Mehr Daten und Spuren erschweren die Rechtsfindung - weil die Labore mit dem Auswerten nicht nachkommen. Außerdem in der Presseschau: Schutzlücken im Vergewaltigungs-Strafrecht, Karlsruhe hilft pausierenden Fachanwälten, Telefonieren in Haft ist zu teuer, Drama um siamesische Zwillinge - und warum Finanzberatung schon vor fünzig Jahren tückisch war.
Thema des Tages
Überlastete Kriminaltechnik: mdr info (Ingo Bötig) berichtete exklusiv über ein Papier aus Kreisen der deutschen Generalstaatsanwälte, das die Überlastung der kriminaltechnischen Labore in vielen Bundesländern aufzeigt, insbesondere in Sachsen, Hessen, Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Konkret geht es um die Auswertung von Computer- und Mobilfunkdaten sowie DNA-Spuren. Da sich das Datenaufkommen, z.B. bei beschlagnahmten Computern, in den letzten Jahren vervielfacht hat, können Aufträge der Justiz nur noch teilweise und mit großer Verzögerung bearbeitet werden. Die Auswertung von kinderpornographischen Fotos durch private Labore werde teilweise sogar als strafbare Weitergabe von Kinderpornographie gewertet.
Rechtspolitik
Kartellrecht: Die zum Jahreswechsel in Kraft getretene EU-Richtlinie zu kartellrechtlichen Schadensersatzklagen muss nun in Deutschland umgesetzt werden. Sie entspreche weitgehend der deutschen Rechtspraxis, stellt das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) fest. Teilweise könne eine eins-zu-eins-Umsetzung sogar zu Rückschritten bei Geschädigten-Rechten führen, etwa bei der Akteneinsicht in Erklärungen von Kronzeugen.
Erbschaftsteuer: Jetzt beschäftigt sich auch die FAZ (Joachim Jahn) mit der Frage, was mit der Erbschaftsteuer passiert, wenn es nicht bis Mitte 2016 zu einer Neuregelung kommt. Zitiert werden Professoren, die davon ausgehen, dass die Steuer dann bei allen Erben nicht mehr erhoben werden kann. Die FAZ geht jedoch davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht dann mit einer Vollstreckungsanordnung eingreifen wird.
Vergewaltigung: In einem Debattenbeitrag plädiert Christian Rath (taz) für die Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats, die eine Bestrafung nicht einverständlicher sexueller Handlungen vorsieht. Er zählt zahlreiche Strafbarkeitslücken im geltenden deutschen Vergewaltigungs-Strafrecht auf.
Verdeckte Mitarbeiter: Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll erstmals eine explizite Rechtsgrundlage dafür erhalten, verdeckte Mitarbeiter in extremistische Szenen einzuschleusen. Das sieht ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums vor, über den die taz (Christian Rath) berichtet. In der Vergangenheit seien nur wenige praktische Fälle bekannt geworden.
Nudging: verfassungsblog.de beginnt ein Online-Symposion zur Frage, ob Regierungen mit Mitteln der Verhaltenspsychologie Anstöße (nudges) geben dürfen, damit die Bürger sich eher entsprechend ihren eigenen mutmaßlichen langfristigen Interessen verhalten. Veröffentlicht wurden zunächst englischsprachige Beiträge der Rechtsprofessoren Cass Sunstein, Jeff Kind und Gertrude Lübbe-Wolff.
Justiz
LG Berlin - Landowsky: Das Landgericht Berlin hat vor Weihnachten das letzte anhängige Strafverfahren gegen den ehemaligen Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky, eingestellt. Landowsky war auch Chef der landeseigenen Pfandbriefbank (später Berlin Hyp) und hatte in dieser Eigenschaft riskante und schlecht geprüfte Kredite an Geschäftspartner vergeben, von denen er parallel eine Parteispende angenommen hatte. Die taz (Sebastian Heiser) beschreibt den Verfahrensgang bis zum Bundesverfassungsgericht, das eine Verurteilung wegen Untreue erschwerte. Auch die FAZ (Mechthild Küpper) berichtet.
BVerfG zu Fachanwälten: Ein Fachanwalt verliert seinen Titel auch dann nicht, wenn er zwischendurch einige Jahre als Beamter arbeitet. Das entschied, meldet nun auch der lawblog (Udo Vetter), das Bundesverfassungsgericht bereits im Oktober. Entscheidend ist, dass die jährlich erforderliche Fortbildung absolviert wird.
BVerfG - Syndikusanwälte: Das Bundesverfassungsgericht hat im Verfassungsbeschwerde-Verfahren gegen Urteile des Bundessozialgerichts rund 80 Verbände und Institutionen aufgefordert, Stellung zu nehmen, meldet lto.de. Das BSG hatte im April abgelehnt, dass Syndikusanwälte sich von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen können.
LG Stendal zu Gefängnis-Telefongebühren: Das Landgericht Stendal hat laut lto.de überteuerte Gebühren für die Telefonate von Häftlingen beanstandet. Die Betreiber von Gefängnistelefonie dürften keine Gewinnspanne von 66 Prozent erzielen.
Recht in der Welt
Türkei - Internetzensur: Die türkische Regierung unternimmt einen zweiten Versuch, eine weitgehende Internetzensur einzuführen, berichtet spiegel.de. Bei Gefahren für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung sollen künftig der Premierminister und der Kommunikationsminister - jeweils ohne richterlichen Beschluss - eine Sperrung oder Löschung von Webseiten anordnen können. Im ersten Versuch, den das türkische Verfassungsgericht beanstandet hatte, sollte eine Behörde die Sperrung verfügen können.
Großbritannien - Prinz Andrew: Der zweite Sohn von Queen Elisabeth ist in den USA in ein Gerichtsverfahren verwickelt, in dem ihm Sex mit einer 17-Jährigen vorgeworfen wurde, was nach US-Recht strafbar ist. Die FAZ (Jochen Buchsteiner) schildert die Zusammenhänge.
Sonstiges
Euro-Austritt: Die FAZ (Helene Bubrowski) prüft, ob Griechenland aus der Währungsunion austreten oder ausgeschlossen werden könnte. Die EU-Kommission halte die Euro-Mitgliedschaft zwar für unwiderruflich, allerdings sei die Rechtslage nicht eindeutig, was ausgeführt wird. "Aber wenn der politische Wille da ist, sind Paragraphen meist das geringste Problem."
Verkehrsrecht: Regierungsamtsrat Adolf Rebler stellt auf lto.de zahlreiche Neuerungen im Verkehrsrecht vor. So kann seit Jahreswechsel das Kfz-Kennzeichen auch beim Umzug in einen anderen Zulassungsbezirk beibehalten werden. Die Abmeldung eines Fahrzeugs ist mit neuen Fahrzeugpapieren künftig online möglich. Ab Mitte 2015 können Kommunen Elektrofahrzeuge im Verkehr bevorzugen. Seit Mai 2014 hat der Verbandskasten im Auto einen anderen Pflichtinhalt. Niedersachsen plant ab Frühjahr 2015 einen Streckenradar-Modellversuch, bei dem die Durchschnittsgeschwindigkeit nicht mehr punktuell, sondern auf einer längeren Strecke gemessen wird.
Siamesische Zwillinge: Die FAZ bringt im Feuilleton einen Auszug aus Ian McEwans neuem Roman "Kindeswohl". Darin wird aus Sicht einer High-Court-Richterin der Fall von zwei siamesischen Zwillingen geschildert. Um das Leben des einen zu retten, musste der andere getötet werden, wobei die katholischen Eltern die Operation ablehnten, da Gott den Tod beider Kinder wolle.
Das Letzte zum Schluss
Heinz Erhardt und der Finanzvertreter: Die wiederentdeckte Heinz Erhardt-Komödie "Geld sofort", die am Montag abend im NDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde, beschäftigt sich mit durchaus aktuellen Problemen, hat der handelsvertreter-blog.de (Kai Behrens) festgestellt: Ein Finanzexperte verspricht einen Kredit von 3.000 Mark, den er aber nicht auszahlt. Stattdessen verlangt er dem Bittsteller diverse "Bearbeitungsgebühren" und "Informationshonorare" ab.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. Januar 2015: Warten auf das Kriminallabor – BVerfG zu pausierenden Fachanwälten – Euro-Austritt möglich? . In: Legal Tribune Online, 06.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14277/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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