Straßburger Urteil: Eine angesetzte Verhandlung darf nicht so einfach wieder abgesetzt werden. Außerdem in der Presseschau: Amtsgericht Cottbus verurteilt Frau, die ihren Namen verschwieg, und Islamrechtler erklärt die Scharia.
Thema des Tages
EGMR zu abgesetzer mündlicher Verhandlung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Deutschland, weil das Landgericht Dresden 2008 eine anberaumte mündliche Verhandlung elf Tage vor dem Termin wieder absagte. In dem Verfahren klagte der Pharma-Unternehmer Udo Madaus gegen die Enteignung des väterlichen Betriebs 1947 in der sowjetischen Besatzungszone. Als das Landgericht überraschend eine mündliche Verhandlung anberaumte, sprachen Madaus' Anwälte in einer Pressemitteilung von einem möglichen Wendepunkt in der Enteignungsrechtsprechung. Daraufhin sagte das Gericht die mündliche Verhandlung wieder ab, da es deren Missbrauch als öffentliches Forum befürchtete. Nach Ansicht des EGMR genügte das nicht als Grund. Das Recht auf ein faires Verfahren sei dadurch verletzt worden. Es berichten lto.de (Constantin van Lijnden), Tsp (Jost-Müller-Neuhof) und FAZ (mgt.).
Rechtspolitik
"Sichere Herkunftsstaaten": Das vom Bundestag bereits beschlossene Gesetz zur Einstufung von Algerien, Tunesien und Marokko als "sichere Herkunftsstaaten" wird am 17. Juni vermutlich keine Mehrheit im Bundesrat bekommen. Die erforderliche Zustimmung von drei oder vier grün mitregierten Ländern sei nicht in Sicht, berichtet die taz (Ulrich Schulte). In einem separaten Text beschreibt die taz (Christian Rath) die vor allem symbolische Wirkung solcher Gesetze. Insbesondere ließen sich damit Abschiebungen nicht beschleunigen.
Prostitution und Menschenhandel: Die Welt (Sabine Menkens) berichtet über Stellungnahmen für die Bundestagsanhörung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen Menschenhandel, die am Mittwoch stattfand. Unter anderem erläuterte das BKA, warum es so schwierig ist, Menschenhandel-Opfer zu Aussagen zu bringen.
Justiz
AG Cottbus zu Frau ohne Namen: Das Amtsgericht Cottbus verurteilte eine junge Frau wegen Verletzung eines Polizisten zu zwei Monaten Freiheitsstrafe, ohne ihren Namen zu kennen. Die Frau hatte nach der Festnahme die Angabe von Personalien verweigert und zwischen Tat und Prozess vier Wochen in Untersuchungshaft verbracht, berichtet rbb-online.de. Wegen der fehlenden Personalien sei auch keine Strafaussetzung zur Bewährung möglich gewesen.
OLG Frankfurt/M. zu Uber: Die Fahrervermittlung Uber Pop bleibt in Deutschland verboten. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt stufte die Vermittlung von Fahrern, die keine Genehmigung zur Personenbeförderung haben, als Wettbewerbsverstoß ein. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen. Uber sieht die europäische Dienstleistungsfreiheit verletzt und will den Prozess zum Europäischen Gerichtshof bringen. Es berichten die taz (Christian Rath) und spiegel.de (Philipp Seibt).
EuG zu Kletterhallen: Kommunale Beihilfen für Kletterhallen des Deutschen Alpenvereins sind rechtmäßig. Das Europäische Gericht Erster Instanz lehnte die Klagen von konkurrierenden kommerziellen Kletterhallenbetreibern ab. Die Förderung des Breitensports rechtfertige die Beihilfen, berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de.
BAG zu Massenentlassungen: Eine unvollständige Information des Betriebsrats über Massenentlassungen kann geheilt werden, wenn dieser dennoch eine Stellungnahme abgibt und signalisiert, dass er ausreichend beteiligt wurde. Das entschied das Bundesarbeitsgericht laut lto.de.
BAG zu Kettenbefristungen: Auf lto.de schreiben die Anwälte Thomas Griebe und Bettina Fasholz über ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Mittwoch. Danach ist es nicht rechtsmissbräuchlich, wenn eine Wissenschaftlerin 22 Jahre lang nur befristet beschäftigt wurde, solange sie sich in erheblichen Teilen dieser Zeit wissenschaftliche qualifizieren konnte.
LG Hannover zu Angriff auf Lehrer: Das Landgericht Hannover verurteilte einen zur Tatzeit 14-jährigen Gymnasiasten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Er hatte auf einer Klassenfahrt seinem Lehrer aufgelauert, ihm einen Schnürsenkel um den Hals gelegt und zugezogen. Der Junge muss nun einen sozialen Trainingskurs besuchen, eine Jugendstrafe wurde für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht hatte den zunächst angenommenen Tötungsvorsatz verneint, schildert spiegel.de.
AG Jena zu Angriff auf Inder: Das Amtsgericht Jena verurteilte drei Heranwachsende, die aus rassistischen Gründen drei indische Studenten angegriffen hatten, wegen gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafen und Jugendarrest, meldet spiegel.de.
LG München - Windows 10: Vorläufig ohne Ergebnis endete am Landgericht München eine Klage der Verbraucherschutzzentrale Baden-Württemberg gegen Microsofort wegen der ohne Einwilligung erfolgten Aufspielung von Windows-10-Installationspaketen auf private Computer. Die Verbraucherzentrale hatte die Klage der deutschen Microsoft-Niederlassung zustellen lassen. Nach Ansicht des Gerichts wäre aber eine Zustellung in den USA erforderlich gewesen, meldet lawblog.de (Udo Vetter).
LG Frankfurt/M - Smart-TV und Datenschutz: netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) weist auf einen Prozess hin, der am heutigen Freitag beim Landgericht Frankfurt verhandelt wird. Die Verbraucherzentrale NRW klagt gegen Samsung, weil dessen Smart-TV-Gerät mit dem Hersteller Daten austauscht noch bevor der Käufer den AGBs zugestimmt hat. Der Fall wird im Gespräch mit zwei bayerischen Datenschützern erörtert.
EuGH - bilaterale Investitionsschutzabkommen: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Corinna Kreissl beschäftigt sich auf juwiss.de mit einem Verfahren am Europäischen Gerichtshof, das der deutsche BGH im März vorgelegt hatte. Danach muss der EuGH feststellen, ob Schiedsklauseln aus bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen zwei EU-Staaten anwendbar sind oder ob sie andere EU-Staaten diskriminieren.
EuGH zu EU-Haftbefehl: Der US-Rechtsprofessor Daniel Halberstam schildert auf verfassungsblog.de
in einem englischsprachigen Beitrag, wie der Europäische Gerichtshof seine bisher absolute Doktrin zum gegenseitigen Vertrauen beim EU-Haftbefehl gelockert hat. Der EuGH habe dabei auch auf Kritik des Bundesverfassungsgerichts reagiert.
Recht in der Welt
Griechenland - Justizkollaps: Seit fünf Monaten streiken griechische Rechtsanwälte und andere Juristen gegen Steuererhöhungen und eine Rentenreform. Die griechische Justiz stehe deshalb vor dem Kollaps, meldet die SZ.
USA - Vergewaltigung: In den USA wird die Verurteilung eines Studenten, der eine Frau vergewaltigt hatte, zu sechs Monaten Haft kontrovers diskutiert. Über die Dabette berichten die FAZ (Christiane Heil) und spiegel.de (Christian Neef) ,wobei die Sachverhaltsschilderungen abweichen.
Philippinen und China: Die philippinische Botschafterin in Deutschland, Melita S. Sta. Maria-Thomeczek, schildert in einem FAZ-Gastbeitrag, warum ihr Land im völkerrechtlichen Streit mit China ein Schiedsgericht angerufen hat. Sie wirft China "massive Landgewinnungsaktivitäten und Inselbau-Maßnahmen" vor.
Sonstiges
Scharia: Der Jurist und Islamrechtler Çefli Ademi klärt in einem SZ-Gastbeitrag über das Wesen der Scharia auf. Diese sei kein abgeschlossenes Gesetzbuch. Über ihren Inhalt diskutierten Rechtschulen schon seit Jahrhunderten. Wer eine besonders rigide Auslegung vertrete, sei diesem Meinungsstreit meist argumentativ nicht gewachsen.
Juristin beim Verfassungsschutz: spiegel.de (Bernd Kramer) schildert, wie eine Juristin den Weg zum Verfassungsschutz fand. Dort seien derzeit hunderte neue Stellen zu vergeben.
Steuerrecht an der Uni Hamburg: Rudolf Mellinghoff, der Präsident des Bundesfinanzhofs, kritisiert, dass der Steuerrechtslehrstuhl der Universität Hamburg nicht wiederbesetzt werden soll. Das meldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Das Letzte zum Schluss
Atze Schröder vor Gericht: Der Comedian Hubertus Albers musste sich vor dem Amtsgericht Rheine verantworten, weil er seinen Kollegen Niels Ruf tätlich angegriffen haben soll. Vor Gericht erschien Albers laut bild.de (F.Schneider/S.Kuschel) mit Perücke und "Porno-Brille", damit er optisch seiner Fernsehfigur "Atze Schröder" entspricht. Die Richterin sei damit einverstanden gewesen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Juni 2016: EGMR rügt Deutschland / AG Cottbus verurteilt Frau ohne Namen / Scharia kein Gesetzbuch . In: Legal Tribune Online, 10.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19621/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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