Verstößt die Bundesrepublik gegen eine EU-Richtlinie? Eine Klage der EU-Kommission behauptet dies. Außerdem in der Presseschau: Mutterschutzbestimmungen gelten auch auf Richterbank, die Anwaltsrobe bleibt unbedruckt und krimineller Mist.
Thema des Tages
EuGH – Vertragsverletzungsverfahren: Wegen des Vorwurfs, gegen die Nitrat-Richtlinie von 1991 zu verstoßen, hat die EU-Kommission die Bundesrepublik beim Europäischen Gerichtshof verklagt. Damit sei der vorläufige Höhepunkt einer bereits seit mehreren Jahren andauernden Auseinandersetzung erreicht, schreibt die SZ (Jan Heidtmann). Schon 2011 habe die Kommission deutsche Behörden auf Mängel in der Grundwasserqualität durch erhöhte Nitratkonzentration hingewiesen. Diese entstünden durch intensive landwirtschaftliche Düngung von Feldern. Eine in Deutschland hierzu geplante Novelle der Düngeverordnung komme jedoch seit Jahren nicht voran. Auch die bereits im April erfolgte Ankündigung einer Klage habe keinerlei Beschleunigung bewirkt.
Jost Maurin (taz) begrüßt den Schritt in einem Kommentar. Das Landwirtschaftsministerium weigere sich aus Rücksichtnahme auf Lobbyinteressen bislang, notwendige Schritte einzuleiten. Dies begünstige das Aussterben von Pflanzen- und Tierarten, aber auch den Klimawandel.
Rechtspolitik
Einwanderungsgesetz: Einzelheiten zu dem am gestrigen Montag von der SPD vorgestellten Entwurf eines Einwanderungsgesetzes mit einem Punktesystem stellt unter anderem das Hbl (Frank Specht) in einem ausführlichen Beitrag vor. Vertreter des Koalitionspartners CDU hätten eine Kooperation beim Vorhaben davon abhängig gemacht, dass in streitigen Fragen der Asylpolitik Einigung erreicht werde. Der Innenpolitiker Armin Schuster (CDU) wird hierzu mit der Äußerung zitiert, dass die SPD mit ihm "über ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz, aber nicht über ein Einwanderungsgesetz" reden könne. Reinhard Müller (FAZ) hält es in einem Kommentar für "ehrenvoll, dass die SPD am Asylrecht nicht rütteln" wolle. Hierzu müsse jedoch "wenigstens das geltende Recht konsequent durchgesetzt werden", wovon aktuell keine Rede sein könne. Solange "im offenen Deutschland ohnehin" jeder bleiben dürfe, seien sowohl Asyl für Verfolgte als auch Einwanderungsregelungen überflüssig.
Videoüberwachung: netzpolitik.org (Constanze Kurz) berichtet zur kritischen Stellungnahme der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz zu Plänen für eine ausgeweitete Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Neben Zweifeln an Verhältnismäßigkeit und Verfassungskonformität äußere die Stellungnahme auch Bedenken zur Effektivität derartiger Aufzeichnungen. Selbstmordattentäter zum Beispiel suchten konkret die durch Bilder vermittelte Aufmerksamkeit.
Justiz
BGH zu Mutterschutz: Verurteilungen von drei Angeklagten in einem Wirtschaftsstrafverfahren vor dem Landgericht Darmstadt sind wegen eines Verstoßes gegen das Prinzip des gesetzlichen Richters vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Die Darmstädter Richterin hatte im Verlauf des Verfahrens auch während der nach dem Mutterschutzgesetz geltenden, einer Entbindung folgenden absoluten Schonfrist verhandelt. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Helene Bubrowski).
BGH zu Anwaltsrobe: Der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs hat im Berufungsverfahren eine Entscheidung des nordrhein-westfälischen Anwaltsgerichtshofs, durch die einem Brühler Rechtsanwalt das Tragen einer mit Namensschriftzug und Internetadresse versehenen Robe untersagt wurde, bestätigt. Ob die Entscheidung mit dem Verbot unerlaubter Werbung oder einem Verstoß gegen die Bestimmungen zur Berufstracht begründet wurde, blieb offen. lto.de berichtet.
OLG Celle zu VW: Ein beim Oberlandesgericht Celle anhängiges Berufungsverfahren zu Gewährleistungsansprüchen eines VW-Fahrers ist durch einen Vergleich beendet worden. Nach dem Bericht der FAZ (Marcus Jung) hatte das Landgericht Lüneburg zuvor entschieden, dass ein beklagtes Autohaus die Rücknahme eines VW-Diesels zu Unrecht verweigert hatte. Über den jetzigen Vergleich hätten die Parteien Stillschweigen vereinbart.
LG Paderborn – VW: Das Landgericht Paderborn hat im Schadensersatzverfahren eines VW-Fahrers den früheren Vorstandschef Martin Winterkorn als Zeugen für den 2. Dezember geladen. Dessen Anwalt habe dem Gericht bereits vorab mitgeteilt, dass sein Mandant wohl von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen werde, schreibt die SZ (Katja Riedel/Klaus Ott).
LG Neuruppin zu Nazi-Tattoo: Zu einer Haftstrafe von acht Monaten ohne Bewährung hat in der Berufungsverhandlung das Landgericht Neuruppin einen NPD-Funktionär wegen Volksverhetzung verurteilt. Obgleich der Verurteilte sein durch einen Facebook-Post bekanntgewordenes Tattoo mit den Umrissen eines KZs mittlerweile habe umgestalten lassen, sei die Strafverschärfung vor allem aus generalpräventiven Aspekten erforderlich. lto.de berichtet.
LG Hamburg – Vural Öger: Nach Informationen der Welt (Birger Nicolai) hat der Unternehmer Vural Öger den Verlag des Nachrichtenportals Spiegel Online wegen Rufschädigung verklagt. Öger sehe sich in einem Bericht des Portals vom Juni falsch dargestellt und strebe Schadensersatz an. Das Landgericht Hamburg hat einen Verhandlungstermin für den 2. Dezember festgesetzt.
AG Ebersbach zu Volksverhetzung: Das Amtsgericht Ebersbach hat einen Rentner unter anderem wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Mann hatte nach den Erkenntnissen der Hauptverhandlung einem Pfarrer mindestens zwei ausländerfeindliche Morddrohungen geschickt, schreibt spiegel.de. Die FAZ (Karin Truscheit) berichtet ebenfalls.
GBA – Gruppe Freital: Der SZ (Lena Kampf u.a.) liegt die vom Generalbundesanwalt verfasste Anklageschrift gegen acht Mitglieder der sogenannten Gruppe Freital vor. Den sieben Männern und einer Frau werde die Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchter Mord in mehreren Fällen vorgeworfen.
StA Braunschweig – Hans Dieter Pötsch: Auch die FAZ (Carsten Germis) berichtet nun zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch. Bereits seit einiger Zeit achte Pötsch darauf, Sitzungen des Aufsichtsrats zu verlassen, wenn dort mögliche Marktmanipulationen des Auto-Herstellers behandelt werden. Für Thomas Fromm (SZ) offenbart die abwiegelnde Reaktion der Großaktionäre auf die Bekanntgabe der Ermittlungen "archaische Herrschaftsstrukturen" wie auf einem Gutshof. VW hätte nach dem Bekanntwerden der Abgas-Affäre gut daran getan, in seiner Führungsspitze einen personellen Neuanfang zu starten. Nun würde das Unternehmen hierzu "so oder so" gezwungen werden.
Michael Hausfeld: Die FAZ (Marcus Jung) stellt in ihrem Unternehmens-Teil den US-amerikanischen Anwalt Michael Hausfeld vor. Der "Mann für besonders schwierige Fälle" habe sich in der Vergangenheit etwa für die Einrichtung eines milliardenschweren Fonds zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern eingesetzt, gegenwärtig bereite er ein Musterverfahren gegen VW am Landgericht Braunschweig vor.
Recht in der Welt
Türkei – Staatsumbau: In einem Gastbeitrag für das Hbl fordert die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine deutliche Reaktion der EU auf den in der Türkei stattfindenden "konsequenten Staatsumbau hin zu einer Diktatur". Hierbei könne das Aussetzen der Verhandlungen über Beitritt und Visafreiheit nur ein erster Schritt sein, dem weitere, etwa Wirtschaftssanktionen, folgen könnten. Es müsse klar gemacht werden, dass die Werte der EU nicht verhandelbar seien. Michael Martens (FAZ) betont dagegen im Leitartikel des Blattes, dass es "im türkischen und im europäischen Interesse" liege, "im Gespräch zu bleiben". Die Themen dieser Gespräche könnten variieren, Beitrittsverhandlungen aber müssten unmittelbar beendet werden, wenn das Land die Todesstrafe wiedereinführt.
Niederlande/Ukraine – Krim-Schatz: Vor einem Amsterdamer Gericht streiten gegenwärtig Museen der Krim und der ukrainische Staat über die Rückkehr einer Sammlung hochwertiger Exponate. Diese wurden in den Niederlanden ausgestellt, als die Halbinsel im März 2014 von Russland annektiert wurde. Die Museumsbetreiber befürchten, dass die von der ukrainischen Regierung angestrebte Rückgabe nach Kiew ein dauerhaftes Verschwinden der Exponate zur Folge habe, erklärt die Welt (Inga Pylypchuk). Eine Entscheidung werde für Mitte Dezember erwartet.
Niederlande – Geert Wilders: Die Rechtsgrundlagen und -probleme des Strafverfahrens gegen den niederländischen Politiker Geert Wilders sind Thema einer englischsprachigen Analyse des Doktoranden Peter van de Waerdt auf verfassungblog.de.
USA – Janet Reno: Die FAZ (Majid Sattar) meldet den Tod der früheren US-Justizministerin Janet Reno. Als "dritte Wahl" des damaligen Präsidenten Bill Clinton führte Reno das Justizministerium des Landes als erste Frau und mit acht Jahren länger als jeder ihrer Vorgänger.
Sonstiges
Bundespräsident: Heribert Prantl (SZ) verbindet im Leitartikel der Zeitung Betrachtungen zur scheinbar schwierigen Kandidatensuche für das Bundespräsidentenamt mit grundsätzlichen Überlegungen zum Amt. Als einziges der obersten Bundesorgane stelle sich dieses als "Solitär" dar und könne bei entsprechender Autorität neben den anderen "Kollektiven" dementsprechend "als einzelne Persönlichkeit" sowie Verkörperung und "Symbol des Staates" wahrgenommen werden, was wiederum seine "geheime Macht" ausmache. Die nun "grassierende Verantwortungsvergessenheit" potentieller Kandidaten schade dem Amt mehr als "die maßlosen und maßlos kleinlichen Angriffe" auf den damaligen Präsidenten Christian Wulff.
Recht und Digitalisierung: Dem Hbl (Heike Anger) liegt eine vom Bundesverband der Unternehmensjuristen mit der Kanzlei CMS Hasche Sigle erstellte Studie "Digital Economy und Recht" vor. Die systematische Untersuchung befasst sich mit Herausforderungen der digitalen Transformation für Rechtsabteilungen von Unternehmen, etwa beim Datenschutz oder dem Einsatz automatisierter Rechtsberatung, dem sogenannten Legal Tech.
Das Letzte zum Schluss
Mist: Kriminalität in einer ihrer buntesten Erscheinungsform zeigte sich in der vergangen Woche im rheinhessischen Jugenheim. Dort stahlen der oder die, auf jeden Fall noch nicht bekannten Täter einen Misthaufen. Nach der Meldung der taz dürfte dies an "besonderen Würmern" gelegen haben. Wegen dieser wird der Wert des Haufens mit 100 Euro beziffert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. November 2016: Nitrat im Grundwasser / Mutterschutz auf Richterbank / Robe ohne Aufdruck . In: Legal Tribune Online, 08.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21096/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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