Unverheiratete Eltern haben nicht denselben Familienselbstbehalt wie Ehepaare, so der BGH. Außerdem in der Presseschau: Polens Verfassungsrichter entscheiden gegen neues Verfahrensgesetz und BGH verhandelt zu VG Wort.
Thema des Tages
BGH zum Unterhaltsanspruch pflegebedürftiger Eltern: Wenn Eltern pflegebedürftig werden, können ihre Kinder zu Unterhaltsleistungen verpflichtet sein, und der Sozialhilfeträger kann diese Kosten geltend machen. Verheirateten Paaren mit Kindern steht hiergegen ein vorrangiger "Familienselbstbehalt" für die eigene Familie zu. Auf diesen können sich jedoch Unverheiratete nicht berufen, entschied nun der Bundesgerichtshof. Denn diese hätten rechtlich auch nicht füreinander einzustehen. Sie könnten allerdings in bestimmten Familienkonstellationen ähnliche Entlastungen erhalten, etwa wenn – wie im entschiedenen Fall – ein Partner die Kinder allein betreut. Hier kann ein sogenannter "Betreuungsunterhalt" in Abzug gebracht werden, und zwar auch dann, wenn die Entscheidung gegen eine Erwerbstätigkeit des einen Partners allein private Gründe im Rahmen der gemeinsamen Familiengestaltung hat. Dies berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath).
In einem separaten Kommentar hält Wolfgang Janisch (SZ) dies für eine "gute Lösung", da der Vorrang der eigenen Kinder gestärkt werde und Familiensolidarität nicht vom Trauschein abhänge. Reinhard Müller (FAZ) meint, es sei gut, die Kinder zu bevorzugen, die noch nicht für sich selbst sorgen könnten – Unverheiratete nicht wie Eheleute zu betrachten, sei jedoch verfassungsrechtlich geboten und auch familienpolitisch sinnvoll.
Rechtspolitik
Flüchtlinge und die Türkei: Auf verfassungsblog.der befasst sich Rechtsprofessor Daniel Thym in englischer Sprache mit der Flüchtlings-Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei und hält diese im Ergebnis für rechtlich zulässig. Zudem führt verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) ein ebenfalls englischsprachiges Interview mit dem Rechtsprofessor James C. Hathaway zu den Voraussetzungen, unter denen Flüchtlinge in Drittstaaten zurückgeschickt werden können.
EU und Bürokratieabbau: Die EU-Kommission hatte geplant, bei neuen EU-Gesetzen eine Folgeneinschätzung der Wirkungen auf Menschen und Wirtschaft einzuführen und zudem die Mitgliedstaaten zu verpflichten, es zu kennzeichnen, wenn nationale Umsetzungsgesetze über die EU-Vorgaben hinausgehen. Dies wurde nun nur in sehr abgeschwächter Form beschlossen, meldet die FAZ (Hendrik Kafsack).
Opferentschädigung und Insolvenz: Wie das Hbl (Heike Anger) berichtet, plant Bundesjustizminister Heiko Maas eine Stärkung von Straftatopfern gegenüber Insolvenzgläubigern. Nach momentaner Rechtslage haben Geschädigte einer Straftat keinen Zugriff auf im Strafverfahren sichergestellte Vermögenswerte, wenn zwischenzeitlich ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Täters eröffnet worden ist. Künftig sollen die Opfer im Strafvollstreckungsverfahren entschädigt werden.
Korruption bei Ärzten: In einem Gastbeitrag in der Zeit erläutert Strafverteidiger Oliver Pragal die Strafbarkeit niedergelassener Vertragsärzte, die sich etwa durch Pharmaunternehmen bestechen lassen. Diese wurde jahrelang diskutiert, im Ergebnis jedoch abgelehnt, und nur Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern würden als "Amtsträger" bestraft. Im Sommer 2015 beschloss das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Schließung dieser Lücke.
Verschreibungspflichtige Arzneimittel: Künftig sollen verschreibungspflichtige Arzneimittel ausdrücklich nur bei einem Kontakt von Arzt und Patient verschrieben werden dürfen; die von manchen Online-Portalen angebotenen Ärztesprechstunden im Internet sollen damit nicht ausreichend seien. Eine entsprechende Änderung des Arzneimittelgesetzes wurde vom Bundeskabinett beschlossen, meldet die FAZ.
Justiz
BGH – Verlagsanteile der VG Wort: Die Verwertungsgesellschaft Wort, die kollektiv die Rechte von Autoren wahrnimmt, schüttet bislang einen Teil der urheberrechtlichen Tantieme pauschal an Verlage aus. Ob dies zulässig ist, verhandelt am heutigen Donnerstag der Bundesgerichtshof. Denn manche Autoren haben die Rechte an ihren Werken nicht an Verlage übertragen, erläutert telemedicus.de (Fabian Rack).
BSG zu Hartz-IV-Sanktionen: Die im Rahmen des Arbeitslosengeld II gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, den Regelsatz um 30 Prozent für bis zu drei Jahre zu kürzen, verstößt nicht gegen das Grundgesetz, entschied das Bundessozialgericht nach einer Meldung der SZ (Thomas Öchsner)
LG Düsseldorf zu „Like-Button“: Das Landgericht Düsseldorf hat entschieden, dass es gegen deutsches Datenschutzrecht verstößt, wenn Webseitenbetreiber einen "Like-Button" einbinden, mit dem Daten an Facebook in die USA übertragen werden. Denn dies geschieht beim Besuch der Seite automatisiert durch Cookies, ohne dass die Nutzer zustimmen, und zwar auch dann, wenn sie weder bei Facebook registriert sind noch den Like-Knopf anklicken, berichten lto.de und die FAZ (Joachim Jahn).
OLG München – NSU: Im NSU-Prozess hat am gestrigen Mittwoch der Mitangeklagte Carsten S., dem unter anderem die Beschaffung einer Tatwaffe vorgeworfen wird, seine Aussage ergänzt und den Mitangeklagten Ralf Wohlleben schwer belastet. Zudem haben zwei Polizisten ausgesagt, die Beweismittel im ausgebrannten Wohnmobil sicherstellten, in dem auch die Leichen der mutmaßlichen Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden. Wie spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet, soll insbesondere aufgeklärt werden, was diese mit diversen aufgefundenen Waffen sowie erbeutetem Geld vorhatten. Bekannt wurde außerdem, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nach einem Anschlag der beiden die Fernsehberichte mit einem Videorekorder aufzeichnete und damit an dem Bekennervideo mitarbeitete, so die SZ (Annette Ramelsberger). Der Prozess wird sich bis mindesten Januar 2017 verlängern.
LG Stuttgart – Porsche-Prozess: Im Prozess gegen Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und den Finanzvorstand Holger Härter betrachtet der zuständige Staatsanwalt die Vorwürfe der strafbaren Marktmanipulation auch angesichts neuer Beweismittel als erwiesen. Er bleibe dabei, Haftstrafen von jeweils über zwei Jahren zu fordern. Das Gericht hatte die Beweisaufnahme wieder eröffnet. Es berichtet die FAZ (Joachim Jahn).
LG Münster – Tötung männlicher Küken: Das Töten von Eintagsküken erfüllt keinen Straftatbestand, befand nun das Landgericht Münster und lehnte eine Anklage der Staatsanwaltschaft gegen den Betreiber einer Kükenbrüterei ab. Es liege kein nach dem Tierschutzgesetz strafbares Töten "ohne vernünftigen Grund" vor. Die Tierschutzschlachtverordnung aus dem Jahr 2012 erlaube die Tötung und eine Änderung der langjährigen Praxis müsse vom Gesetzgeber beschlossen werden. Dies schreiben lto.de und die SZ.
StA Berlin – Volker Beck: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat bereits vergangenen Donnerstag in einem Schreiben an den Bundestag angekündigt, gegen den Grünen-Politiker Volker Beck wegen Drogenvorwürfen zu ermitteln. Bis zum gestrigen Mittwoch sei jedoch noch kein Empfangsbekenntnis des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert eingegangen. Ein solches ist zur Aufnahme von Ermittlungen gegen Abgeordnete notwendig, da der Bundestagspräsident, obgleich die Immunität der Abgeordneten pauschal aufgehoben ist, innerhalb von 48 Stunden nach Erhalt der Ankündigung der Einleitung von Ermittlungen widersprechen kann, erläutert der Tsp (Jost Müller-Neuhoff)
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Der Verfassungsgerichtshof in Warschau hat am gestrigen Mittwoch das umstrittene Gesetz, mit dem die neue Pis-Regierung das Gericht weitgehend entmachtet hat, für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht sieht sich durch das Gesetz an seiner Arbeit gehindert. So werde es durch eine Reihe von Vorschriften etwa zu Quorum, Beschlussmehrheiten und Verfahrensablauf gelähmt. Auch werde die Unabhängigkeit der Richter massiv beschränkt. Diese Bedenken werden von der Venedig-Kommission des Europarats geteilt, die bereits mitteilte, das Gesetz entspreche nicht internationalen Rechtsmaßstäben, berichtet unter anderem die FAZ (Konrad Schuller). Florian Hassel (SZ) resümiert, die Pis wolle "ein zentrales Prinzip des modernen Rechtsstaates faktisch abschaffen: dass eine Regierung und ihre Mehrheit im Parlament der Kontrolle durch unabhängige Richter unterworfen sind."
USA – VW-Skandal: Das US-Justizministerium ermittelt wegen der Abgas-Manipulationen bei VW inzwischen auch wegen des Verdachts des Bankbetrugs und von Verstößen gegen Steuergesetze. Das entsprechende Gesetz sei eigentlich für Vergehen im Finanzsektor entwickelt worden, jedoch werde gegen VW nun in alle Richtungen geprüft. Auch in anderen Ländern laufen inzwischen Ermittlungen gegen VW. In Deutschland beginnen verschiedene Sammelklagen an. Es berichten die SZ (Thomas Fromm/Klaus Ott) und das Hbl (Frank Wiebe).
Frankreich – Terrorgesetze: Die französische Nationalversammlung hat am Dienstag mit großer Mehrheit ein Anti-Terror-Gesetz beschlossen, das diverse Regeln festschreibt, die bislang nur als Notstandsbefugnisse zulässig sind. Unter anderem sollen Terrorverdächtige bei Identitätskontrollen erst nach vier Stunden einen Anwalt beiziehen dürfen, der Richtervorbehalt für verschiedene Maßnahmen, auch Hausdurchsuchungen, wird aufgehoben, und Polizisten dürfen ihre Dienstwaffe auch außerhalb ihrer Dienstzeiten einsetzen, meldet die FAZ (Michaela Wiegel). Das Gesetz stößt aufgrund der umfangreichen Freiheitsbeschränkungen auf Kritik.
Brasilien – Haftstrafe für Baumagnat: Wegen Bestechung, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung ist der brasilianische Bauunternehmer Marcelo Odebrecht zu einer Haftstrafe von mehr als 19 Jahren verurteilt worden. Sein Familienkonzern soll Manager des staatlichen Ölkonzerns Petrobras systematisch bestochen haben. Spekuliert wird nun, ob Odebrecht Staatspräsidentin Dilma Rousseff und ihren Amtsvorgänger Inácio Lula da Silva mit Zeugenaussagen belasten wird, schildert die FAZ (Carl Moses).
Sonstiges
Herkunftsnennung bei Straftätern: Wie die SZ (Karoline Meta Beisel) berichtet, hat der Presserat am gestrigen Mittwoch beschlossen, den Pressekodex hinsichtlich der Nennung der Nationalität von Straftätern in den Medien nicht zu ändern. Die bisherige Regelung, dass dies nur geschehen solle, "wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht", sei handhabbar und ermögliche vernünftige Einzelfallentscheidungen. Aufgrund der Verunsicherung in manchen Redaktionen werde der Presserat jedoch Hilfestellungen zur Definition des "begründbaren Sachbezugs" erarbeiten.
Dublin-III: Auf verfassungsblog.de befassen sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter Tobias Brings, Anuscheh Farahat und Maximilian Oehl damit, inwieweit die deutsche Grenzpolitik den Maßgaben des Dublin-Systems entspricht. Sie kritisieren eine Auslegung, nach der es auf Grundlage von Art. 20 IV Dublin-III-VO für Deutschland möglich sein soll, unionsrechtskonform Einreiseverweigerungen an der Grenze auszusprechen. Damit würden die "Grundprinzipien eines kooperativen Systems gemeinsamer europäischer Verantwortungsübernahme" negiert.
Kommunalwahlrecht: Die FAZ (Reinhard Müller) befasst sich mit der Frage, ob es Wählertäuschung sein, wenn Kandidaten zu Kommunalwahlen antreten, die das Mandat im Falle der Wahl gar nicht annehmen dürften. Denn Landräte, Bürgermeister oder Beigeordnete dürften in manchen Bundesländern kraft Gesetz nicht zugleich Mitglied der Gemeindevertretung sein, ließen sich aber dennoch wählen und dann einen anderen Bewerber nachrücken.
Von der Leyen – Plagiatsvorwurf: Wie die Medizinische Hochschule Hannover berichtet, wird Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht der Doktortitel entzogen. Ihre Doktorarbeit enthalte zwar Fehler, eine Täuschungsabsicht sei jedoch nicht erkennbar, berichtet die SZ (Robert Roßmann).
Das Letzte zum Schluss
Tätliche Beeinflussung: Das OLG Hamm bewilligte dem Antragsgegner in einem Familiengerichtsverfahren im vergangenen Herbst die Auswechslung seines Verfahrensbevollmächtigten, weil dieser ihn zu falschen Angaben geradezu genötigt habe. Insbesondere habe er dem Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung bei fast jeder Frage der Vorsitzenden unter dem Tisch gegen sein Bein getreten. Der Antragsgegner habe zwei Monate gebraucht, um sich davon zu erholen – das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Dies berichtet blog.beck.de (Hans-Otto Burschel)
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. März 2016: Unverheiratete zahlen mehr für Eltern / Polens Verfassungsgericht / Presserat zu Täterherkunft . In: Legal Tribune Online, 10.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18702/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag