Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über das Freihandelsabkommen Ceta. Außerdem in der Presseschau: Die Polizei in Baden-Württemberg bekommt Bodycams und russische Paralympics-Sportler reichen Verfassungsbeschwerde ein.
Thema des Tages
BVerfG – Ceta: Vor dem Bundesverfassungsgericht wird am heutigen Mittwoch darüber verhandelt, ob sich Deutschland kommende Woche für Ceta, das umstrittene Freihandelsabkommen mit Kanada, aussprechen darf. Fast 200.000 Menschen haben sich mehreren Eilverfahren angeschlossen, deren Ziel es ist, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu untersagen, im Rat der Europäischen Union für das Abkommen zu stimmen. Die Hauptkritik gilt den Regeln zum Investitionsschutz und den hierzu geplanten Investitionsschutzgerichten. Befürchtet wird, dass die Furcht vor Schadensersatzklagen großer Unternehmen die Regierungen in ihrer Gesetzgebung beeinflussen wird. Darüber hinaus wird zu erläutern sein, ob die nationalen Parlamente dem Abkommen zustimmen müssen, ob sie durch ihre Regierungsvertreter ausreichend repräsentiert sind, und schließlich, ob der geplante "Gemischte Ausschuss" zulässig ist. Dieser soll die Kompetenz haben, die Auslegung der Ceta-Regeln zu konkretisieren oder zu ergänzen, was Kritiker für undemokratisch halten. Eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts wird bereits am morgigen Donnerstag erwartet. Es berichten ausführlich die SZ (Wolfang Janisch), swr.de (Gigi Deppe), der Wissenschaftliche Mitarbeiter Walther Michl auf verfassungsblog.de sowie lto.de.
Rechtspolitik
Bodycams: Der Landtag von Baden-Württemberg stimmt am heutigen Mittwoch über die Ausstattung der Polizisten mit sogenannten Bodycams ab. Mit den kleinen, am Körper getragenen Kameras wird bei konkreten Einsätzen das Geschehen gefilmt und kann, wenn der Polizist einen entsprechenden Knopf drückt, dauerhaft aufgezeichnet werden. Bürgerrechtler kritisieren eine Dauerüberwachung, im Gesetzentwurf wird der Schutz der Beamten herausgestellt, berichtet die taz (Christian Rath). Über die Wirksamkeit von Bodycams schreibt zeit.de (Ferdinand Otto)
Vorbeugehaft: Angesichts aktueller Forderungen zur Untersuchungshaft für mutmaßliche Terroristen ohne einen konkreten Tatverdacht warnt Heribert Prantl (SZ), man dürfe nicht "zur Verteidigung des Rechtsstaats die Errungenschaften wegwerfen (...), deretwegen der Rechtsstaat verteidigt werden muss".
Flüchtlingsdaten: Nach dem verhinderten mutmaßlichen Anschlagsplan eines syrischen Flüchtlings werden Forderungen laut, Geheimdiensten den Zugriff auf Datenbanken zu Asylbewerber-Daten zu gewähren. Reinhard Müller (FAZ) meint, dass ein "abgewogener Eingriff" in Grundrechte letztlich allen Flüchtlingen diene. netzpolitik.org (Matthias Monroy) weist darauf hin, dass Pläne für derartige Zugriffskompetenzen bereits auf deutscher wie europäischer Ebene vorbereitet würden.
Zahlungsdiensterichtlinie: Rechtsanwalt Gustav Meyer zu Schwabedissen schreibt in der FAZ über die überarbeitete EU-Zahlungsdiensterichtlinie, mit der die rechtliche Grundlage für einen EU-weiten Binnenmarkt im Zahlungsverkehr geschaffen werden soll. Er kritisiert, dass die Regelungen einerseits schwammig formuliert seien, andererseits Verstöße harte Strafen nach sich zögen. Dies bewirke keinen verbesserten Verbraucherschutz, sondern nur eine Verunsicherung des Handels.
Internet-Abmahnungen: Nach Ansicht des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) hat das 2012 beschlossene Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken nicht zu einer Begrenzung von Abmahnschreiben im Internet geführt. Nach wie vor würden Verbraucher durch die entstandene "Abmahnindustrie" eingeschüchtert, berichtet die FAZ (Hendrik Wieduwilt). Das Bundesjustizministerium plane eine Evaluierung des Gesetzes.
Justiz
BVerfG – Russische Paralympics-Sportler: Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) erfahren hat, haben fünf russische Paralympics-Athleten beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen ihren Ausschluss von den Paralympischen Spielen 2016 eingelegt. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) mit Sitz in Bonn hatte sämtliche russische Athleten wegen Dopingverdachtsfällen von den Wettkämpfen ausgeschlossen, was diese für einen unzulässigen "Kollektivverdacht" halten. Vor dem Landgericht Bonn und den Oberlandesgerichten Düsseldorf und Köln waren die Sportler zuvor unterlegen.
GStA Koblenz – Jan Böhmermann: Im Interview mit lto.de (Maximilian Amos) zeigt sich der Strafverteidiger und Rechtsprofessor Alexander Ignor von der Begründung, mit der die Staatsanwaltschaft Mainz das Verfahren gegen Jan Böhmermann eingestellt hat, nicht überzeugt. Mangels Ernstlichkeit den Vorsatz Böhmermanns abzulehnen, lasse den Adressaten außer Acht und verkenne, dass es sich bei einer Satire eben nicht nur um "Quatsch" handele. Das Ergebnis sei vertretbar, es hätte aber einer rechtlich differenzierten Argumentation bedurft.
EuGH zu Vorsteuerabzug bei fehlerhafter Rechnung: In einem Gastbeitrag in der FAZ berichten die Rechtsanwälte Ronny Langer und Oliver Zugmaier, dass der Europäische Gerichtshof mit zwei Urteilen eine lange umstrittene Frage des Vorsteuerabzugs entschieden hat: Auch im Fall, dass eine Rechnung fehlerhaft oder unvollständig ist, wird den vorsteuerlichen Unternehmern der Abzug gewährt, wenn die Rechnung später berichtigt wird oder zusätzliche Unterlagen vorgelegt werden. Fällt ein Fehler auf, sollte sich unbedingt um die Berichtigung der Rechnung bemüht werden.
BGH zu Stromrechnung: Im Gegensatz zu anderen Gläubigern darf ein Stromanbieter als Grundversorger gemäß § 17 der Stromgrundversorgungsverordnung einseitig die Leistungszeit bestimmen, entschied nun der Bundesgerichtshof nach einem Bericht der FAZ (Hendrik Wieduwilt). In der Konsequenz bedarf es keiner Mahnung, um den Stromabnehmer in Verzug zu setzen, sofern zwischen dem Zugang der Rechnung und dem Zahlungsdatum mindestens zwei Wochen liegen.
LG Hamburg – Tötung eines Kleinkinds: Die SZ (Thomas Hahn) berichtet vom Prozess gegen einen Stiefvater, der das 13 Monate alte Kind seiner ehemaligen Lebensgefährtin zu Tode geschüttelt haben soll, jedoch eine ganz andere Version der Geschichte angibt. Der Bericht skizziert die schwierigen persönlichen Umstände des Angeklagten, einem allein erziehenden Vater, sowie der Mutter des Kindes. Am heutigen Mittwoch werden Sanitäter und Kinderarzt als Zeugen vernommen.
OVG Berlin-Brandenburg zu Montblanc-Affäre: Im Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass der Bundestag gegenüber einem Pressevertreter die Namen von sechs Abgeordneten nennen muss, die in die "Montblanc-Affäre" verwickelt sind. Sie hatten über ihr Sachleistungskonto mehrere teure Füller auf Staatskosten bestellt, meldet lto.de.
AG Frankfurt/Main – Vergewaltigung: In Frankfurt am Main muss sich ein 81-Jähriger vor dem Amtsgericht verantworten, weil er in großem Umfang potenzsteigernde Mittel eingenommen und dann seine Ehefrau vergewaltigt haben soll, meldet spiegel.de.
AG Bad Oeynhausen zu Holocaust-Leugnerin: Das Amtsgericht Bad Oeynhausen hat die bereits mehrfach vorbestrafte 87-jährige Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten ohne Bewährung verurteilt, meldet die taz.
Fischer zu Kachelmann und Böhmermann: In seiner aktuellen Kolumne auf zeit.de findet Bundesrichter Thomas Fischer drastische Worte zur Schadensersatzverurteilung der Ex-Freundin Kachelmanns sowie der Einstellung des Strafverfahrens gegen den Satiriker Jan Böhmermann.
VG Berlin – Asylklagen: Wie die SZ meldet, ist die Zahl der am Verwaltungsgericht Berlin anhängigen Klagen gegen abgelehnte Asylanträge in diesem Jahr stark angestiegen. Es seien bis Ende September 5.081 Klagen eingegangen, was verglichen mit demselben Zeitraum im Vorjahr einen Anstieg um 151 Prozent bedeute. Der Anstieg hänge wohl damit zusammen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr Fälle entschieden habe.
Recht in der Welt
Polen – Rechtsstaat: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) interviewt den polnischen Richter Waldemar Żurek zum Zustand der Gerichtsbarkeit in Polen, über den dieser sich besorgt zeigt.
Schweiz – Menschenrechtspreis für Uiguren: Der diesjährige Martin-Ennal-Preis für Verteidiger der Menschenrechte geht an den uiguirischen Intellektuellen Ilham Tohti, der in China wegen "Separatismus" zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Jury in Genf würdigte seine Arbeit zum Dialog zwischen Uiguren und Han-Chinesen, berichtet die SZ (Kai Strittmatter).
Italien – EuGH zu Opferentschädigung: Italien entschädigt Opfer von Gewalttaten nicht ausreichend und bleibt damit hinter geltendem Europarecht zurecht, entschied der Europäische Gerichtshof. Für bestimmte Fälle vorsätzlich begangener Gewalttaten stelle das italienische Recht keine Entschädigungsregelung bereit, berichtet lto.de.
Sonstiges
Strafvollzug: In einem Gastbeitrag in der SZ spricht sich der ehemalige Abteilungsleiter im Justizministerium Schleswig-Holstein und Honorarprofessor Bernd Maelicke für eine Reform des deutschen Strafvollzugssystems aus. Im Sinne einer wirksamen Resozialisierung müssten insbesondere mit den zu kurzen Freiheitsstrafen verurteilten oder Ersatzfreiheitsstrafen verbüßenden Tätern Perspektiven entwickelt werden, damit sie nicht immer wieder inhaftiert würden. Gemeinnützige Arbeit oder Bewährungshilfe seien hier weit effektiver als der Vollzug, der eher schädliche Folgen habe.
Verpflichtungserklärung: Die Welt (Adrian Arab) berichtet über Privatpersonen, die zu Gunsten syrischer Flüchtlinge eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, um ihnen die Einreise mittels Visum zu ermöglichen und die gefährliche Flucht zu ersparen. Da sich Bund und Länder nun uneinig sind, ob die übernommene Verpflichtung mit Abschluss des Asylverfahrens entfällt, sehen sich manche nun mit hohen Ersatzforderungen konfrontiert.
Rechtsbegriffe: blog.beck.de (Claus Koss) befasst sich mit den Problemen, die sich aus der Übersetzung von Rechtsbegriffen ergeben. Die spezifische Bedeutung der Worte ließe sich oft in einer anderen Sprache nicht in derselben Klarheit erfassen. Etwa bilde sich die deutsche Trennung von "Besitz" und "Eigentum" in dem englischen Begriff "ownership" nicht ab. Beim Freihandelsabkommen Ceta ließen sich aktuell viele Beispiele hierfür finden, die noch zu Auslegungsschwierigkeiten führen könnten.
Das Letzte zum Schluss
Von Hähnen und Menschen: Die Welt (Sebastian Gubernator) berichtet vom Streit zweier Nachbarn um das Krähen der Hähne des einen, der inzwischen vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel ausgetragen wird. Der Kläger, der sich gestört fühlt, möchte eine Lautstärkebegrenzung des Krähens auf 55 Dezibel erreichen, außerdem soll der Hühnerhalter einen schallisolierten Hühnerstall bauen. Im Dorf vermutet man die Ehefrau des Klägers hinter alledem – sie soll zuvor auch schon gegen eine zu laute Milchpumpe eingeschritten sein.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Oktober 2016: Ceta vor dem BVerfG / Bodycams für Polizei / Verfassungsbeschwerde von Paralympics-Sportlern . In: Legal Tribune Online, 12.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20691/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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