Die Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften darf nicht durch Gesetz erfolgen. Außerdem in der Presseschau: BGH zu Beweislast bei Anwaltsregress und Thomas Fischer kritisiert alle Beteiligten der Netzpolitik-Affäre.
Thema des Tages
BVerfG zu Zeugen Jehovas: Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde der Zeugen Jehovas stattgegeben, mit der sie sich dagegen gewehrt hatten, dass ihre Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Land Bremen vom Landesgesetzgeber abgelehnt wurde. Es verstoße nach der Entscheidung des BVerfG gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und die Rechtsschutzgarantie für eine solche Entscheidung ein Gesetz zu verlangen. Die entsprechende Vorschrift der Bremer Landesverfassung sei nichtig,berichtet lto.de.
Verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) beschäftigt sich eingehend mit den divergierenden Meinungen der Richter. Nach einer Minderheit aus Voßkuhle, Herrmanns und Müller handele es sich bei der Verleihung des Körperschaftsstatus um einen ganz normalen Akt landesadministrativer Ausführung von Bundesgesetzen. Habe ein Land geprüft, ob die Voraussetzungen des Grundgesetzes vorliegen, könne dies bundesweit als geklärt gelten. Die Senatsmehrheit hielt dagegen eine Prüfung des Körperschaftstatus in jedem Bundesland für richtig, denn im Grundgesetz gebe es keine Kompetenzzuweisung für das Staatskirchenrecht an den Bund. Die taz (Christian Rath) stellt auch die lange Vorgeschichte des Rechtsstreits dar.
In einem separaten Kommentar bemängelt Christian Rath (taz), dass das BVerfG seine Aufgabe als Schützer von unbeliebten Minderheiten nicht erfüllt habe. Die Richter hätten zwar ausführlich über Förderalismus und Gewaltenteilung diskutiert, dabei aber die entscheidende Frage offen gelassen, ob ein Anspruch auf Anerkennung bestehe.
Rechtspolitik
Karenzzeitgesetz: Am 25. Juli 2015 ist das Karenzzeitgesetz in Kraft getreten, mit dem Bundesministern und parlamentarischen Staatssekretären künftig für bis zu 18 Monate der Wechsel in die Privatwirtschaft untersagt wird. Soll innerhalb dieser Zeit eine Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes aufgenommen werden, muss dies der Bundesregierung angezeigt werden, die dann eine Ermessensentscheidung darüber trifft, ob und wie lange die angestrebte Tätigkeit zu untersagen ist. Der Anwalt David Pasewaldt kommt auf lto.de jedoch zum Schluss, dass Korruption auch bei Einhaltung einer Karenzzeit keinesfalls ausgeschlossen sei. So könnten die Straftatbestände der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) bereits dann verwirklicht sein, wenn ein Beschäftigungsverhältnis zumindest auch "für die Dienstausübung" gewährt werde.
Ärztekorruption: Der Rechtsanwalt Matthias Dann kommentiert in der FAZ den vom Bundeskabinett am 30. Juli 2015 verabschiedeten Entwurf für ein "Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen". Der Entwurf sei präzise und stelle darauf ab, inwiefern die berufsrechtliche Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit verletzt werde. Eben diesen berufs- und sozialrechtlichen Vorschriften komme in Zukunft ein noch höherer Stellenwert zu. Wer sich hieran halte, werde in der Regel vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt sein.
Ein-Personen-Gesellschaft: Mit der neuen Rechtsform Societas Unius Personae (SUP) will die EU-Kommission Mittelständlern die Gründung von Gesellschaften im Ausland erleichtern. Dazu soll die Registrierung über das Internet, ohne Offenlegung der Identität und mit einem Startkapital von nur einem Euro möglich sein. Wie das Handelsblatt (Frank Specht) schreibt, befürchten Kritiker Steuerbetrug und Sozialdumping.
Justiz
BSG zu Blindengeld: Das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung zur Gewährung von Blindengeld an Mehrfachbehinderte geändert. Künftig bekommt jeder Blindengeld, der blind ist, auch wenn andere Sinneswahrnehmungen ebenfalls beeinträchtigt sind. Es ging laut FAZ um ein zehnjähriges Kind, das bei der Geburt eine Hirnschädigung erlitt, noch auf dem Entwicklungstand eines Säuglings ist und nur sehr beschränkt sehen, hören oder tasten kann.
BVerfG zu Grunderwerbssteuer: In der FAZ schreibt nun auch der Anwalt und Steuerberater Franz Lindner über die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zur verfassungswidrigen Bedarfsbewertung bei der Grunderwerbssteuer. Lindner stellt dar, wie die Steuerlast seitdem für viele Immobilienkäufer in der Schwebe liege, weil die Richter eine bis 2009 rückwirkende Neuregelung angeordnet hätten. Mit Vertrauensschutz könne aber rechnen, wer schon einen (vorläufigen) Steuerbescheid erhalten habe.
BGH zu Anwaltshaftung: Wie die FAZ (Joachim Jahn) meldet, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass beim Regress gegen den eigenen Anwalt oder Steuerberater keine Beweislastumkehr gilt. Das Berliner Kammergericht hatte dagegen in der Vorinstanz die Beweiserleichterungen zugrunde gelegt, die für Kapitalanleger bezüglich der Frage entwickelt wurden, ob eine Pflichtverletzung Ursache des Schadens war.
OVG Münster zu Straßenprostutition: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das seit 2011 stadtweite Verbot von Straßenprostitution in Dortmund aufrecht erhalten. Dabei folgte das Gericht den Argumenten der Stadt, wonach es in Dortmund keine geeigneten Flächen für Straßenprostutition gebe, die weit genug von schutzwürdigen Stellen wie Kindergärten, Sportplätzen, Kirchen oder Schulen entfernt seien, berichtet spiegel.de. Eine abweichende Entscheidung des VG Gelsenkirchen wurde aufgehoben.
OVG Münster zu Informationsfreiheit: Wie lto.de berichtet, hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschieden, dass ein Journalist die Einsichtnahme in ein Gutachten über die NS-Vergangenheit ehemaliger Mitarbeiter des Bundeslandwirtschaftsministeriums verlangen kann, soweit diese verstorben seien und ihr Todeszeitpunkt mindestens drei Jahre zurückliege oder sie als "deutlich kritikwürdig" oder "nicht ehrwürdig" bezeichnet seien worden.
BAG zu Spätehenklausel: Nun widmet sich auch der Anwalt Nicolas Rößler auf dem Handelsblatt-Rechtsboard der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Spätehenklausel eine Altersdiskriminierung darstellt. Er beschreibt auch die Auswirkungen für die Praxis.
LArbG Frankfurt/M. zu Wissenschaftszeitverträgen: In einem Interview mit der taz (Ralf Pauli) berichtet der Mathematiker Alfons Hester über die Hintergründe der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts, wonach er auch nach 10 Jahren und 16 Kurzzeitverträgen keinen Anspruch auf eine Festanstellung an der Universität Gießen habe. Seiner Einschätzung nach hätte die Zuerkennung eines Anspruchs eine "Initialzündung für viele weitere Klagen" sein können, weshalb das Urteil so habe ausfallen müssen.
StA Berlin - "Netzpolitik.org": Die Staatsanwaltschaft Berlin soll nun gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermitteln. Nach Einstellung der Ermittlungen wegen Landesverrats werde die Bundesanwaltschaft das Verfahren demnächst abgeben.Wie die SZ (Hans Leyendecker) schreibt, gibt es jedes Jahr Dutzende solcher Ermittlungen. Journalisten hätten dabei aber nicht viel zu befürchten, weil sie sich seit der Gesetzesänderung 2012 nur noch wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machen können, wenn sie zum Verrat angestiftet hätten. Das sei aber fast nie zu beweisen.
Netzpolitik.org (Constanze Kurz) veröffentlicht und analysiert die Strafanzeigen des Bundesamts für Verfassungsschutz.
Recht in der Welt
Schweden - Assange: Nach einem Bericht der taz (Reinhard Wolff) verjähren dieses Jahr drei der vier Straftaten, die Schwedens Justiz dem Wikileaks-Gründer Julian Assange vorwirft. Der schwerwiegendste Tatvorwurf der Vergewaltigung verjähre zwar erst im Jahr 2020, dieser sei aber auch nur äußerst schwer zu beweisen. Für die schwedische Justiz eröffne die teilweise Verjährung die Möglichkeit, das schon lange unbequeme Verfahren "mangels Beweisen" zu beenden. Das Ende der Botschaftsflucht rücke damit näher.
Sonstiges
Thomas Fischer über "Netzpolitik.org": Bundesrichter Thomas Fischer beleuchtet in seiner zeit.de-Kolumne die Affäre um "Netzpolitik.org" und klärt dabei über die Pressefreiheit, deren Grenzen in den Paragrafen 94 und 95 des Strafgesetzbuchs und das Weisungsrecht des Justizministers auf, gegen das der Generalbundesanwalt die Möglichkeit zur Remonstration gehabt habe. Fischer kritisiert das "Bundesministerium, das beim Feldgeschrei einer abgedreht hysterisierten Presse einknickte wie ein welker Halm, aus lauter Angst, es sich mit der 'öffentlichen Meinung' zu verderben."
Das Letzte zum Schluss
"Die Kühe bleiben da": Die SZ (Hans Holzhaider) schildert den Prozessauftakt vor dem Landgericht Potsdam gegen einen Bauern, der den Mitarbeiter des Veterinäramtes erschoss, als dieser seine Kühe aus Tierschutzgründen abholen wollte. Zu seiner Verteidigung brachte er hervor, dass er den Veterinär für einen Räuber gehalten habe. Dieser habe genauso ausgesehen, wie er sich Räuber vorstelle: "Dicker Schnurrbart, Schiebermütze." Der Umstand, dass dem Abholungsversuch ein behördlicher Schriftwechsel vorausgegangen war, machte den Richter dann aber doch etwas stutzig.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. August 2015: BVerfG zu Zeugen Jehovas – Im Zweifel für den Anwalt – Fischer zu Netzpolitik . In: Legal Tribune Online, 12.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16577/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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