Darf die Parodie eines Werkes auch rassistische Aussagen enthalten? Das geht zu weit, entschied der EuGH am Dienstag. Außerdem in der Presseschau: Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hält Geheimdienstpraxis für grundgesetzwidrig, Anspruch und Realität im Sexualstrafrecht, Einschätzungen zu Uber und warum der Chef nicht gleich kündigen sollte, wenn ein Angestellter ihn einen Psychopathen schimpft.
Thema des Tages
EuGH zur Parodie mit diskriminierender Aussage: Dürfen Parodien verboten werden, die ein bestehendes Werk mit einer diskriminierenden Aussage versehen? Ja, wie der Europäische Gerichtshof EuGH) gestern entschied. Der Entscheidung des EuGH lag ein Fall aus Belgien zugrunde, in dem ein rechtspopulistischer Politiker das Cover eines Comics aus den 1960er Jahren mit rassistischen Stereotypen gespickt hatte. Die Erben des Zeichners zogen dagegen vor Gericht; ein belgisches Gericht rief den EuGH an. Sueddeutsche.de berichtet auf Grundlage einer Pressemitteilung des EuGH. Demnach definiert das Gericht zunächst den allgemeinen Rahmen einer Parodie gemäß der EU-Urheberrechtsrichtlinie: Parodien sind grundsätzlich zulässig, wenn sie "an ein bestehendes Werk erinnern" und als solche erkennbar sich vom Original "wahrnehmbar unterscheiden"; schließlich bringen sie "Humor oder Verspottung" zum Ausdruck. Die Grenze zieht der EuGH, sobald die Parodie eine diskriminierende Aussage vermittelt: Dann darf die Parodie vom Urheber untersagt werden.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) resümiert als Maßstab aus dem EuGH-Urteil "mein Recht als Urheber, nicht mit meiner schöpferischen Leistung für irgendwelche rassistischen Zwecke vergewaltigt zu werden". Er sieht die Meinungsfreiheit "eher gestärkt als geschwächt". telepolis.de (Markus Kompa) weist auf das für solche Fälle im deutschen Urheberrecht verankerte Entstellungsverbot hin.
Rechtspolitik
Papier im Interview zu Geheimdiensten: Die derzeitige Überwachungspraxis des Bundesnachrichtendienstes ist vom Grundgesetz nicht gedeckt – so moniert es der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier im SZ-Interview (Georg Mascolo/Frederik Obermaier). Der BND dürfe nicht beliebig Ausländer abhören, das Grundgesetz schütze "jedermann, Inländer wie Ausländer, unabhängig davon, wo sie sich aufhalten". Ein entsprechendes 15 Jahre altes Urteil des BVerfG werde in der Praxis nicht umgesetzt. Papier fordert außerdem die Reform des G 10-Gesetzes und weist auf die Schutzpflicht des deutschen Staates vor ausländischen Geheimdiensten hin. Schließlich: Die Gefahr, dass dem Staat eine sicherheitsrelevante Information entgeht, müsse man eingehen, die totale Datenerhebung sei "das Ende von Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit".
Sexualstrafrecht und Istanbul-Konvention: Entspricht das deutsche Sexualstrafrecht der Istanbul-Konvention des Europarats, wie vom Justizministerium kürzlich behauptet? Eine analytische Fallstudie des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) kommt zum Ergebnis: Das Sexualstrafrecht weist Lücken auf und schützt die Selbstbestimmung von Frauen unvollständig. Die Badische Zeitung (Christian Rath) stellt Einzelheiten der Studie vor. Knackpunkt: Das deutsche Sexualstrafrecht berücksichtigt nicht das simple "Nein" einer Frau, also ihren geäußerten Willen.
Militärhilfe nicht am Parlament vorbei: In Sachen Militärhilfen Deutschlands hält es Heinrich Wefing (Die Zeit) für unentbehrlich, den Bundestag stets entscheiden zu lassen: Ein militärischer Einsatz beginne nicht erst mit einem Einmarsch, sondern auch bereits mit Waffenlieferungen. "So zu tun, als ob es darauf ankomme, ob ein einziger Bundeswehroffizier die Grenze überschreite – das grenzt an juristische Klügelei."
Asylrecht und sichere Herkunftsländer: Die taz (Sabine am Orde) meldet, dass der geplante Gesetzentwurf, nach dem Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen, möglicherweise im Bundesrat scheitern wird. Die Grünen wollen dem Gesetzentwurf demnach nicht zustimmen; der Bundesrat tagt dazu noch im September.
Regeln für Versicherungskonzerne: Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen beschlossen. Die Aufsicht über Versicherungen soll gestärkt und Risiken im Bereich der Versicherungsunternehmen abgeschwächt werden. Das Handelsblatt (Frank M. Drost/Kerstin Leitel – Kurzfassung) und die SZ (C. Hulverscheidt/F. Krieger) berichten über die Reform, die auf eine EU-Richtlinie zurückgeht ("Solvency II").
Justiz
LG Frankfurt zu Uber: Obwohl als unzulässige Personenbeförderung eingestuft, will der Fahrdienst Uber auch nach dem vorläufigen Verbot durch das Landgericht Frankfurt weiter machen wie zuvor. Der Anwalt Oliver Löffel befasst sich auf lto.de mit den prozessualen Kniffen des Beschlusses – so hatte Uber zuvor eine Schutzschrift beim Gericht hinterlegen lassen. Außerdem werden mögliche Folgen für den Dienstleister Uber prognostiziert, so er die Entscheidung tatsächlich ignoriert; schließlich denkbare Konsequenzen für den Antragssteller Taxi Deutschland, sollte das vorläufige Verbot gekippt werden.
telemedicus.info (Thomas Seifried) untersucht den Beschluss auf seine rechtliche Plausibilität. Das Gericht habe nicht entschieden, ob Uber wettbewerbsrechtlich als Täter oder Teilnehmer haftet, indem es die Plattform für den Fahrdienst stellt. Dabei hätte über eine "solch wesentliche Frage" entschieden werden müssen, weil sich daraus jeweils eigenständige Vorwürfe und Prüfungsmaßstäbe ergeben würden.
VG Berlin zu Passentzug: Wer erhebliche Steuerschulden angesammelt hat und sich seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen will, dem darf gemäß den §§ 8 und 7 des Passgesetzes der Reisepass entzogen werden. Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Eilverfahren eines 60-Jährigen diese Voraussetzungen als erfüllt angesehen und den Passentzug einer Berliner Behörde aufrechterhalten, wie lto.de meldet. Der Mann hatte 500.000 Euro Steuerschulden angesammelt und mehrmals seinen Aufenthaltsort gewechselt.
Porsche-Prozesse: Die SZ (Klaus Ott) hält eine Anklage von Ferdinand Piëch und anderen früheren und heutigen Porsche-Aufsichtsratschefs für sehr wahrscheinlich und gibt einen Ausblick auf mögliche Verfahren. Im Raum steht der Vorwurf der Beihilfe zur Marktmanipulation im Zusammenhang mit der versuchten VW-Übernahme.
BVerfG zu gerichtlicher Unzuständigkeit: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein unzuständiges Amtsgericht nicht "sehenden Auges" falsche Entscheidungen treffen darf, nachdem es im Verfahren seine eigene Unzuständigkeit erkannt hat. Darin liege ein Verstoß sowohl gegen das Willkürverbot und gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter, heißt es im Beschluss des BVerfG laut lto.de.
OLG München – Manfred Götzl: Den Vorsitzenden Richter im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München Manfred Götzl portraitiert die SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz). Akribie, Obsession fürs Recht, Stur-, aber nicht Verbohrtheit zeichnen Götzl nach Ansicht der Autoren aus. Und: Der Ausgang des NSU-Prozesses bedeute für Götzl entweder "die Krönung oder seine größte Niederlage".
LG Ulm – mutmaßlicher Mord an Ex-Freundin: Ein 54-jähriger Mann soll seine Ex-Freundin mit Benzin übergossen und angezündet haben. Er steht nun wegen Mordes vor dem Landgericht Ulm; es sind über achtzig Zeugen geladen. Spiegel.de und die SZ (Hans Holzhaider) berichten vom Prozessauftakt.
LG Darmstadt zu manipulierter Überweisung: Bei einer manipulierten Autorisierung im Online-Banking unter Nutzung des sogenannten Smart-TAN-plus-Verfahrens besteht gegen die Bank kein Anspruch auf Rückzahlung. Die Autorisierung ist dem Bankkunden vielmehr nach Rechtsscheinsgrundsätzen zuzurechnen. Das hat das Landgericht Darmstadt Ende August entschieden, wie internet-law.de (Thomas Stadler) meldet.
AG Halle (Westf.) zu heimlicher Taufe: Nachdem 2011 ein Kind nichtehelich geboren worden war und der Vater ein Verfahren auf Herstellung der gemeinsamen Sorge betrieb, taufte er das Kind heimlich syrisch-orthodox – gegen den ausdrücklichen Willen der Mutter, die das Kind darüber später selbst über die Konfession entscheiden lassen wollte. Diese Grundhaltung des Vaters stufte das Amtsgericht Halle (Westf.) als negativ für das Kindeswohl ein, wie blog.beck.de (Hans-Otto Burschel) meldet.
OVG Schleswig-Holstein – Werbung auf Facebook: Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein entscheidet laut taz (Martin Kaul) heute über die Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz aus dem Jahr 2011. Die Behörde hatte damals einem Unternehmen aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten, eine Fanpage auf Facebook zu betreiben; im letzten Jahr hob das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein dieses Verbot auf. Behördenchef Thilo Weichert wolle im Zweifel bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
OVG Nordrhein-Westfalen – Berufung gegen das Cannabis-Urteil: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat letzte Woche Berufung gegen das Cannabis-Urteil des Verwaltungsgerichts Köln eingelegt. Für Mathias Broeckers (taz) macht dies einmal mehr deutlich, dass "eine solche Behörde an einem Pharmastandort wie Deutschland weniger das Wohl des Patienten im Auge hat, sondern eher die Lobby der Industrie im Nacken". Das VG Köln hatte im Juli entschieden, dass das BfArM Schmerzkranken den Anbau von Cannabis zu Therapiezwecken genehmigen muss.
BFH lässt BVerfG Mindestbesteuerung prüfen: Die Mindestbesteuerung für Unternehmen landet laut FAZ (Joachim Jahn) vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Bundesfinanzhof hält die Regelung für verfassungswidrig und hat daher das BVerfG angerufen.
Recht in der Welt
USA – Unschuldig in Haft: Dreißig Jahre lang saßen die zwei Männer in Haft, aufgrund einer Verurteilung wegen Vergewaltigung und Ermordung eines Mädchens – unschuldig, wie jetzt ein US-Gericht in North Carolina festgestellt hat. Ein DNA-Test konnte die Unschuld der beiden geistig behinderten Männer belegen. Spiegel.de schreibt über die Hintergründe und zitiert zudem eine Untersuchung, nach der siebzig Prozent aller in den USA zu Unrecht Verurteilten schwarz seien.
Sonstiges
Drahtlosnetzwerke und Störerhaftung: internet-law.de (Thomas Stadler) äußert sich kritisch zur aktuellen Debatte um die Dimension der Störerhaftung für Betreiber offener Drahtlosnetzwerke. So löse die aktuell diskutierte Erweiterung gesetzlicher Haftungsprivilegien zumindest für private Betreiber solcher offenen Netzwerke das Problem nicht. Denn der BGH gehe derzeit von einer originären Haftung des Betreibers als Täter – und nicht als Störer – aus. Daher helfe die Abschaffung der Störerhaftung nicht, Stadler spricht von einer "Scheindebatte".
Abmahnanwalt bleibt Anwalt: Der durch die "Redtube"-Abmahnungen bekannt gewordene Regensburger Rechtsanwalt Thomas Urmann verliert mit der Rechtskraft seiner Verurteilung nicht automatisch seine Zulassung als Anwalt. Urmann war unter anderem wegen versuchten Betruges verurteilt worden; einige Medien hatten fälschlicherweise kolportiert, Urmann koste dies seine Zulassung. lto.de klärt stellt die Rechtslage zum Zulassungsentzug klar.
Das Letzte zum Schluss
Chef als Psychopathen bezeichnet: Ein "Psychopath", der "eingesperrt" gehöre – so sprach ein Angestellter vor seinen Kollegen nach einem Streit über den Chef. Der kündigte, das Arbeitsgericht Ludwigshafen hob die Kündigung auf: An sich rechtfertige die Äußerung eine außerordentliche Kündigung. Doch hätte der Chef den Angestellten erst abmahnen müssen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat das Urteil in der Berufung jetzt bestätigt. Die SZ (Kim Björn Becker) berichtet hiervon und von weiteren Chef-Beleidigungen, die vor Gericht endeten.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. September 2014: Diskriminierende Parodie – Ex-Verfassungsrichter zur Überwachung – Uber-Beschluss analysiert . In: Legal Tribune Online, 04.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13078/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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