Die juristische Presseschau vom 2. August 2016: BVerfG-Beschluss erläu­tert / Zukunft für Flücht­lings­deal zwei­fel­haft / NSU-Pro­zess vor Som­mer­pause

02.08.2016

Der Eilentscheid des BVerfG zum untersagten Video-Auftritt Erdogans in Köln wird analysiert. Außerdem in der Presseschau: Zukunft für Flüchtlingsabkommen, der NSU-Prozess vor der Sommerpause und falscher Ort für Ewiges.

Thema des Tages

BVerfG zu Kölner Kundgebung: Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts "zum Video-Nichtauftritt des türkischen Staatspräsidenten" vom vergangenen Samstag analysiert die SZ (Heribert Prantl) ausführlich. In der rechtlichen Beurteilung seien Sicherheitsrecht, das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und deutsche Souveränität zu unterscheiden. Die Gewährleistung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung obliege der Verwaltungsbehörde, die zu diesem Zweck auch Auflagen wie die verfahrensgegenständliche erteilen dürfe. Das Grundrecht fungiere zuvörderst als Abwehrrecht gegen den Staat, es biete aber keinen Anspruch darauf, "ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder reden zu lassen". "Besonders prickelnd" sei dagegen die Souveränitätsproblematik. Denn erfordere die Tatsache, dass in Deutschland zahlreiche türkische Wahlberechtigte leben, "einige Sensibilität" bei der diplomatischen Vorbereitung derartiger Auftritte. Dass Erdogan bereits öffentliche Auftritte vor diesem Publikum in Deutschland hatte, schaffe kein "Präjudiz für ein Recht zu jedwedem weiteren Auftritt." Auch spiegel.de (Dietmar Hipp) befasst sich mit dem Karlsruher Beschluss und geht dabei auf die unterinstanzlichen Entscheidungen ein.

Rechtspolitik

EU/Türkei – Flüchtlingsabkommen: Der türkische Außenminister hat über das Wochenende angekündigt, das mit der EU vereinbarte Flüchtlingsabkommen aufkündigen zu wollen, wenn nicht die gleichfalls vereinbarte Visafreiheit für Türken bis Oktober umgesetzt werde. spiegel.de (Markus Becker) nennt die bei den Verhandlungen über die Visaliberalisierung nach wie vor strittigen Punkte und entwirft ein Szenario, nachdem zumindest Bestandteile des Flüchtlingsabkommens auch bei einem Scheitern fortbestehen könnten. So sei eine Aussetzung des sogenannten 1:1-Mechanismus, der praktisch ohnehin wenig Bedeutung erfahren habe, denkbar. Die FAZ (Michael Stabenow) berichtet ebenfalls. In einem Gastbeitrag für die FAZ plädiert Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, dafür, die Verhandlungsfrist vollständig auszuschöpfen. Weder Drohungen aus der Türkei noch Kritik am diktatorischen Gehabe Erdogans dürften dabei legitime Interessen der EU, deren Abkommen schließlich "vor allem den Betroffenen" diene, verdecken. zeit.de (Lenz Jacobsen) befragt den österreichischen Politikberater Gerald Knaus zu den konkreten Auswirkungen einer Aufkündigung des Abkommens, zu dem ein Aufsatz des Interviewten die Grundlage gebildet hat.

Die türkische Regierung "droht, weil sie meint, sich das leisten zu können", kommentiert Reinhard Müller (FAZ). Dabei könne Erdogans "Weg zum autoritären Gewaltherrscher" unter keinen Umständen in der EU enden. Das Flüchtlingsabkommen beruhe auf einer gemeinsamen Grundlage. Entfalle diese, "ist das Ganze hinfällig" und die EU gut beraten, ihr Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Todesstrafe und Integration: In einem Kommentar zur Kölner Demonstration vom Wochenende weist Christian Bommarius (BerlZ) auf die Unterstützung der Erdogan-Anhänger für die Wiedereinführung der Todesstrafe als Integrationsproblem hin. Zwar habe diese Forderung auch in der alten Bundesrepublik trotz Art. 102 Grundgesetz "jahrzehntelang" Zustimmung erfahren. Als "herausragendste Integrationsleistung der Deutschen" hätten sich diese "mit den Jahren in die Republik des Grundgesetzes integriert". Diesen Schritt stünde vielen der in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen noch bevor.

Flüchtlingspolitik: Die Welt (Marcel Leubecher) interviewt Rechtsprofessor Kay Hailbronner zu dessen Vorschlag einer "partiellen" Revision der Genfer Flüchtlingskonvention unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen von Aufnahmestaaten.

Anti-Terror-Kampf: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirbt in einem Gastbeitrag für das Hbl für "Differenzierung" statt Angst bei der Frage nach den Ursachen der Anschläge der "schrecklichen letzten Wochen". Hierzu gehörten Tatsachen wie der massive Abbau von Polizeistellen in Bund und Ländern und die Einsicht, dass trotz dieser Sparmaßnahmen deutsche Sicherheitsbehörden nach wie vor gut arbeiten würden. Notwendig sei aber auch die Einsicht, dass "etliche" der nach dem 11. September 2001 verabschiedeten Sicherheitsgesetze verfassungswidrig gewesen seien. Dennoch betrieben Politiker immer noch einen "Überbietungswettbewerb", als ob neue Gesetze mehr Sicherheit schaffen würden.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. August 2016: BVerfG-Beschluss erläutert / Zukunft für Flüchtlingsdeal zweifelhaft / NSU-Prozess vor Sommerpause . In: Legal Tribune Online, 02.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20168/ (abgerufen am: 02.07.2024 )

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