Der EGMR bestätigt das französische Burkaverbot. Außerdem in der Presseschau: EEG nachbesserungsbedürftig, exklusiv nationale Ökostromförderung unionsrechtskonform, NRW-Beamtenbesoldung verfassungswidrig, anonym bleibt anonym, ein Staatspräsident in Gewahrsam und warum sich die Kölner Polizei für ein Bußgeld entschuldigt.
Thema des Tages
EGMR bestätigt Burkaverbot: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass das mit 150 Euro Bußgeld bewehrte Burkaverbot Frankreichs nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Die Klägerin berief sich unter anderem auf die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, berichten die taz (Christian Rath), zeit.de und spiegel.de. Das Gericht folgte nicht gänzlich der Argumentation des französischen Gesetzgebers. Der Behauptung etwa, der Vollschleier stelle ein Sicherheitsrisiko dar, folgten die Richter nicht, er könne abgenommen werden. Ausreichend um das Verbot vor der Menschenrechtskonvention bestehen zu lassen, sei aber, dass Burka und Niqab eine Barriere zur Umwelt errichteten, die das Gefühl des Zusammenleben in der Gesellschaft untergrabe.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) zeigt, welche Verbotsgründe das Gericht verneint und kritisiert die "konstruierte" Argumentation der Richtermehrheit, die von einem Recht auf einen "das Zusammenleben erleichternden Raum der Begegnung" ausgeht. Auch Heribert Prantl (SZ) kritisiert die Entscheidung, indem er zwar den Schleier eine "verstörende Angelegenheit" nennt. Noch verstörender sei aber "die gewaltsame Entschleierung", die in Selbstbestimmungsrechte eingreife, ohne ein anderen Recht entgegensetzen zu können. Ein Recht, das Gesicht anderer sehen zu dürfen bestehe nicht, wohl aber das Recht, Außenseiter zu sein und als solcher geschützt zu werden. Jasper von Altenbockum (FAZ) bemerkt, dass "Öffentlichkeit nicht einfach nur ein angenehmes Beiwerk der bürgerlichen Gesellschaft" sei - sich ihr zu entziehen gebe sie ihrem Verfall preis. Das Verbot sei auch nicht rassistisch, islamophob oder diskriminierend, sondern "eine starke Öffentlichkeit verhindert solchen politischen Fundamentalismus gerade – solange sie sich gegen eine Burka-Mentalität wehrt". Helene Bubrowski (FAZ) verweist auf die Tendenz der höchsten Gerichte den Gesetzgeber zu stark einzuschränken, dem sich das Urteil nun entgegenstelle, indem es nationalen Eigenheiten wie der französischen Laizität mehr Raum gebe, was sich auch in früheren Entscheidungen des Gerichts bereits gezeigt habe. Die Juristin und Grünen-Politikerin Kirsten Wiese kritisiert auf lto.de, dass das Gericht seiner eigenen Rechtsprechung nicht treu geblieben sei, wonach es zuvor an Verbote religiöser Kleidung in der Öffentlichkeit höhere Anforderungen gestellt habe. Außerdem sei zu bedauern, dass der Gerichtshof den hinter dem Verbot stehenden islamfeindlichen Motiven nicht begegnet sei.
Rechtspolitik
Panne bei EEG: Das gerade beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz muss nachgebessert werden, da es durch einen Fehler zu Förderkürzungen für bestehende Biogasanlagen gekommen sei. Die Änderungen sollen bereits in dieser Woche als Anhang zu einem anderen Gesetz erledigt werden. Allerdings sei der Patzer kein Einzelfall, wie die Frankfurter Rundschau (Holger Schmale/Daniela Vates) unter Verweis auf Diätenregelung und Rentenreform anmerkt.
Tarifeinheit: Wie die SZ (Detlef Esslinger) berichtet, sind die Regelungen zur Tarifeinheit vorerst vom Tisch. Die Arbeiten an dem Gesetz zur Vereinheitlichung der Tarifverhandlungen in einem Betrieb stieß auf Kritik, da nach dem letzten Vorschlag bei Überschneidung von Tarifverträgen nur derjenige der größeren Gewerkschaft Gültigkeit haben sollte. Dies stehe mit Artikel 9 des Grundgesetzes in Konflikt, da es die Verhandlungsmacht kleiner Gewerkschaften negiere und ihnen damit das nehme, was sie zu Gewerkschaften mache. Als weiterer Vorschlag stehen Absprachen über den Verhandlungsumfang der einzelnen Gewerkschaften zwischen ihnen im Raum. Dagegen wird jedoch vorgebracht, freiwillige Absprachen könnten auch ebenso freiwillig wieder aufgegeben werden.
Unzureichender Anlegerschutz: Wie der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Jens-Peter Gieschen gegenüber lto.de (Constantin van Lijnden) im Interview äußert, sind die derzeitigen Regelungen zum Anlegerschutz durch die Verpflichtung zur Anfertigung von Protokollen über Beratungsgespräche in späteren Zivilprozessen nutzlos. Gieschen sieht die Lösung durch Tonaufzeichnungen der Beratung zwar datenschutzrechtlich nicht als problematisch an, erwartet jedoch keine großen Sprünge von zukünftiger Gesetzgebung.
Justiz
EuGH zu nationaler Ökostromförderung: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die national beschränkte Förderung von Öko-Strom die Warenverkehrsfreiheit nicht unionsrechtswidrig beschränke, sondern durch das Ziel des Umweltschutzes durch Ausbau erneuerbarer Energien gerechtfertigt sei. Dies wirke sich auch auf die Forderung der Kommission gegenüber Deutschland aus, im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auch grünen Strom aus dem Ausland zu begünstigen, berichten die taz (Christian Rath) und lto.de. Für Bernhard Pötter (taz) geht das Urteil zu Lasten einer sonst möglichen europäischen Energiepolitik. Die Welt (Florian Eder/Daniel Wetzel) merkt an, dass Umweltökonomen die Prämisse der Urteilsbegründung anzweifeln; Studien hätten die Unwirksamkeit von Öko-Strom-Subventionen beim Klimaschutz festgestellt.
VerfGH NRW zu Beamtenbesoldung: Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen hat nun entschieden, dass Beamte keine Kürzungen oder gar Nullrunden bei der Tarifsteigerung hinnehmen müssen, meldet lto.de. Zu einer rückwirkenden Gehaltserhöhung führe das Urteil jedoch nicht, vielmehr sei der Gesetzgeber am Zuge. Die Abstände der Besoldungsgruppen dürften nicht schrumpfen, ohne dass sich an den unterschiedlichen Aufgaben etwas ändere, so Gerichtspräsidentin Brandts nach Bericht der SZ (Bernd Dörries), in welchem auch auf die Hintergründe in den Sparbemühungen der Landesregierung eingegangen wird.
BGH zu Anonymität im Internet: Die Rechtsanwälte Niklas Haberkamm und David Ziegelmayer berichten auf lto.de von der am Dienstag ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach anonym geäußerte Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet zwar zu löschen seien, ein Anspruch auf Mitteilung der Identität des sich Äußernden unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit jedoch nicht bestehe. Auch die taz (Christian Rath) berichtet.
OLG Hamm zu Transplantation: Wie lto.de berichtet, entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass es nicht fehlerhaft ist, einen Patienten, bei welchem keine reelle Chance auf eine erfolgreiche Transplantation besteht, bei Eurotransplant anzumelden. Das ergebe sich aus den Mailand-Kriterien. Letztere lagen auch dem zweiten Teil der Entscheidung zugrunde, wonach auch eine Lebendspende mit einprozentigem Todesrisiko für den Spender abgelehnt werden dürfe, wenn die Transplantation nicht aussichtsreich erscheine.
Neuer Präsident des BVerwG: Wie lto.de meldet, ist der vormalige Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts Klaus Rennert nun zu dessen Präsident ernannt worden.
BVerfG – vor dem Verfahren zur Erbschaftsteuer: Das Handelsblatt (Donata Riedel) setzt sich mit den Erwartungen und Befürchtungen vor dem in der nächsten Woche beginnenden Verfassungsgerichtsverfahren zur Erbschaftsteuer auseinander. Die Wirtschaftsverbände wollten einen Systemwechsel vermeiden, Clemens Fuest, Chef des ZEW-Instituts, hingegen findet die derzeitige Regelung "hochgradig ungerecht" und Lars Feld, Chef der Wirtschaftsweisen, gibt an, dass Ausnahmen für Betriebsvermögen nur den Anreiz schaffen, so viel wie möglich als Betriebsvermögen umzudeklarieren. Ein Familienunternehmer meint, er müsse schließen, wenn er entgegen der bisherigen Regelung Erbschaftsteuer zahlen müsse.
Recht in der Welt
Frankreich – Sarkozy in Gewahrsam: Am Dienstagmorgen begab sich der ehemalige französische Staatspräsident in Polizeigewahrsam, wo er zu Vorwürfen vernommen wurde, wonach er sich aus Polizei- und Justizkreisen Informationen zu gegen ihn laufenden Verfahren verschafft haben soll, wie die taz (Rudolf Balmer) berichtet. Es sei der erste (ehemalige) Staatspräsident in Frankreich, der in Polizeigewahrsam genommen wurde. Nun ist das Ermittlungsverfahren offiziell eröffnet, meldet zeit.de.
Sonstiges
Gruppenlösung für Flüchtlinge: Der Rechtswissenschaftler Ibrahim Kanalan geht auf juwiss.de der Frage nach, ob es tatsächlich rechtlich ausgeschlossen ist, für Berliner und Hamburger Flüchtlinge eine "Gruppenregelung" nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zu finden. Danach ist aus humanitären Gründen bei Benennung einer national oder nach anderen Kriterien bestimmten Gruppe eine Aufenthaltsmöglichkeit für die Gruppenmitglieder eröffnet. Er sieht den Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen von den Hamburger Behörden bereits durch andere Maßnahmen erbracht und sieht auch in § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes eine anwendbare Regelung. Das eigentliche Problem sei insofern der politische Wille und nicht die rechtliche Möglichkeit.
NSU-Prozess - Haftprüfung Wohlleben: spiegel.de (Giesela Friedrichsen) bespricht die Ablehnung des Haftprüfungsantrags, den die Anwälte des im NSU-Prozess Mitangeklagten Ralf Wohllebens gestellt hatten. Dabei habe das Oberlandesgericht München erstmals erkennen lasse, wie es zum Vorwurf der Beihilfe zum Mord in neun Fällen steht. Der seit zweieinhalb Jahren in Haft befindliche Wohlleben verbleibt in Haft, seine Anwälte stellten daraufhin einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Senat, der sich nicht hinreichend mit entlastendem Beweismaterial auseinandergesetzt habe.
Bevorzugung von "Parteibeamten": In einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" wurde am vergangenen Freitag die Bundeslaufbahnverordnung dergestalt geändert, dass für Beamte die "beurlaubt" in Fraktionen tätig sind, die prozentuale Beschränkung der Bestnoten bei der Bewertung nach § 50 Absatz 2 der Verordnung nicht gilt. Die Fraktionsführungen können damit allen bei ihnen beschäftigten Beamten Bestnoten erteilen und sie so in der Karriere befördern, berichtet die FAZ (Günter Bannas).
Corporate Governance Kodex: Der Rechtsprofessor Manuel R. Theisen äußert sich im Handelsblatt zum 2002 geschaffenen Corporate Governance Kodex und der stetigen Verrechtlichung seiner als "soft law" vorgesehenen - aber häufig nicht befolgten - Inhalte durch den Gesetzgeber. Die Kommission Deutscher Governance Kodex habe weitere Regulierungen verhindern wollen und sei so zur Regierungsberaterin geworden, der die ursprüngliche Idee der Selbstverpflichtung abhanden gekommen sei: "Der Kodex erscheint nicht gesundet, sondern auf die Palliativstation verbracht."
Von der Leyen pro Drohnen: Gegenüber der SZ (Nico Fried/Christoph Hickmann; Zusammenfassung), sprach sich die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für die Bereitstellung bewaffnungsfähiger Drohnen für die Bundeswehr aus, über die Bewaffnung solle jedoch das Parlament mit dem Mandat im jeweiligen Fall entscheiden.
Das Letzte zum Schluss
Einarmiger Radfahrer: Wie spiegel.de meldet, hat die Kölner Polizei einem Radfahrer ein Bußgeld auferlegt, weil ihm am rechten Lenker eine Bremse fehlte und die Bremse für das Hinterrad an der linken Seite angebracht war. Der Radfahrer beschwerte sich und erhielt eine Entschuldigung der Polizei, die nun bestätigte, dass sein Rad vollkommen verkehrssicher sei. Was der ihn verwarnende Beamte zunächst nicht einsehen wollte: Der Mann hatte sein Rad extra für seine Bedürfnisse umgebaut, ihm fehlt der rechte Arm.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. Juli 2014: Burka ist unkommunikativ – Der Ökostrom der Anderen – Präsidialer Polizeigewahrsam . In: Legal Tribune Online, 02.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12419/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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