Im Ermittlungsverfahren gegen Christian Wulff wird mit einer Anklageerhebung gegen den Alt-Bundespräsidenten gerechnet. Für heute haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung Erklärungen angekündigt. Außerdem in der Presseschau: der Richterbund zur Platzvergabe im NSU-Verfahren, das LG München I zu Urheberrechtsverletzungen ohne WLAN-Router und warum man bei Durchsuchungen besser einen Blick in den Kühlschrank werfen sollte.
Ermittlungsverfahren Wulff: Nach Informationen der SZ (Hans Leyendecker) zeichnet sich im Ermittlungsverfahren gegen den Alt-Bundespräsidenten Christian Wulff und den Filmmanager David Groenewold wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Bestechung eine Anklageerhebung ab. So hätte die Staatsanwaltschaft bei einer gestrigen Besprechung mit Wulffs Verteidigern ihr Angebot zur Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage wiederholt und angekündigt andernfalls, Anklage zu erheben. Die Staatsanwaltschaft habe sich aber auch auf die Möglichkeit der Einstellung der Ermittlungen vorbereitet, so Die Welt (Ulrich Exner). Mit einer Erklärung der Anwälte werde im Laufe des Dienstags gerechnet; auch die Staatsanwaltschaft wolle sich äußern.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert erneut das Vorgehen der Staatsanwaltschaft: Das Verfahren gegen Wulff müsse ohne Wenn und Aber eingestellt werden. Weil Wulff keine "Einstellung zweiter Wahl" akzeptiere, soll er nun angeklagt werden. Dies sei nicht Ergebnis eines Rechts- sondern eines Rechthabereiverfahrens. In der Wulff-Affäre habe es zweifellos Übertreibungen gegeben, meint dagegen Ludwig Greven (zeit.de). Im Kern gehe es indes nicht um eine Lappalie, sondern darum, "ob sich ein führender deutscher Politiker von Unternehmern hat kaufen lassen".
Weitere Themen – Rechtspolitik
Offshore-Leaks: Rechtsanwalt Karsten Randt befasst sich in der FAZ mit der Frage, ob in den Offshore-Leaks-Fällen eine strafbefreiende Selbstanzeige für Steuerflüchtige noch möglich ist. Da das Datenmaterial bisher nur verschiedenen Pressehäusern bekannt sei, stehe grundsätzlich nichts entgegen. Allerdings gebe es keine gefestigte Rechtsprechung, so dass das "Rennen um die Erlangung der Straflosigkeit" bereits begonnen habe.
"In ihren hysterischen Reaktionen verkennen deutsche Politiker, dass vieles nicht unbedingt illegal ist, was empören mag", werfen dagegen Rechtsprofessor Gustav K.L. Real und Steuerberater Frank Wehrheim auf lto.de ein.
Joachim Käppner (SZ) stellt sich angesichts der Offshore-Leaks-Enthüllungen hinter Forderungen zur Schaffung einer Bundesfinanzpolizei. Es sei seltsam, wenn der Staat Geld zum Ankauf von Steuer-CDs aus nebulösen Quellen ausgebe, ein zweifelhaftes Steuerabkommen mit der Schweiz durchsetzen wolle, Medien bitte, die Identität einschlägiger Informanten preiszugeben, aber nicht zu einer effizienteren Verfolgung von Steuer- und Finanzbetrug bereit sei.
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung "werde im vorliegenden Fall mit Füßen getreten – unter dem Beifall ausgerechnet jener, die ansonsten schon bei der Weitergabe von anonymisierten Daten durch staatliche Meldeämter das Ende des Rechtsstaats heraufziehen sehen", kritisiert dagegen Ulrich Clauss (Die Welt).
Offshore-Leaks/Whistleblower: Die SZ (Hans Leyendecker) merkt zur Offshore-Leaks-Debatte an, in Deutschland bestehe noch immer kein ausreichender Schutz für private Hinweisgeber. Etwa in Großbritannien seien Whistleblower durch den Public Interest Disclosure Act (Gesetz über Enthüllungen im öffentlichen Interesse) viel besser vor arbeitsrechtlichen Schritten oder Schadenersatzforderungen des Unternehmens geschützt.
Bekämpfung Abgeordnetenkorruption: Der vom CDU-Rechtsausschuss-Vorsitzenden Siegfrid Kauder ausgearbeitete Gesetzentwurf zur Verschärfung der Regeln zur Abgeordnetenkorruption wird in dieser Legislaturperiode nach Information der SZ (Robert Roßmann) nicht umgesetzt. Der Vorstoß sei nach Angaben der Unionsfraktion nicht abgestimmt gewesen; man sehe weiterhin große Probleme, eine verfassungsrechtliche einwandfreie Lösung zu finden. In der von Deutschland 2003 unterzeichneten UN-Konvention gegen Korruption haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, alle Amtsträger im Bestechungsfall zu bestrafen.
EU-Übernahmerichtlinie: Rechtsprofessor Klaus J. Hopt widmet sich im Handelsblatt der anstehen Revision der EU-Übernahmerichtlinie von 2004. Empfehlenswert seien kleine, maßgenschneiderte Reformen, etwa hinsichtlich des Ausstiegsrechts der Aktionäre zu einem angemessenen Preis (Pflichtangebot). Bliebe es beim status quo, sei das politisch verständlich, in der Sache aber eine verpasste Gelegenheit.
Corporate Governance Kodex und Übernahmeangebote: Änderungen bezüglich Übernahmen sieht auch die für Sommer 2013 vorgesehene Änderung des Deutschen Corporate Governance Kodex vor, mit der sich Rechtsprofessor Ulrich Noack auf dem Handelsblatt-Rechtsboard befasst. Danach soll ein Übernahmeangebot an eine Aktiengesellschaft die Einberufung einer Hauptversammlung erforderlich machen, in der die Aktionäre darüber beraten. Es sei fraglich, ob eine Hauptversammlung nur zur Unterhaltung über das Angebot geboten sein kann, nach dem Motto "gut, dass wir darüber gesprochen haben". Nach Vorschlag Noacks soll die Gesellschaft für die bloße Beratung untereinander vielmehr ein Internetforum einrichten, das eine moderierte Diskussion über das Angebot ermöglicht.
Weitere Themen - Justiz
NSU-Verfahren – Platzvergabe: In der Debatte um die Platzvergabe im NSU-Prozess hat sich nun der Deutsche Richterbund zu Wort gemeldet und zur Mäßigung aufgerufen. "Es geht nicht an, dass populistische Zwischenrufer in der Debatte den Eindruck erwecken, das Oberlandesgericht München sei eine nachgeordnete Behörde der Bundes- oder Landesregierung und müsse von dort eine klare Ansage bekommen", wird der DRB-Vorsitzende Christoph Frank auf spiegel.de zitiert.
"Die Öffentlichkeit selbst bestimmt das Ausmaß ihrer Gewährleistung", meint der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Ernst Gottfried Mahrenholz in einem Beitrag für die SZ. Reiche der Gerichtssaal nicht aus, sei die Videoübertragung in einen zweiten hinlänglich großen Raum unumgängliche richterliche Pflicht.
NSU-Verfahren – Gerüchte um Attentat: Wie der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt) berichtet, hat ein Frankfurter Rechtsanwalt per Fax dem Oberlandesgericht München mitgeteilt, ihm sei zu Ohren gekommen, ein Angehöriger eines der Mordopfer wolle während der Hauptverhandlung Selbstjustiz üben. Nach Information der Anwaltskammer habe der Anwalt bereits in der Vergangenheit seine Zulassung entzogen bekommen; nun werde gerade erneut der Entzug seiner Zulassung geprüft. Informierte Kreise der Frankfurter Justiz würden den Mann darüber hinaus als mindestens "rechtspopulistisch" beschreiben.
BGH zu Sturz im Pflegeheim: Wie die SZ knapp meldet, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Krankenkasse die Pflegeunterlagen eines tödlich gestürzten Pflegeheimbewohners vom Heimbetreiber einfordern kann. Der Heimbetreiber sei in der Regel von seiner Schweigepflicht zu entbinden, wenn damit die Verletzung möglicher Betreuungspflichten durch das Personal geprüft werden soll. Dies entspreche dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen.
LG München I zu Urheberrechtsverletzung ohne Router: Das Landgericht München I hat eine Urheberrechtsklage gegen eine Rentnerin wegen eines illegalen Films abgewiesen. Die Frau hatte im Prozess angegeben, ihren Computer verkauft zu haben und ihren Internetanschluss seitdem nicht mehr genutzt zu haben; sie besitze auch gar nicht die nötige Hardware, also Modem oder Router. Wie Udo Vetter (lawblog) und zeit.de (Kai Biermann) berichten, sei es nach Auffassung des Gerichts Aufgabe der klagenden Seite gewesen, dies zu widerlegen und zu beweisen, dass die Rentnerin tatsächlich einen Film getauscht habe. Interessant sei, dass der Anschlussinhaber prozessual nicht gehalten ist, die von ihm im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast vorgebrachten Tatsachen auch zu beweisen, meint Thomas Stadler (internet-law). Allerdings werde es eine seltene Ausnahme darstellen, dass jemand glaubhaft vortragen kann, er nutze einen vorhandenen Internetanschluss überhaupt nicht.
VG Arnsberg zu Bankkonto für "Die Rechte": Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat einen Eilantrag des Landesverbands der Partei "Die Rechte" gegen die Sparkasse Hamm, die der Partei die Eröffnung eines Girokontos verweigert hatte, abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht laut lto.de aus, der Landesverband habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Entscheidung in der Hauptsache nicht abgewartet werden könne und die einstweilige Anordnung zur Vermeidung wesentlicher Nachteile notwendig sei.
AG Lüneburg – Prozess gegen Abgeordneten: Am Dienstag steht der Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan van Aken, wegen Aufforderung zu Straftaten vor dem Amtsgericht Lüneburg. Laut taz (Martin Kaul) hatte van Aken im Jahr 2010 angekündigt, er wolle sich im Rahmen der Castor-Proteste im niedersächsischen Wendland daran beteiligen, zu "schottern", also Steine aus dem Gleisbett zu räumen. Van Aken, der zur Zeit der Durchführung des Castor-Transports gar nicht in Deutschland war, argumentiere, mit seiner Unterschrift habe er lediglich seinen Willen zur Teilnahme bekundet, nicht aber zu Straftaten aufgerufen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
EuGH – Zusammenschluss von UPS und TNT Express: Der amerikanische Logistikkonzern hat vor dem EuGH Einspruch gegen die ablehnende Entscheidung der EU-Kommission zum Zusammenschluss mit dem Niederländischen Wettbewerber TNT Express eingelegt. Die Kommission hatte eine Verringerung der Anzahl großer Anbieter bei Express-Paketdiensten auf UPS und Deutsche Post DHL als unvertretbar bezeichnet. Nach Angaben der FAZ (Michael Stabenow/Roland Lindner) wolle UPS nun verhindern, dass die Entscheidung der EU-Kommission einen Präzedenzfall schaffe.
Ungarn – Verfassungsreform: Im Rahmen des Schwerpunktthemas "Ungarn – was tun?" befasst sich der Rechtswissenschaftler Claudio Franzius auf verfassungsblog.de mit der Überlegung, im Falle der Verfassungsänderungen in Ungarn eine Kopenhagen-Kommission als 'watchdog' für die Einhaltung der Kopenhagen-Kriterien einzusetzen. Es stelle sich die Frage, wer zum Schutz der Demokratie berufen sein soll. Die Kopenhagen-Kommission sei dabei weder eine politische Lösung noch rechtlich überzeugend. Vielmehr käme eine solche Kommission einem "holistischen, die gesamte politische Landschaft erfassenden Quasi-Gericht" ohne größere Durchsetzungskraft gleich.
Sonstiges
Top-Level-Domain-Vergabe: lto.de (Tobias Kohl) führt ein Interview mit dem Marken- und Domainrechtler Peter Müller zur Verfahrensweise bei der Vergabe sogenannter Top-Level-Domains (TLD) wie ".app" oder ".shop". Seit Januar 2012 bestehe für Unternehmen die Möglichkeit, bei der Internationalen Organisation zur Verwaltung von Internetdomains (ICANN) zu beantragen, quasi frei ausgedachte Endungen auf sie zuzulassen. Allerdings gebe es die Möglichkeit für Dritte, einen solchen Antrag mit dem Argument zu beanstanden, die TLD widerspreche geltendem Recht oder international anerkannten Grundsätzen. So habe sich etwa die Europäische Kommission an dem Kürzel ".sex" gestört.
Urheberrecht des Verteidigungsministeriums: Nach Mitteilung der WAZ (David Schraven) hat das Bundesverteidigungsministerium die Zeitung wegen der Veröffentlichung von Dokumenten aus dem Verteidigungsausschuss des Bundestags im Umfang von 5.000 Seiten abgemahnt und zur Löschung der im Internet einsehbaren Schriftstücke aufgefordert. Nach Argumentation des Verteidigungsministeriums verletze die Veröffentlichung das Urheberrecht der Behörde. Laut WAZ werde man dem nicht nachkommen und setze sich "gegen den juristischen Angriff des Verteidigungsministeriums zur Wehr". Eine knappe Meldung findet sich auch auf netzpolitik.org (Markus Beckedahl).
Von Schirach-Verfilmung: lto.de (Markus Sehl) bespricht die ersten beiden Teile der am Sonntag im ZDF angelaufenen von Schirach-Verfilmung "Verbrechen". Die Erzählung aus Anwaltsperspektive habe den Nachteil, dass Verteidiger immer erst ins Spiel kommen, wenn "die Sache schon gelaufen ist". "Um dennoch Spannung zu erzeugen, muss ständig so getan werden, als sei er hautnah dabei, wenn geplant, gemordet und geflüchtet wird", kritisiert Sehl.
Das Letzte zum Schluss
Sprengstoff im Kühlschrank: Bei der Razzia gegen vier Salafisten, die Anschläge auf Kader der rechtsextremen Partei Pro NRW geplant haben sollen, haben die Ermittler im Kühlschrank gelagerten Sprengstoff übersehen. Die Beamten hätten den gut gefüllten Kühlschrank nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD) nur "in Augenschein genommen", jedoch nicht penibel überprüft. Erst als sich der Verdächtige Marco G. im Dortmunder Gefängnis einer Sozialarbeiterin anvertraute, sie möge seine Ehefrau warnen, nicht an den Kühlschrank zu gehen, wurde die Polizei nach Meldung von spiegel.de (Jörg Diehl/Fidelius Schmid) fündig.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. April 2013: Entwicklungen im Fall Wulff – Richterbund zum Platzvergabeverfahren – Urheberrechtsverletzungen ohne Router . In: Legal Tribune Online, 09.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8484/ (abgerufen am: 30.06.2024 )
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