Die heutige Verhandlung zur Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit dem EU-Recht vor dem EuGH wird mit Spannung erwartet – bekommen wir ein EU-Grundrechtsgericht? Außerdem in der Presseschau: Leutheusser-Schnarrenberger gegen Überwachung, strafloses Blitzer-Stören, Kritik an US-Geheimgericht – und eine Initiative, die sich über einen Bußgeldbescheid freut.
EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Am Dienstag verhandelt der Europäische Gerichtshof auf Klagen aus Österreich und Irland hin über die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über den umfangreichen, die Anhörung vorbereitenden Fragenkatalog der Richter und die "Phase der Neuorientierung", in der der Gerichtshof seit Inkrafttreten der EU-Grundrechtecharta stecke. Das Verfahren sei möglicherweise die "passende Gelegenheit", sich als "Grundrechtsgericht" zu präsentieren. Zudem portraitiert der Artikel kurz den Berichterstatter des Verfahrens, den deutschen Richter Thomas von Dannwitz. Auch netzpolitik.org (Andre Meister) gibt einen Überblick zu dem bevorstehenden Prozess.
Derweil argumentiert Jasper von Altenbockum (FAZ) vor dem Hintergrund des NSA-Abhörskandals für eine gesetzliche Regelung der Vorratsdatenspeicherung: Nur so könne verhindert werden, dass sich Ermittlungsbehörden die zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung "unerlässlichen" Daten "auf anderen Wegen" suchten.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Notarkosten steigen: Die SZ (Martin Mühlfenzl) berichtet auf ihrer "Geld"-Seite über die gerade vom Bundesrat bestätigte Steigerung der Notarkosten. Während die Bundesnotarkammer "mehr Transparenz" und "besseren Service" lobe, kritisierten Verbraucherschützer die Reform der Kostenordnung als "Sieg der Lobby".
Leutheusser-Schnarrenberger zu Überwachung und Sicherheit: In einem Beitrag für das Feuilleton der FAZ setzt sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mit den Vorwürfen des SPD-Parteichefs Sigmar Gabriel gegen die Reaktion der Bundesregierung auf den NSA-Überwachungsskandal auseinander (Zusammenfassung auf faz.net). Sie kritisiert den von ihr in rot-grünen Regierungszeiten nach den Terroranschlägen von New York verorteten "Paradigmenwechsel" der Sicherheitspolitik hin zu einem "Grundrecht auf Sicherheit" und wendet sich scharf gegen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Dagegen schlägt sie international ein Zusatzprotokoll für den UN-Zivilpakt zum Schutz digitaler Kommunikation oder ein Datenschutzabkommen vor, fordert auf europäischer Ebene eine Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung und national ein "Zurechtstutzen" der "überbordende Sicherheitsgesetzgebung der Vorgängerregierungen".
Weitere Themen – Justiz
BGH zu fehlerhaften Aufsichtsratswahlen: Wird die Wahl eines Aufsichtsrats angefochten und im Nachhinein für nichtig erklärt, so hat das rückwirkend Auswirkungen auf alle Entscheidungen, an denen der entsprechende Aufsichtsrat teilgenommen hat. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden – eine "harte Rechtsfolge" für die Praxis, meint der Rechtsanwalt Markus Stephanblome auf dem Handelsblatt-Rechtsboard.
AG Erlangen zu Sorgerechtsentzug wegen Sekte: Im "München"-Teil berichtet die SZ (Olaf Przybilla) von einer Entscheidung des Amtsgerichts Erlangen, in der dieses den Eltern dreier Kinder das Sorgerecht entzogen hat. In den Augen des Richters seien diese "aufgrund ihrer religiösen Überzeugung" nicht in der Lage, sich adäquat um die Kinder zu kümmern. Sie sind Angehörige der Sekte "Neue Gruppe der Weltdiener", die unter anderem eine medizinische Versorgung nicht für nötig halte.
AG München zu Privatvideo als Beweismittel: Ein vom Fahrradlenker aus aufgezeichnetes Video kann als Beweismittel in einem Zivilprozess zugelassen werden – jedenfalls, wenn es nicht von Anfang an zu diesem Zweck angefertigt wurde. Über die Entscheidung des Amtsgerichts München berichtet lto.de.
OLG Düsseldorf zu Impressumspflicht auf Handelsportalen: internet-law.de (Thomas Stadler) weist auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf hin, nach dem die Betreiber von Online-Handelsportalen verpflichtet sind darauf hinzuwirken, dass dort registrierte Händler die im Telemediengesetz vorgeschriebene Impressumspflicht einhalten. Sie treffe insoweit eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht.
BGH zu Blitzer-Störung: Die Verhinderung von Geschwindigkeitsmessungen durch Abstellen eines PKW vor dem Messgerät stellt mangels Einwirkung auf die Substanz der Messanlage keine strafbare Störung öffentlicher Betriebe dar. Das hat laut blog.beck.de (Carsten Krumm) der Bundesgerichtshof entschieden
LAG Hessen zu Hitler-Vergleich: Ein Hitler-Vergleich kann die Mitgliedschaft im Betriebsrat kosten. Laut blog.beck.de (Markus Stoffels) sah das Landesarbeitsgericht Hessen in entsprechenden Äußerungen eines Betriebsrats über den Führungsstil der Betriebsratsvorsitzenden eine objektiv erhebliche und schwerwiegende Pflichtverletzung, die eine weitere Amtsausübung "untragbar" mache.
ArbG Frankfurt – Schorlemer gegen BNP Paribas: Das Handelsblatt (Peter Köhler/Robert Landgraf) berichtet über eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung, die Seltenheitswert hat: Nämlich die einer Großbank mit einem ihrer Ex-Manager, hier BNP Paribas und ihr Ex-Deutschland-Chef Joachim von Schorlemer. Es geht um die Kündigung des Managers – die er zunächst per Kündigungsschutzklage zu Fall brachte, worauf ihm noch im Prozess die nächste Kündigung ausgesprochen wurde. Ein Ende der gerichtlichen Auseinandersetzung sei bislang nicht in Sicht.
Mollath-Untersuchungsausschuss: Die taz (Marlene Hanser) bringt heute ein Interview mit dem Grünen-Politiker Martin Runge, der die Ergebnisse des Mollath-Untersuchungsausschusses aus Sicht der Opposition schildert. Danach sei Mollath umfassend das rechtliche Gehör verwehrt worden; zudem seien vor Gericht "gravierende Verfahrensfehler" gemacht worden.
Lammert-Interview: Das Interview von Norbert Lammert (CDU) mit der Welt am Sonntag, in der dieser dem Bundesverfassungsgericht "Gestaltungsehrgeiz" bescheinigte, sorgt für Reaktionen auch aus dem Bundestag: Abgeordnete sowohl der Grünen als auch der FDP distanzierten sich laut Welt (Jochen Gaugele/Matthias Kamann) von der Kritik des Bundestagspräsidenten.
EuGH – "Legal Highs": Auf lto.de setzt sich der Rechtswissenschaftler Helmut Pollähne mit der "Legal-Highs"-Vorlage des Bundesgerichtshofs an den Europäischen Gerichtshof auseinander. Dabei geht es um die Strafbarkeit des Vertriebs von nicht vom Betäubungsmittelgesetz erfassten synthetischen Cannabis-Wirkstoffen nach dem Arzneimittelgesetz. Der Autor sieht die Sache – in seinen Augen auf einer Linie mit dem BGH – kritisch: Das Arzneimittelgesetz dürfe "nicht als Auffangtatbestand" für Betäubungsmittel herhalten.
Asiatisch-europäische Kanzleifusion: Für das Handelsblatt kommentiert der Juve-Chefredakteur Aled Wyn Griffiths den potentiellen Zusammenschluss der asiatisch-pazifischen Kanzlei King & Wood Mallesons mit ihrem europäischen Pendant SJ Berwin als möglicherweise "symbolträchtige Entwicklung für den europäischen Rechtsmarkt" – da bei dieser Fusion der asiatische Partner den Ton angebe und sich die europäische Kanzlei "neu erfinde", um Zugang zur chinesischen Wirtschaft zu erhalten.
Weitere Themen – Recht in der Welt
EU-USA – Investitionsschutz im Freihandelsabkommen: Die taz (Jost Maurin) berichtet aus einem vertraulichen Papier, dass das Verhandlungsmandat der EU-Kommission für das Freihandelsabkommen mit den USA auch den Abschluss eines Investitionsschutzabkommens mit Schiedsgerichtsklausel vorsieht. Diese könnten von Konzernen dazu genutzt werden, zum Beispiel auf strenge Umweltauflagen von Staaten mit Schadensersatzklagen zu reagieren.
USA – Überwachungs-Geheimgericht in der Kritik: In den USA häuft sich die Kritik an dem für die Absegnung von Überwachungsaktionen der NSA und anderer Behörden zuständigen "Fisa Court" – einem Gericht, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt und dessen Entscheidungen geheim sind. spiegel.de dokumentiert die kritische Berichterstattung der bedeutenden US-Tageszeitungen New York Times und Washington Post.
USA – Hedgefond verklagt US-Regierung: Der Hedgefond Perry Capital hat das US-Finanzministerium und die Aufsichtsbehörde FHFA wegen der Ausschüttung von 66 Milliarden US-Dollar seitens der staatlich kontrollierten Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac verklagt. Der Fond ist Anteilseigner und geht gegen die Abführung der Gelder an den Staat vor, berichten kurz die Welt und spiegel.de.
Großbritannien – Knast für rücksichtslose Banker: Großbritannien will einen Straftatbestand für "rücksichtsloses Fehlverhalten" von Bankmanagern einführen. Die FAZ (Marcus Theurer) berichtet.
Frankreich – vermeintlicher Pirat freigesprochen: Die SZ (Stefan Ulrich) bringt heute ein ausführliches Porträt des somalischen Fischers Abdulkader Guled Saïd – der von französischen Soldaten im Anschluss an eine Schiffsentführung in Somalia gefangen und als vermeintlicher Pirat nach Paris verbracht worden war. Dort ist er nun freigesprochen worden – allem Anschein nach sei er schlicht "zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort" gewesen.
Frankreich – Freisprüche im "Öl für Lebensmittel"-Verfahren: Der ehemalige französische Innenminister Charles Pasqua, der Generaldirektor des Erdölkonzerns Total sowie 18 weitere Angeklagte sind in Paris von den Vorwürfen der Vorteilsnahme und Veruntreuung im Zusammenhang mit dem Irak-Hilfsprogramm "Öl für Lebensmittel" freigesprochen worden. Das meldet die FAZ (Michaela Wiegel); auch spiegel.de berichtet.
China – Ex-Minister kriegt Tod auf Bewährung: Chinas ehemaliger Eisenbahnminister Liu Zhijun ist wegen Korruption und Machtmissbrauch zum Tode verurteilt worden – auf Bewährung. Nach zwei Jahren könne die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt werden, so die SZ (Christoph Giesen). Auch die FAZ (Petra Kolonko) berichtet von dem Urteil und liefert Hintergründe zur Karriere des Ex-Ministers und den Reaktionen auf das Urteil.
Italien – Costa Concordia: Vor dem Hintergrund des für Dienstag angesetzten Prozessauftakts berichtet die SZ (Andrea Bachstein) aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen den Kapitän des im Januar 2012 havarierten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia. Ob der Prozess am Dienstag tatsächlich starten könne, sei aufgrund eines Anwaltsstreiks aber noch unklar. Auch spiegel.de (Hans-Jürgen Schlamp) berichtet.
Sonstiges
NRW-Beamtenbesoldung: Die FAZ (Reiner Burger) geht der Frage nach, ob die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung geplante Reform der Dienst- und Versorgungsbezüge der Landesbeamten verfassungsrechtlichen Maßstäben standhalte. Nach den Plänen sollen Beamte höherer Besoldungsstufen nur teilweise oder gar nicht von den für die Angestellten des öffentlichen Dienstes beschlossenen Gehaltssteigerungen profitieren. Fraglich sei, ob das Gesetz hinreichend beamtenrechtlich begründet sei und dem Alimentationsprinzip entspreche.
Fallberichte des Bundeskartellamts: Sind die "Fallberichte", in denen das Bundeskartellamt als Form "weicher Durchsetzung" ausgewählte Entscheidungen veröffentlicht, rechtswidrig? Das meint laut Handelsblatt (Heike Anger) der Kartellrechtler Jens Steger – den Veröffentlichungen mangele es an einer Rechtsgrundlage; zudem enthielten sie bisweilen sensible Unternehmensinterna. Das Amt weise die Vorwürfe zurück: Es würden keine Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht; zudem sehe das Kartellgesetz eine Berichtspflicht der Behörde vor.
Snowden kein Whistleblower?: Christian Rath (taz) stellt in seinem Beitrag zur Diskussion um den Schutz von Hinweisgebern dar, warum der Enthüller der NSA-Überwachung Edward Snowden gerade kein typischer "Whistleblower" sei und warum hier eher die Meinungsfreiheit als arbeitsrechtliche Schutzgesetze den Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit seines Handelns bilden sollten.
Dagegen meint der Arbeitsrechtler Christof Kleinmann auf spiegel.de unter Verweis auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: In einer deutschen Firma hätte Edward Snowden seinen Job behalten.
NSA-Abhöraffäre – Geheimdienstkooperation: Nach einem Bericht der FAZ (Günter Bannas/Patrick Welter) hat die Bundesregierung die Existenz von Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Bundesnachrichtendienst und US-amerikanischen Geheimdiensten bestätigt. Diese seien geheim und "entsprächen Recht und Gesetz"; informiert werde darüber lediglich das für die Geheimdienstüberwachung zuständige Parlamentarische Kontrollgremium.
Dokumentation "Der Chefankläger": Im Medienteil der taz (Behrang Samsami) findet sich eine Kritik zu der heute in der ARD ausgestrahlten Dokumentation "Der Chefankläger" über Luis Moreno Ocampo, den ersten "First Prosecutor" am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Zahm, langatmig, ob der Materialfülle ermüdend und geprägt von fehlender Distanz zum Dokumentierten – so das Urteil des Rezensenten. Ein durchweg positives Bild des Films zeichnet dagegen die FAZ (Philip Kovce) auf ihrer "Medien"-Seite, während die Welt (Barbara Möller) meint, er hinterlasse das "schale Gefühl", dass einem "zu einem wichtigen Thema einiges vorenthalten" worden sei.
Das Letzte zum Schluss
Spaß am Bußgeldbescheid: Meist ist ein Bußgeldbescheid kein Anlass zur Freude. Anders im Fall der Initiative "Religionsfrei im Revier", die von der Stadt Bochum einen solchen kassierte, weil sie am Karfreitag den kirchenkritischen Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" gezeigt hatte. Die freut sich nämlich über die Aufmerksamkeit und den "Weg durch die Instanzen" – so die taz (Anja Krüger).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Juli 2013: EuGH prüft Vorratsdaten – Leutheusser-Schnarrenberger gegen Grundrecht auf Sicherheit – Spaß am Bußgeldbescheid . In: Legal Tribune Online, 09.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9100/ (abgerufen am: 20.07.2024 )
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