Die Türkei hat im Fall Böhmermann doch noch ein förmliches Strafverlangen gestellt. Außerdem in der Presseschau: Justizminister Maas will sexistische Werbung verbieten und das LG Trier lehnt Bezeichnung "Käse" für vegane Produkte ab.
Thema des Tages
StA Mainz – Jan Böhmermann: Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mainz gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan hat jetzt die Türkei dem Auswärtigen Amt ein förmliches Strafverlangen gemäß § 104a Strafgesetzbuch übergeben, berichtet der Tsp. Nun kommt es darauf an, ob auch die Bundesregierung ihre Ermächtigung für ein Strafverfahren erteilt. spiegel.de schildert das Dilemma der Bundesregierung.
Im Interview mit spiegel.de (Matthias Gebauer) erklärt der Fachanwalt für Medienrecht Marc-Oliver Srocke, warum er nicht davon ausgehe, dass Jan Böhmermann wegen seines Gedichts bestraft werde. Es liege keine Beleidigung vor.
Dietmar Hipp (spiegel.de) preist das Gedicht des Künstlers: "Schöner als jedes konstruierte Fallbeispiel in einem juristischen Seminar" habe Jan Böhmermann Erdogan gezeigt, wo die Grenze der Satire liege. Böhmermann müsse sogar gewollt haben, dass sich eine Staatsaffäre und ein Ermittlungsverfahren daraus ergeben. Die Bundesregierung hätte Böhmermann allerdings nicht um Hilfe bitten sollen, sondern dem Strafverfahren "erhobenen Hauptes" entgegensehen. Manchmal dürfe Satire alles. Auch Dirk Schümer (WamS) erörtert, ob Jan Böhmermann sich der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes strafbar gemacht hat. Für ihn ist Böhmermann "der letzte Held" der Meinungsfreiheit.
Rechtspolitik
Sexistische Werbung: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) plant, sexistische Werbung zu verbieten. Bislang kann lediglich der Werberat entsprechende Fälle rügen; die Wettbewerbszentrale kann nur gegen "massiv menschenverachtende" Werbung vorgehen. Die Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb solle bald in die Ressortabstimmung gehen, meldet der Spiegel (Melanie Amann). Laut Montags-FAZ (Joachim Jahn) soll nicht nur Werbung verboten werden, die Menschen auf ein Sexualobjekt reduziert, sondern auch Werbung, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften oder Rollen zuordnet.
Ärztekorruption: Der Koalitionskompromiss zum Gesetz gegen die Korruption im Gesundheitswesen wird nun auch vom Spitzenverband der Krankenkassen kritisiert, berichtet die Samstags-SZ (Guido Bohsem). Dass die Verletzung berufsrechtlicher Regeln nicht mehr unter Strafe stehen soll, schränke die geplante Strafnorm stark ein. Den Konflikt zwischen SPD-Gesundheitspolitikern und SPD-Rechtspolitikern schildert nun auch die Montags-taz (Christian Rath).
Guido Bohsem (Samstags-SZ) sieht den Streit als Zeichen dafür, dass die Abgeordneten nicht ohne Weiteres bereit sind, dem Druck der Lobbygruppen nachzugeben. Der Konflikt dürfe aber nicht auswarten: "Lieber ein nicht ganz perfektes Gesetz als gar keins", mahnt Bohsem.
Hartz IV: Laut einer Meldung der Samstags-SZ fordert Linken-Chefin Katja Kipping, die Hartz IV-Sanktionen aufzuheben. Sie stützt sich dabei auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage zur Erfolgsquote von Widersprüchen gegen die Sanktionen. Daraus ergibt sich, dass knapp vierzig Prozent zugunsten der Beschwerdeführer ausgehen.
In dieser Woche berät der Bundestag erstmals über den Hartz IV-Reformentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Unter anderem will sie den Bewilligungszeitraum für Hartz IV-Anträge von sechs auf zwölf Monate erhöhen. Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer (Grüne) kritisiert, dies sei nach geltendem Recht bereits möglich, Nahles müsse "mutiger werden", wenn sie die Grundsicherung vereinfachen wolle, berichtet die Samstags-Welt (Stefan von Borstel).
Gleichgeschlechtliche Ehe: Der Bundestag wird bald über einen Gesetzentwurf des Bundesrats zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare entscheiden müssen. Aus diesem Anlass setzt sich der Jurist Volker Kitz in einem FAS-Gastbeitrag ausführlich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander und findet, dass das Grundgesetz die Ehe Homosexueller nicht ausschließe.
Transparenzregister: spiegel.de (Markus Becker) erläutert, warum Justizminister Heiko Maas, der als Reaktion auf die Panama Papers ein Transparenzregister für Unternehmen forderte, in Brüssel auf Verwunderung stieß. Ein solches Register habe die EU im Jahr 2015 nämlich bereits beschlossen – gegen den Widerstand des deutschen Finanzministeriums.
Geschäftsgeheimnisse: Über die Kritik an der geplanten EU-Richtlinie für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Europäischen Parlament berichtet nun auch der Spiegel (Sven Becker/Christoph Pauly – erweiterte spiegel.de-Fassung). Die Richtlinie erschwere sowohl journalistische Tätigkeit, als auch Whistleblowing. Zulasten von Journalisten gebe es künftig eine "Umkehr der Beweislast". Der DGB-Bundesvorstand mahnt, Arbeitgeber dürften künftig "willkürlich jede Angelegenheit zum Geschäftsgeheimnis erklären".
Fluggastdaten: Am Donnerstag dieser Woche stimmt das Europäische Parlament auch über die Einführung einer europäischen Fluggastdatenspeicherung ab, berichtet netzpolitik.org (Markus Reuter/DigiGes). Dabei werden Inhalt und Kritik der geplanten Richtline zusammengefasst.
Hessische Landesverfassung: Hessen plant, seine Landesverfassung zu reformieren. Die Samstags-FAZ (Timo Frasch) fasst die geplanten Änderungen zusammen. Ziel sei es insbesondere, Normen zu streichen, die ohnehin nicht mehr gelten (wie etwa die Todesstrafe). Die CDU will auch überholte sozialistische Elemente aus der Verfassung entfernen, die für die SPD jedoch aus historischen Gründen wichtig seien.
Justiz
BGH zu Maskenmann: Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen von Verteidigung und Nebenklage im Maskenmann-Fall verworfen, berichtet rbb-online.de. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat den "Maskenmann" wegen Entführung und versuchten Mordes eines Bank-Managers zu lebenslanger Haft verurteilt. Während des Prozesses hatte es jedoch Zweifel an der Identität des Täters gegeben.
AG Alsfeld zu Rentenbetrug: Das Amtsgericht Alsfeld verurteilte eine 75-jährige Frau wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe. Die Frau hatte eine bei ihr wohnende Freundin, die 2005 verstarb, im Garten vergraben und neun Jahre lang weiter deren Rente bezogen. Fall und Verfahren werden von spiegel.de (Julia Jüttner) ausführlich geschildert.
LG Trier - veganer Käse: Das Landgericht Trier hat Ende März entschieden, dass vegane Produkte nicht als "veganer Käse" vermarktet werden dürfen. Nur Produkte tierischen Ursprungs dürften als Käse bezeichnet werden, so der Anwalts-Blog ferner-alsdorf.de (Jens Ferner).
LG Duisburg – Loveparade: Warum das Landgericht Duisburg keine "Komplettreparatur einer eklatant lückenhaften Anklage" vornehmen konnte, erklärt die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) – insbesondere in Bezug auf das strittige Gutachten des britischen Panikforschers. Fraglich sei aber, warum nicht die Staatsanwaltschaft nachgebessert habe.
Reiner Burger (FAS) hält es für "blanken Hohn", dass das Gericht die Anklage aus Mangeln an Beweisen nicht zuließ– die Loveparade-Katastrophe sei "die vermutlich am besten dokumentierte Katastrophe in der deutschen Rechtsgeschichte".
OLG Düsseldorf – Reker-Attentäter: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf beginnt am kommenden Freitag der Prozess gegen Frank S. wegen seines Attentats auf die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Bundesanwaltsschaft wirft dem Angeklagten versuchten Mord aus fremdenfeindlichen Motiven vor. In einem ausführlichen Beitrag hebt der Spiegel (Beate Lakotta) hervor, dass die Frage von S.' Schuldfähigkeit - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - noch nicht geklärt sei.
BAW - Bürgerwehr Freital: Generalbundesanwalt Peter Frank will die Ermittlungen gegen die Mitglieder der Freitaler Bürgerwehr FTL/360 übernehmen. Es geht um den Verdacht der Bildung einer (rechts-)terroristischen Vereinigung und die Verübung mehrerer Sprengstoffanschläge. Die sächsischen Ermittler sahen keine feste Vereinigung. Die Samstags-taz (Steffi Unsleber/Sabine am Orde u.a.) nahm den Fall zum Anlass, um Fragen zu stellen wie: Hat die Polizei geschlafen? Hat sie Lehren aus dem NSU gezogen?
StA Bielefeld – späte U-Haft bei sexuellem Missbrauch: spiegel.de (Ansgar Siemens) greift den Fall eines mutmaßlichen Sexualstraftäters auf, der über mehrere Jahre hinweg Kinder missbraucht haben soll. Die zuständige Staatsanwältin habe trotz Wiederholungsgefahr im Ermittlungszeitraum von zwei Jahren keinen Haftbefehl beantragt. Das Landgericht Bielefeld hingegen ordnete sofort nach der Anklage an, den Mann zu inhaftieren. Die StA werde den Fall intern prüfen – die Verteidigung hat Haftbeschwerde eingereicht.
EuGH – Linkfreiheit: Rechtsanwalt Sascha Abrar führt auf lto.de Gründe dafür an, dass der Europäische Gerichtshof dem Schlussantrag seines Generalanwalts in Sachen Linkhaftung nicht folgen sollte. Es sei nicht interessensgerecht, dass auch ein Linksetzer, der gezielt auf Seiten verlinkt, die Urheberrechte verletzen, dafür nicht haften soll. Ähnlich argumentiert Christian Rath (taz.de).
Recht in der Welt
Panama Papers: "Was ist eine Briefkastenfirma?" "Welche Straftaten wurden enthüllt?" Die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) beantwortet (rechtlich relevante) Fragen in Sachen Panama Papers. Auch die FAS (Rainer Hank/Georg Meck) bringt einen entsprechenden Beitrag im Wirtschaftsteil. Der Spiegel (Martin Hesse/Armin Mahler u.a.) fasst die Geschehnisse um die Panama Papers ebenfalls zusammen und erklärt die (Il-)Legalität von Briefkastenfirmen. Nicht zu erwarten sei, dass die Politik wirksam gegen die Steueroasen vorgehe: "Wenn die Politik diese Orte nicht mehr wollte, wären sie morgen zu", aber die "Hintertür für geheimdienstliche Operationen" wolle sich "kein Staat ganz verschließen", so Strafrechtsprofessor Mark Pieth.
Der Fachanwalt für Steuerrecht Björn Demuth betont auf lto.de, dass Inhaber von Briefkastenfirmen diese auch legal führen können und führt aus, wann die Grenze zur Illegalität überschritten ist. Der Beitrag skizziert zudem geplante Steuerrechtsreformen, die Steuerdelikte erschweren sollen, erörtert die Beweisqualität der Panama Papers und die Folgen des Leaks.
Joachim Jahn (Samstags-FAZ) betont im Leitartikel anhand von Beispielen, dass Steuerflucht nicht unbedingt kriminelles Verhalten bedeuten müsse, allerdings zeigten Gegenbeispiele, dass Briefkastenfirmen auch zu illegalen Zwecken dienen können. Das Gesetz kenne allerdings bereits ausreichend Maßnahmen, um diese illegalen Geschäfte festzustellen und zu ahnden – es bedürfe daher keiner Reform, insbesondere solle die Überwachung nicht weiter ausgebaut werden.
ICTY – Seselj: Unter dem Titel "Strafpredigt des Chefanklägers" setzt sich die Samstags-SZ (Stefan Ulrich) mit Serge Brammertz' Erklärung auseinander, Berufung im Seselj-Fall einzulegen – sie sei ein "scharfer, öffentlich geführter Angriff" und deute auf "ein scharfes Zerwürfnis an dem UN-Gericht" hin. Auch andere Rechtswissenschaftlicher unterstützten Brammertz' Kritik an dem Freispruch.
De facto-Staaten: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Benedikt Harzl beschäftigt sich auf juwiss.de mit De facto-Staaten, die aus eingefrorenen Konflikten im post-sowjetischen Raum entstanden sind. In englischer Sprache argumentiert er, dass die EU weitere Handlungsoptionen jenseits von Anerkennung, Isolation oder militärischer Lösung brauche.
Frankreich – "Homo" nicht schwulenfeindlich?: Nach dem Urteil eines Pariser Arbeitsgerichts, soll der Begriff "Homo" "im Kontext des Friseurmilieus" Schwule nicht diskriminieren, meldet spiegel.de. Eine Friseurladenbesitzerin hatte ihrem homosexuellen Angestellten versehentlich eine SMS gesendet, in der sie ihn als "Homo" bezeichnete und ankündigte, ihn zu entlassen. Der Betroffene sah sich aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert und klagte vor dem ArbG.
Sonstiges
Bundestrojaner: Wie die WamS (Florian Flade) aus Sicherheitskreisen erfuhr, hat die neue BKA-Spähsoftware zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung ("Bundestrojaner") nur einen geringen Anwendungsbereich. So sei sie nicht für Handys konzipiert sei und könne Whatsapp-Chats nicht knacken. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert ein funktionierendes Instrument, um sämtliche digitale Kommunikation potentieller Schwerkrimineller überwachen zu können.
Juristische Ausbildung
Schwierige Studentin: justillon.de (Stephan Weinberger) schildert den Fall einer Hamburger Jura-Studentin, die immer wieder in Veranstaltungen stört oder sich ungewöhnlich verhält, indem sie sich zum Beispiel halbnackt neben den Dozenten stellt und ihm ihren Hintern zeigt. Die Studentin habe psychische Probleme, gefährde aber weder sich noch andere, so dass eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie nicht in Betracht komme. Am Studium nehme die junge Frau mit durchschnittlichem Erfolg teil.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. bis 11. April 2016: Türkei gegen Böhmermann / Maas gegen sexistische Werbung / LG Trier gegen veganen Käse . In: Legal Tribune Online, 11.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19029/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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