In Frankfurt begann der Cum-Ex-Prozess gegen RA Ulf Johannemann. Das VG Hannover stellte die Rechtswidrigkeit der Observation einer Aktivistin fest. Nach dem EuGH wertete auch das BVerwG die Vorratsdatenspeicherung als Verstoß gegen EU-Recht.
Thema des Tages
LG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Ulf Johannemann: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. begann gestern die Verhandlung gegen den ehemaligen Freshfields-Partner Ulf Johannemann im Zusammenhang mit der großangelegten Steuerhinterziehung durch sog. Cum-Ex-Deals. Johannemann wird vorgeworfen, dass er als Wirtschaftsanwalt die Maple Bank federführend bei ihren Cum-Ex-Transaktionen beraten habe. Johannemann sei sowohl an der Entwicklung als auch an der anschließenden Verschleierung der illegalen Deals beteiligt gewesen. In "Gefälligkeitsgutachten" habe er den Sachverhalt falsch dargestellt. Außerdem habe er Steuerprüfer durch falsche Darstellungen getäuscht. Das LG hat zunächst 19 Sitzungstage bis Ende November dieses Jahres terminiert. Johannemann will nach Angaben seiner Verteidiger keine Aussagen zur Sache machen. Es berichten das Hbl (Rene Bender uA), die FAZ (Marcus Jung), SZ (Meike Schreiber) und LTO (Stefan Schmidbauer).
Die Cum-Ex-Ermittlungen gegen Anwält:innen aus Großkanzleien haben gerade erst richtig begonnen, vermutet Marcus Jung (FAZ) in einem seperaten Kommentar. Für die Kanzleien sollte die Lehre daraus sein, Themen wie Compliance und Risk Management aufzuwerten und schon Berufseinsteiger:innen dafür zu sensibilisieren.
Rechtspolitik
Rechtspolitik: Die LTO (Hasso Suliak) berichtet über die Debatte des Bundestag zum Justizhaushalt und die dabei erfolgte Kritik an Justizminister Marco Buschmann (FDP). Dabei monierte der rechtspolitische Sprecher der Union, Günter Krings, vor allem eine falsche Prioritätensetzung (geschlechtliche Selbstbestimmung statt Vorratsdatenspeicherung). Dagegen warfen die Grünen und die SPD Buschmann vor, den Mieterschutz nur zu blockieren, um sich im Streit um die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen.
Whistleblowing: Im Frage-Antwort-Stil gibt Rechtsanwalt Patrick Bruns auf community.beck einen Überblick über die Hintergründe und den Inhalt des im Juli in Kraft getretenen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG), das Whistleblower in Unternehmen und in der Verwaltung besser schützen soll.
Justiz
BVerwG zu Vorratsdatenspeicherung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verpflichtung zur anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten durch Telekommunikationsanbieter, wie es das deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) vorsieht, für unionsrechtswidrig erklärt. Das Leipziger Gericht setzte damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem September 2022 um. Die Telekom und die SpaceNet AG hatten gegen die ihnen auferlegte Verpflichtung geklagt. Die bisherigen Versuche von Justizministerium und Innenministerium, sich auf eine Neuregelung zu einigen, scheiterten bisher, wie SZ, FAZ (Helene Bubrowski), LTO (Max Kolter) und netzpolitik.org (Andre Meister) ausführen. Während Marco Buschmann (FDP) für die Ermöglichung eines sog. "Quick-Freeze" plädiert, möchte Nancy Faeser (SPD) die unionsrechtlich mögliche Vorratsspeicherung von IP-Adressen beibehalten. Der andauernde Schwebezustand bereitet vor allem den Strafverfolgungsbehörden praktische Probleme.
VG Hannover zu Observation und Fahndung: Die Observation und Fahndungsausschreibung der Umweltaktivistin Cécile Lecomte durch die Bundespolizei war rechtswidrig. Das urteilte das Verwaltungsgericht Hannover in zwei separaten Entscheidungen. Hinsichtlich der zweiwöchigen Observation sei bereits die Rechtsgrundlage, § 28 Bundespolizeigesetz (BPolG), verfassungswidrig, da es an einem Richtervorbehalt fehle. Das VG verzichtete jedoch auf eine Vorlage an das BVerfG, weil bereits die Voraussetzungen der Norm nicht vorlagen, da aufgrund der Kletterfertigkeiten der Aktivistin beim Protestklettern keine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestand. Die zwei Jahre andauernde Fahndungsausschreibung war rechtswidrig, weil die Bundespolizei diese zu Unrecht auf § 30 Abs. 5 BPolG stützte. Danach ist die Erstellung des angeordneten Bewegungsprofils gerade nicht zulässig. Es berichtet LTO.
BVerfG zu Pflegeeltern: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde der langjährigen Pflegeeltern eines 5-Jährigen nicht zur Entscheidung angenommen. Diese hätten nicht hinreichend dargelegt, dass durch einen Wechsel des Jungen in eine neue (nach Ansicht des Jugendamts besser geeignete) Pflegefamilie ihr Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verletzt sei. Für die Herausnahme eines Kindes aus einer Pflegefamilie gälten nicht die gleichen Maßstäbe wie für Eingriffe in das Sorgerecht leiblicher Eltern. Bei der Entscheidung über den Wechsel der Pflegefamilie müsse vielmehr abgewogen werden, ob die Kindeswohlgefährdung durch den Beziehungsabbruch schwerwiegender ist als wenn das Kind in der ersten Pflegefamilie bleibt, die nach Ansicht des Jugendamts mit dem entwicklungsverzögerten Kind überfordert war. Diese Abwägung sei vorliegend korrekt getroffen worden. Es berichten taz (Christian Rath) und LTO.
BVerfG - Cum-Ex-U-Ausschuss Bundestag: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion klagt gegen den Bundestag, der mit seiner Ampel-Mehrheit den Antrag der Unions-Fraktion auf einen neuen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss ablehnte, weil damit vor allem Vorgänge in Hamburg geklärt werden sollten. Die Klage hält den U-Ausschuss für zulässig, weil es um Vollzugsprogleme bei der Bundesauftragsverwaltung gehe, weil der Bundestag die gesamtstaatliche Haushaltsverantwortung habe und weil die politische Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers auf dem Spiel stehe. tagesschau.de (Nicole Kohnert/Claudia Kornmeier) berichtet.
BSG zu Elterngeld-Plus im Krankheitsfall: Der Anspruch auf das sog. Elterngeld Plus geht durch längere Krankheit nicht verloren. Das entschied laut FAZ, beck.aktuell (Joachim Jahn) und zeit.de das Bundessozialgericht. Die Elterngeldstelle hatte einem Mann das Elterngeld Plus gestrichen, nachdem dieser aufgrund einer Verletzung mehrere Monate krankgeschrieben war, da er damit nicht mehr "erwerbstätig" gewesen sei. Für die "Erwerbstätigkeit" reiche es aber, so das BSG, wenn das Arbeitsverhältnis weiter besteht und die Tätigkeit voraussichtlich wieder aufgenommen wird. Ziel des Elterngeld Plus sei gerade die Absicherung von Eltern in Teilzeitbeschäftigungen. Mit der Entscheidung stellt sich das BSG gegen eine Richtlinie des Bundesfamilienministeriums, an die es sich nicht gebunden sieht.
LVerfG BB zu AfD in der Geheimdienstkontrolle: Ronen Steinke (SZ) begrüßt die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Brandenburg, wonach die AfD keinen Anspruch auf einen Sitz in der Parlamentarischen Kontrollkommission Brandenburgs hat. Es sei eine gute demokratische Gepflogenheit, dass Parlamente niemals Faschisten und "bürgerliche Steigbügelhalter von Faschisten" wählen, erst recht nicht auf solche begehrten "Pöstchen".
VG Hannover zu Schultheaterstück: Die Aufführung eines von Schüler:innen selbst geschriebenen AfD-kritischen Theaterstücks an einer Schule in Osnabrück 2019 war rechtmäßig, so die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover. Das Theaterstück sei von der Kunstfreiheit der Schüler:innen nach Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) gedeckt, die auch politisches Theater erfasse. Wie LTO schreibt, hatte die AfD in der Aufführung eine Neutralitätsverletzung des Staates durch eine unzulässige Parteinahme gesehen und deshalb gegen das niedersächsische Kultusministerium geklagt.
LG Frankfurt/M. zu Till Lindemann/SZ: Ein SZ-Artikel von Anfang Juni zu dem Verdacht gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann, sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen zu haben, denen sie nicht zugestimmt hatten, darf weiter öffentlich zugänglich bleiben. Auch dürfen weiter Schilderungen von Frauen über sexuelle Handlungen von ihm veröffentlicht werden. Das Landgericht Frankfurt/M. lehnte den entsprechenden Unterlassungsantrag Lindemanns nach einer mündlichen Verhandlung ab. Eine Begründung des Beschlusses gibt es noch nicht. Lindemanns Anwälte kündigten bereits Berufung an. Das Landgericht Hamburg hatte ähnlichen Unterlassungsanträgen Lindemanns stattgegeben, da es die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung nicht gewahrt sah. LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet.
LG Berlin zu Abou-Chaker/Bushido wg. Management: Arafat Abou-Chaker hatte keine Ansprüche gegen Anis Ferchichi alias Rapper Bushido auf Zahlungen von Honoraren aus Managementverträgen. Die Verträge seien sittenwidrig, weil Abou-Chaker darin nicht zu relevanten Gegenleistungen verpflichtet wurde. Das urteilte das Landgericht Berlin in einem Zivilrechtsverfahren zwischen den beiden früheren Geschäftspartnern. Abou-Chaker muss nun die zwischen 2016 und 2018 erhaltenen Zahlungen von rund zwei Millionen Euro an den Rapper zurückzahlen, berichtet die FAZ (Julia Anton).
Recht in der Welt
USA – Grenz-Barriere zu Mexiko: Laut einem Gerichtsbeschluss muss der US-Bundesstaat Texas die umstrittene schwimmende Barriere im Grenzfluss zu Mexiko abbauen, die Texas dort vor einigen Wochen errichtet hatte. Die großen Bojen stellen eine Bedrohung für die Sicherheit und für die Beziehungen zwischen den USA und Mexiko dar, so das US-Bezirksgericht. Geklagt hatte laut zeit.de die US-Regierung. Die texanischen Behörden kündigten bereits an, in Berufung zu gehen.
Mexiko – Abtreibung: Nun berichten auch SZ, taz (Wolf-Dieter Vogel) und LTO über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Mexikos, wonach die Strafvorschriften zur Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verfassungswidrig sind. Das höchste Gericht wies das Parlament an, die seit 1931 geltenden Tatbestände aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Öffentliche Krankenhäuser müssen nun kostenlos Abtreibungen durchführen.
Chile/Argentinien – Aufarbeitung der Diktaturen: Anlässlich des aktuellen chilenischen Urteils gegen die Mörder des 1973 getöteten kommunistischen Sängers Victor Jara, befasst sich in der taz Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt und Mitbegründer des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), mit der Aufarbeitung der Verbrechen der Diktaturen in Chile und Argentinien aus den 1970er Jahren. Die Aufarbeitung führe zwar nur partiell zu mehr Rechtsstaatlichkeit im heutigen Militär oder der Polizei. Dennoch sei der gesellschaftliche und juristische Widerstand gegen die Bagatellisierung von Verbrechen dadurch gewachsen und gestärkt.
Myanmar – Journalist verurteilt: Wegen angeblicher Falschinformation und Aufwiegelung wurde der Journalist Sai Zaw Thaike von einem Militärgericht zu 20 Jahren Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Es ist die bisher höchste Strafe gegen einen Medienvertreter in Myanmar seit dem Militärputsch vor zwei Jahren. Die SZ berichtet.
USA – Tesla-Files: Wegen unzureichendem Schutz von Mitarbeiterdaten verklagt ein ehemaliger Tesla-Beschäftigter den Konzern vor einem Gericht im US-Bundesstaat Kalifornien. Bei einem Datenleck waren mehr als 23.000 Dateien mit personenbezogenen Daten zu Kunden und Mitarbeitenden weltweit öffentlich zugänglich geworden, wie das Hbl (Sönke Iwersen ua) berichtet. Aus Sicht des Klägers ist dies eine "direkte und unmittelbare" Folge von Teslas nachlässigem Umgang mit Datenschutz.
Belgien – "Pipigate": Bei einer Geburtstagsparty des belgischen Justizministers Vincent Van Quickenborne, urinierten mehrere seiner Freunde volltrunken an ein vor dem Haus stehendes Polizeiauto. Ein Video der Aktion gelangte in die Öffentlichkeit und löste den in Belgien als "Pipigate" bezeichneten Skandal aus. Der Justizminister musste sich wegen dem Vorfall nun vor einem Parlamentsausschuss verantworten, bei dem auch alle Videos der Betrunkenen, inklusive dem torkelnden Justizminister, begutachtet wurden. Es berichtet die SZ (Josef Kelnberger).
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 8. September 2023: . In: Legal Tribune Online, 08.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52661 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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