Das Bundesverwaltungsgericht korrigiert seine Rechtsprechung und will koedukativen Schwimmunterricht auch muslimischen Mädchen zumuten – "Burkini" sei Dank. Außerdem in der Presseschau: BGH zu gekündigten Lebensversicherungen, Deutsche Bank von Arbeitsgericht bloßgestellt, TÜV wegen Silikonbusen verklagt und eine Scheidung per Klippe.
Thema des Tages
BVerwG zu Schwimmunterricht: Das Bundesverwaltungsgericht will auch muslimischen Schülerinnen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht zumuten und korrigiert damit seine Rechtsprechung von 1993, als es eine Befreiung vom Sportunterricht* aus Gründen der Glaubensfreiheit noch für geboten hielt. Die taz (Christian Rath) berichtet und lässt auch die Anwälte der Eltern zu Wort kommen.
Jasper von Altenbockum (FAZ) begrüßt das Urteil und weist auf den vom Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle betonten "Integrationsauftrag" des Grundgesetzes hin, der einer Abschottung religiöser Minderheiten entgegenstehe. Max Steinbeis (verfassungsblog.de) spitzt zu, hier habe "ein Akt der Modeschöpfung" die "Verfassungslandschaft verändert".
Kritisch sieht Steinbeis, dass das Gericht eine Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit durch die Konfrontation mit dem Glauben widersprechenden Anblicken – hier: knapp bekleideter Jungen – mit dem Argument verneint, das Grundrecht schütze nicht vor der Auseinandersetzung mit den Verhaltensweisen Dritter. Was "schön liberal" klinge blende aus, dass die Konfrontation in einer staatlich auferlegten Zwangssituation erfolge. Marlene Weiß (SZ) sieht das anders: Alltägliche Anblicke seien eine "zumutbare Zumutung". Christian Bommarius (FR) sieht darin schon gar kein Glaubensgebot, sondern eines der "oktroyierten Moral der Eltern des Mädchens".
Daniel Bax (taz) wirbt im Spannungsfeld Religionsfreiheit und Schulpflicht für das Aushandeln von Kompromissen statt dem Beharren auf prinzipiellen Festlegungen.
BVerwG zu Krabat-Film: In einem weiteren Urteil im Spannungsfeld Religionsfreiheit-Schulpflicht hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Vorführung eines Films, der Darstellungen schwarzer Magie enthält – hier: die Verfilmung des Romans "Krabat" – nicht die Unterrichtsbefreiung eines Kindes erfordere, dessen Glaube die Befassung mit schwarzer Magie verbiete. Das von den klagenden Eltern, Anhänger der Zeugen Jehovas, geltend gemachte "religiöse Tabuisierungsgebot" laufe dem schulischen Bildungsauftrag "im Kern zuwider", dokumentiert die FAZ (Friedrich Schmidt). Wie die taz (Christian Rath) berichtet, habe der Vorsitzende Richter betont, dass Befreiungsentscheidungen "verallgemeinerungsfähig" sein müssten – und auf religiöse Besonderheiten nur "ausnahmsweise" Rücksicht genommen werden müsse.
Rechtspolitik
EU-Beitritt zur EMRK: Auf verfassungsblog.de analysiert der Europarechtler Daniel Thym den Entwurf des Übereinkommens zum Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser werfe einige Fragen zum Vorrang des Unionsrechts auf, die der Europäische Gerichtshof in seinem von der Kommission in Auftrag gegebenen Gutachten zur Unionsrechtskonformität zu beantworten habe. Entscheidend sei die Beurteilung der Zurechnungsregeln von Rechtsakten und der Beteiligungsmechanismus für die EU-Organe in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Reform der Psychiatrie-Unterbringung: Wie die Zeit (Stefanie Schramm) auf ihrer "Wissen"-Seite berichtet, hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychologie, Psychosomatik und Nervenheilkunde Vertreter des Bundesjustizministeriums eingeladen, um über die von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eingeforderte Reform der Unterbringung psychisch Kranker Straftäter zu diskutieren. So basierten die Regelungen des Strafgesetzbuches zur Schuldfähigkeit auf veralteten psychiatrischen Konzepten und entsprächen nicht mehr dem Stand der Wissenschaft.
Adoptionsrecht für Homosexuelle: Die CDU will "von sich aus" kein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare einführen – sondern dies höchstens unter dem Zwang eines Bundesverfassungsgerichtsurteils tun. Dies hat nach einem Bericht von spiegel.de Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel bei einem Fernsehauftritt betont.
Bundesrat wird Manager-Gesetz stoppen: Nach einem Bericht des Handelsblatts (Heike Anger) werden die SPD-geführten Bundesländer das Gesetz zur Begrenzung der Managergehälter durch Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat stoppen. Hintergrund sei wohl Druck der Gewerkschaften, die ihre Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat ausgehebelt sähen.
Justiz
BGH zu Lebensversicherungen: Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass im Falle der verfrühten Kündigung einer Lebensversicherung mindestens die Hälfte der eingezahlten Beiträge zuzüglich Zinsen und Prämien, also des sogenannten "ungezillmerten Deckungskapitals", erstattet werden muss. Das berichtet die SZ (Wolfgang Janisch/Herbert Fromme). Die Entscheidung stelle vor allem "Frühstornierer" besser. Auch die Welt (Kathrin Gotthold) stellt die Entscheidung vor und konstatiert einen "Nachteil für alte Lebens-Policen", weil der Bundesgerichtshof das 2008 reformierte Versicherungsvertragsgesetz, das Versicherungsnehmer noch günstige stelle, nicht rückwirkend angewendet habe.
ArbG Frankfurt zu Zinsskandal: Die Deutsche Bank durfte vier ihrer Händler wegen deren Verwicklungen in Zinsmanipulationen nicht entlassen. Das hat nach einem Bericht der FAZ (Corinna Budras) das Arbeitsgericht Frankfurt entschieden. Die Entlassungen seien "unverhältnismäßig", weil die innere Organisationsstruktur der Bank selbst zu einem Interessenkonflikt der Händler geführt habe. Auch das Handelsblatt (Laura de la Motte) berichtet ausführlich.
In einem gesonderten Kommentar meint Corinna Budras (FAZ), der Fall sei für die Deutsche Bank ein "peinlicher Bumerang": Statt als Aufklärer dazustehen, habe man sich die gerichtliche Bescheinigung der eigenen Mitverantwortung eingefangen.
LG Nürnberg-Fürth – Silikonbrüste: Nach einem Bericht des Handelsblatts (Massimo Bognanni/Simon Book) hat die AOK Bayern beim Landgericht Nürnberg-Fürth Klage gegen den TÜV Rheinland wegen fehlerhafter Billig-Silikonimplantate eingereicht. Die AOK will die Erstattung von Operationskosten. Hintergrund des Prozesses, der zum Musterverfahren werden könnte, ist die Tatsache, dass der TÜV das Qualitätsmanagement des Implantate-Herstellers PIP jahrelang zertifiziert habe.
LG Frankfurt zu Suhrkamp: Im Feuilleton der FAZ (Sandra Kegel) findet sich ein ausführlicher Bericht über die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt im Streit um die Zukunft des Suhrkamp-Verlags, der das Urteil auch in die Gesamtauseinandersetzung einordnet.
Hans-Peter Siebenhaar (Handelsblatt) bezeichnet die Auseinandersetzung als "bizarr" und rät den beiden Antagonisten Barlach und Unseld-Berkéwitz, auf einen Vorschlag der Vorsitzenden Richterin einzugehen und sich jeweils aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen.
LG Darmstadt – Heidi K.: Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet ausführlich über den Prozess gegen Heidi K. vor dem Landgericht Darmstadt und widmet dem Fall ihre "Seite Drei". Der Lehrerin wird vorgeworfen, eine Vergewaltigung erfunden und so einen Kollegen zu Unrecht fünf Jahre hinter Gitter gebracht zu haben. Für Freitag werde das Urteil erwartet.
Lieberknechts Immunität aufgehoben: Der Justizausschuss des Thüringer Landtags hat die Immunität von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) aufgehoben, berichtet die FAZ (Claus-Peter Müller). Hintergrund seien Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Erfurt wegen Untreue-Vorwürfen im Zusammenhang mit der Versetzung ihres ehemaligen Regierungssprechers in den einstweiligen Ruhestand.
Recht in der Welt
USA – NSA-Rechtsverstöße: Einem auf Klagedruck von Bürgerrechtsorganisationen von der US-Regierung nun herausgegebenen Gutachten eines Richters des US-Geheimgerichts FISC zufolge verstieß der Geheimdienst NSA laut FAZ (Andreas Ross) bei der Überwachung von Telefondaten gegen den Richtervorbehalt. Noch brisanter sei, dass der Missstand technisch zunächst nicht habe abgestellt werden können und die Richter kaum Möglichkeiten zur Überprüfung der Durchsetzung ihrer Entscheidungen hätten. Auch spiegel.de berichtet.
Venezuela – Austritt aus Menschenrechtskonvention: Venezuela ist nach einem Bericht der FAZ (Josef Oehrlein) aus der interamerikanischen Menschenrechtskonvention ausgetreten. Der Schritt gehe auf eine Entscheidung des verstorbenen Ex-Präsidenten Chávez zurück. Er habe Kritik der Menschenrechtskommission und des Gerichtshofs stets als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas zurückgewiesen.
Syrien – Rechtmäßigkeit von Militärschlag: Auf juwiss.de erwidert der Völkerrechtler Mehrdad Payandeh auf die von seinem Kollegen Matthias Herdegen in der vergangenen Woche in der FAZ vertretene These, ein Militärschlag gegen Syrien sei völkerrechtlich gerechtfertigt. Er wendet sich entschieden gegen die von Herdegen vorgenommene Relativierung des Gewaltverbots durch den Menschenrechtsschutz.
Indien – Staatsanwaltschaft will Todesstrafe: Nach dem Schuldspruch im Vergewaltigungsfall von Delhi fordert die Staatsanwaltschaft für alle Angeklagten die Todesstrafe. Das Strafmaß werde vom Gericht in den nächsten Tagen verkündet, berichtet spiegel.de.
Niederlande – Srebrenica: Die Zeit (Christine Brinck) beschäftigt sich mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der Niederlande zur Verantwortlichkeit des Landes für den Tod dreier Muslime während des Massakers von Srebrenica 1995 – und kontrastiert das Verhalten der niederländischen Truppen mit dem von kanadischen Soldaten beim Schutz der serbischen Enklave Knin.
Sonstiges
Wahlpflicht: Auf lto.de setzt sich der Rechtswissenschaftler Uwe Volkmann mit der "rechtlichen Möglichkeit und praktischen Sinnhaftigkeit" einer Wahlpflicht als einer "zwangsweisen Teilhabe am demokratischen Leben" auseinander. Dabei geht es um den Gewährleistungsgehalt der grundgesetzlich garantierten "freien" Wahl und der Frage, ob "chronischer Politikmüdigkeit" nun gerade mit Bußgelddrohungen beizukommen sei.
NSU-Opferanwalt zu Neonazis: In der Zeit fordert Mehmet Daimagüler, Opferanwalt im NSU-Prozess, dass sich die deutsche Gesellschaft mehr mit der Frage auseinandersetzen müsse, welche Verantwortung sie selbst für die Radikalisierung von jungen Nazis trage – beispielsweise im Hinblick auf überzogene Rhetorik in der Ausländer- und Asylpolitik. Die Aufarbeitung des NSU-Terrors dürfe nicht auf den Gerichtssaal beschränkt bleiben.
Grundgesetz in Infografiken: Die am Mittwoch in der FAZ erschienene Rezension des Buches "Verfassung verstehen – das Grundgesetz in Infografiken" findet sich inzwischen auch online auf verfassungsblog.de (Max Steinbeis).
Das Letzte zum Schluss
Scheidung per Klippe: Gerade einmal eine Woche nach der Hochzeit hatte sich eine US-Amerikanerin offensichtlich für eine Scheidung auf die harte Tour entschieden. Sie stieß ihren Angetrauten beim Wandern im Glacier National Park eine Klippe hinunter. Das hat sie laut FR vor einem Gericht im US-Bundesstaat Montana gestanden.
* Ursprünglich war hier von Schwimmunterricht die Rede, tatsächlich entschied das BVerwG damals zu Sportunterricht (geändert am 12.09.2013 um 11:39 Uhr).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. September 2013: Schwimmen mit Burkini – Gekündigte Lebensversicherung weiter teuer – Bumerang für Deutsche Bank . In: Legal Tribune Online, 12.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9541/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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