionale Bekanntheit erlangte und im vergangenen Jahr wegen Mordes seiner Ehefrau zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.
Wahlkampf: Für lto.de erklärt Lorenz Leitmeier, Richter am Amtsgericht, die strafrechtliche Relevanz von Farbangriffen auf Wahlkampfplakate. Auch wenn diese mit geschmacklosen Parolen werben, seien eigenmächtige Eingriffe regelmäßig als Sachbeschädigung zu werten.
Das Letzte zum Schluss
Gangster-Rapper: Große weite und vor allen Dingen gefährliche Welt in Hannover. Das dortige Amtsgericht verurteilte einen Rap-Musiker mit dem Künstlernamen Maboss unter anderem zu neun Monaten Haft auf Bewährung wegen einer spektakulären Flucht in einem Polizeiauto. Dem wegen einer anderen Strafsache untergetauchten Rapper war es im vergangenen Jahr gelungen, sich auf der Rückbank eines zivilen Einsatzwagens von seinen Handfesseln zu befreien und mit dem abgestellten Gefährt, in dem die Polizisten den Zündschlüssel stecken gelassen hatten, zu flüchten. Die taz-Nord (Kornelius Friz) berichtet, dass der Musiker bereits ein Video über seine Flucht gedreht hat.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Mai 2014: Zypern entschädigt – Fall Peggy vor dem Urteil – 30 Jahre Anti-Folter-Konvention . In: Legal Tribune Online, 13.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11951/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag