Es dauert noch etwas, aber die papierlose Justiz ist auf dem Vormarsch. Außerdem in der Presseschau: Weiter herrscht Kritik an der BND-Reform und der Sexualstrafrechtsrechtsreform, BRAK und DAV gegen de Maizière und blaumachende Professoren.
Thema des Tages
Papierlose Justiz: Anlässlich der Präsentation eines Pilotprojektes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz am Landgericht Mannheim befasst sich die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) mit der "stillen Kulturrevolution". Die elektronische Kommunikation von Behörden und Anwälten mit Gerichten soll ab 2022 verbindlich werden, nicht aber für Privatpersonen. Elektronische Postfächer für Anwälte soll es ab 2018 geben; die Einführung einer vollelektronischen Aktenführung werde aber noch etwas auf sich warten lassen. Indes würden bereits zahlreichen Sorgen aus der Richterschaft gemeldet, so etwa zu Fragen des Datenschutzes bei elektronischer Leistungskontrolle der Richter und im Hinblick auf die Einhaltung des Beratungsgeheimnisses. Urteilsvorbereitende Schriftstücke seien "nicht für die Augen des Gerichtspräsidenten oder gar für Justizangehörige und Systemadministratoren bestimmt".
Rechtspolitik
Bundesverfassungsgericht – Nachfolge für Herbert Landau: Nach Informationen der Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) soll die Professorin Christine Langenfeld als Nachfolgerin des Verfassungsrichters Heribert Landau gehandelt werden. Der Vorschlag gelte als Kompromissangebot an die Grünen, die im Vorfeld die Aufteilung der Richterstellen zwischen CDU und SPD in Zweifel gezogen und Widerstand angekündigt hatten.
BND-Gesetz: Der Spiegel (Maik Baumgärtner u.a.) befasst sich nun auch mit dem Gesetzentwurf zur Reform des BND-Gesetzes, der am vergangenen Dienstag vom Bundeskabinett beschlossen worden ist. Kritisiert werden die Ausweitung der Befugnisse unter gleichzeitiger Streichung von Kontrollinstrumenten, die in einer früheren Fassung vorgesehen waren. Kritisch sieht die Pläne auch die WamS (Manuel Bewarder/ Florian Flade) unter dem Titel "Legalize it!" und weist auch auf eine personelle und technische Aufrüstung des BND hin. Weiter geht es um den neuen BND-Chef Bruno Kahl, der als langjähriger Vertrauter des Finanzministers Schäuble gelte. Dazu auch internet-law.de (Thomas Stadler).
Sexualstrafrecht: Im Interview mit dem Spiegel kritisiert die Strafrechtsprofessorin Monika Frommel die geplante Reform des Sexualstrafrechts als unnötig und kontraproduktiv. Strafbarkeitslücken könnten durch Auslegung der bisherigen Straftatbestände im Lichte der Istanbul-Konvention geschlossen werden. Die Reform könne mit dem neuen Grundtatbestand "sexueller Übergriff" Rechtsunsicherheit schaffen.
Claudius Seidel (FAS) befasst sich im Feuilleton mit der Reform und resümiert, die Absicht dahinter sei zwar gut, die Wirkungen aber verheerend. Es werde künftig nicht aktives, sondern rezeptives Verhalten sanktioniert und dass vor Strafe künftig eigentlich nur das "Nur ja heißt ja" schützen könne. Auch wenn die Reform im Prinzip richtig sei, warnt Jost Müller-Neuhof (Tsp) vor falschen Hoffnungen, die die Reform wecken könnte: "Weder werden Frauen besser geschützt noch dürfen sie hoffen, dass signifikant mehr Täter als früher verurteilt werden."
Whistleblower: Mitarbeiter von Banken, Versicherungen und anderen Finanzinstituten sollen künftig ohne arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen Gesetzesverstöße melden können. Das ermöglicht das neue Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz, erklärt die Samstags-FAZ (Markus Frühauf). Kritikwürdig sei allerdings, dass Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Anwälte ausgenommen seien. So wären Whistleblower, wie die wegen Luxleaks verurteilten PwC-Mitarbeiter, nach dem Gesetz nicht geschützt.
Rehabilitierung von Homosexuellen: Ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums sieht die Rehabilitation und Entschädigung von Homosexuellen vor, die aufgrund des abgeschafften Straftatbestandes des § 175 StGB wegen "Unzucht" verurteilt worden waren. Die Urteile der Nachkriegszeit sollen durch das Gesetz aufgehoben und den Betroffenen eine in der Höhe noch nicht festgelegt Entschädigung zugesprochen werden, berichten die Samstags-SZ (Robert Rossmann) und die Samstags-taz (Christian Rath).
Scheinvaterregress: Rechtsprofessor Herbert Grziwotz erläutert auf lto.de die geplante Beschränkungen des Unterhaltsregresses des "Scheinvaters" gegenüber dem biologischen Vater eines Kindes. Der Unterhaltsregress soll nur noch "für den Zeitraum von zwei Jahren vor Einleitung des Verfahrens auf Anfechtung der Vaterschaft bis zum Abschluss dieses Verfahrens" verlangt werden können.
Berufszugangsregelung für Tätowierer: Die Ausübung der Tätigkeit eines Tätowierers erfordert derzeit keine Befähigungsnachweise oder Berufsausbildung. Dies soll sich nun ändern, wie der Rechtsanwalt Urban Slamal auf lto.de schildert. Bundesminister Christian Schmidt habe die Regulierung der Tattoo-Branche und die Schaffung einer Berufszugangsregelung ankündigt.
Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Die Selbstverwaltung der Bundesorganisationen im Gesundheitswesen soll nach Plänen der Regierungskoalition zur Bekämpfung von Missbrauch und Selbstbedienung beschränkt werden, berichtet die Montags-FAZ (Andreas Mihm). Dabei gehe es um die Ausweitung von Aufsichtsrechten etwa in Bezug auf Haushaltsverfahren, Vorstandsverträge oder Vermögensanlagen, auch sollen Klage gegen Aufsichtsmaßnahmen keine aufschiebende Wirkung mehr entfalten.
Maas zu Extremismus: Wie unter anderem zeit.de meldet, äußerte sich Bundesjustizminister Heiko Maas besorgt über die Entwicklungen im deutschen Rechtsextremismus und damit einhergebende Bedrohungen für die Demokratie.
EU-Regierung: In einem Gastbeitrag für die Montags-FAZ schildert EU-Parlamentspräsident Martin Schulz seine Pläne für Europa: U.a. stellt er sich eine EU-Regierung vor, die Verantwortlichkeiten regelt und demokratische Klarheit schafft. Dazu berichtet u.a. spiegel.de.
Erbschaftsteuer: Für focus.de erklärt der Autor Gerd Maas, "warum die Erbschaftsteuer abgeschafft gehört".
Justiz
BRAK und DAV gegen de Maizière: Die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltsverein kritisieren Innenministers Thomas de Maizière, der Unverständnis für die Tätigkeit von Anwälten beim Abschiebungsschutz geäußert hatte. Der Vorwurf des Innenministers zeuge vom eklatanten Missverständnis des Rechtsstaats und schüre Vorurteile gegen Rechtsanwälte, fasst die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) die Stellungnahmen zusammen.
Familiengericht Berlin: In einem ausführlichen Beitrag porträtiert der Spiegel (Fiona Ehlers) das größte deutsche Familiengericht in Berlin beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg. "Der Zustand der deutschen Gesellschaft lässt sich hier tagtäglich begutachten, der Wandel der Familie im Zeitalter von Migration, Patchwork und künstlicher Fortpflanzung."
OLG Düsseldorf zu Attentat Reker: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Angreifer auf Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker wegen versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Aufgrund des Messerangriffs am Wahlkampfstand habe das Gericht das Mordmerkmal der Heimtücke bejaht, die niederen Beweggründe aufgrund der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten jedoch verneint. Die Samstags-FAZ (Reiner Burger), die Samstags-SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Beate Lakotta) fassen die Begründung des Gerichts zusammen.
BVerfG zu PKH: Wie lto.de meldet, hat das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines Häftlings gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das zuständige Landgericht zurückverwiesen. Der Beschwerdeführer wollte mithilfe der PKH wegen seiner Haftbedingungen Amtshaftungsansprüche geltend machen.
LG Frankfurt – Terrorismus: Für den heutigen Montag wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Main) im Prozess gegen Halil D. erwartet, dem zunächst die Vorbereitung eines terroristischen Anschlags auf ein Frankfurter Radrennen vorgeworfen worden war. Dazu berichtet die FAS (Denise Peikert). Die Staatsanwaltschaft fordere nach fünfmonatiger Verhandlung aber nur noch eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung und illegalen Waffen- und Sprengstoffbesitzes, konkrete Anschlagspläne hätten nicht nachgewiesen werden können. Ein psychiatrischer Gutachter der den Angeklagten im Prozess beobachtet hat, attestiere diesem, so die FAS weiter, eine schizophrene Psychose.
EGMR – Auskunftsanspruch Barschel Akten: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird über mehrere Beschwerden eines BILD-Redakteurs unter anderem wegen verweigerter Auskunft und Akteneinsicht im Fall des verstorbenen CDU-Politikers Uwe Barschel entscheiden. Wie bild.de meldet, hat das Gericht die Bundesregierung zur Stellungnahme aufgefordert.
LG Hamburg – Erdogan/Böhmermann: Nach Berichten des Spiegel (Martin U. Müller, spiegel.de-Fassung) hat der Anwalt des türkischen Präsidenten Recep Erdogan wegen des Böhmermann-Gedichtes Klage vor dem Landgericht Hamburg erhoben. Im Hauptsacheverfahren will der Anwalt ein komplettes Verbot des Gedichts erreichen. Seiner Argumentation nach könne sich Jan Böhmermann nicht auf die Kunstfreiheit berufen, weil er in einem Interview angegeben habe, dass er das Gedicht im Internet gefunden habe.
LG Frankfurt zu Mordfall: Raquel Erdtmann (FAS) schildert in einer Reportage unter dem Titel "Die Herrin meines Herzens" den Fall und die Tathintergründe des Mordes eines Mannes an seiner Ex-Partnerin, die sich nach Jahren schwerster körperlicher Übergriffe getrennt hatte.
Recht in der Welt
Österreich – Verfassungsgerichtshof zur Bundespräsidentenwahl: Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat die Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten wegen formaler Fehler in der Auszählung aufgehoben. Das Gericht habe zwar keine Hinweise auf Manipulationen feststellen können, jedoch sei in 14 von 20 Wahlbezirken bei der Auszählung gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen worden. Da das Wahlergebnis derart knapp ausgefallen sei, könnten sich Verstöße auf das Ergebnis ausgewirkt haben, sodass die Wahl zu annullieren sei. Es berichten unter anderem verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis), die Samstags-Welt (Hans Rauscher) und die Samstags-FAZ (Stephan Löwenstein).
Cathrin Kahlweis (Samstags-SZ) kommentiert, es habe sich ein Verdacht bestätigt, "dass bei der Stimmenauszählung Bequemlichkeit vor Paragrafentreue ging."
Brexit: Rechtsanwalt Martin Nebeling schildert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard mögliche arbeitsrechtliche Folgen des Brexit, die vor allem die Einreise- und Arbeitserlaubnis sowie die Mitbestimmung betreffen. Um die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit zu wahren, müssen bilaterale Verträge ausgehandelt werden. Auf verfassungsblog.de betrachtet der Europarechtsprofessor Tobias Lock in einem englischsprachigen Beitrag die Folgen des Brexit für Großbritannien.
Sonstiges
Erbrechtsstreitigkeiten: Der Spiegel (Markus Dettmer/Britta Stuff) spricht mit dem Rechtsanwalt und Notar Gisbert Bultmann über die typischen Probleme eines Erbfalls. Nach Jahrelanger Tätigkeit kriege der Glaube an das Gute einen Knacks, zieht dieser sein Fazit.
Bundesregierung bei Facebook: Die Bundesregierung ist seit geraumer Zeit mit einer eigenen Präsenz bei Facebook und anderen sozialen Medien aktiv. Die Samstags-FAZ (Timo Steppat) prüft die Rechtsgrundlage dieser Tätigkeit und konstatiert, dass sich die Bundesregierung damit in einem Graubereich bewege.
Das Letzte zum Schluss
VG Münster zu schwänzendem Professor: Unter Berufung auf eine Veröffentlichung in der Zeitschrift "Forschung und Lehre" (Deutscher Hochschulverband) weist die Montags-SZ (Johann Osel) auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Münster hin, wonach bei Weigerung eines Professors, eine Lehrveranstaltung zu halten, ein Bußgeld verhängt werden kann. Im konkreten Fall hatte der Hochschullehrer eine Vorlesung wegen Lärms 20 Minuten früher beendet und sich in der Folge geweigert, die Veranstaltung weiter durchzuführen. Die Geldbuße sei jedenfalls mit Blick auf letzteres rechtmäßig.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. bis 4. Juli 2016: Papierlose Justiz / Kritik an BND-Reform / BRAK und DAV gegen de Maizière . In: Legal Tribune Online, 04.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19872/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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