Thomas Fischer sieht keine Schutzlücke im Vergewaltigungsparagrafen – und findet klare Worte zur Frage, warum für ihn die aktuelle Debatte zu kurz greift. Außerdem in der Presseschau: Handlungsbedarf bei Syndikusanwälten, eine Präambel ohne Gottesbezug, Verbote gleichgeschlechtlicher Ehe in den USA werden gekippt und warum sich ein Paar während der Verhandlung noch schnell verlobt hat.
Thema des Tages
Fischer zum Vergewaltigungsparagrafen: Im Rahmen der aktuellen Debatte die Strafbarkeit von Vergewaltigungen meldet sich einmal mehr BGH-Richter Thomas Fischer zu Wort. In einem ausführlichen Kommentar für die Zeit erklärt Fischer zunächst die Tatbestände des Sexualstrafrechts – sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Missbrauch – und kommt anhand von Beispielsfällen zum Ergebnis: Es existiere keine Schutzlücke. Für Fischer rührt die Debatte auch aus einigen fehlerhaften Gerichtsentscheidungen, die Anlass zu Missverständnissen böten. Fehlerhafte Gerichtsentscheidungen dürfe man aber nicht mit geltendem Recht verwechseln. Fischer stellt klar: Es sei zum Beispiel Unsinn, von einer Straflosigkeit eines Mannes auszugehen, der mit einer "vor Angst starren" Frau gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr vollzieht. Ein solcher Fall erfülle vielmehr den Tatbestand der Vergewaltigung "durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage". Das bloße "Nein" als Grundlage der Strafbarkeit zu fordern, greife zu kurz: Die entscheidende Frage sei nicht das "Nein", sondern wie ein Täter einen entgegenstehenden Willen mit Zwang bricht.
Entschieden schließt Fischer ab: Jede sexuelle Handlung "gegen den Willen" als Vergewaltigung ahnden zu wollen, sei eine "Desinformations-Kampagne, die mit der Uninformiertheit der breiten Mehrheit spielt, Regeln rationaler Diskussion missachtet und auf ein rechtspolitisches Klima abzielt, das "Sicherheit" vortäuscht, in Wahrheit aber Rechtsunsicherheit verbreitet." Ihr Erfolg wäre "eine Niederlage für den Rechtsstaat".
Rechtspolitik
Wahl der Verfassungsrichter: Wird neben dem Bundesrat bald der gesamte Bundestag an der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts beteiligt sein – und nicht mehr wie bisher der zuständige Wahlausschuss? Ein Gesetzentwurf sieht laut FAZ (Reinhard Müller) vor, künftig das Plenum wählen zu lassen. Der Entwurf soll am heutigen Donnerstag in erster Lesung beraten werden; Ziel sei mehr Transparenz im Verfahren. Doch werde sich in der Praxis kaum etwas ändern, da das Plenum aufgrund eines Vorschlages abstimmen soll – "die entscheidende Vorauswahl erfolgt wie bisher".
Stellung der Syndikusanwälte: Nachdem das Bundessozialgericht im April entschied, dass Syndikusanwälte nicht von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sind, ist der Status von Unternehmensjuristen weiter ungeklärt. Und erneut richten sich zahlreiche Appelle an den Gesetzgeber: Wie Rechtsanwalt Martin W. Huff für lto.de berichtet, haben Politik und Verbände auf einem Gipfel des Bundesverbands der Unternehmensjuristen nun für eine einheitliche Anwaltschaft und Vertrauensschutzregelungen plädiert. Außerdem habe ein Vorsitzender Richter des BSG Kritik am Gericht und seinen Syndikus-Entscheidungen von sich gewiesen.
Runder Tisch zur Regulierung von Prostitution: Wie die taz(Heide Oestreich) meldet, hat sich der "Runde Tisch Prostitution" zur geplanten Reform des Prostitutionsgesetzes kritisch geäußert. Die Experten setzen in ihrem Abschlussbericht weniger auf Regulierung, mehr auf Selbstbestimmtheit der Prostituierten – durch umfassende Beratung für Selbstschutz und -fürsorge und einfachen Zugang zu medizinischer Versorgung. Ein Prostitutionsverbot habe der "Runde Tisch" abgelehnt. Freier würden durch ein Verbot kriminalisiert: Prostituierte hätten dann keine legalen Kunden mehr und könnten "nicht offen und selbstbewusst auftreten".
Verfassung ohne Gottesbezug in Schleswig-Holstein: Wie die Welt (Uwe Schmitt) schreibt, hat der schleswig-holsteinische Landtag am gestrigen Mittwoch eine neue Landesverfassung beschlossen. Neuerungen seien geringere Hürden für direkte Demokratie, Förderung unbürokratischer Verwaltung und Schutz digitaler Privatsphäre. Im Fokus steht aber ein anderer Aspekt: Die neue Verfassung verzichtet in ihrer Präambel auf den Gottesbezug. Reinhard Müller kritisiert in der FAZ: "Die Demut der bescheidenen Formel "In Verantwortung vor Gott und den Menschen" aus dem Jahr 1949 ist eine klare Absage an jede totalitäre Herrschaft – und heute nötiger denn je. Sehr bedauerlich, dass man das in Kiel nicht erkannt hat."
Jagd auf Katzen in NRW: Laut SZ (Bernd Dörries) soll im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen ein neues Jagdgesetz in Kraft treten, mit dem die Jagd auf Katzen verboten werden soll. Jäger protestieren dagegen und bezeichnen das Ansinnen als "Wohlfühlgesetz"; der Schutz von Vögeln werde außer Acht gelassen. Die Jäger erwägen außerdem eine Verfassungsklage, weil das Gesetz "ein Einstieg in den Ausstieg aus der Jagd" sei.
Justiz
BSG zu Schlichtungsstellen: Bevor Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Kassen vor Gericht landen, müssen sie nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz zunächst vor einer Schlichtungsausschuss der jeweiligen Länder verhandelt werden. Doch was, wenn ein solcher Ausschuss nicht eingerichtet ist? Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass dann direkt geklagt werden kann. Zuvor hatte das Sozialgericht Berlin eine entsprechende Klage der Berliner Charité gegen die DAK als unzulässig erachtet; in Berlin existiert erst seit kurzem ein Schlichtungsausschuss. lto.de schreibt über die Entscheidung des BSG.
BFH zu Cum-Ex-Geschäften: Die Urteilsbegründung zu einer etwa sechs Monate alten Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu Cum-Ex-Geschäften ist am gestrigen Mittwoch erschienen. Bei diesen Geschäften nutzten Aktienhändler eine Gesetzeslücke aus, um sich einmal gezahlte Abgeltungssteuern vom Fiskus mehrfach rückerstatten zu lassen. Das Handelsblatt (Sönke Iwersen/Laura de la Motte) und die FAZ (Joachim Jahn) befassen sich mit dem Urteil. Cum-Ex-Geschäfte seien der Urteilsbegründung zufolge rechtmäßig gewesen.
LG Verden – Misshandlung von Heimbewohnern: Über einen Strafprozess wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen vor dem Landgericht Verden berichtet ausführlich die SZ (Thomas Hahn). Betreuer sollen einige Bewohner einer Behinderteneinrichtung in Frankenfeld-Bosse mit Gewalt ruhig gestellt haben. Heute soll das Urteil gesprochen werden; den Angeklagten drohen offenbar Geldstrafen.
LG München I zu Ferndiagnosegutachten: Die SZ (Klaus Ott) berichtet über einen Fall, in dem ein Arzt einen Mann für schwer gestört erklärte – obwohl er den Mann selbst nie gesehen, sondern als Patientin lediglich seine Ehefrau behandelte hatte. Der Arzt habe mit diesem Vorgehen laut Ärzteverband gegen die Berufsordnung verstoßen, weil das Attest einzig auf den Angaben der Frau gefußt habe. Der Arzt muss nach einem berufsgerichtlichen Verfahren vor dem Landgericht München I eine Geldbuße von 5.000 Euro zahlen. "Atteste ohne Untersuchung" sei man inzwischen gewohnt, wird der Münchner Richter Joachim Eckert zitiert. Der Fall erinnere stark an Gustl Mollath, dessen Konstitution ebenfalls von einem Arzt per Ferndiagnose beurteilt worden war.
StA München – Schuldenerlass: Die StA München hat laut FAZ (Hanno Mußler) ein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der staatlichen Bad Bank der Hypo Real Estate eingeleitet. Der Vorwurf: Griechische Staatsanleihen seien möglicherweise mit einem "zu niedrigen Erlös" verkauft worden. Daher stehe eine Strafbarkeit wegen Untreue im Raum. Hanno Mußler (FAZ) mutmaßt in einem gesonderten Kommentar erhebliche Schwierigkeiten, den Verantwortlichen Straftaten nachzuweisen. Fast alle Versuche, Bankvorstände der Untreue zu überführen, seien gescheitert.
Recht in der Welt
USA – gleichgeschlechtliche Ehe: Das gesetzliche Verbot gleichgeschlechtlicher Ehe ist eine unzulässige Diskriminierung – so sieht es laut spiegel.de nun auch ein US-Bundesgericht für die US-Bundesstaaten Idaho und Nevada. Bereits am Montag hatte der Supreme Court indirekt die gleichgeschlechtliche Ehe in mehreren Bundesstaaten legalisiert. Die Zeit (Martin Klingst) skizziert kurz den Wandel der Rechtslage zu gleichgeschlechtlicher Ehe in den letzten zehn Jahren. Auch die Welt (Clemens Wergin) befasst sich mit dem Thema.
USA – Twitter verklagt Regierung: Um besser über Behördenanfragen in den USA berichten zu können, klagt der Kurznachrichtendienst Twitter laut lto.de jetzt gegen das US-Justizministerium und das FBI. Derzeit dürfe Twitter keine genauen Zahlen zu Anträgen auf Zugang zu Nutzerdaten mit Bezug zur nationalen Sicherheit nennen. Mit der Klage wolle Twitter sich nun ein Recht auf mehr Transparenz hinsichtlich Behördenanfragen erkämpfen.
Iran – Mutmaßliches Vergewaltigungsopfer soll erhängt werden: Vor sieben Jahren soll sie in Teheran von zwei Männern vergewaltigt worden sein; einen der Männer erstach sie – nach eigenen Angaben aus Notwehr. Nachdem das Gericht der heute 26-jährigen Iranerin damals nicht geglaubt und sie wegen Mordes verurteilt hatte, soll sie jetzt nach sieben Jahren im Gefängnis gehängt werden. Nur eine Begnadigung durch die Opferfamilie könne sie noch retten. spiegel.de berichtet.
Kenia – Staatschef vor dem IStGH: Erstmals steht ein Staatschef vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag: Dem kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen – darunter Mord, Vergewaltigung und Deportationen. Die SZ (Isabel Pfaff/Ronen Steinke), die taz (Dominic Johnson) berichten. Der Prozess droht angeblich aus Mangeln an Beweisen zu platzen.
Österreich – Klage wegen AKW-Förderung: Darf der Bau britischer Atomreaktoren in Milliardenhöhe subventioniert werden? Diese Frage will Österreich laut taz (Ralf Sotschek) gerichtlich klären lassen. Geplant sei eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Dort soll die entsprechende Beihilfe-Erlaubnis der EU-Kommission auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.
Kohls "Vermächtnis": Auch Thomas E. Schmidt (die Zeit) befasst sich mit der Verwertung der "Verbalinjurien" des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl im Buch "Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle" von Heribert Schwan. Um eine einstweilige Verfügung wegen unrechtmäßiger Verwendung der Zitate zu erwirken, "müssten sich Kohls Anwälte erst einmal über den Text beugen" – was Zeit brauche; bis dahin sei das Buch schon nicht mehr von Interesse. Und sollten Kohl und Schwan nicht genau geregelt haben, wie mit dem Text auf den Bändern zu verfahren sei, so sei – wenngleich ethisch – formaljuristisch nichts gegen den Vertrauensbruch einzuwenden, so Schmidt.
Das Letzte zum Schluss
Verlobung vor Gericht: Kann sich eine Zeugin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen, wenn sie sich mit dem Angeklagten erst während der Hauptverhandlung verlobt? Ja: Vor dem Landgericht Frankfurt ist ein 36-jähriger Mann angeklagt, der seine Lebensgefährtin mit einem Küchenmesser lebensgefährlich verletzt haben soll. Das berichtet lto. Sie war als mutmaßliche Geschädigte die einzige Tatzeugin – und vor Gericht versprachen sie sich die Ehe. "Dann sind beide spätestens seit heute verlobt", soll die Vorsitzende Richterin mit einem Kopfschütteln gesagt und die Zeugin entlassen haben.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9.10.2014: Fischer zum Vergewaltigungsparagrafen – Handlungsbedarf bei Syndikusanwälten – gleichgeschlechtliche Ehe in den USA . In: Legal Tribune Online, 09.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13417/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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