Wenn Nicht-EU-Ausländer die unionsrechtlichen Voraussetzungen für ein Studentenvisum erfüllen, muss der Mitgliedstaat sie ins Land lassen. Das hat der EuGH am Mittwoch entschieden. Außerdem in der Presseschau: Amtshaftungsklage wegen nicht vereitelter NSU-Anschläge, geschwärzte Akten im NSA-Ausschuss, schärfere Regelung zu Netzsperren in der Türkei und warum es nicht strafbar ist, sich heimlich fremde Akt-Selfies zu schicken.
Thema des Tages
EuGH zu Studentenvisum: Angehörigen eines Staates außerhalb der EU darf nicht der Aufenthalt verwehrt werden, wenn sie die Anforderungen an ein Studentenvisum erfüllen. Die Zulassungsbedingungen der Richtlinie, nach der Nicht-EU-Staatsangehörigen das Studium in der EU ermöglicht werden soll, seien abschließend und schärfere Bedingungen einzelner Mitgliedstaaten unzulässig. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
Der Entscheidung liegt die Klage eines Tunesiers zugrunde, der vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen Aufenthaltstitel in Deutschland erstreiten will. Der Kläger hatte bereits 2010 ein Studentenvisum beantragt mit dem Ziel, an der TU Dortmund zu studieren. Die TU ließ den Tunesier zum Studium zu, die deutschen Behörden räumten ihm aber aus anderen Gründen kein Aufenthaltsrecht ein: wegen fehlender Motivation, schlechter Noten und geringer Deutschkenntnisse, wie es heißt. lto.de berichtet über das Urteil des EuGH.
Rechtspolitik
EU-Kommission und Netzpolitik: Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre neue Ressortverteilung unter Leitung des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgestellt. Umstritten ist insbesondere die Ernennung Günther Oettingers (CDU) zum zukünftigen Kommissar für Digitale Agenda, der sich etwa der Telekommunikationsregulierung und einer geplanten Urheberrechtsreform annehmen wird. Das Handelsblatt (Thomas Ludwig), die FAZ (Hendrik Kafsack), die taz (Eric Bonse) und die SZ (Daniel Brössler) schreiben über die Personalie Oettinger.
Deutschland will Ceta nachbessern: Nach Informationen der FAZ (Henrike Roßbach/Patrick Welter) will Deutschland Änderungen am geplanten Freihandelsabkommen Ceta durchsetzen – obwohl die EU-Kommission die Verhandlungen bereits für abgeschlossen erklärt hatte. Deutschland fordere beim Investorenschutz einen "Ausschluss von Schadensersatzklagen bei Umschuldungen von Staatsanleihen"; außerdem sollen "Klagen gegen die Abwicklung von Banken und die vorrangige Heranziehung der Gläubiger unzulässig" sein sowie das nationale Steuerrecht Vorrang gegenüber dem Investorenschutz genießen.
Kontrollen an deutschen Grenzen: Um zunehmende Flüchtlingsströme besser abwehren zu können, schlug der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer vor, an deutschen Grenzen wieder Kontrollen einzuführen. Hintergrund des Vorschlags war für Seehofer das Vorgehen Italiens, Flüchtlinge entgegen dem Schengen-Abkommen über Österreich nach Deutschland weiterreisen zu lassen. Die Innenminister der Länder lehnen den Vorschlag ab, wie die FAZ (Eckart Lohse) und zeit.de melden.
Residenzpflicht für Flüchtlinge: Bayern ist laut SZ (Dietrich Mittler/Mike Szymanski) bereit, die Residenzpflicht für Flüchtlinge zu lockern. Damit könnten sich Flüchtlinge innerhalb des Landes frei bewegen. Die Lockerung kommt "in absehbarer Zeit", wie der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) zitiert wird. Der wolle aber die Reform des Asylverfahrensgesetzes abwarten – und nicht die Lockerung per Rechtsverordnung selbst regeln.
Hamburger Transparenzgesetz: Von nun an stellt die Hamburger Stadtverwaltung alle wesentlichen Verwaltungsakten online zur Verfügung. Grundlage ist das seit 2012 in Hamburg geltende Transparenzgesetz, das der Verwaltung zwei Jahre Zeit ließ, um eine entsprechende Plattform ins Netz zu stellen. Die Welt (Jens Meyer-Wellmann) meldet Einzelheiten zur Plattform und dem mit der neuen Transparenz einhergehenden "Bruch mit Prinzipien von Staatsverwaltung und Beamtentum". So habe schließlich das Bundesverfassungsgericht noch 1970 entschieden, Verwaltung arbeite grundsätzlich unter Stillschweigen über Behördenvorgänge einwandfrei.
Vermeintliche EU-Regelungswut: Staubsaugerverordnung und Glühbirnenverbot – ist eine Attacke auf die "Regelungswut" der EU berechtigt? Nein, meint Fritz Vorholz (Die Zeit) und weist auf die Kernkompetenz der EU hin, einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen. Alternative seien jeweils 28 eigene Standards – und damit "teurer Provinzialismus".
Justiz
LG Erfurt – Verhinderung der NSU-Anschläge: Die Frage, ob die Landesbehörden die NSU-Anschläge hätten verhindern können, erreicht eine handfeste juristische Dimension: Ein Mann hatte bereits im August Amtshaftungsklage gegen das Land Thüringen vor dem Landgericht Erfurt eingereicht. Seit einem NSU-Nagelbombenanschlag im Jahr 2004 in Köln sei er als damals vor Ort Anwesender gesundheitlich geschädigt. Sein Vorwurf: Der Anschlag habe nur passieren können, weil die Thüringer Landesbehörden die Täter nicht gefasst hätten – was ihnen aber möglich gewesen wäre. Daher hafte das Land für die Schäden. Laut Anwalt des Mannes sei das durch die Klage tatsächlich erstrebte Ziel eine "ex gratia"-Entschädigung, also freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. lto.de (Anne-Christine Herr) berichtet und streift einschlägige Problemkreise der Amtshaftung.
OLG München – NSU-Prozess: Der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München zieht sich offenbar weiter in die Länge. zeit.de meldet, dass nunmehr Termine bis Sommer 2015 angesetzt sind – statt wie bislang bis Endes dieses Jahres.
LG Bochum zu Angaben in Widerrufsbelehrung: Seit Mitte Juni gilt das neue Fernabsatzrecht. Im August entschied das Landgericht Bochum, dass fehlende Angaben in Widerrufsbelehrungen (E-Mail-Adresse, Telefon- und Faxnummer) einen Wettbewerbsverstoß begründen. internet-law.de (Thomas Stadler) kritisiert die Entscheidung: Unter anderem seien die Angaben nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern höchstens in Musterbelehrungen genannt, deren Verwendung aber keine Pflicht ist.
OVG Rheinland-Pfalz zu Drittsendezeiten: Zur Sicherung der Meinungsvielfalt müssen Privatsender externen Programmanbietern Sendekontingente einräumen (Drittsendeplätze). Die Vergabe dieser Drittsendeplätze durch die rheinland-pfälzische Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) gegenüber dem Sender Sat.1 im letzten Jahr war rechtswidrig. Das hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in zwei Beschlüssen entschieden. Das OVG hat das Verfahren der LMK unter anderem als "nicht fair und ergebnisoffen" gerügt, wie lto.de berichtet. Auch das Handelsblatt (Kai-Hinrich Renner) schildert den Fall.
Recht in der Welt
Türkei – Netzsperren: Die Türkei hat die Regeln zur Internetkontrolle verschärft. Das Parlament hat einer Gesetzesänderung zugestimmt, nach der die staatliche Telekommunikationsbehörde Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren lassen darf. Voraussetzung: Gefährdung der "nationalen Sicherheit" oder "öffentlichen Ordnung" – was im Ermessen der Behörde liegt. Die SZ (Luisa Seeling) und die taz (Jürgen Gottschlich) berichten.
Südafrika – Pistorius: Am heutigen Donnerstag soll das Urteil im Fall Oscar Pistorius fallen. Der ehemalige Paralympics-Star Pistorius soll seine Freundin im letzten Jahr ermordet haben, so der Vorwurf der Anklage. spiegel.de portraitiert die Richterin des südafrikanischen High Court in Pretoria, sueddeutsche.de beantwortet Fragen zum Prozess.
Österreich – drei Brüder wegen Vergewaltigung verurteilt: Das Landgericht Korneuburg in Österreich hat drei Brüder wegen der gemeinsamen Vergewaltigung eines Achtjährigen zu Haftstrafen verurteilt. Die Täter waren zur Tatzeit minderjährig. spiegel.de schildert den Fall und die Äußerungen des Richters dazu.
Sonstiges
NSA-Ausschuss und geschwärzte Akten: Die taz (Astrid Geisler) schreibt über die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses, die offenbar angesichts größtenteils geschwärzter Akten erheblich erschwert ist. Seitens der Grünen werde daher befürwortet, die Bundesregierung über eine Klage beim Bundesverfassungsgericht zur Herausgabe von aussagekräftigerem Material zu verpflichten.
Fahrdienste und Taxigewerbe: Stiften Fahrdienste wie Uber im großen Stil zur Schwarzarbeit an? Oder ist hier ein größerer Markt sinnvoll und bedarf es nur einiger gesetzlicher Anpassungen? Die Zeit (Dietmar H. Lamparter/Götz Hamann) liefert Argumente im Streit um Fahrdienstverbote im Pro-Contra-Format.
Pflicht zur Nationalelf: Nachdem einige Spieler sich aus der deutschen Nationalelf zurückzogen, sorgt der Rückzug Franck Ribérys aus der französischen Mannschaft für Unmut bei der Fifa. Doch ist ein Fußballspieler verpflichtet, der Nominierung seines Verbandes zu folgen? Eher nein – wenn auch arbeitsvertraglich denkbar, meint der Sportrechtler Johannes Arnhold auf lto.de.
Facebook und Twitter im Job: Ist die Nutzung von Twitter und Facebook im Job erlaubt? Wie steht es um kritische Äußerungen über den Arbeitgeber in sozialen Medien – und reicht dort auch ein einfaches "Gefällt mir", das Zustimmung zu einer solchen Äußerung signalisiert? Die SZ (Catrin Gesellensetter) zählt einige Fälle aus der Rechtsprechung auf.
100.000 Löschanträge bei Google: Nachdem der Europäische Gerichtshof im Mai Suchmaschinen als datenschutzrechtlich verantwortlich für Verstöße gegen die Privatsphäre eingestuft hatte, sind laut Google-Chefjurist bereits 100.000 Löschanfragen bei Google eingegangen. Man wolle dort angesichts vieler offener Fragen zur Durchsetzung des "Rechts auf Vergessenwerden" noch klare Richtlinien schaffen, so taz.de. Durch die Löschanfragen ist es möglich, als Betroffener aus dem Suchindex gestrichen zu werden.
Das Letzte zum Schluss
Akt-Selfies gemopst: Ist es strafbar, sich per Mail freizügige Selfies einer anderen Person zu schicken, die auf einem fremden Rechner liegen? Nein, so jedenfalls nach Ansicht des Amtsgerichts Tiergarten laut lawblog.de (Udo Vetter). Ein Mann hatte Aktaufnahmen einer Frau an seinen eigenen Mailaccount geschickt. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Strafgesetzbuch), die das AG jedoch verwarf. Grund unter anderem: Selfies scheiden als Tatobjekte im Sinne des Gesetzes aus. Sie könnten schließlich nicht "unbefugt" im Sinne des Gesetzes aufgenommen werden – "selbst knipsen darf man sich nämlich noch".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. September 2014: Studentenvisum für Nicht-EU-Ausländer – Netzsperren in der Türkei – Akt-Selfies . In: Legal Tribune Online, 11.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13146/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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