Laut BGH gilt die Amtshaftung nur für "normalen Amtsbetrieb", nicht aber im bewaffneten Konflikt. Außerdem in der Presseschau: Das Gesetz zur Lohngleichheit von Männern und Frauen kommt, das schärfere Abtreibungsrecht in Polen nicht.
Thema des Tages
BGH zum Kundus-Bombardement: Die Opfer des Bombardements von Kundus und ihre Angehörigen haben keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 839 BGB. Die Regeln der Amtshaftung gelten nicht bei kriegerischen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, entschied nun der Bundesgerichtshof. Hilfsweise erwähnte der BGH, dass auch bei Geltung der Amtshaftungsregeln kein Anspruch bestünde, weil Bundeswehr-Oberst Klein, der das Bombardement anordnete, dabei keine Pflicht verletzt habe. Der BGH kam zwar zum gleichen Ergebnis wie die Vorinstanzen, war dogmatisch aber restriktiver. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath) und tagesschau.de (Klaus Hempel).
Wolfgang Janisch (SZ) findet, dass der BGH eine "historische Chance" vertan hat."In einer Zeit zunehmender Auslandseinsätze deutscher Soldaten würde es Deutschland gut anstehen, zu sagen: Zur globalen Verantwortung gehört auch die Entschädigung der Opfer." Reinhard Müller (FAZ) glaubt, dass im Recht menschenrechtsfreundlicher Staaten der Schutz der Menschen immer im Mittelpunkt stehe, auch ohne staatliche Haftung. Ullrich Fichtner (spiegel.de) kritisiert, dass das Urteil zynisch sei, auch wenn es dem internationalen Standard entspreche.
Rechtspolitik
Lohngleichheit: Der Koalitionsausschuss einigte sich auf letzte Details beim "Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern". In Unternehmen ab 200 Beschäftigten sollen diese künftig einen Auskunftsanspruch über den Durchschnittslohn vergleichbarer Kollegen haben. In Unternehmen mit Tarifbindung und Betriebsrat sind die Auskunftsrechte abgeschwächt. Über den Kompromiss berichtet die FAZ (Dietrich Creutzburg) und die SZ (Constanze von Buillon/Christoph Hickmann).
"Digitaler Hausfriedensbruch": Richter Ulf Buermeyer kritisiert auf lto.de den hessischen Gesetzentwurf für einen neuen § 202e Strafgesetzbuch (StGB) ("Unbefugte Benutzung informationstechnischer Systeme"). Die Bundesrats-Initiative sei überflüssig, weil das Betreiben von Botnetzen heute schon strafbar sei. Der Entwurf sei aber auch uferlos weit, da bereits die unbefugte Nutzung fremder Fernseher strafbar sein könnte.
§ 103 StGB: Im Januar will die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Abschaffung von § 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter) beschließen. Das kündigte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann laut spiegel.de an.
Hartz IV für EU-Bürger: Nächste Woche will das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zur Beschränkung von Hartz-IV-Leistungen bei EU-Bürgern beschließen, meldet zeit.de. Erstmals arbeitssuchende EU-Bürger sollen erst nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts Ansprüche auf Sicherung des Existenzminimums in Deutschland erhalten.
Ceta-Zusatzerklärung: Die taz (Martin Kaul) stellt die "gemeinsame interpretative Erklärung" vor, die die EU-Staaten und Kanada zusätzlich zum Freihandelsabkommen Ceta beschließen wollen. Darin werde das Recht zu regulieren bekräftigt und ein Zwang zu Privatisierungen verneint. Kritikern seien die Klarstellungen jedoch zu unverbindlich.
Justiz
EGMR zu Steuer-CDs: Datenträger mit illegal kopierten Daten mutmaßlicher Steuerhinterzieher dürfen als Anlass für Hausdurchsuchungen genutzt werden. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf Klage eines deutschen Ehepaars, bei dem 2008 eine Durchsuchung stattfand, nachdem es auf einer CD mit Steuerdaten aus Liechtenstein erwähnt war. Es berichten die SZ (Hans Leyendecker) und lto.de. Die taz (Christian Rath) weist zudem darauf hin, dass das Urteil eine Zeit betrifft, in der Steuer-CDs noch nicht systematisch angeschafft wurden - was der EGMR wohl anders bewerten würde.
OLG Düsseldorf zu IS-Rückkehrer: Der Islamist Kerim Marc B. wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Rheinische Post schildert den Fall.
OLG Stuttgart zu Ahrar-al-Sham: Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte vier Männer, die der syrischen Gruppe Ahrar-al-Sam angehörten, wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu Haftstrafen zwischen 21 Monaten auf Bewährung und dreieinhalb Jahren Haft. Sie hätten Ausrüstungsgegenstände geliefert. In dem Urteil wurde Ahrar-al-Sham laut swr.de erstmals als Terrorgruppe eingestuft.
AG Berlin-Tiergarten zu Anti-Hass-Graffiti: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte die 70-Jährige Irmela Mensah-Schramm wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe unter Vorbehalt. Sie hatte ein Graffiti "Merkel muss weg!" in "Merke: Hass weg!" verändert. Es berichten die SZ (Ulrike Heidenreich) und spiegel.de.
VG München zu Porno-Home-Office: Die Pornodarstellerin "Natalie Hot" darf in ihrer Wohnung keinen Webcam-Sex anbieten. Das entschied nun das Verwaltungsgericht München. Wegen der Außenwirkung betreibe sie kein Home-Office. Mangels Qualifikation sei ihre Tätigkeit auch keine freiberufliche, berichtet die Welt (Lars-Thorben Niggehoff).
LG Neubrandenburg - KZ-Sanitäter: Der Prozess gegen einen KZ-Sanitäter am Landgericht Neubrandenburg ist vorläufig geplatzt, meldet spiegel.de. Da über Befangenheitsanträge gegen das Gericht nicht schnell genug entschieden werden konnte, müsse der Prozess neu beginnen.
OLG München - NSU/Synagoge: Ein Nebenklägeranwalt hat die Vernehmung eines Polizisten beantragt, der im Jahr 2000 Beate Zschäpe und Uwe Mundlos bei der Ausspähung einer Synagoge bemerkt haben will, meldet spiegel.de (Wiebke Ramm). Dies könnte ihre aktive Rolle im rechtsteroristischen NSU beweisen.
StA Karlsruhe verneint GBA-Strafvereitelung: Die Karlsruher Staatsanwaltschaft wird nicht gegen zwei Bundesanwälte ermitteln, die das Notizbuch eines Rechtsextremisten aus dem NSU-Umfeld vernichten ließen. Diese waren u.a. wegen Strafvereitelung angezeigt worden. Doch die Staatsanwaltschaft gehe von einem straflosen Versehen aus, meldet lto.de.
Maschmeyer vs. Classen: Die SZ (Klaus Ott/Uwe Ritzer - sueddeutsche.de-Kurzfassung) schildert in einer Seite-3-Reportage das komplexe Verhältnis der Unternehmer Carsten Maschmeyer und Utz Classen, die sich gemeinsam in einer Medizintechnik-Firma engagierten. Inzwischen überziehen sie sich mit Strafanzeigen wegen Untreue bzw. falscher Verdächtigung. Zudem ist das OLG Celle mit gesellschaftsrechtlichen Fragen befasst.
EuGH - Antidiskriminierung: Die niederländische Europarechtlerin Elke Cloots befasst sich auf verfassungsblog.de in englischer Sprache mit EuGH-Fällen, bei denen es u.a. um das Tragen eines Kopftuches bei der Arbeit geht. Entscheidende Frage ist, ob Firmen das Kopftuch ablehnen können, indem sie sich auf ein Konzept "religiöser Neutralität" berufen. Cloots bezweifelt das.
ICSID - Vattenfall: Am Montag werde das Washingtoner Schiedsgericht ICSID eine erste Anhörung zu der Klage von Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg durchführen, meldet die SZ. Vattenfall strebt eine großzügige Entschädigung an.
Europarat - Justizvergleich: swr.de (Gigi Deppe) berichtet über die zweijährliche Untersuchung des Europarats, wie effizient die Justizsysteme sind. Angestrebt werde kein Ranking, sondern ein Anreiz, sich zu verbessern.
Recht in der Welt
Polen - Abtreibung: Nach Protesten von Frauen hat die polnische Regierungsparte PiS gegen das von ihr ursprünglich befürwortete weitgehende Verbot von Abtreibungen gestimmt, berichtet die SZ (Florian Hassel). Das Gesetz ist damit vorerst gescheitert.
EGMR - Le Pen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lehnte eine Beschwerde des französischen Rechtsextremisten und FN-Gründers Jean-Marie Le Pen ab. Dieser hatte gesagt, die deutsche Besatzung in Frankreich sei "nicht besonders unmenschlich" gewesen." Dafür war er in Frankreich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Der EGMR hielt dies für eine verhältnismäßige Strafe, meldet lto.de .
Großbritannien - EMRK: Die FAZ (Helene Bubrowski) stellt dar, dass ein Staat im Notstand die Europäische Menschenrechtskonvention zeitweise für unanwendbar erklären kann. Ob ein Militäreinsatz im Ausland darunter falle, wie Großbritannien meine, sei jedoch zweifelhaft. Letztlich werde darüber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden. Außerdem könne das Folterverbot nie umgangen werden.
ISGH: Nun stellt auch die FAZ (Frank Pergande) den Internationalen Seegerichtshof vor, der seit 20 Jahren in Hamburg sitzt. Es werden einige der rund zwei Dutzend Fälle vorgestellt, mit denen der ISGH bisher zu tun hatte.
Sonstiges
Mietpreisbremse: Die im Vorjahr eingeführte Beschränkung von Mieterhöhungen bei Neuvermietungen gilt inzwischen in rund 300 Städten, berichtet die SZ (Benedikt Müller). Bisher seien zwar noch fast keine Klagen erhoben worden, allerdings gebe es zunehmend außergerichtliche Einigungen. Das Justizministerium will ein Gutachten zur Wirkung des instruments in Auftrag geben.
Kindeswohlgefährdung: Nun berichtet auch die Welt (Sabine Menkens) über das zunehmende Eingreifen der Jugendämter bei mutmaßlicher Gefährdung des Kindeswohls. Der CDU-Familienpolitiker Marcus Weinberg nennt Fälle, bei denen zu hart in Familien interveniert wurde.
Kinderehen: Die in England lehrende Dozentin Viola Teubert weist auf juwiss.de darauf hin, dass eine Anerkennung von ausländischen Kinderehen auch die Familienzusammenführung eines minderjährigen Ehepartners mit hier lebenden Eltern verhindern kann.
Das Letzte zum Schluss
Der Sohn als Stalker: Eine Familie in Lindau bekam binnen kurzer Zeit unbestellte Smartphones, Pizza, Zeitungsabos und Möbel geliefert. Hinzu kamen 180 beleidigende Emails. Offensichtlich war ein Stalker am Werk. Am Ende stellte sich laut spiegel.de heraus: es war der 13-jährige Sohn der Familie. Er war beleidigt, weil er kein Handy bekommen hatte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2016: Keine Amtshaftung für Militär / kein Porno-Home-Office / Auswertung von Steuer-CD . In: Legal Tribune Online, 07.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20798/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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