Selten hat eine bloße Stellungnahme der EU-Kommission soviel Wirbel verursacht, wie ihre Aussagen zu Hartz IV für EU-Bürger. Außerdem in der Presseschau: Ex-Verfassungsrichter Kirchhof fordert bei der Euro-Rettung eine Rückkehr zum Recht, Beiträge zum Tode von Winfried Hassemer, Folter-Vorwürfe gegen Großbritannien, und warum eine "unfachmännisch" reparierte Windschutzscheibe dann doch keine Probleme verursachte.
Thema des Tages
EuGH - Hartz IV für EU-Bürger: Am Freitag hatte die SZ eine Stellungnahme der EU-Kommission in einem Verfahren des Europäischen Gerichtshofs veröffentlicht, in der sie die restriktive deutsche Rechtslage bei der Gewährung von Hartz IV für EU-Bürger als Verstoß gegen EU-Recht kritisierte. Die CSU nahm dies zum Anlass, die Kommission massiv anzugreifen. Die Montags-SZ (Roland Preuß) und spiegel.de dokumentieren die Debatte. Die Samstags-Welt (Thorsten Jungholt/Thomas Vitzthum) stellt den Ausgangsfall des Sozialgerichts Leipzig dar. Die Samstags-Badische Zeitung (Christian Rath) nimmt auch das ähnliche Vorlageverfahren des Bundessozialgerichts in den Blick.
Der Spiegel (Melanie Amann und andere) schildert die Rechtslage und die ökonomischen Rahmenbedingungen. Im Interview mit zeit.de (Kersten Augustin) prognostiziert Rechtsprofessor Daniel Thym: "Der EuGH wird wieder einmal eine Kompromisslösung finden: Nicht alle EU-Bürger bekommen die Leistungen ausgezahlt, sondern nur die, die sich bis zu einem gewissen Grad integriert haben."
Corinna Budras (Samstags-FAZ) kritisiert in einem Leitartikel deutsche Sozialrichter, die EU-Bürgern entgegen der klaren deutschen Gesetzeslage doch Hartz IV gewähren. Mira Gajevic (Samstags-FR) kritisiert falsche Darstellungen des Konflikts: "Wie schon die Landessozialgerichte zuvor hat auch Brüssel nur gesagt, dass die pauschale Ablehnung von Sozialleistungen für arbeitssuchende EU-Ausländer rechtswidrig sei."
Rechtspolitik
EZB, Euro und Eigentum: Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof kritisiert in einem langen assoziativen Gastbeitrag in der Montags-FAZ die Europäische Zentralbank und ihre Politik des billigen Geldes, die zu minimalen Zinsen für Sparguthaben führt, als Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum. Dieser Eingriff sei nicht durch die beabsichtigte Stützung von Staaten und Banken gerechtfertigt, weil dies nicht zum Mandat der Europäischen Zentralbank (Geldwertstabilität) gehöre. Kirchhof fordert: "Zunächst muss die Europäische Rechtsgemeinschaft zum Recht zurückkehren". Gemeint sind die Einhaltung der nationalen Schuldengrenzen und des Bail-Out-Verbots. Die Finanzmärkte mit ihren riskanten Praktiken, behinderten jedoch das Denken in Maßstäben des Rechts, weshalb der dortige Wettbewerb "zu beenden" sei.
EEG: Die Samstags-FAZ (jpen.) berichtet über die Bitburger Gespräche, die sich mit der Energiewende, insbesondere dem Beihilfe-Verfahren der EU-Kommission gegen das deutsche Erneuerbare Energien-Gesetz beschäftigten. Dort überwog die Einschätzung, dass die Untersuchung der Kommission "für die Industrie wohl keine dramatischen Folgen haben" werde.
Suizidhilfe: Die Samstags-Welt (Matthias Kamann) beschreibt ausführlich, die Debatte und Vorgeschichte der CDU-Forderung um die Pönalisierung der geschäftsmäßigen Suizidhilfe. Die Fraktion habe mit dem Abgeordneten Michael Brand jetzt einen Koordinator für ein Strafgesetz benannt. Heribert Prantl (Montags-SZ) begrüßt, dass die Frage im Bundestag ohne Fraktionszwang entschieden werden soll. Inhaltlich unterstützt er die CDU-Position: "Es darf nicht sein, dass aus der Sterbehilfe ein Geschäftsmodell wird."
Justiz
BVerfG - Hassemer gestorben: Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer ist im Alter von 73 Jahren gestorben. Nachrufe bringen unter anderem die Samstags-SZ (Heribert Prantl), die Samstags-FAZ (Reinhard Müller), die Samstags-FR (Ursula Knapp), taz.de (Christian Rath) und zeit.de (Robert Leicht).
BVerfG - von Beust gegen Blüm: Vor einer Woche hatte Norbert Blüm das Bundesverfassungsgericht wegen seiner Rechtsprechung zur eingetragenen Partnerschaft kritisiert, weil es die Ehe relativiere. Jetzt antwortet der ehemalige Regierende Bürgermeister von Hamburg Ole von Beust in einem Gastbeitrag für die FAS: "Blüm bemüht sich, die juristischen Begründungen des Gerichts mit persönlichen Empfindungen zu widerlegen. Dieser Versuch konnte nicht gelingen."
VerfG Rheinland-Pfalz - Steuer-CDs: Der Verfassungsgerichtshof von Rheinland-Pfalz verhandelte am Freitag über die Verfassungsbeschwerde eines Unternehmers, dessen Wohnung durchsucht wurde, nach dem das Land eine CD mit den Namen mutmaßlicher Steuerhinterzieher gekauft hatte. Über die Verhandlung berichtet lto.de (Claudia Kornmeier). Im Kern gehe es um das Recht auf ein faires Verfahren. Das Gericht habe betont, dass es nicht an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verwertung illegal kopierter Steuerdaten gebunden sei.
OLG Hamm zum Telefonieren am Steuer: Wer am Kfz-Steuer mehrfach beim Telefonieren erwischt wird, muss mit einem Fahrverbot rechnen, auch wenn der einzelne Verstoß wenig schwer wiegt. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm laut Montags-FAZ (Reiner Burger) und lto.de. Hier zeige sich mangelnde Rechtstreue.
BGH zu Untervermietungen an Touristen: Vorige Woche entschied der Bundesgerichtshof, dass Mieter eine ausdrückliche Erlaubnis des Vermieters brauchen, wenn sie Zimmer an Touristen untervermieten wollen. Der Anwalt Dominik Schüller stellt das Urteil auf lto.de vor. Mieter sollten hier sehr vorsichtig sein, empfiehlt er, da Vermieter im Moment nach Kündigungsgründen suchen, um neu vermieten zu können.
ArbG Berlin zu Diskriminierung: Markus Stoffels (beck.blog.de) kritisiert ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Berlin. Dabei wurde eine evangelische Einrichtung zu Schadensersatz verurteilt, weil sie für die Erstellung eines Anti-Rassismus-Berichts die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche verlangt hatte und damit eine konfessionslose Bewerberin diskriminierte. Stoffels sieht darin eine fragwürdige Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und empfiehlt die Einlegung von Rechtsmitteln.
AG Köln - versuchte Erpressung: In einer langen Seite-3-Reportage schildert die Montags-SZ (Renate Meinhof) den Fall des Ganoven Michael Pliffka, der vom Amtsgericht Köln im Sommer wegen versuchter Erpressung verurteilt worden war. Er hatte versucht, den Rückkauf von Bildern einzufädeln, die in einem Museum in Rotterdam gestohlen wurden. Die beteiligten Kölner Anwälte seien dagegen bisher glimpflich davon gekommen, in einem Fall wurde das Verfahren gegen Geldbuße eingestellt, im anderen läuft es noch.
LG Hannover - Glaeseker: Im Korruptionsverfahren gegen Olaf Glaeseker, den ehemaligen Sprecher von Christian Wulff, sagte Wulffs erste Ehefrau Christiane aus und stützte laut Samstags-Welt (Ulrich Exner) die Version des Angeklagten, dass er mit dem Event-Manager Schmitt gut befreundet war und die Besuche auf dessen Finca keinen geschäftlichen Charakter hatten.
Glaeseker wird am Donnerstag im parallelen Prozess gegen Christian Wulff aussagen. Im Vorfeld gab er dem Spiegel (Michael Fröhlingsdorf, Alfred Weinzierl - Zusammenfassung) ein Interview. Glaeseker, der einst von Wulff gefeuert wurde, sagt darin: "Ich habe ihm verziehen".
LG Bielefeld - Tönnies gegen Tönnies: spiegel.de (Jörg Diehl) schildert einen Zivilrechtstreit, der vor dem Landgericht Bielefeld läuft. Clemens Tönnies und sein Neffe Robert Tönnies streiten dabei um den Einfluss auf den Fleischkonzern Tönnies Holding GmbH und Co. Dabei geht es unter anderem um die - absichtliche oder versehentliche - Falschbeurkundung eines Notars.
LG Bonn - Teldafax: Am 18. Februar beginnt am Landgericht Bonn der Prozess gegen drei ehemalige Vorstände des Stromhändlers Teldafax. Ihnen wird Insolvenzverschleppung, gewerbsmäßigen Betrugs und Bankrotthandlungen vorgeworfen, berichtet die Samstags-FAZ (Helmut Bünder). Die Anklage sei unverändert zugelassen worden.
StA München - Prozessbetrug Deutsche Bank: Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) beschreibt eine Aussage des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Thomas Middelhoff bei der Münchener Staatsanwaltschaft. Darin bestätigte Middelhoff, dass die Deutsche Bank Geschäfte mit Filmhändler Leo Kirch machen wollte, was die Bank bisher bestritten hat. Im demnächst beginnenden Prozess wegen Prozessbetrugs gegen Ex-Deutsche Bank-Chef Rolf Breuer und andere Manager werde Middelhoffs Aussage eine zentrale Rolle spielen.
StA Berlin - Ausspähung von Ministerium: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen zwei Männer erhoben, die sich unberechtigt Zugang zu Dokumenten aus der Leitungsebene des Bundesgesundheitsministeriums verschafft haben sollen. Ein IT-Mitarbeiter hatte die Gesetzentwürfe an den mitangeklagten Apotheken-Lobbyisten weitergegeben. Die Montags-FAZ (Andreas Mihm) stellt den Fall dar.
StA Dortmund - Oradour: Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat vorige Woche Anklage gegen einen ehemaligen SS-Mann wegen Beteiligung an einem Massaker in Oradour (Frankreich) erhoben. Dessen Anwalt Rainer Pohlen stellt auf strafblog.de ausführlich dar, warum der Mann zu Unrecht angeklagt worden sei. So sei er an konkreten Erschießungen gar nicht beteiligt gewesen.
StA Duisburg - Loveparade: Die Erhebung der Anklage gegen die Verantwortlichen der Loveparade 2010 wegen fahrlässiger Tötung von 21 Menschen wird sich wohl bis März verzögern, berichtet der Focus. Grund sei ein nicht näher erläuterter Konflikt zwischen der Duisburger Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf.
Streit unter Reproduktionsmedizinern: Die Samstags-taz (Heike Haarhoff) schildert ausführlich die wettbewerbsrechtlichen und strafrechtlichen Konflikte zwischen dem österreichischen Reproduktionsmediziner Herbert Zech und seinen deutschen Konkurrenten. Im Kern geht es darum, ob Zechs Methoden in Deutschland verboten wären. Deutschen Frauenärzten, die ihm Patientinnen vermitteln, wird deshalb Beihilfe zur Verletzung des Embryonenschutzgesetzes vorgeworfen. Zugleich wurde Zech aber die Behauptung untersagt, seine Methoden seien leistungsfähiger als die in Deutschland zulässigen.
Streit um Welfenschatz: Ausführlich stellt die Samstags-FAZ (Regina Mönch) den Konflikt um den sogenannten Welfenschatz dar. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz lehne eine Einigung mit den Erben der früheren jüdischen Eigentümern des Schatzes ab, weil dieser 1935 zu einem normalen Preis verkauft worden war, wofür es viele Indizien gebe.
Recht in der Welt
IStGH - Großbritannien: Menschenrechtler haben gegen britische Militärführer Anzeige beim Internationalen Strafgerichtshof erstattet. Ihnen wird die Verantwortung für systematische Folter im Irak in den Jahren 2003 bis 2008 vorgeworfen. Eine echte gerichtliche Untersuchung der Vorwürfe in Großbritannien sei nicht möglich. Die Samstags-SZ (John Goetz und andere) berichtet ausführlich.
Sondertribunal für den Hariri-Mord: Ab Donnerstag beginnt in Den Haag vor einem internationalen Sondertribunal das Verfahren wegen des Mordes am libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Jahr 2005. Die fünf Angeklagten, die der schiitischen Hizbollah-Miliz zugerechnet werden, nehmen an dem Verfahren nicht teil. Der Spiegel (Erich Follath) gibt einen Überblick.
USA/Indien - Diplomatin: Die indische Vizekonsulin in New York, Devyani Khobragade, ist inzwischen nach Indien ausgereist. In den USA war sie unter dem Vorwurf angeklagt worden, falsche Dokumente für den Visumantrag ihrer indischen Haushälterin vorgelegt und ein Gehalt weit unter dem amerikanischen Mindestlohn gezahlt zu haben. Den Fall und die diplomatischen Verwerfungen schildert die Montags-FAZ (Michael Radunski).
Sonstiges
Unterschrift: Der Rechtshistoriker Michael Stolleis schreibt in der FAS über die Geschichte der Unterschrift im Recht.
Das Letzte zum Schluss
Vom Fachmann unfachmännisch repariert: Udo Vetter (lawblog.de) schildert einen Fall aus seiner eigenen Praxis. Ein Mandant hatte bei einem Autohaus einen Wagen geleast und bekam nach einigen Jahren die Endabrechnung, bei der als Mangel eine "unfachmännisch" reparierte Windschutzscheibe moniert wurde. Tatsächlich hatte aber genau dieses Autohaus die Windschutzscheibe selbst repariert. Ein Prozess konnte deshalb mit nur einem Telefonat vermieden werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. - 13. Januar 2014: EuGH muss über Hartz IV entscheiden – Kirchhof fordert Umkehr der Euro-Politik – Winfried Hassemer unvergessen . In: Legal Tribune Online, 13.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10636/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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