Der Europäische Gerichtshof grillt die EU-Vorratsdatenspeicherung fünf Stunden lang – und lässt Überwachungsgegner hoffen. Außerdem in der Presseschau: EU will mehr Rechte für Reisende, Gentechnik kann Notstandslage begründen, Beleidigungs-Ermittlungen gegen Richterin, EGMR kassiert britische lebenslange Haft – und wie ein Kühlschrank eine Scheidung verhindern kann.
EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Über fünf Stunden lang hat der Europäische Gerichtshof gestern über die Vereinbarkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit dem Unionsrecht verhandelt. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet ausführlich und betont, dass die Richter durch ihre Fragen gezeigt hätten, dass sie die Richtlinie "äußerst kritisch" sehen. Auch die taz (Christian Rath) berichtet umfassend von der Verhandlung und dokumentiert die Hauptargumente der Klägerseite. In einem gesonderten Artikel wird zudem die deutsche Debatte nachgezeichnet. Auf lto.de wird von Rechtsanwalt Sören Rößner die Bedeutung des Verfahrens für die deutsche Politik herausgestellt und aufgezeigt, wie der EuGH jetzt Abhilfe schaffen könnte. Die Welt (DW) grenzt die EU-Vorratsdatenspeicherung von geheimdienstlicher Überwachung ab. Einen Live-Ticker der Verhandlung stellt netzpolitik.org (Thomas Lohninger) bereit.
Ein Interview mit dem österreichischen Grünen-Abgeordneten Albert Steinhauser, einem der Initiatoren der österreichischen Massenklage, führt die taz (Christian Rath).
Joachim Käppner (SZ) spricht sich pointiert für die Vorratsdatenspeicherung aus: Nicht von einem abstrakten Überwachungsstaat gehe die wahre Bedrohung aus, sondern von tatsächlichen Verbrechen – die momentan nicht mehr aufgeklärt werden könnten.
Weitere Themen – Rechtspolitik
EU – mehr Rechte für Reisende: Die EU-Kommission will die Rechte von Reisenden stärken, wenn diese "Reisepakete" buchen, ohne dabei eine klassische Pauschalreise abzuschließen – und deswegen bislang nicht den Schutz spezieller Verbraucherschutzregelungen genießen. Wie die Welt (Silke Mülherr) berichtet, will die Kommission unter anderem Rücktritte vor Beginn der Reise erleichtern sowie Zuschläge begrenzen und Veranstalter verpflichten, Preissenkungen weiterzugeben.
Code des Misstrauens: Frank Schirrmacher (FAZ) analysiert vor dem Hintergrund der Überwachungsdebatte, wie das Informationszeitalter von totalem gegenseitigen Misstrauen geprägt und dieses in Algorithmen automatisiert niedergelegt wird – und stellt die Frage, wie das Recht "die Kontrolle über den Code zurückerlangen" kann.
In ähnlichem Zusammenhang beschäftigt sich Thomas Stadler (internet-law.de) mit der Vereinbarkeit von Geheimdiensten und Bürgerrechten – und kommt zu dem Ergebnis, dass Geheimdienste ein "unkontrolliert agierendes System" schafften, dass "der zielgerichteten Aushebelung vono Bürgerrechten dient".
Weitere Themen – Justiz
OLG Naumburg zu Notstand wegen Gentechnik: In den Augen des Oberlandesgerichts Naumburg kann die Zerstörung eines Gentechnik-Versuchsfeldes offensichtlich gegebenenfalls durch Notstand gerechtfertigt sein – jedenfalls hob das Gericht die Verurteilung dreier "Feldbefreier" wegen Sachbeschädigung auf, weil das Landgericht das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes nicht geprüft hatte. Das "ungewöhnliche" Urteil dokumentiert die FAZ (Joachim Jahn) auf ihrer "Recht und Steuern"-Seite.
StA Frankfurt – Korruption bei Flughafen-Ausbau: Am Dienstag kam es im Zuge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt zu einer umfassenden Razzia im Zusammenhang mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens. Gegen zehn Beschuldigte werde wegen Korruption, Bestechung, Bestechlichkeit, Untreue, Geldwäsche und Steuerhinterziehung ermittelt, so das Handelsblatt (Jan Keuchel). Auch zeit.de berichtet.
StA Frankfurt/Oder – Ermittlungen gegen Richterin: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder hat Ermittlungen gegen eine Richterin wegen Beleidigung von Flüchtlingen aufgenommen. Die für ihre harten Urteile gegen Asylbewerber berüchtigte Richterin vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt hatte in Urteilen von "Asyltouristen" und einem "Heer von Illegalen" gesprochen sowie festgehalten, dass sich Flüchtlinge "ihren Lebensunterhalt in der Regel durch Straftaten" sicherten, so die SZ (Constanze von Bullion).
Selbstanzeigen vervierfacht: Nach einer Meldung von spiegel.de hat sich die Zahl der Steuer-Selbstanzeigen seit dem Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz im ersten Halbjahr 2013 vervierfacht.
BAG und LAG Freiburg zu mehrgliedrigen Tarifverträgen: Der Rechtsanwalt Oliver Bertram stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom März dieses Jahres zur Einbeziehung mehrgliedriger Tarifverträge in Zeitarbeitsverträge vor. Das Gericht habe entschieden, dass sich für eine wirksame Einbeziehung aus dem Arbeitsvertrag ergeben müsse, für welche Form der Überlassung des Arbeitnehmers welcher Tarifvertrag gelte. Mehrgliedrige Tarifverträge zeichnen sich dadurch aus, dass innerhalb einer Vertragsurkunde Verträge mit mehreren individuellen Gewerkschaften geschlossen werden. Anderes gelte, so ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Freiburg von Anfang Juni, für Tarifverträge mit den DGB-Gewerkschaften – denn diese handelten bei Abschluss des Vertrages als Tarifgemeinschaft und gerade nicht individuell.
Anwaltsvergütung: Auf lto.de setzt sich der Rechtsanwalt Robert Peres mit verschiedenen in der Anwaltschaft verbreiteten Vergütungssystemen auseinander – und fragt sich zum Ende des Artikels: Welches ist eigentlich das beste für die Mandanten?
EuGH/BGH – Legal Highs: Der lawblog (Udo Vetter) setzt sich mit dem beim Europäischen Gerichtshof auf Vorlage des Bundesgerichtshofs anhängigen Verfahren zu "Legal Highs" genannten synthetischen Cannabis-Ersatzstoffen auseinander. Bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs verbleibe der Verkauf solcher Produkte "weiter in einer Grauzone".
BVerfG – Fall Mollath: Die SZ (Olaf Przybilla) dokumentiert im Bayern-Teil die Stellungnahme der bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU) an das Bundesverfassungsgericht im Fall Mollath. Dabei äußere die Ministerin Zweifel daran, ob dessen Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt noch verhältnismäßig sei.
Mollath-Untersuchungsausschuss: Die FAZ (Albert Schäffer) berichtet über den Abschluss des Mollath-Untersuchungsausschusses. Auch die taz (Marlene Halser) fasst die Positionen von Regierung und Opposition zusammen.
Albert Schäffer (FAZ) kritisiert das Verhalten sowohl der Regierungsparteien als auch der Opposition – diese hätten gut daran getan, "die Justiz einfach ihre Arbeit machen zu lassen", statt selbst ein juristisches Verfahren zu bewerten.
NRW-Beamtenbesoldung: Die CDU/FDP-Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag haben im Zusammenhang mit der Beamtenbesoldungsreform nun mit Verfassungsklage gedroht. Das berichtet die FAZ (Reiner Burger).
Weitere Themen – Recht in der Welt
Großbritannien – EGMR zu lebenslanger Haft: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Dienstag entschieden, dass die britische Form der lebenslangen Freiheitsstrafe ohne jede Perspektive auf Entlassung gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlungen verstoße und damit konventionswidrig sei. In Großbritannien stößt das Urteil laut SZ auf breite Kritik – und befeuert die britische Debatte über einen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
USA – Neues Verfahren gegen Debra Milke: Die gebürtige Berlinerin Debra Milke wird in Arizona erneut wegen der Tötung ihres Sohnes angeklagt. Wie die SZ (Bastian Obermayer) berichtet, war die Tochter eines US-Soldaten vor mehr als 20 Jahren allein auf Grundlage der Aussage eines Polizisten über ein angebliches Geständnis zum Tode verurteilt worden. Dieses Urteil war von einem Berufungsgericht unlängst kassiert worden – nun hat die Staatsanwaltschaft erneut Anklage erhoben. Auch die FR berichtet.
EU/Russland – Klage gegen Verschrottungsgebühren: Die EU verklagt Russland vor der Welthandelsorganisation wegen der von Russland erhobenen "Verschrottungsgebühren" auf importierte Autos, so FAZ (Hendrik Kafsack) und Handelsblatt (Jan Dirk Herbermann).
Italien – Costa Concordia: Das Costa Concordia-Verfahren ist wie erwartet aufgrund des Anwaltsstreiks in Italien vertagt worden; am ersten Prozesstag kam es so nicht einmal zur Verlesung der Anklage. Die SZ (Andrea Bachstein) und die FAZ (Jörg Bremer) berichten.
Sonstiges
Drogenhandel im Darknet: Dem Bayerischen Landeskriminalamt ist ein Schlag gegen den Drogenhandel im sogenannten "Darknet", einem unter Einsatz von Anonymisierungstechniken für illegale Geschäfte genutzten Teil des Internets, gelungen. Die SZ (Helmut Martin-Jung) berichtet über den Verlauf der Ermittlungen und den Drogenhandel via Internet.
Snowden – Europäische Asylverweigerung: Bernd Pickert (taz) kritisiert die Verweigerung von Asyl gegenüber dem Aufdecker des NSA-Überwachungsskandals Edward Snowden durch EU-Europa sowie den Umgang der USA mit Geheimnisverrätern als "Rechtsstaatsversagen". Angesichts dessen könne man ihm kaum vorwerfen, nun Zuflucht in einem Land wie Venezuela zu suchen.
Rechtsschutzversicherungen: Die Deutschen sind Weltmeister beim Abschluss von Rechtsschutzversicherungen. Dennoch sieht sich die Branche unter Druck: Rückläufige Vertragsabschlüsse, Streit mit dem Anwaltsverein über Vertragsanwälte der Versicherungen. Die SZ (Herbert Fromme) berichtet und porträtiert in einem weiteren Artikel Paul-Otto Faßbender, den Inhaber der Arag-Rechtsschutzversicherung.
Überwachung & deutsche Souveränität: Die FAZ (Majid Sattar) analysiert die Aussagen von Regierungssprecher Steffen Seibert zum NSA-Überwachungsskandal und kommt zu dem Schluss, dass es wohl keine Geheimabkommen gäbe, die Deutschlands Souveränität auch nach der Wiedervereinigung im Hinblick auf US-Geheimdiensttätigkeiten einschränkten. Daher könne Deutschland "auf Augenhöhe" mit den USA verhandeln.
Streit um Abfall: Die FAZ (Helmut Bünder) dokumentiert den Streit zwischen Entsorgungsunternehmen und den dualen Systemen um das Eigentum am Wertstoff-Abfall. Ein von den Entsorgungsunternehmen in Auftrag gegebenes Gutachten sei nun zu dem Schluss gekommen, dass das Eigentum durch den Einwurf in die Tonne auf die Entsorgungsunternehmen übergehe.
Das Letzte zum Schluss
Gescheiterte Scheidung: Ein gemeinsam genutzter und von der Ehefrau befüllter Kühlschrank, von der Frau gewaschene und gebügelte Kleidung – und obendrein ein nach wie vor geteiltes Ehebett. Da wird‘s schwierig mit der Scheidung – fand auch das Amtsgericht Bonn, wie blog.beck.de (Hans-Otto Burschel) zu berichten weiß.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Juli 2013: Vorratsdatenspeicherung vor dem Aus? – Mehr Rechte für Reisende – Gentechnik-Versuch als Notstandslage . In: Legal Tribune Online, 10.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9107/ (abgerufen am: 20.07.2024 )
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