Der EuGH hat die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Außerdem in der Presseschau: Bundeswehreinsätze im Inland sollen erleichtert werden, mehr Schutz für Prostituierte, Reform der KSK und wieso Al Bundy und seine schrecklich nette Familie manchmal ein schrecklich teures Vergnügen sind.
Thema des Tages
EuGH zu Vorratsdatenspeicherung: Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vollständig gekippt. Die Sammlung von Daten sei nur zu sehr eng begrenzten Zwecken unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit möglich. Es berichten unter anderem SZ (Wolfgang Janisch), netzpolitik.org (Anna Biselli) und FAZ (Helene Bubrowski).
spiegel.de (Veit Medick/Philipp Wittrock) und der Rechtsanwalt Sören Rößner in einem Beitrag für lto.de erläutern, wie SPD und CDU mit der neuen Rechtslage umgehen. welt.de (Thorsten Jungholt/Christoph B. Schiltz) kritisiert ausdrücklich Bundesjustizminister Heiko Maas, der jetzt keinen Bedarf für ein neues Gesetz sieht. verfassungsblog.de (Franz C. Meyer) und taz (Christian Rath) erläutern die rechtlichen Fragen und Spielräume auf Ebene der EU.
Heribert Prantl (SZ) sieht die "Auferstehung der Europäischen Grundrechte", Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) meint, das eigentliche Verfassungsgericht sei der Europäische Gerichtshof, Christian Bommarius (FR) spricht von einem "Tag der Bürgerrechte". Christian Rath (taz) nennt das Urteil "nicht besonders mutig", da alle Einzelstaaten ihre Datenerfassungsgesetze behalten könnten. Reinhard Müller (FAZ) meint, es sei keine Politik, wenn man erst einmal Gerichtsentscheidungen abwarte. Patrick Beuth (zeit.de) hält das Konzept der Vorratsdaten für erledigt, Sascha Lobo (spiegel.de) sieht in dem Urteil lediglich einen Etappensieg und meint: "Der Zombie lebt."
Rechtspolitik
Bundeswehreinsätze im Inland: Die Bundesregierung will die Kompetenz für den Abschuss von Verkehrsflugzeugen, die eine terroristische Gefahr darstellen, in die Hände des Bundesverteidigungsministeriums legen. Dazu berichten SZ (Stefan Braun), zeit.de (Ralf Pauli) und Die Welt (Manuel Bewarder/Thorsten Jungholt). Heikel sei das Vorhaben unter anderem, weil die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine kollektive Entscheidung aller Kabinettsmitglieder verlange. Kritiker sehen in diesen Plänen eine Aufweichung der Kompetenzabgrenzungen zwischen Polizei und Militär und den Türöffner für Bundeswehreinsätze im Inland.
Till Hoppe (Handelsblatt) sieht in dem Vorhaben einen doppelten Tabubruch, "das letzte Glied in einer über die Jahre hinweg geknüpften juristischen Argumentationskette." Joachim Käppner (SZ) meint, eine derartige Regelung sei der vergebliche Versuch, vorab zu regeln, was nicht zu regeln ist.
Snowden vor dem Europarat: In einer Anhörung vor der parlamentarischen Versammlung des Europarats hat Edward Snowden ein Ende der verdachtlosen Überwachung gefordert. Sinnvoll sei dagegen die gezielte Überwachung von einem Staat wie Nordkorea und terroristischen Gruppen, berichtet spiegel.de (Ole Reißmann).
Insolvenz weitverzweigter Unternehmen: Das Handelsblatt (Peter Reuter) beschäftigt sich mit dem geplanten "Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen", das die Steuerung der Insolvenz eines weit verzweigten Unternehmens erleichtern solle. So soll es möglich sein, einen einzigen Gruppengerichtsstand frei bestimmen zu können, um einen "Flickenteppich" der Zuständigkeiten zu vermeiden.
Mehr Schutz für Prostituierte: Geht es nach dem Willen der Union, soll Prostitution zukünftig strenger geregelt werden, berichten SZ (Roland Preuss) und FAZ (Eckart Lohse). Geplant seien eine behördliche Erlaubnis für Bordelle, Zuverlässigkeitsprüfungen für die Betreiber, ein Mindestalter von 21 Jahren für Prostituierte und die Möglichkeit, verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen zu können. Ziel, so CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl sei es, Menschenhandel und Zwangsprostitution besser zu bekämpfen.
Reform der Künstlersozialkasse: Bundesarbeitsministerin Nahles beabsichtigt eine Reform der Künstlersozialkasse, berichten die FAZ (Dietrich Creutzburg) und spiegel.de. Betriebe, die Honorare an freie Künstler zahlten sollen in Zukunft strenger geprüft werden, um die Disziplin bei der Anmeldung von Honoraren zu verbessern. Auch soll eine Bagatellgrenze eingeführt werden, derzufolge Honorare unter 450 Euro nicht versicherungspflichtig seien.
Justiz
BSG zu Unternehmensjuristen: Im Handelsblatt-Rechtsboard nimmt jetzt Rupert Felder, Vice President Heidelberger Druckmaschinen, Stellung zum Urteil des Bundessozialgerichts Stellung, das eine Beitragspflicht für die gesetzliche Rentenversicherung bei abhängig beschäftigten Unternehmensjuristen bejaht hat. Felder meint, was für Juristen in Unternehmen als gut und gerecht angesehen werde, werde auch für Apotheker und Ärzte gelten, die ebenfalls nicht im freiberuflichen Kern beschäftigt seien.
OLG Frankfurt/M. zu Suhrkamp: Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main hat dem Suhrkamp-Gesellschafter Hans Barlach zwei Niederlagen bereitet, wie die SZ (Andreas Zielcke) berichtet. Zum einen wies es einen Verbotsantrag ab, mit dem die Entscheidung der Familienstiftung im Insolvenzverfahren für die Umwandlung der Suhrkamp KG in eine AG nachträglich annulliert werden sollte. In einem zweiten Verfahren kündigte das Gericht an, es werde Barlachs Klage gegen Entscheidungen der Gesellschafter Suhrkamps im Jahre 2011 abweisen, da Barlach das vorgesehene Schlichtungsverfahren nicht in Gang gebracht habe. Daraufhin habe Barlach die Klage zurückgezogen, so ergänzend spiegel.de.
OLG Stuttgart – Nebenkläger im Fall Lipschis: Die Nebenkläger im Verfahren gegen Hans Lipschis, den Aufseher im KZ Auschwitz, haben ihre Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart gegen die Entscheidung des Landgerichts Ellwangen, die Eröffnung einer Hauptverhandlung wegen der Demenz von Lipschis abzulehnen, zurückgenommen, berichtet spiegel.de. Zu einem Verfahren gegen Lipschis wird es nicht mehr kommen.
OLG Hamm zu Unterbringung: blog.beck.de (Carsten Krumm) stellt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vor, derzufolge eine Überprüfung der Möglichkeit der Unterbringung nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuchs durchgeführt werden muss, wenn der Angeklagte alkoholabhängig ist.
LAG Hessen – Deutsche Bank/Libor-Manipulationen: In der Auseinandersetzung mit vier entlassenen Händlern muss die Deutsche Bank ein Zwangsgeld in Höhe von 70.000 Euro akzeptieren. Das Hessische Landesarbeitsgericht habe zu dieser Maßnahme gegriffen, da das Unternehmen den früheren Mitarbeitern eine Wiederbeschäftigung verweigert habe, berichtet spiegel.de (Martin Hesse). Die Bank weigert sich deshalb, weil die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ihr aufgegeben habe, den Bereich, wo zugleich Zins-Derivate gehandelt und Zinsmeldungen in das System zur Libor-Festsetzung eingespeist wurden, neu zu organisieren.
VG Köln - Conterganrente: In einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Köln hat die Conterganstiftung die Aberkennung einer lebenslangen Rente zurückgezogen, nachdem das Gericht zum Ausdruck gebracht hatte, dass eine heute vorgetragene andere Meinung zur Kausalität zwischen der Verwendung von Contergan und Schädigung keine neue Tatsache darstelle, die eine Einstellung der Rentenzahlung rechtfertige. Es berichtet die taz (Anja Krüger).
LG Berlin zu Feine Sahne Fischfilet: Wie die taz (Jens Uthoff) auf ihrer Medienseite berichtet, hat das Landgericht Berlin entschieden, dass der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern die Urheberrechte des Fotografen Sebastian Pohle verletzt hat, indem er ein Foto der Punkband "Feine Sahne Fischfilet" in seinem Jahresbericht veröffentlichte. Ein Fall des Paragrafen 45 des Urheberrechtsgesetzes liege nicht vor, es handele sich nicht um eine Veröffentlichung zum Zwecke der Rechtspflege oder der öffentlichen Sicherheit.
Recht in der Welt
Ungarn – EuGH/EGMR: Über zwei Entscheidungen, die die Rechtspraxis Ungarns betreffen berichtet verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis). Der Europäische Gerichtshof hat die Regierung Orbán verurteilt, weil sie den Datenschutzbeauftragten vorzeitig aus dem Amt entfernt hat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert die Art und Weise, wie man versucht, sich die Kirchen politisch gefügig zu machen.
USA – Anwalt Stanley L. Cohen: Die Welt (Hannes Stein) bringt ein Porträt des U.S.-amerikanischen Rechtsanwalts Stanley L. Cohen. Der Sohn orthodoxer Juden aus New York ist unter anderem der Verteidiger von Suleiman Abu Gaith, einem der Schwiegersöhne Usama bin Ladens. Der Beitrag zitiert Cohen: "Ein revolutionärer Menschenrechtsanwalt, der noch nie hinter Gittern gesessen hat, hat in seinem Leben irgendetwas grundsätzlich falsch gemacht."
Sonstiges
Gurlitt und die Gemälde: Wie Annegret Erhard (Die Welt) im Feuilleton feststellt, habe sich die Staatsanwaltschaft München mit Cornelius Gurlitt darauf geeinigt, dass eine Task Force im Gegenzug für die Einstellung der Ermittlungen alle 1.284 Bilder darauf überprüfen dürfe, ob es sich im Raubkunst aus der NS-Zeit handele. Geraubte und arisierte Kunstwerke sollten an die früheren Eigentümer oder ihre Rechtsnachfolger übergeben werden, die anderen Gemälde dürfe Gurlitt behalten. Am heutigen Mittwoch sei mit einer Erklärung der Ermittlungsbehörde zu rechnen.
Facebook-Streifen und Verfassungsrecht: Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Markus Oermann und Julian Staben untersuchen auf verfassungsblog.de die verfassungsrechtlichen Aspekte von polizeilichen Facebook-Streifen. Sie kommen zu dem Ergebnis, die gesetzliche Grundlage sei dürftig bis mangelhaft, auch das ledigliche Beobachten von Meinungsäußerungen auf sozialen Plattformen stelle einen grundrechtsrelevanten Eingriff dar, da das Wissen um die Beobachtung bei den Plattformnutzern (selbst)zensierende Wirkung habe.
Das Letzte zum Schluss
Eine schrecklich teuere Familie: Udo Vetter (lawblog.de) hat bei Amazon durch das Anklicken eines 1-Click-Buy-Buttons versehentlich eine Staffel von "Al Bundy – Eine schrecklich nette Familie" gekauft. Eine Anfechtung des Vertrags sei unter Hinweis auf die mangelhafte Kennzeichnung des 1-Click-Buy-Buttons zwar denkbar, aber aufwändig. Seinen Wunsch auf kulanzweise Rückabwicklung habe Amazon mit Hinweis die geltende Rechtsprechung abgelehnt. Dies sei erstaunlich, da ab dem 14. Juni 2014 auch der Kauf digitaler Inhalte widerrufen werden könne.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ro
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. April 2014: EuGH kippt Vorratsdatenspeicherung – Mehr Schutz für Prostituierte – Reform der KSK . In: Legal Tribune Online, 09.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11604/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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