Der BGH erlaubt den Widerruf von Lebensversicherungspolicen auch Jahre nach deren Abschluss. Außerdem in der Presseschau: OECD-Steuerabkommen unterzeichnet, EuGH weitet Grundrechtsschutz aus, BGH zu unantastbarer Mietkaution, thailändisches Gericht stürzt Regierungschefin und ein Mechatroniker, der Strafverteidiger spielt.
Thema des Tages
BGH zum Widerruf von Lebensversicherungen: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Kunden von Lebensversicherungen ihre Verträge aus den Jahren 1994 bis 2007 auch Jahre später noch widerrufen können, wenn sie beim Abschluss nicht richtig über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sind. Die für Verträge dieses Zeitraums geltende Einjahresfrist für den Widerruf war europarechtswidrig; das hatte der Europäische Gerichtshof im Dezember 2013 entschieden. Allerdings müssten sich die Versicherten bei der Rückabwicklung den Wert des bestehenden Versicherungsschutzes anrechnen lassen, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch/Herbert Fromme). Die Badische Zeitung (Christian Rath) zeichnet den Marsch des schwäbischen Klägers Walter Endress durch die Instanzen nach. Auch das Handelsblatt (Ozan Demircan) berichtet.
Michael Fabricius (Welt) erinnert daran, dass das Urteil nur "vermeintlich verbraucherfreundlich" sei: Unter dem Ausstieg Einzelner aus Versicherungsverhältnissen habe "die verbliebene Versichertengemeinde" zu leiden, die um einen Teil ihrer Rendite gebracht werde.
Rechtspolitik
Steuerdatenabgleich: Insgesamt 46 Staaten haben das von der OECD initiierte Abkommen zum Steuerdatenabgleich unterzeichnet. Die SZ (Charlotte Theile) stellt das Abkommen noch einmal vor und gibt im Frage-Antwort-Stil einen Überblick über dessen Regelungen.
Bastian Brinkmann (SZ) gehen die Regelungen nicht weit genug. Wegen der für den Datenaustausch erforderlichen Infrastruktur sieht er insbesondere Entwicklungsländer benachteiligt, deren "korrupte Eliten" ihre Gelder ins Ausland transferierten.
Schneller Abschiebehaft: Wie die SZ (Roland Preuss) berichtet, hat das Innenministerium einen Gesetzentwurf erarbeitet, nach dem Asylbewerber künftig schneller in Abschiebehaft kommen können. So soll es künftig schon ausreichen, dass Flüchtlinge unter Umgehung der Grenzkontrollen eingereist sind, Ausweispapiere vernichtet haben oder im Asylantrag "eindeutig unstimmige oder falsche Angaben" gemacht haben. Dies seien Anhaltspunkte für "Fluchtgefahr". Zudem sollen Einreise- und Aufenthaltsverbote ermöglicht und Ausweisungen Straffälliger erleichtert werden.
Raubkunstgesetz: Vor dem Hintergrund des Todes von Cornelius Gurlitt fordert Susanne Schreiber (Handelsblatt) den Erlass eines Raubkunstgesetzes. Der Fall Gurlitt habe gezeigt, dass die Frage der Restitution von Raubkunst einer gesetzlichen Regelung bedürfe.
US-EU-Handelsabkommen: Im Interview mit der Zeit (Matthias Nass/Petra Pinzler) verspricht der US-Unterhändler Michael Froman, dass das geplante Handelsabkommen TTIP weder Arbeitnehmerrechte noch Umweltgesetze gefährde. Daneben könne es als Modellabkommen neue Standards beim umstrittenen Investitionsschutz setzen.
Justiz
EuGH zu EU-Grundrechtsschutz: Auf verfassungsblog.de setzt sich der Rechtswissenschaftler Christopher Unseld mit dem "Pfleger"-Urteil des Europäischen Gerichtshofs auseinander. Mit der Entscheidung, in der es um österreichische Glücksspielprävention gehe, halte sich das Gericht durch eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs der EU-Grundrechtecharta "eine weitere Möglichkeit offen, nur entfernt mit dem Unionsrecht verbundene Sachverhalte seinem Grundrechtsschutz zu unterstellen."
BVerfG zu Erbschaftssteuer: Die FAZ (Joachim Jahn) kündigt an, dass das Bundesverfassungsgericht am 8. Juli über die Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftssteuer verhandeln wird. Anlass des Verfahrens sei eine Vorlage des Bundesfinanzhofs, der Vergünstigungen für Betriebsvermögen für verfassungswidrig hält.
BGH zu Mietkaution: Ein Zugriff des Vermieters auf die Mietkaution ist während des Mietverhältnisses tabu – auch wenn es Streit über die Miethöhe gibt und sich der Vermieter einen Rückgriff im Vertrag vorbehalten hat. Das hat laut lawblog.de (Udo Vetter) der Bundesgerichtshof entschieden.
BGH zu Telefonverzeichnis: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Telefonanbieter verpflichtet ist, ein Unternehmen mit der tatsächlich geführten Geschäftsbezeichnung und nicht nur mit Vornamen und Nachnamen oder der handelsrechtlichen Firma einzutragen. Das berichtet internet-law.de (Thomas Stadler).
NSA-Untersuchungsausschuss – Snowden: Der NSA-Untersuchungsausschuss will am heutigen Donnerstag die Vernehmung des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden beschließen. Dabei sei die CDU für eine Videokonferenz, die SPD für eine Reise nach Moskau und die Grünen für eine Reise Snowdens nach Berlin, berichtet die FAZ (Eckart Lohse).
Die Badische Zeitung (Christian Rath) führt ein Interview mit dem Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), über die mögliche Vernehmung von Edward Snowden. Er messe einer Vernehmung Snowdens hohe Bedeutung bei; plädiert aber wegen des Widerstands der Bundesregierung gegen eine Einreise des Zeugen und für eine "schnelle Anhörung per Video". Allerdings müsse neu überlegt werden, wenn sich herausstelle, dass Snowden in Moskau nicht frei sprechen könne.
Hamburger Untersuchungsausschuss zu Kindestötung: Die SZ (Marc Widmann) berichtet ausführlich über den Hamburger Untersuchungsausschuss zur Misshandlung und Tötung einer Dreijährigen, mutmaßlich durch die eigene Mutter. Die Zeitung berichtet von der Vernehmung der zuständigen Familienrichterin und darüber, wie Jugendamt, Staatsanwaltschaft und Familiengericht "aneinander vorbei" gearbeitet hätten.
StA Hamburg – Elbphilharmonie: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat nach Veröffentlichung des Untersuchungsausschussberichts zur Kostenexplosion des Baus der Elbphilharmonie ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Der Bericht benenne erstmals Verantwortliche, unter ihnen neben Hartmut Wegener, den Chef der städtischen Realisierungsgesellschaft, verschiedene ranghohe Politiker in Aufsichtsfunktionen und der Baukonzern Hochtief, berichtet die FAZ (Frank Pergande). Auch spiegel.de berichtet.
LG Lüneburg zur Feuerwehr-Brandstifter: Das Landgericht Lüneburg hat einen 17-jährigen Feuerwehrmann wegen einfacher und schwerer Brandstiftung in je drei Fällen zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das meldet die SZ.
LG Regensburg – Mollath: Im Vorfeld der Hauptverhandlung im Fall Mollath beklagt sich Henning Ernst Müller (blog.beck.de) über das vom Landgericht Regensburg gewählte Akkreditierungsverfahren für Journalisten. Es werde einmal mehr nach dem "Windhundverfahren" vorgegangen, ganz so, als habe man aus dem NSU-Prozess nichts gelernt.
LG Bayreuth – Peggy: Die SZ (Hans Holzhayder) rechnet im Wiederaufnahmeprozess zum Mordfall an der Schülerin Peggy Knobloch mit einem Freispruch für den zuvor verurteilten Ulvi Kulac. Sein Geständnis sei anzweifelbar und die Beweiserhebung habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. Schon nächsten Mittwoch sei mit einem Urteil zu rechnen. Auch die Welt (Hannelore Crolly/Anja-Maria Meister) berichtet.
Gisela Friedrichsen (spiegel.de) meint, der Prozess habe "Schwächen von Polizei und Justiz offengelegt", gleichzeitig aber die Möglichkeit der Korrektur von Irrtümern in einem Rechtsstaat unter Beweis gestellt.
Bayerische Abrechnungs-Affäre: Das Handelsblatt (Sönke Iwersen/Jan Keuchel, Zusammenfassung auf handelsblatt.com) wartet mit weiteren Details zur bayerischen Justizaffäre im Zusammenhang mit betrügerischen Arztabrechnungen auf. So habe ein ermittelnder Kriminalbeamter sich von Rechtsanwalt und Linken-Politiker Gregor Gysi vertreten lassen, um sich bei Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) über die Blockade der Justizbehörden zu beschweren.
BGH zu unbenannten Zuwendungen: Der Notar Herbert Grziwotz befasst sich auf lto.de mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu unbenannten Zuwendungen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften und gibt einen Überblick über das, was im Fall der Trennung zurückverlangt werden kann.
VG Berlin – Klage gegen Bundesfamilienministerium: Die Welt (Miriam Hollstein) berichtet über die Klage der Gleichstellungsbeauftragten des Bundesfamilienministeriums gegen ihr eigenes Haus wegen der Besetzung dreier Führungspositionen.
Recht in der Welt
Thailand – Verfassungsgericht stürzt Premierministerin: Das thailändische Verfassungsgericht hat die Premierministerin des Landes, Yingluck Shinawatra, wegen Verfassungsbruchs ihres Amtes enthoben. Die Regierungschefin habe 2011 den Chef des Nationalen Sicherheitsrats abgesetzt, um den Posten einem Verwandten zuzuschustern, berichten die SZ (Arne Perras) und taz (Nicola Glass) von der Urteilsbegründung. Mit ihr seien neun Minister entlassen worden, die ihre damalige Entscheidung mitgetragen hätten. Analysten sprächen von einem "politisierten Urteil". Auch das Handelsblatt (Mathias Peer) und die FAZ (Till Fähnders) berichten und weisen auf die Gefahr neuer Unruhen hin.
Arne Perras (SZ) hält das Urteil nicht für überraschend, die Justiz sei in Thailand "stark politisiert". Ein "Justizputsch" sei das Urteil aber nicht; das Gericht sei immerhin nicht so weit gegangen, das ganze Kabinett zu entlassen. Es sei möglich, dass das Gericht "mit seiner Entscheidung den Weg für einen Kompromiss in Thailand öffnen will." Peter Sturm (FAZ) sieht das Urteil kritischer: Die Opposition der alten Eliten habe nun auf juristischem Weg das erreicht, was sie zuvor demokratisch nicht vermocht habe. Das dürfe man "einen juristischen Putsch" nennen. Auch Nicola Glass (taz) kritisiert die mangelnde Unparteilichkeit der thailändischen Justiz.
El Salvador – Ex-Präsident Flores abgetaucht: El Salvadors Ex-Präsident Francisco Flores ist nach einem Bericht der SZ (Peter Burghardt) abgetaucht, nachdem ihn ein Gericht zur Verlesung einer Korruptionsanklage vorgeladen hatte. Ihm werde vorgeworfen, elf Millionen Euro an Erdbebenspenden unterschlagen zu haben.
Sonstiges
Freude an Regeln: Die Zeit (David Hugendick/Ulrich Stock) regt im Vorfeld der Europawahl zu einem "anderen Blick" auf Regeln und Bürokratie an – und präsentiert verschiedene Regeln, seien sie europarechtlich oder national, die das Leben erleichtern.
Das Letzte zum Schluss
Mechatroniker als Verteidiger: Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck muss sich bald mit einem kuriosen Fall von angeblichem Titelmissbrauch beschäftigen. Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, geht es um einen Mechatroniker, der – nach der Strafprozessordnung zulässig – ohne Rechtsanwalt zu sein vor Gericht als "Verteidiger" für einen Schwarzfahrer aufgetreten sei. Bei der Abholung seines Mandanten bei der Polizei soll er sich aber laut deren Protokoll als "Rechtsanwalt" ausgegeben haben – was einen Titelmissbrauch darstellen könnte. Das bestreite der Beschuldigte aber: Er habe sich allenfalls als "Strafverteidiger" bezeichnet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2014: BGH lässt widerrufen – Mietkaution unantastbar – Gericht stürzt Premierministerin . In: Legal Tribune Online, 08.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11902/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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