Voller Erfolg für Ritter Sport. Die Stiftung Warentest darf eine Behauptung über eine Nuss-Schokolade auch weiterhin nicht verbreiten. Außerdem in der Presseschau: Aus für den Soli?, das BVerfG hält Hartz-IV-Sätze für verfassungsgemäß, ausländische Agenten in russischen NGOs, behinderte Aktenlektüre im NSA-Ausschuss und unzulässige Selbsthilfe eines Anwalts.
Thema des Tages
OLG München zu Ritter Sport: Die Auseinandersetzung zwischen Ritter Sport und der Stiftung Warentest endet vorläufig mit einem Sieg des Schokoladenherstellers. Ein Urteil des Oberlandesgerichts München hielt eine gegen die Tester erwirkte einstweilige Verfügung aufrecht. Damit bleibt eine Passage in einem Bericht über die Schokoladen-Marke "Voll-Nuss" auch weiterhin geschwärzt. Es berichten u.a. SZ (Ekkehard Müller-Jentsch), FAZ (Henning Peitsmeier, Zusammenfassung), handelsblatt.com (Claudia Knust) und spiegel.de (Björn Hengst).
Verfahrensgegenstand war die von der Stiftung Warentest im vergangenen Herbst erfolgte Einstufung der Marke als "mangelhaft", weil Ritter Sport einen Inhaltsstoff falsch deklariert hätte. Im Widerspruch zur Behauptung des Herstellers, nur natürliche Zutaten zu verwenden, sei ein Aromastoff nachgewiesen worden, der nur künstlich hergestellt werden könne. Ob dies tatsächlich der Fall ist, musste vom Gericht nicht geklärt werden. Vielmehr habe die beanstandete Formulierung der Stiftung nach Ansicht des Gerichts nahegelegt, dass ihre Erkenntnisse auf wissenschaftlich eindeutigen Analysen beruhten, was wiederum nicht der Fall gewesen sei. Ob die unterlegene Stiftung, deren Anwalt die Bevorzugung gewerblicher Interessen über die Presse- und Meinungsfreiheit bemängelte, das Unternehmen zur Erhebung einer Hauptsacheklage zwingen würde sei ebenso offen wie die Verfolgung möglicher Schadensersatzansprüche durch Ritter Sport.
Der Bericht der Welt (Michael Gassmann) geht zusätzlich auf ein sich offensichtlich wandelndes Rechtsverständnis bezüglich der Kompetenzen der Stiftung Warentest ein. Im Jahr 1975 habe der Bundesgerichtshof gefordert, dass deren Testverfahren "richtig und objektiv" sein müssten, dabei aber das "Bemühen um Objektivität" als ausreichend anerkannt. Auch in der Einschätzung, die Berichte der Tester unterfielen der Meinungsfreiheit, deute sich eine "Kehrtwende" an.
Henning Peitsmeier (FAZ) erkennt in der im Verfahren vorgetragenen Argumentation der Stiftung, sie sei keine mit Hoheitsbefugnissen ausgestattete Behörde, gar "Ironie". Denn nicht zuletzt von einem solchen Ruf lebte die "Institution". Gerade deshalb sei sie zu Seriosität und Objektivität verpflichtet und habe diese Pflicht gegenüber Ritter Sport verletzt.
Rechtspolitik
Solidaritätszuschlag: Im Rahmen der derzeitigen Verhandlungen über eine Reform des Finanzausgleichs plant Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Abschaffung des Solidaritätszuschlages zu verankern. Grund hierfür die Sorge einer Verfassungswidrigkeit des Zuschlages, wenn 2019 der Aufbau Ost offiziell abgeschlossen wird, so die SZ (Claus Hulverscheidt/Guido Bohsem). Bereits jetzt hielten einige Gerichte den Zuschlag wegen fehlender zeitlicher Begrenzung für grundgesetzwidrig, das Bundesverfassungsgericht habe sich dieser Ansicht jedoch nicht angeschlossen.
Claus Hulverscheidt (SZ) begrüßt die Absicht in einem Kommentar. Obwohl der "Soli" nie nur den neuen Ländern zugute gekommen sei, müsse er alles in allem als "Erfolgsgeschichte" bezeichnet werden. Als Steuerzuschlag sei er jedoch "nur vorübergehend und mit eindeutiger politischer Zweckbindung zu rechtfertigen", anderenfalls aber verfassungswidrig.
Suizidhilfe: Mit einem Gastbeitrag für die SZ beteiligt sich der Soziologe Armin Nassehl an der Debatte über eine gesetzliche Regelung der ärztlichen Unterstützung eines Suizids schwer kranker Menschen. Den vom Bundesgesundheitsministerium und der Bundesärztekammer hierzu vertretenen "restriktiven Positionen" gesteht der Autor besondere Klarheit und Sicherheit zu, meint aber, dass sie die Vielfältigkeit der Lebenswirklichkeit nur ungenügend berücksichtigten. Solange "man weder einer völligen Liberalisierung noch einem lebensfernem Verbot der Sterbehilfe das Wort reden" wolle, bedürfe es offener und gleichzeitig verlässlicher Regeln, die es schaffen, "der Pluralität der modernen Gesellschaft Rechnung zu tragen, ohne darauf zu verzichten, Schutzmechanismen einzubauen."
Frauenquote: Nach einer der FAZ (Joachim Jahn) vorliegenden Neufassung ist der Gesetzentwurf für eine Frauenquote in Aufsichtsräten in einem wesentlichen Punkt "entschärft" worden. Nunmehr könnten zahlreiche, wegen Börsennotierung oder Mitbestimmungspflichtigkeit betroffene Unternehmen Vorgaben für den zu erreichenden Frauenanteil selbst setzen. Lediglich rund 100 der größten Unternehmen seien auf einen Anteil von 30 Prozent festgelegt.
Freihandelsabkommen: Die taz (Ulrike Herrmann/Bernhard Pötter) befragt die US-amerikanische Staatssekretärin Catherine Novelli zu dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU und speziell zu den besonders umstrittenen, im Abkommen vorgesehenen Investitionsschutzklauseln.
Justiz
BVerfG zu Hartz IV: In einem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die gegenwärtige Höhe von Hartz-IV-Leistungen als derzeit noch verfassungsgemäß bezeichnet. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) schreibt, diente die Entscheidung auf Vorlage des Sozialgerichts Berlin vor allem einer Überprüfung der vom Karlsruher Gericht 2010 aufgestellten Grundsätze der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums mit der Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die hierfür notwendige realitätsgerechte Bedarfsermittlung sei trotz Mahnungen des Gerichts bei Einzelposten erfüllt. FAZ (Joachim Jahn) und taz (Christian Rath) berichten ebenfalls.
In einem Kommentar bezeichnet Christian Rath (taz) das Hartz-IV-Konzept als "weitgehend gescheitert." Durch die jetzige Entscheidung habe das Gericht verdeutlicht, dass die Leistungssätze nicht geeignet seien, Haushaltsanschaffungen zu finanzieren. Hier drohe ein Rückfall in vergangene Zeiten, in denen Sozialhilfeempfänger unter entwürdigenden Umständen gezwungen worden seien, ihren Bedarf zu belegen. Dies stehe im Widerspruch zum Anspruch der Hartz-Reform, die Selbstverantwortung von Leistungsempfängern zu erhöhen.
BGH zur Übernahme von Geldauflagen: In einem Urteil vom Juli hat der Bundesgerichtshof festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen die gegen ihre Manager verhängten Geldauflagen nach § 153a Strafprozessordnung übernehmen können. Dies sei nicht zulässig etwa, wenn die vorgeworfene Tat zugleich als Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft zu werten sei, schreibt Rechtsanwalt Christian Krebs in einem Gastbeitrag für die FAZ. Durch die Entscheidung würden Rechte von Aktionären gestärkt.
BSG zu Verfahrensdauer: Das Bundessozialgericht hat in vier Fällen Klägern wegen übermäßig langer Verfahren im Grundsatz eine Entschädigung zuerkannt, gleichzeitig jedoch ausgeführt, dass eine einjährige Verfahrensdauer in Sozialsachen keine Entschädigungspflicht nach sich zieht. Dies meldet die FAZ (Joachim Jahn).
BFH – Mindestbesteuerung: Die in der vergangenen Woche dem Bundesverfassungsgericht vom Bundesfinanzhof vorgelegte Frage der Verfassungswidrigkeit der Mindestbesteuerung von Unternehmen analysiert der Steuerexperte Martin Lenz in einem Gastbeitrag für die FAZ.
OLG Dresden zu Partnervermittlung: Eine von einer Partnervermittlung verwendete Klausel, nach der Vorauszahlungen von Kunden bei vorzeitigem Vertragsende nicht zurückerstattet werden, ist nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden unwirksam. Die beanstandete Klausel entwerte nach Ansicht des Gerichts einerseits das gesetzliche Kündigungsrecht und erwecke andererseits den unzutreffenden Eindruck einer Mindestvertragsdauer, informiert lawblog.de (Udo Vetter).
LG Nürnberg-Fürth – Franz Gsell: Über den Prozessauftakt im Verfahren zur Tötung des Schönheitschirurgen Franz Gsell im Jahre 2003 berichten FAZ (Morten Freidel) und bild.de (Jörg Völkerling). Angeklagt sind zwei Männer wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Die Ermittlungen in der Sache hätten sich jahrelang auch gegen Tatjana Gsell, die Witwe des Opfers wegen ihrer Beteiligung an einem Versicherungsbetrug gerichtet. Obwohl Tatjana Gsell deswegen auch verurteilt wurde, konnte ihr eine Beteiligung an dem Raubüberfall nicht nachgewiesen werden.
StA Köln – Deutsche Bahn: Die SZ (Klaus Ott) berichtet über Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft gegen zwei hochrangige Manager der Deutschen Bahn wegen des Verdachts von Schmiergeldzahlungen in Russland. Die Vorwürfe entstammten Geschäften der Logistik-Tochter Schenker, sie seien dem Konzern über eine Online-Plattform für Whistleblower bekannt gemacht worden, woraufhin die Anklagebehörde eingeschaltet wurde.
StA München – Josef Ackermann: Udo Vetter (lawblog.de) und Benedikt Meyer (zpoblog.de) kommentieren die schriftliche Erklärung des ehemaligen Vorstandvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, im seinerzeitigen Kirch-Prozess vor dem Oberlandesgericht München wohl falsch ausgesagt zu haben. Beide Autoren erkennen einen untauglichen Versuch Ackermanns, sich durch einen Hinweis auf mangelhafte Rechtsberatung einer strafrechtlichen Verantwortung für eine Falschaussage zu entziehen. Wer sich als Zeuge nicht oder nicht mehr erinnere, müsse eben dies angeben.
Spionage: Die taz (Konrad Litschko) interviewt Rechtsanwalt Klaus Schroth, dessen Mandant Markus R. Dokumente des BND der CIA zugespielt haben soll. Der Anwalt spricht über mögliche, sein Mandat betreffende Erkenntnisse aus den Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags und dem vom Parlament eingerichteten NSA-Ausschuss, den geheimdienstlichen Wert der in Frage stehenden Dokumente und den Zustand seines Mandanten.
Erbschleicherei: Das Handelsblatt (Gertrud Hussla) beschreibt in einer Reportage einen in Baden-Württemberg angesiedelten Fall mutmaßlicher Erbschleicherei. Ein Sparkassendirektor habe sich dort das Vertrauen einer mittlerweile verstorbenen Unternehmerswitwe erschlichen und sich als ihr Adoptivsohn ein millionenschweres Erbe zukommen lassen. Weil in einem Berliner Testament aber die Belegschaft des Unternehmers bedacht wurde, sei die erbrechtliche Auseinandersetzung nun gerichtsanhängig.
Recht in der Welt
Großbritannien/Schottland – EU: Der Verfassungsblog setzt sein Online-Symposium zu den Perspektiven einer möglichen schottischen EU-Mitgliedschaft mit mehreren englischsprachigen Beiträgen fort. Die Rechtsprofessoren Piet Eeckhout, Kalypso Nicolaidis und Michael Keating beleuchten relevante europarechtlichen Aspekte.
Russland – Ausländische Agenten: Ein Moskauer Gericht hat die durch das Justizministerium des Landes erfolgte Einstufung unabhängiger Wahlbeobachter der Organisation "Golos" als ausländische Agenten nun als "unrechtmäßig" bezeichnet. Dies meldet die FAZ (Friedrich Schmidt). Nach Bericht der taz (Bernhard Clasen) ist dagegen in Kaliningrad die Umweltschutz-Organisation "Ecodefense" zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Gruppe habe nach Ansicht des Gerichts gegen Meldeauflagen des russischen NGO-Gesetzes, nach denen sich als ausländischer Agent registrieren lassen muss, wer Zuwendungen aus dem Ausland erhält, verstoßen.
Sonstiges
NSA-Ausschuss: Über Schwierigkeiten des Bundestags-Ausschusses zur Aufklärung des NSA-Skandals schreibt zeit.de (Kai Biermann). Zahlreiche der dem Ausschuss von Bundesregierung und Behörden vorgelegten Akten enthielten umfangreiche Schwärzungen, z.T. seien in Schreiben nur noch Anrede und Grußformel lesbar. Das Ausschussmitglied Hans-Christian Ströbele (Grüne) erwäge deshalb die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts.
Gerichtsvollzieher: Die SZ (Harald Freiberger) stellt die Arbeit von Detlef Hüermann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes und seit 25 Jahren im "Gewerbe", vor. Während die klassische Pfändung inklusive "Kuckucks"-Siegel wegen fallender Preise für technische Geräte und strengerer Schuldnerschutzbestimmungen in der Praxis an Bedeutung verliere, seien Taschenpfändungen bei Schuldnern nicht selten. Dabei aber an eine Uhr im Wert von 20.000 Euro zu gelangen, wie jüngst beim ehemaligen Arcandor-Chef Thomas Middelhoff, sei "schon ein Glücksfall."
Erbrecht: Im Literatur-Teil bespricht die FAZ (Peter Rawert) "Warum Erbrecht?", die Habilitationsschrift des Rechtsprofessors Anatol Dutta. Im Gegensatz zum "erschreckenden Mangel an rechts- und ordnungspolitischer Grundsätzlichkeit in der juristischen Debatte um die Vermögensnachfolge" befasse sich die Schrift eingehend mit den Funktionen des Erbrechts und entwickle auf dieser Grundlage mögliche Alternativen seiner Ausgestaltung.
Das Letzte zum Schluss
Selbsthilfe: Um auf unbedachten und datenschutzrechtlich bedenklichen Umgang mit Bürgerakten im Leipziger Jobcenter aufmerksam machen, griff ein Rechtsanwalt zu einer ungewöhnlichen Maßnahme. Er schnappte eine auf dem Flur stehende Umzugskiste mit Akten, trug sie durch das Gebäude, um sie am Ausgang abzugeben und ließ sich dabei zeitgemäß mit einer Mobiltelefon-Kamera filmen. Das Jobcenter sprach daraufhin ein einjähriges Verbot aus, sich unbegleitet im Haus zu bewegen. Zu Unrecht, wie das Verwaltungsgericht Leipzig nun befand. Zwar hätte der Anwalt keine Befugnis zur eigenmächtigen Entfernung der Dokumente und die Aufnahmen besessen. Das ausgesprochene Hausverbot beruhe jedoch auf der unzutreffenden tatsächlichen Annahmen der ordnungsgemäßen Aufbewahrung der Akten und sei damit ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Über den Fall berichtet rechtsindex.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. September 2014: Süßer Erfolg für Ritter Sport – Hartz-IV-Leistungen verfassungsgemäß – Ausländische Agenten in Russland . In: Legal Tribune Online, 10.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13133/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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