Straßburg kritisiert rigide Linie der bayerischen Justiz bei Drogensubstitution von Häftlingen. Außerdem in der Presseschau: Die Schweiz geht gegen Franz Beckenbauer vor und die Datenschutzbeauftragte rüffelt den Bundesnachrichtendienst.
Thema des Tages
EGMR zu Methadon im Gefängnis: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland verurteilt, weil einem heroinabhängigen Häftling in einem bayerischen Gefängnis die Substitutionstherapie mit Methadon verweigert wurde. Der Fall sei nicht gründlich genug geprüft worden. Bayern ist unter allen Bundesländern in dieser Frage am restriktivsten. Es berichten FAZ (Reinhard Müller), SZ (Ruth Eisenreich) und Badz (Christian Rath).
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) kritisiert die bayerische Justiz. Sie sehe die Drogensucht von Strafgefangenen zu sehr als Normverstoß und nicht als Krankheit. Ruth Eisenreich (SZ) fordert: "Die bayerische Justiz sollte dieses Urteil zum Anlass für ein Umdenken nehmen." Denn: "ein substituierter Süchtiger ist nicht mehr ständig auf der Suche nach Stoff, kann eher arbeiten gehen – und wird nicht so leicht wieder straffällig."
Rechtspolitik
Kameras im Gerichtsaal: Frank Bräutigam (blog.tagesschau.de) erläutert, wie die ARD und Phoenix von der geplanten Möglichkeit, Urteile der obersten Bundesgerichte zu übertragen, Gebrauch machen würden. So verfahre man heute schon am Bundesverfassungsgericht. Diese Praxis sei kein "Zirkus" und nicht der "Niedergang des Rechtsstaats", wie am Vortag ein FAZ-Kommentar befürchtet hatte.
Leistungsschutzrecht: Die Europaabgeordnete Julia Reda (Piraten) kritisiert im Interview mit spiegel.de (Markus Böhm) die Pläne der EU-Kommission zur Einführung eines EU-weiten Leistungsschutzrechts für Zeitungsverlage. Die EU-Pläne gingen weit über das jüngst in Deutschland eingeführte Leistungsschutzrecht hinaus. Es solle 10 Jahre (statt 1 Jahr) und nicht nur im Internet gelten. Nicht einmal kurze Snippets seien erlaubt.
Grenzsicherung und Flüchtlinge: Reinhard Müller (FAZ) greift noch einmal die Frage auf, ob Deutschland Flüchtlinge, die über sichere Drittstaaten ankommen, einreisen lassen darf. Er referiert dabei zustimmend das Gutachten, das Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio zur Vorbereitung einer bayerischen Verfassungsklage angefertigt hatte. Der Bund bleibe im Falle des "nachweisbaren Leistungsverlusts europäischer Systeme" in der Verantwortung für die "wirksame Kontrolle von Einreisen in das Bundesgebiet". Das Handeln der Regierung, insbesondere der Kanzlerin, sei aber nicht justiziabel.
Dreielternschaft: Der Autor Jochen König plädiert in einem taz-Gastbeitrag für die Zulassung einer Elternschaft zu dritt. In der Geburtsurkunde sollten drei Personen eingetragen werden können, auch das Sorgerecht solle von drei Personen ausgeübt werden können. Dies werde nicht im Chaos enden, sondern ermögliche Mehrheitsabstimmungen.
Medien-Schiedsgericht: Auf Initiative der sächsischen Staatskanzlei ist in Leipzig das erste Medienschiedsgericht Deutschlands eingerichtet worden. Getragen wird das Gericht von einem Verein, dem u.a. ZDF, MDR und der Verband der Zeitungsverleger angehören, melden die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz. Aus einem Pool von 21 Schiedsrichtern sollen sich die Beteiligten jeweils ihre Richter auswählen, die dann einen neutralen Vorsitzenden wählen. Das Schiedsgericht soll Konflikte zwischen Medienunternehmen schneller klären als die staatliche Justiz.
Justiz
LG Hamburg zu Notwehr in der Küche: Das Landgericht Hamburg hat einen Wirt, der in der Küche seines Restaurants einen Schutzgelderpresser erschoss, freigesprochen, da er in Notwehr gehandelt habe. Der Vorsitzende Richter sprach von einem juristischen "Grenzfall". Die SZ (Peter Burghardt) berichtet.
Sexueller Kindesmissbrauch: Die SZ (Pia Ratzesberger) schildert in ihrer Seite 3-Reportage den Fall eines Vaters, der seine kleine Tochter sexuell missbraucht hat und die Versuche der Mutter, damit zurechtzukommen. Als der Mann rückfällig wurde, zeigte sie ihn an und er wurde an einem nicht näher bezeichneten Gericht zu sieben Jahre Freiheitsstrafe verurteilt.
LG Essen - Middelhoff: Die Staatsanwaltschaft Bochum hat den Ex-Manager Thomas Middelhof erneut angeklagt. Diesmal geht es um Boni, die der Arcandor-Aufsichtsrat 2008 beschlossen hat. Middelhof bekam damals 2,3 Mio. Euro für seinen "strategischen Weitblick". Ein Jahr später war Arcandor pleite. Die Staatsanwaltschaft sieht in der Boni-Vergabe eine Untreue und hat neben Middelhoff auch 14 weitere Ex-Aufsichtsräte und Vorstände angeklagt. Das Landgericht Essen tendiert jedoch dazu, das Verfahren nicht zu eröffnen, weil es eine vertragliche Grundlage für die Boni gegeben habe, berichtet die SZ (Klaus Ott/Uwe Ritzer).
LG Bochum - Mauss: Das Landgericht Bochum hat die Anklage gegen den Geheimagenten Werner Mauss zugelassen. Ihm wird die Hinterziehung von rund 15 Millionen Euro Steuern vorgeworfen. Mauss behauptet, er verwalte treuhänderisch einen Geheimfonds und müsse deshalb für die Erlöse des Fonds keine Steuern zahlen. Der Prozess soll am 26. September beginnen, so die SZ (Hans Leyendecker/Frederik Obermaier). Auch das Handelsblatt (Volker Votsmeier u.a.) berichtet.
OLG München - NSU/unbekannte Fälle: Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben soll Mitte 2000 davon gesprochen haben, dass die untergetauchten Mundlos und Böhnhardt jemand "angeschossen" hätten. Das BKA hatte zwar versucht herauszufinden, um was für einen Vorfall es sich hier handelte, blieb aber erfolglos. Die Vernehmung des BKA-Beamten im NSU-Prozess erweckte bei den Beteiligten den Eindruck, dass das BKA nicht sehr nachdrücklich nach bisher unbekannten NSU-Verbrechen gesucht hatte, so spiegel.de (Wiebke Ramm).
Recht in der Welt
Schweiz - Beckenbauer: Die Bundesanwaltschaft der Schweiz hat Ermittlungen gegen Franz Beckenbauer wegen Untreue und Geldwäsche eingeleitet, berichtet spiegel.de (Fidelius Schmid). Es geht um Zahlungen des DFB für eine Kultur-Gala im Rahmen der WM 2006, die nie stattgefunden hat. Mit der Zahlung wurde wohl ein Darlehen des Adidas-Chefs Dreyfus zurückgezahlt. Wofür dessen Geld benötigt worden war, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise wurden damit Stimmen gekauft, damit Deutschland den Zuschlag für die WM 2006 erhält oder es floss in den Wahlkampf des damaligen Fifa-Chefs Joseph Blatter. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ist zuständig, weil Zahlungen über Schweizer Banken erfolgten.
Hans Leyendecker (SZ) begrüßt den "neuen Schweizer Weg": "Selbst wenn es um mögliche Wirtschaftskriminalität geht, wird ein Fall offensichtlich nicht mehr danach beurteilt, wie prominent die Beschuldigten sind."
spiegel.de erläutert die Schweizer Rechtslage bei Untreue und Geldwäsche.
USA - Anwältinnen: Die American Bar Association hat eine Berufsvorschrift erlassen, wonach Anwälte andere Prozessbeteiligte nicht mehr wegen Geschlecht, Hautfarbe usw. diskriminieren dürfen. Die Anwältinnen der Gegenseite dürften deshalb nicht mehr als "Honey" oder "Darling" angesprochen werden, berichtet die SZ (Kathrin Werner). Außerdem wird die Klage einer Anwältin vorgestellt, die ihre Großkanzlei wegen Diskrimierung bei der Verteilung der Einnahmen verklagt hat.
Sonstiges
BND und Überwachung: netzpolitik.org (Andre Meister) stellt eine rechtliche Einschätzung der Datenschutzbeauftragen Andrea Voßhoff über die globale Überwachungs-Tätigkeit des BND an seinem Außenposten Bad Aibling vor. "Der BND hat die Daten seiner Massenüberwachung illegal gespeichert und muss sie unverzüglich löschen", so die Zusammenfassung von netzpolitik.org, wo der geheime Bericht auch im Volltext nachzulesen ist.
Netzneutralität: Nun stellt auch der österreichische Richter Hans Peter Lehofer auf lto.de die Berec-Leitlinien zur Netzneutralität vor. Sie enthielten wie ein juristischer Kommentar viele brauchbare Erläuterungen zur EU-Netzneutralitäts-Verordnung. Der Beitrag geht näher ein auf Zero-Rating und Spezialisierte Dienste. Die neuen Grundrechte-Klauseln seien rechtlich unerheblich.
Das Letzte zum Schluss
NSU-Prozess ohne Brötchen: Beim NSU-Prozess am Oberlandesgericht München hat bisher ein Caterer die Besucher mit Brötchen und Schokoriegeln versorgt. Wer etwas kaufen wollte, legte das Geld in ein Schälchen. Kontrolliert wurde das nicht. In jüngster Zeit sollen wegen zunehmender Unehrlichkeit dabei aber Schäden von einigen Tausend Euro entstanden sein, weshalb der Caterer seinen Service jetzt einstellt, meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. September 2016: Methadon im Gefängnis / Ermittlungen gegen Beckenbauer / Voßhoff kritisiert BND . In: Legal Tribune Online, 02.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20457/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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