Der Eilentscheid des BVerfG zum untersagten Video-Auftritt Erdogans in Köln wird analysiert. Außerdem in der Presseschau: Zukunft für Flüchtlingsabkommen, der NSU-Prozess vor der Sommerpause und falscher Ort für Ewiges.
Thema des Tages
BVerfG zu Kölner Kundgebung: Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts "zum Video-Nichtauftritt des türkischen Staatspräsidenten" vom vergangenen Samstag analysiert die SZ (Heribert Prantl) ausführlich. In der rechtlichen Beurteilung seien Sicherheitsrecht, das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und deutsche Souveränität zu unterscheiden. Die Gewährleistung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung obliege der Verwaltungsbehörde, die zu diesem Zweck auch Auflagen wie die verfahrensgegenständliche erteilen dürfe. Das Grundrecht fungiere zuvörderst als Abwehrrecht gegen den Staat, es biete aber keinen Anspruch darauf, "ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder reden zu lassen". "Besonders prickelnd" sei dagegen die Souveränitätsproblematik. Denn erfordere die Tatsache, dass in Deutschland zahlreiche türkische Wahlberechtigte leben, "einige Sensibilität" bei der diplomatischen Vorbereitung derartiger Auftritte. Dass Erdogan bereits öffentliche Auftritte vor diesem Publikum in Deutschland hatte, schaffe kein "Präjudiz für ein Recht zu jedwedem weiteren Auftritt." Auch spiegel.de (Dietmar Hipp) befasst sich mit dem Karlsruher Beschluss und geht dabei auf die unterinstanzlichen Entscheidungen ein.
Rechtspolitik
EU/Türkei – Flüchtlingsabkommen: Der türkische Außenminister hat über das Wochenende angekündigt, das mit der EU vereinbarte Flüchtlingsabkommen aufkündigen zu wollen, wenn nicht die gleichfalls vereinbarte Visafreiheit für Türken bis Oktober umgesetzt werde. spiegel.de (Markus Becker) nennt die bei den Verhandlungen über die Visaliberalisierung nach wie vor strittigen Punkte und entwirft ein Szenario, nachdem zumindest Bestandteile des Flüchtlingsabkommens auch bei einem Scheitern fortbestehen könnten. So sei eine Aussetzung des sogenannten 1:1-Mechanismus, der praktisch ohnehin wenig Bedeutung erfahren habe, denkbar. Die FAZ (Michael Stabenow) berichtet ebenfalls. In einem Gastbeitrag für die FAZ plädiert Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, dafür, die Verhandlungsfrist vollständig auszuschöpfen. Weder Drohungen aus der Türkei noch Kritik am diktatorischen Gehabe Erdogans dürften dabei legitime Interessen der EU, deren Abkommen schließlich "vor allem den Betroffenen" diene, verdecken. zeit.de (Lenz Jacobsen) befragt den österreichischen Politikberater Gerald Knaus zu den konkreten Auswirkungen einer Aufkündigung des Abkommens, zu dem ein Aufsatz des Interviewten die Grundlage gebildet hat.
Die türkische Regierung "droht, weil sie meint, sich das leisten zu können", kommentiert Reinhard Müller (FAZ). Dabei könne Erdogans "Weg zum autoritären Gewaltherrscher" unter keinen Umständen in der EU enden. Das Flüchtlingsabkommen beruhe auf einer gemeinsamen Grundlage. Entfalle diese, "ist das Ganze hinfällig" und die EU gut beraten, ihr Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Todesstrafe und Integration: In einem Kommentar zur Kölner Demonstration vom Wochenende weist Christian Bommarius (BerlZ) auf die Unterstützung der Erdogan-Anhänger für die Wiedereinführung der Todesstrafe als Integrationsproblem hin. Zwar habe diese Forderung auch in der alten Bundesrepublik trotz Art. 102 Grundgesetz "jahrzehntelang" Zustimmung erfahren. Als "herausragendste Integrationsleistung der Deutschen" hätten sich diese "mit den Jahren in die Republik des Grundgesetzes integriert". Diesen Schritt stünde vielen der in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen noch bevor.
Flüchtlingspolitik: Die Welt (Marcel Leubecher) interviewt Rechtsprofessor Kay Hailbronner zu dessen Vorschlag einer "partiellen" Revision der Genfer Flüchtlingskonvention unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen von Aufnahmestaaten.
Anti-Terror-Kampf: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirbt in einem Gastbeitrag für das Hbl für "Differenzierung" statt Angst bei der Frage nach den Ursachen der Anschläge der "schrecklichen letzten Wochen". Hierzu gehörten Tatsachen wie der massive Abbau von Polizeistellen in Bund und Ländern und die Einsicht, dass trotz dieser Sparmaßnahmen deutsche Sicherheitsbehörden nach wie vor gut arbeiten würden. Notwendig sei aber auch die Einsicht, dass "etliche" der nach dem 11. September 2001 verabschiedeten Sicherheitsgesetze verfassungswidrig gewesen seien. Dennoch betrieben Politiker immer noch einen "Überbietungswettbewerb", als ob neue Gesetze mehr Sicherheit schaffen würden.
Justiz
EuGH zu AGG-Hopping: Auch beck.blog.de (Christian Rolfs) befasst sich nun mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum vermeintlichen AGG-Hopping bzw. der Rechtsmissbräuchlichkeit von Scheinbewerbungen. Beachtlich sei die begrenzte Prüfungskompetenz des EuGH, der sich bei den Tatsachenfeststellungen zum Fall auf die Angaben des vorlegenden Bundesarbeitsgerichts gestützt habe. Bei einer Klage nach Unionsrecht seien die Voraussetzungen für die Annahme von Rechtsmissbräuchlichkeit unter Umständen zu werten.
OLG München – NSU: Über den vorletzten Verhandlungstag vor der Sommerpause im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München berichten lto.de und Welt (Per Hinrichs). Die Verhandlung wurde unterbrochen, um den Verteidigerteams von Beate Zschäpe die Möglichkeit einer Verständigung zu eröffnen. Zuvor hatte "Alt-Anwalt" Wolfgang Heer schriftliche Fragen der Nebenklage an die Angeklagte beanstandet. Für den heutigen Dienstag ist eine von "Neu-Anwalt" Hermann Borchert verlesene Erklärung Zschäpes angekündigt.
OLG Düsseldorf – Tengelmann/Edeka: Nach einer Meldung der taz hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei einem Auftritt seine Absicht bekräftigt, gegen die vom Oberlandesgericht Düsseldorf vorläufig gestoppte Tengelmann-Übernahme durch Edeka juristisch vorgehen zu wollen. In einem Gastkommentar für das Hbl spricht sich Hans-Peter Uhl (CSU), Justiziar der Unionsfraktion im Bundestag, für "Gerechtigkeit für Gabriel" aus. Die in Streit stehende Ministererlaubnis erfülle einen gesetzlich bestimmten Zweck. Um diesen zu erfüllen, habe es auch der Anhörung der am Verfahren durch das Wirtschaftsministerium bedurft. Im Ergebnis sei "es gut, dass sich über dem OLG Düsseldorf nicht der blaue Himmel wölbe, sondern die nächste Instanz". Diese müsse "jetzt Recht sprechen".
LG Regensburg zu Stadtrat: internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet zu einem Urteil des Landgerichts Regensburg. In diesem wurde die von einer niederbayrischen Kleinstadt beantragte einstweilige Verfügung gegen ein Stadtratsmitglied wegen einer vermeintlich unzulässigen politischen Äußerung zurückgewiesen. Die beanstandete Äußerung habe den fraglichen Sachverhalt zwar schlagwortartig verkürzt, dies sei aber von der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt.
LG Berlin – Rigaer Straße: Die nächste mündliche Verhandlung in der zivilrechtlichen Auseinandersetzung über die polizeiliche Räumung eines Hausprojekts in der Berliner Rigaer Straße ist vom Landgericht Berlin auf den 31. August terminiert worden. Dies berichtet die taz (Plutonia Plarre).
LG Bremen – Kaufhausbrand: Vor gut einem Jahr brannte in Bremen ein bekanntes Modekaufhaus ab. Unter anderem wegen besonders schwerer Brandstiftung und Versicherungsbetrug müssen sich nun zwei Angeklagte, unter ihnen der Chef des Hauses, vor dem Landgericht Bremen verantworten. Über den Prozessauftakt berichtet die taz (Gareth Joswig).
StA Essen - Petra Hinz: Der offenbar geschönte Lebenslauf der Bundestagsabgeordneten Petra Hinz (SPD) beschäftigt nach Bericht von lto.de nun auch die Staatsanwaltschaft Essen. Bei der Anklagebehörde seien etwa ein Dutzend Anzeigen, vor allem wegen Betrugs eingegangen.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Das nun auch vom polnischen Präsidenten Duda unterzeichnete Gesetz zur Reform des Verfassungsgerichts stellt nach dem Kommentar von Florian Hassel (SZ) die EU vor eine "Herausforderung, nicht kleiner als der Brexit oder der Streit mit der Türkei". Denn bedrohe das Gesetz und die demonstrative Missachtung europäischer Forderungen die praktische Aufhebung der Gewaltenteilung in Polen.
Spanien – Katalonien: Der in der vergangenen Woche vom katalanischen Regionalparlament beschlossene Drei-Stufen-Plan zur schrittweisen Herstellung einer Eigenstaatlichkeit ist nun vom spanischen Verfassungsgericht für ungültig erklärt worden. Katalanen hätten kein Recht, sich vom Zentralstaat zu lösen und dürften auch nicht einmal eine Abstimmung über eine Sezession durchführen, fasst die SZ (Thomas Urban) die Entscheidung zusammen. Dem katalanischen Parlament seien 20 Tage Zeit gegeben worden, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen.
Türkei – Militärreform: Per Dekret hat der türkische Staatspräsident Erdogan zahlreiche Vorrechte des Militärs abgeschafft. Hiermit würden den Streitkräften "die bisher in Nato-Staaten einmalige Unabhängigkeit von der Politik" genommen, berichtet die FAZ (Michael Martens).
USA – Chelsea Manning: Der in den USA derzeit eine 35-jährige Haftstrafe verbüßende Whistleblowerin Chelsea Manning droht nach Meldung von netzpolitik.org (Hendrik Obelöer) eine erneute Anklage. Ihr werde unter anderem bedrohendes Verhalten vorgeworfen, bei einer Verurteilung drohten ihr neun zusätzliche Haftjahre ohne Möglichkeit einer Haftaussetzung.
Sonstiges
Normenkontrollrat: Die FAZ (Dietrich Creutzburg) erinnert an das in diesem Monat anstehende zehnjährige Jubiläum des Normenkontrollrats. Dessen Ziel, der Abbau von Bürokratie, sei vor allem durch das Mindestlohngesetz und das geplante "Gleichheitsgesetz gegen Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern", gefährdet worden. Gleichwohl sei auch manches Regierungsvorhaben durch die vom Rat gebildete Drohkulisse unterblieben.
Das Letzte zum Schluss
Für die Nachwelt: Auch in Zeiten digitaler Kommunikation gehören in Parkbänke oder Wände geritzte Botschaften noch immer zu den beliebteren Ausdrucksformen jugendlichen Übermuts. Den definitiv falschen Ort für derartige Ausdrucksfreude wählten allerdings zwei norwegische Jugendliche. Wie spiegel.de schreibt, versuchten sie Petroglyphen auf einer Insel an der Westküste des Landes nachzuzeichnen, um sie deutlicher sichtbar zu machen. Bei den 5.000 Jahre alten Felsenzeichnungen handelt es sich eine der ersten bekannten Darstellungen von Skiern als Fortbewegungsmittel.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. August 2016: BVerfG-Beschluss erläutert / Zukunft für Flüchtlingsdeal zweifelhaft / NSU-Prozess vor Sommerpause . In: Legal Tribune Online, 02.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20168/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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