Starke Töne kurz vor dem Ende der Legislaturperiode: Die Bundesjustizministerin will die Geheimdienste "vom Kopf auf die Füße stellen". Außerdem in der Presseschau: EU-weites Recht auf Anwalt, BGH verhandelt zu vorzeitig gekündigten Lebensversicherungen, Vergewaltiger in Indien verurteilt und Streit um "Dirnenpension".
Thema des Tages
Justizministerin will Geheimdienst-Reform: Nach einem Bericht von spiegel.de will Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine "grundsätzliche Reform der Sicherheitsarchitektur". Dies umfasse auch eine "gesetzliche Klarstellung, die eine unzulässige institutionalisierte Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit ausländischen Diensten verhindert". Dabei gehe es ihr vor allem um das lange geheim gehaltene "Projekt 6" der Terrorabwehr, in dessen Rahmen es zu einer Kooperation von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und CIA gekommen war.
Rechtspolitik
EU – Recht auf Anwalt: Künftig haben Beschuldigte EU-weit bereits bei der polizeilichen Vernehmung das Recht auf einen Anwalt. Dies ist bislang nicht in allen EU-Staaten der Fall; am Dienstag hat das EU-Parlament nach dem Ministerrat einer Richtlinie zur Angleichung der Rechte im Strafverfahren zugestimmt, berichtet die FAZ (Nikolas Busse).
Zahl der Nebenkläger: Im Interview mit lto.de (Constantin Baron van Lijnden) findet die CDU-Politikerin und Vorsitzende des Opferverbands "Weißer Ring", Roswitha Müller-Piepenkötter, deutliche Worte für den Vorschlag des Münchner OLG-Präsidenten Karl Huber, die Zahl der Nebenkläger in großen Verfahren zu begrenzen. "Gelinde gesagt eine Unverschämtheit" sei dessen Einlassung, und zudem auch unpraktikabel. Vielmehr müsse die Position der Nebenklage weiter gestärkt werden.
Managergehälter: Auf der "Recht und Steuern"-Seite der FAZ setzt sich der Heidelberger Universitäts-Rektor Peter Hommelhoff ausführlich mit dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Kontrolle der Vorstandsvergütung auseinander – und befürwortet ein Stoppen des Gesetzgebungsvorhabens durch den Bundesrat. Mit dem Corporate Governance Kodex gebe es eine effektivere Lösung.
PKW-Maut: Nun kommt auch eine Untersuchung des Bundesjustizministeriums zu dem Ergebnis, dass die PKW-Maut-Pläne des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) europarechtswidrig sind. Das berichtet die Welt (tju).
EU – Finanztransaktionssteuer rechtswidrig? Wie das Handelsblatt (Ruth Berschens) berichtet, kommt der juristische Dienst des Europäischen Rates zu dem Ergebnis, das der Richtlinienentwurf für eine Finanztransaktionssteuer gegen den Lissabon-Vertrag und Internationales Recht verstoße. Dies hänge damit zusammen, dass die Steuerpflicht am Wohnsitz anknüpfe – unabhängig davon, ob das besteuerte Finanzgeschäft überhaupt einen Bezug zur EU habe. Auch spiegel.de berichtet.
Justiz
EuGH zu Verteidigerrechten im Asylrecht: Laut lto.de hat der Europäische Gerichtshof in einem niederländischen Fall entschieden, dass nicht jede Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung von Abschiebehäftlingen führt. Entscheidend sei, ob der Verfahrensfehler maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung gehabt habe. Dem Europäischen Gerichtshof lägen auch noch zwei Abschiebehaft-Fälle des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung vor.
BGH zu Manager-Untreue: Auf der "Recht und Steuern"-Seite der FAZ analysiert Joachim Jahn die nun vorliegenden Urteilsgründe einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Strafbarkeit von Bank-Managern wegen Untreue. Danach folgte das Gericht ausdrücklich einer 2010 zu GmbH-Geschäftsführern und Prokuristen ergangenen Verfassungsgerichtsentscheidung – und zog hohe Hürden für das Vorliegen von Untreue ein, insbesondere was den Untreue-Vorsatz angeht. Das Eingehen von Risiken gehöre nun einmal zur Marktwirtschaft.
LG Essen – Syrien-Schleuserprozess: Die SZ (Stefan Buchen/Hans Leyendecker) befasst sich ausführlich mit einem vor dem Landgericht Essen seit Juli laufenden Schleuser-Prozess. Es geht um Flüchtlinge aus Syrien. Die Angeklagten scheinen nicht in das übliche Bild der organisierten Schleuser-Kriminalität zu passen. Trotzdem drohten hohe Haftstrafen; ein geständiger Taxifahrer sei in einem abgetrennten Prozess bereits zu zwei Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
StA Freiburg – Rechter Bomber festgenommen: Auf einen Haftbefehl der Freiburger Staatsanwaltschaft ist ein in Baden-Württemberg lebender 23-jähriger Rechtsextremer festgenommen worden, der einen Sprengsatz mithilfe eines Modellflugzeugs in eine Menge "politischer Gegner" habe steuern wollen. Die FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de berichten.
BGH – gekündigte Lebensversicherungen: Der Bundesgerichtshof verhandelt am heutigen Mittwoch über den Wert vorzeitig gekündigter Lebensversicherungen. Hintergrund ist laut SZ (Wolfgang Janisch) ein Urteil aus dem vergangenen Jahr, in dem das Gericht die bisherige Berechnungsmethode, das "Zillmern", wegen der unangemessenen Benachteiligung der Versicherungsnehmer für unwirksam erklärt hat. Es gebe zwei mögliche Anknüpfungspunkte: Die bisherige Rechtsprechung, nach der mindestens die Hälfte der eingezahlten Beiträge ausgezahlt werden müssen, oder eine Orientierung am 2008 geänderten Versicherungsvertragsgesetz, nach dem die Kosten des Vertragsschlusses auf die ersten fünf Jahre verteilt werden müssen.
LG München – Hypo Real Estate: Die Bank Hypo Real Estate will von ihrem ehemaligen Vorstandschef Georg Funke und zweien seiner Kollegen Schadensersatz in Millionenhöhe. Über die "merkwürdige Millionenklage" berichtet die SZ (Klaus Ott) im "Geld"-Teil – überraschend gehe es bei der Klage nämlich nicht um systematische Misswirtschaft, sondern nur um einen einzigen fehlerhaft vergebenen Kredit.
LG Frankfurt zu Suhrkamp: Der Minderheitsgesellschafter des Suhrkamp-Verlags, Hans Barlach, hat am Dienstag vor dem Landgericht Frankfurt einen weiteren Zwischensieg erzielt: Das Gericht untersagte laut Handelsblatt (Hans-Peter Siebenhaar) der Mehrheitsgesellschafterin per einstweiliger Verfügung, dem Insolvenzplan zuzustimmen.
In ihrem Feuilleton beschäftigt sich die SZ (Andreas Zielcke) ausführlich mit dem Prozess – der aufgrund der neuen Insolvenzordnung und dem daraus folgenden Fehlen höchstrichterlicher Rechtsprechung ein "perfektes Setting für verfeindete Parteien, die es wissen wollen", böte. So habe die unterlegene Familienstiftung auch bereits Berufung angekündigt.
ArbG Frankfurt – Libor-Skandal: Im Rahmen eines Prozesses vor dem Frankfurter Arbeitsgerichts erreicht der Londoner Libor-Skandal um Zinsmanipulationen die deutsche Justiz: Fünf Händler der Deutschen Bank sollen daran beteiligt gewesen sein und wurden wegen "unangemessener Kommunikation" entlassen – vier wehren sich nun gerichtlich, berichtet das Handelsblatt (Peter Köhler/Laura de la Motte/Katharina Slodczyk).
VG Berlin/EuGH – Studierenden-Visa: Das Verwaltungsgericht Berlin hat laut lto.de den Europäischen Gerichtshof angerufen, um klären zu lassen, ob dem Auswärtigen Amt bei der Erteilung von Studierenden-Visa ein Ermessen zukommt – oder ob die einschlägige Studentenrichtlinie einen Anspruch auf Visumserteilung enthält.
Recht in der Welt
Indien – Vergewaltiger verurteilt: Ein Gericht in Delhi hat vier Männer wegen der Vergewaltigung und Ermordung einer Studentin schuldig gesprochen. Die Männer waren im Dezember letzten Jahres in einem Bus über die 23-Jährige hergefallen; sie war später ihren Verletzungen erlegen. Der Fall führte in weiten Teilen Indiens zu massiven Protesten und sorgte weltweit für Aufsehen. Wie SZ (Arne Perras) und FR (Willi Germund) berichtet, wird ab dem heutigen Mittwoch über das Strafmaß verhandelt – es drohe die Todesstrafe.
In einem gesondertern Kommentar meint Perras, die Justiz habe "mit diesem Prozess ein Zeichen gesetzt" und gesellschaftliche Tabus hinsichtlich der Gewalt gegenüber Frauen hätten zu bröckeln begonnen – Missbrauch komme nun eher ans Tageslicht.
Kenia – IStGH-Prozess: Am Dienstag begann der Prozess gegen den kenianischen Vizepräsidenten William Ruto vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ihm wird vorgeworfen, den Befehl zu ethnisch motivierter Gewalt im Nachgang der Wahlen 2007 gegeben zu haben. FAZ (Thomas Scheen) und taz (Dominic Johnson) geben einen Überblick.
Tobias Zick (SZ) kommentiert die Verteidigungsstrategie Rutos: Auch wenn der Angeklagte es so erscheinen lassen wolle, dass hier das kenianische Volk auf der Anklagebank sitze und gegen westlichen Imperialismus verteidigt werden müsse, so sitze dort in Wahrheit "eine vom Volk weit entfernte Elite", die mutmaßlich habe "Zivilisten abmetzeln und vertreiben" lassen.
Österreich – Prozess gegen Polizist aus Guatemala: Vor dem Landgericht im österreichischen Ried findet seit Dienstag ein "ungewöhnlicher Mordprozess" statt. Angeklagt ist ein Polizist aus Guatemala, der in Österreich Asyl genießt – wegen eines Mordes, den er in einem guatemaltekischen Gefängnis begangen haben soll. Eine Auslieferung des Angeklagten an sein Heimatland war zuvor gerichtlich untersagt worden, weil er dort nicht mit einem fairen Prozess rechnen könne, weiß die FAZ (Stephan Löwenstein).
USA – Internetkonzerne klagen gegen Maulkorb: Nach einem Bericht der FAZ (Roland Lindner) haben die großen US-Internetkonzerne Klage bei einem US-Geheimgericht eingelegt, um über das Ausmaß ihrer Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten berichten zu können.
USA – Deepwater Horizon: Die SZ (Andreas Oldag) gibt einen Überblick über das juristische Nachspiel der Ölkatastrophe an der Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Dabei stehe schon jetzt fest, wer zu den größten finanziellen Nutznießern der Katastrophe gehöre: "Ganze Heerscharen von Anwälten". So wehre sich BP inzwischen entschiedener gegen in den Augen des Unternehmens "überzogene" Schadensersatzforderungen und bestreite die Menge des ausgetretenen Öls.
Japan – 2. Weltkriegs-Vergewaltigungsopfer: zeit.de (Ok-Hee Jeong) dokumentiert, wie die Opfer japanischer Armee-Zwangsbordelle im Zweiten Weltkrieg um die Anerkennung dieser Verbrechen kämpfen. Offiziell sei das Kriegsverbrechen nie eingestanden worden.
Sonstiges
Anwalts-Anekdoten: Der Berliner Rechtsanwalt Tobias Scheidacker hat ein Buch mit Anekdoten aus seinem Anwaltsleben veröffentlicht. Im Interview mit lto.de (Constantin Körner) erzählt er vom Entstehungsprozess des Buches "Als sich mein Mandant in die Richterin verliebte" und gibt einen Einblick in seine Lieblingsanekdoten.
Grundgesetz in Infografiken: Im Feuilleton der FAZ (Maximilian Steinbeis) findet sich heute eine Rezension von Mike Hofmeiers Buch "Verfassung verstehen – das Grundgesetz in Infografiken". Das harsche Urteil: Zwar habe das Buch dort Stärken, wo es um Quantifizierbares, zum Beispiel die Anzahl der Wörter im Vergleich zu anderen Verfassungen, gehe. Jedoch seien Infografiken ungeeignet, das Wesentliche eines normativen Textes zu erfassen – das Quantifizierbare am Grundgesetz habe mit ihm als Verfassung eben "so wenig zu tun wie die Seitenzahl eines Romans mit Literatur."
Wissenschaftsbetrug als Straftat? Im "Forschung und Lehre"-Teil der FAZ begründet Miloš Vec, warum ein Straftatbestand "Wissenschaftsbetrug" entgegen der Forderung des Deutschen Hochschuldverbands ein "Schritt in die falsche Richtung" wäre. Zum einen existierten schon rechtliche Sanktionsinstrumente, zum anderen sei fraglich, welches Rechtsgut eigentlich geschützt werden solle.
Das Letzte zum Schluss
OLG Karlsruhe zu Dirnenpensionen und Bardamen: Ein "kleines Gemälde der gewandelten Sexualmoral in der Republik" hat laut lawblog.de (Udo Vetter) das Oberlandesgericht Karlsruhe entworfen – in einem Fall, der sich zunächst "eher dröge" um die Löschung eines Grundbucheintrags drehte. Der aber stammte aus den sechziger Jahren und hatte es "in sich": Untersagt sei das Einrichten einer "Dirnenpension", ebenso wie das Vermieten an "Bardamen" oder Personen "die der Unzucht nachgehen bzw. häufig wechselnden Geschlechtsverkehr ausüben". Das Urteil der Richter: Zu unbestimmt und damit unwirksam.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. September 2013: Justizministerin fordert Geheimdienst-Reform – EU garantiert Anwalt – Gewandelte Sexualmoral . In: Legal Tribune Online, 11.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9534/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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