Der Rechtsanspruch auf einen Kinder-Betreuungsplatz macht sich erstmals für betroffene Eltern bezahlt. Außerdem in der Presseschau: Vorratsdatenspeicherung und Facebook, Argumentation pro Schiedsgerichtsbarkeit, mögliche Deals im Teldafax-Verfahren, vorläufiges Aus für Abschiebehaft, IGH zu Völkermord und vom richtigen Glück zur falschen Zeit.
Thema des Tages
LG Leipzig zu Kita-Anspruch: Seit August 2013 besteht bundesweit ein Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren. Weil die Stadt Leipzig diesen gegenüber drei klagenden Elternpaaren nicht erfüllte, hat das Landgericht Leipzig nun den Müttern eine Entschädigung für Verdienstausfall von insgesamt 15.100 Euro zugesprochen. Die beklagte Kommune habe ihre Amtspflicht verletzt, so die SZ (Ulrike Heidenreich) in ihrer Urteilsdarstellung. Denn gegenüber den von ihr geltend gemachten Verzögerungen bei öffentlichen und privaten Trägern von Kindertagesstätten hätte ausreichende Vorsorge getroffen werden müssen. Die Verurteilung zum Schadensersatz sei die bundesweit erste dieses Inhalts. Dagegen habe sich die nach der Einführung der Regelung befürchtete Klagewelle bislang nicht bewahrheitet. In geführten Verfahren hätten sich Parteien bislang üblicherweise auf alternative Streitbeilegungen, etwa die Erstattung von Differenzbeträgen für private Träger geeinigt.
Heribert Prantl (SZ) begrüßt das Urteil. Ansprüche gegen den Staat seien von diesem genauso wie von privaten Schuldnern zu erfüllen. Problematisch sei indes, dass die Bundesregelung als "Gesetz zulasten Dritter" Kommunen verpflichte, ohne ihnen einen angemessen Ausgleich zu gewähren. Demnach stünde den Kommunen ein eigener Schadensersatzanspruch gegen den Bund zu. Nach der Föderalismusreform von 2006 seien dem Bund bei der Finanzierung der Städte die Hände gefesselt. In diesem Punkt müsse sich der Bund "entfesseln, das Grundgesetz rückgeändert werden."
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Im Leitartikel kritisiert Reinhard Müller (FAZ) die ablehnende Haltung der Bundesbeauftragten für Datenschutz zur Vorratsdatenspeicherung. Weder Europäischer Gerichtshof noch Bundesverfassungsgericht hätten dieses bei der Bekämpfung von Schwerstkriminalität "notwendige" Instrument im Grundsatz abgelehnt. Das von Kritikern immer wieder bemühte "Orwellsche Albtraumbild" habe mit einer an strenge Voraussetzungen geknüpften Datenspeicherung nichts zu tun. Die "größte anlasslose Datenspeicherung aller Zeiten" finde stattdessen in den neuen Geschäftsbedingungen von Facebook Ausdruck. "Gegen diese Überwachung ist die Vorratsdatenspeicherung ein Witz."
Reform des Vergewaltigungsparagrafen: In einem Gastbeitrag für die SZ spricht sich Monika Frommel, Leiterin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Universität Kiel, dagegen aus, jede sexuelle Handlung gegen den Willen einer Person als Vergewaltigung zu bestrafen. Wer derartiges fordere, bevorzuge Symbolik gegenüber einer "sinnvollen Lösung des Problems." Auch nach dem geltenden Recht könnten sexuelle Übergriffe ohne brachiale Gewalt als besonders schwere Nötigung bestraft werden. Dass dies nicht in ausreichendem Maße geschehe, belege keine Schutzlücke des Rechts, vielmehr eine solche der Rechtsprechung.
Schiedsgerichtsbarkeit: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt plädiert Rechtsanwalt Jörg Risse dafür, die im Zuge der Debatte über Freihandelsabkommen als "Schattenjustiz in Nobelhotels" geschmähte Schiedsgerichtsbarkeit sachlicher zu diskutieren. Diese biete gerade bei grenzüberschreitenden Vertragsverhältnissen "eine bewährte und gebotene Alternative zu staatlichen Gerichten", Recht und Gesetz würde für sie gleichermaßen beachtlich sein. Auch sei es "ein Denkfehler, von der überragenden Qualität deutscher Gerichte auf die allgemeine Qualität staatlicher Gerichte innerhalb und außerhalb der EU zu schließen."
Drogenbeauftragte: Im Gespräch mit der Welt (Claudia Kade) kündigt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), einen Gesetzentwurf an, nach dem schwerkranken Schmerzpatienten der Zugang zu Cannabis-Produkten erleichtert werden soll. Daneben spricht sie über ihren Wunsch nach einer bundesweit einheitlichen Grenzmenge des straflosen Eigenbesitzes von Cannabis , Werbeverbote im Internet und einen Regelungsbedarf bei der E-Zigarette.
§ 201a StGB n.F.: Nach Thomas Stadler (internet-law.de) schießt die Neufassung des § 201a Strafgesetzbuch, der die Strafbarkeit der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen verschärft, "deutlich über das Ziel hinaus." So sei Abs. 3 der Neufassung "in der Tat eine Art Lex Edathy" so weit formuliert, dass wohl auch das berühmte Nirvana-Cover des Albums "Nevermind" betroffen sei und eine Strafbarkeit wohl nur nach dem in Abs. 4 vorgesehenen Kunstprivileg entfalle.
Einen Überblick zu den Neuregelungen gibt spiegel.de.
Justiz
BVerfG zur Beschlagnahme von Verteidigerunterlagen: Was bei einer Durchsuchung eines Strafverteidigers an Unterlagen beschlagnahmt wird, ist im Zweifel eine "Verteidigungsunterlage". So fasst Detleff Burhoff (blog.burhoff.de) einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom November zusammen, der nach dem Autor ein "eigenartiges Verständnis" der beteiligten bayerischen Instanzgerichte zum Ausdruck bringt.
BVerfG – anwaltliche Beratungsbefugnisse: Im Jahr 2013 hat der Bundesgerichtshof dem Bundesverfassungsgericht eine Frage zur Zulässigkeit sogenannter interprofessioneller Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Beratern aus anderen Bereichen zur Entscheidung vorgelegt. Rechtsanwalt Niels George argumentiert in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt für eine weitgehende Öffnung der "diesbezüglich restriktiven" Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung. Nur so könne dem Trend zu Diversifikation auf dem Beratungsmarkt Rechnung getragen werden.
KG Berlin – Hofgang-Dauer: Nach einer Meldung der taz ist beim Berliner Kammergericht gegenwärtig die Klage eines Untersuchungshäftlings zu einer Verlängerung des auf eine Stunde begrenzten Hofgangs anhängig. Dabei sei es für das Gericht nach Angaben einer zitierten Sprecherin "relativ eindeutig", dass die aktuelle Begrenzung "menschenunwürdig" sei.
OLG Koblenz zu BtM-Kleinstmenge: Auch 0,07 g Amphetamin sind nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom November als Betäubungsmittel i.S.d. Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) einzustufen. Entscheidend sei die Aufführung des Stoffs in die entsprechenden Listen der Anlagen und nicht, ob mit der Kleinstmenge überhaupt ein Rauschzustand erreicht werden könnte. beck.blog.de (Jörn Patzak) berichtet.
LG Lüneburg – KZ-Aufseher: Vor dem Landgericht Lüneburg muss sich ein 93-Jähriger ab April wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen verantworten. Der Rentner soll 1944 im KZ Auschwitz an der dortigen Bahnrampe bei der Verteilung des Gepäcks von Häftlingen, die in Gaskammern geschickt wurden, mitgewirkt haben, schreibt focus.de.
LG Bonn – Teldafax: Das Verfahren gegen ehemalige Vorstände des insolventen Stromanbieters Teldafax wurde vor dem Landgericht Bonn mit einer zweistündigen Einlassung des Angeklagten Gernot Koch fortgesetzt. Der Manager habe umfassend Versäumnisse bei der ordnungsgemäßen Buchführung des von ihm geleiteten Unternehmens eingeräumt. Schon frühzeitig habe ein Insolvenz-Risiko bestanden, wegen unterschiedlicher Einschätzungen der Lage durch externe Berater habe man sich jedoch nicht für eine Anmeldung entschlossen. Falls das Gericht die Einlassung als Geständnis werte, käme Koch um eine Freiheitsstrafe herum, schreibt das Handelsblatt (Jürgen Flauger/Sönke Iwersen), eine etwaige zivilrechtliche Inanspruchnahme des Managers bleibe hiervon jedoch unberührt.
Nach dem Bericht der FAZ (Helmut Bünder) ist die Staatsanwaltschaft auch bei dem mitangeklagten Vorstandsvorsitzenden Klaus Bath zu einer Verständigung bereit. Unter der Voraussetzung eines umfassenden Geständnisses drohten diesem dann weniger als drei Jahre Freiheitsstrafe.
AG Augsburg – Verwandtenaffäre: Vor dem Amtsgericht Augsburg muss sich der ehemalige CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Georg Schmid, ab März wegen des Vorwurfs des Sozialbetrugs und der Steuerhinterziehung verantworten. Durch die langjährige Beschäftigung seiner Ehefrau als Scheinselbständige soll der Politiker den Sozialkassen mindestens 340.000 Euro vorenthalten haben, schreibt die SZ in ihrem Bericht im Bayern-Teil. Der Fall gelte als der prominenteste der sogenannten Verwandtenaffäre des Regionalparlaments.
AG Hannover zu Abschiebehaft: Die taz (Christian Rath) berichtet über einen Beschluss des Amtsgerichts Hannover, nach dem die Verhängung einer Abschiebehaft gegenüber einem illegal Aufhältigen und bereits mehrfach Abgeschobenen rechtswidrig ist. Zwar sehe die EU-Rückführungsrichtlinie die Maßnahme vor, um bei Fluchtgefahr die geplante Abschiebung sicherzustellen. Eine gesetzliche Definition der Voraussetzungen dieser Fluchtgefahr existiere jedoch in Deutschland im Widerspruch zur Richtlinie nicht. Der Beitrag prognostiziert daher bis zu einer für den Sommer vorgesehenen gesetzlichen Regelung ein weitgehendes Aus für die Abschiebehaft.
Mietrechtsstreitigkeiten: Die SZ (Catrin Gesellensetter) macht in ihrem Geld-Teil einen Trend, in zivilrechtlichen Mietstreitigkeiten auch höchstpersönliche Lebensbereiche zu thematisieren, aus. Nachdem viele Sachfragen, etwa zu Kinderlärm oder Haustierhaltung, höchstrichterlich geklärt seien, sorgte eine durch vermehrten Abschluss von Rechtsschutzversicherungen erhöhte Klagebereitschaft dafür, dass auch Fragen zur Verrichtung der Notdurft vor der Gerichtsöffentlichkeit erörtert würden, wie jüngst in einem vom Amtsgericht Düsseldorf entschiedenen Fall. In diese Auseinandersetzungen über persönliche Freiheiten passten auch zahlreich anhängige Fälle zu behaupteten Belästigungen durch Zigarettenrauch.
Recht in der Welt
IGH – Völkermord: Am heutigen Dienstag verkündet der Internationale Gerichtshof in Den Haag sein Urteil im sogenannten Völkermord-Verfahren zwischen Kroatien und Serbien. Wie zeit.de schreibt, beschuldigen sich beide Parteien in dem seit 1999 anhängigen Verfahren gegenseitig, im Rahmen der kriegerischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1991 bis 1995 gegen die UN-Völkermordkonvention verstoßen zu haben. Ein Schuldspruch gelte jedoch als unwahrscheinlich.
Frankreich – Dominique Strauss-Kahn: Über den Prozessauftakt im Verfahren gegen den ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, und andere wegen des Vorwurfs der schweren Zuhälterei schreibt die SZ (Leo Klimm). Ein Anwalt eines Mitangeklagten des Politikers habe zu Beginn eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen angeblich unzulässiger Ermittlungsmethoden eingereicht. Die Welt (Claudia Becker) befasst sich in ihrem Bericht zum Prozess ausführlich mit dem durch zahllose Affären ramponierten öffentlichen Image Strauss-Kahns.
Österreich – BayernLB: Das Handelsblatt (E. Atzler/K. Leitel/H.-P. Siebenhaar) schreibt über einen von der BayernLB und anderen Unternehmen beim österreichischen Verfassungsgerichtshof gestellten Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes zum Schuldenschnitt der Hypo Alpe Adria-Bank. Das auch in Österreich umstrittene Sondergesetz sehe die Beteiligung ehemaliger Gläubiger und der einstigen Mutter an der Abwicklung der österreichischen Krisenbank vor.
Sonstiges
Justiz und Psychiatrie: In ihrer Rubrik Politisches Buch bespricht die SZ (Hans Holzhaider) "Der Fall Mollath. Vom Versagen der Justiz und Psychiatrie" von Gerhard Strate. Der Hamburger Rechtsanwalt geißele in dem Buch "die gesamte Zunft der forensischen Psychiatrie in der schärfsten vorstellbaren Form". Deren Anspruch, psychisch kranke Straftäter im Maßregelvollzug zu therapieren, sei wegen des Fehlens einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung nicht erfüllbar, so Strate.
Unterlassene Hilfeleistung: Für focus.de erläutert Anwalt Michael Winter die Strafbarkeitsvoraussetzungen der unterlassenen Hilfeleistung.
Das Letzte zum Schluss
Frist verpasst: Vor dem Obersten Gerichtshof von Kanada endete ein langjähriger Rechtsstreit eines Lottospielers, der zunächst Glück hatte und dann ganz viel Pech. Weil der Mann sein Los mit einem rund 19 Millionen Euro schweren Hauptgewinn zwar Sekunden vor dem wöchentlichen Annahmeschluss einreichte, das Bearbeitungssystem aber die entscheidenden Sekunden mit dem Ausdrucken des Scheins beschäftigt war, bleiben ihm statt finanzieller Unabhängigkeit auf Lebenszeit nur 70.000 Euro Gerichts- und Anwaltskosten. Über den Pechvogel schreibt justillon.de (Stephan Weinberger).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Februar 2015: Geld für fehlenden Kita-Platz – Deals für Teldafax-Pleitiers? – Aus für Abschiebehaft . In: Legal Tribune Online, 03.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14556/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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