Die Verfahrenseinstellung im Fall Ecclestone sorgt für Streit. Leidet hier die Glaubwürdigkeit der Justiz? Außerdem in der Presseschau: das BVerfG erlaubt Kundgebungen auf dem Friedhof, ein Buchtitel darf die "Wanderhure" ironisieren, in Niedersachsen werden Referendarsexamen auf Auffälligkeiten geprüft, eine intersexuelle Person will durch die Instanzen gehen - und US-Forscher können bald Menschen mit Hilfe ihrer Chipstüten abhören.
Thema des Tages
LG München I - Ecclestone: Das Landgericht München I hat am Dienstag wie erwartet das Bestechungsverfahren gegen den Formel-1-Chef Bernie Ecclestone gegen Zahlung einer Geldauflage von 100 Millionen US-Dollar (75 Millionen Euro) eingestellt. Es berichtet u.a. sueddeutsche.de.
Reinhard Müller (FAZ) kommentiert: Das Urteil sei kein Indiz für eine Zwei-Klassen-Justiz, vielmehr handele es sich bei der Einstellung nach § 153a Strafprozessordnung (StPO) um "Alltagsgeschäft". Heribert Prantl (SZ) spricht dagegen von einer "Kassenjustiz" und weist darauf hin, dass § 153a bis zum Jahr 1993 nur bei geringer Schuld anwendbar war und damals ausgeweitet wurde. Er fordert eine präzisere gesetzliche Regelung der Einstellung gegen Geldauflage. Für Udo Vetter (lawblog.de) bleibt "das unschöne Bild, dass ausgerechnet Bestechungsvorwürfe hier durch eine Art 'Abstandszahlung' aus der Welt geschafft werden." Peter Kurz (WZ) meint: "Das Gefühl, dass alles mit rechten Dingen zugeht, geht verloren, wenn die Justiz mit dem Schwert droht – um anschließend die Hand offenzuhalten und sich mit Geld besänftigen zu lassen."
Auf lto.de diskutieren die Rechtsprofessoren Michael Kubiciel und Karsten Gaede. Kubiciel begrüßt die Einstellung des Verfahrens. Es sei "grundsätzlich richtig, dass Vorschriften wie § 153a StPO mit Hilfe eines diversifizierten Sanktionenprogramms einen Ausgleich zwischen Justizökonomie und Gerechtigkeit erlauben, wenn sich die Suche nach 'der' materiellen Wahrheit im prozessualen Grau verliert". Gaede rechnet vor, dass eine Geldstrafe im Fall Ecclestone maximal 21,6 Millionen Euro hätte betragen dürfen, mit einer Geldauflage von 75 Millionen Euro habe sich das Gericht deshalb in der Oktave vergriffen. Es bestehe die Gefahr, dass die Justiz nur noch danach schaue, auf welchem Weg bei dem Angeklagten mehr zu holen ist.
Rechtspolitik
Organhaftung: Die Anwälte Wilhelm Haarmann und Michael Weiss plädieren in einem Beitrag für die FAZ für eine gesetzliche Reform der Organhaftung. Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsräten sollen künftig nach allgemeinen Regeln haften. Sie sollen nicht mehr die Beweislast dafür tragen, dass sie die "Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" angewendet haben. Sie sollen sich auch bei Verstößen gegen interne Regeln darauf berufen können, dass ein bestimmter Schaden auch ohne Pflichtverletzung eingetreten wäre. Haftungssummen sollen gesetzlich begrenzt werden, bei Managerversicherungen soll es keinen Selbstbehalt mehr geben.
Kastration: Die Anwältin Ulrike Golbs plädiert auf lto.de für eine Beibehaltung der Möglichkeit, dass sich Strafgefangene auf eigenen Wunsch kastrieren lassen, um ihren abnormen Sexualtrieb zu dämpfen. Das Anti-Folter-Kommittee des Europarats hatte dies zuvor als menschenunwürdige Verstümmelung beanstandet. Golbs warnt dagegen vor einer Ungleichbehandlung von Strafgefangen und sonstigen Bürgern mit dem gleichen medizinischen Befund.
Justiz
BVerfG zu Demonstrationsrecht: Die Versammlungsfreiheit gilt auch auf Friedhöfen, wenn dort "kommunikativer Verkehr" stattfinde, der über privates Gedenken hinausgehe. Das Bundesverfassungsgericht sah deshalb linke Proteste gegen eine Gedenkveranstaltung für Kriegsopfer in Dresden als geschützt an und beanstandete das verhängte Bußgeld von 150 Euro, melden die FAZ (Helene Bubrowski) und die SZ (Wolfgang Janisch).
BGH zu Unternehmens-Übernahmen: Der Anwalt Andreas Löhdefink bespricht in der FAZ das vorige Woche ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank. Überraschend sei vor allem, dass der BGH nun die drittschützende Wirkung der Vorschriften über den Mindestpreis zugunsten der Aktionäre bejaht hat, nachdem er dies im Vorjahr noch verneinte.
OLG Düsseldorf zu Buchtitel: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hält den Buchtitel "Die schönsten Wanderwege der Wanderhure" für eine Kurzgeschichtensammlung für zulässig, melden die FAZ (Andreas Rossmann) und lto.de. Der Titel sei selbst satirisch-ironische Kunst und nutze nicht nur die Bekanntheit der "Wanderhure"-Bücher- und Filme aus.
StA München - Kinderwunschkliniken: Die Staatsanwaltschaft München hat Strafverfahren gegen mehrere Ärzte eingestellt, die von einem Kollegen aus Österreich angezeigt worden waren, meldet stern.de. Das Embryonenschutzgesetz verbiete es nicht, mehr als drei Eizellen künstlich zu befruchten, verboten sei nur, einer Frau mehr als drei Eizellen einzupflanzen.
OLG München - NSU: Die FAZ (Helene Bubrowski) beschreibt das Dilemma der Anwälte von Beate Zschäpe im Umgang mit dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl, der kaum noch von einer Verurteilung abzubringen sei. Wenn sie ihn zu hart attackieren, verärgern sie ihn, ohne dass es revisionsrechtlich nütze. Halten sie sich jedoch zurück, könnte dies zu neuen Zerwürfnissen mit der Angeklagten führen.
Der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt) meldet, dass sich die Zusammensetzung des Oberlandesgerichts im NSU-Verfahren ändert. Weil die Richterin Renate Fischer an den Bundesgerichtshof berufen wurde, rückt nun eine bisherige Ersatzrichterin nach. Künftig gibt es damit nur noch zwei (statt drei) Ersatzrichter.
Am Dienstag wurde Jürgen L. als Zeuge vernommen, der an der Beschaffung der wichtigsten Tatwaffe, einer Ceska-Pistole, beteiligt gewesen sein soll, aber alles bestritt, wie spiegel.de (Björn Hengst) berichtet.
VG Aachen - Gorch-Fock-Todesfall: 2008 starb die Rekrutin Jenny Böken bei einer Fahrt des Marine-Schulschiffs Gorch Fock. Nachdem strafrechtliche Versuche, die Verantwortlichkeit zu klären, scheiterten, klagen die Eltern jetzt vor dem Verwaltungsgericht Aachen gegen die Bundesrepublik auf Schadensersatz nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Ihnen gehe es aber weiterhin nur um die Klärung der Todesumstände, berichtet die Welt (Francois Duchateau).
Recht in der Welt
Großbritannien - Genitalverstümmelung: Am Londoner Flughafen Heathrow suchen achtzig Polizeibeamte nach Mädchen, denen bei der Reise in das Herkunftsland ihrer Familie Genitalverstümmelung droht, es gebe Kontrollen bei der Ein- und bei der Ausreise, berichtet die taz (Daniel Zylbersztaijn).
EGMR - CIA-Gefängnisse in Polen: Die Rechtsreferendarin Inga Meta Matthes beschreibt auf juwiss.de ausführlich das jüngst ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Polen. Dem Land wurde vorgeworfen, die Einrichtung von Geheimgefängnissen der CIA und die Folter von CIA-Gefangenen auf polnischem Staatsgebiet geduldet und diese unterstützt zu haben.
Sonstiges
Leihmutterschaft: Die SZ (Anna Günther) gibt in Fragen und Antworten einen Überblick über die Rechtslage für Leihmutterschaften in Deutschland und Europa. In Deutschland ist dies verboten. Kinder von ausländischen Leihmüttern dürfen eigentlich nicht einreisen.
Intersexualität: Der Antrag eines jungen Menschen aus Hannover, der beim Standesamt nicht mehr als Frau, aber auch nicht als Mann, sondern als "inter/divers" geführt werden will, werde durch die Instanzen gehen, bis zum Bundesverfassungsgericht, prognostiziert die FAZ (Oliver Tolmein). Bisher gibt es in Deutschland nur die Möglichkeit, bei intersexuellen Neugeborenen kein Geschlecht einzutragen, bis eine geschlechtszuweisende Operation stattgefunden hat.
Google-Suchlisten: Die taz (Christian Rath) beschreibt, dass Medien derzeit eine schwache Stellung haben, wenn sie mit der Entfernung von Artikeln aus Google-Suchlisten nicht einverstanden sind.
Juristische Ausbildung
Examen in Niedersachsen: Vor vier Monaten war Jörg L., Referatsleiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt, verhaftet worden, weil er Prüfungsaufgaben für das zweite Staatsexamen verkauft haben soll. Jetzt überprüfen zweihundert Richter und Staatsanwälte die Prüfungsklausuren seit 2011. Ein Drittel der rund 16.000 Klausuren sei bereits geprüft worden und es habe auch Auffälligkeiten gegeben, berichtet die FAZ (Reinhard Bingener). Es werde zu Verfahren um die Aberkennung von Prüfungsleistungen kommen.
Das Letzte zum Schluss
Abhören mit Hilfe von Chipstüten: Amerikanische Forscher entwickeln eine Technik, die Polizei und Geheimdienste interessieren dürfte. Gespräche, die man nicht abhören, aber beobachten kann, werden mit Hochleistungskameras gefilmt. Wenn dabei Gegenstände wie Chipstüten zu sehen sind, kann die Kamera Vibrationen der Tüte erkennen, so dass sich das Gespräch rekonstruieren lässt, berichtet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. August 2014: Umstrittener Ecclestone-Deal – Erlaubte Demo auf dem Friedhof – Niedersächsische Examen gefährdet . In: Legal Tribune Online, 06.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12808/ (abgerufen am: 22.07.2024 )
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