Argumente statt Aufregung: Ein Interview mit Thomas Fischer und Elisa Hoven zur Sexualstrafrechtsreform. Außerdem in der Presseschau: kann der Bundesrat die Ratifizierung von Ceta verhindern und Dieter Grimm zum Subsidiaritätsprinzip.
Thema des Tages
Sexualstrafrechtsreform: Hat die Reform des Sexualstrafrechts im vergangenen Sommer vorwiegend symbolischen Charakter? Erschöpft sie sich vielleicht sogar darin? Zu diesen und anderen Fragen interviewte lto.de (Maximilian Amos) vor einer von Elisa Hoven initiierten Veranstaltung "Sexualität und Recht" die Juniorprofessorin und Thomas Fischer. Der Bundesrichter legt Gründe für die in seiner zeit.de-Kolumne wortgewaltig vorgebrachte Kritik an der "kampagnenartig" betriebenen Reform dar. Fischer erkennt eine "Moralisierung des Rechts", Hoven die Wiederkehr einer "strengeren Sexualmoral". Des Weiteren äußern sich die Befragten zu gesellschaftlichen Trends, die auch durch die Reform zum Ausdruck kämen und geben ihre Ansicht wieder, ob auch hierzulande ein "Sexualitäts-Rigorismus" wie in den USA zu befürchten sei. Abschließend erörtern die Interviewten Sinn und Zukunft öffentlicher Debatten, die auch bei hoch emotionalen Themen vorwiegend in sozialen Netzwerken und Kommentarspalten geführt werden.
Rechtspolitik
Ceta: Nach Bericht der FAZ (Günter Bannas/Johannes Leithäuser) behalten sich die Grünen eine Blockade des am Wochenende abgeschlossenen Freihandelsabkommen Ceta im Bundesrat vor. Die Bundesregierung habe sich aber noch nicht entschieden, ob sie das fragliche Ratifizierungsgesetz als Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz einstufe. Eine vertiefte Analyse der FAZ (Günter Bannas) zu dieser Frage stellt das staatsorganisationsrechtliche Procedere dar, Rechtsprofessor Matthias Ruffert argumentiert auf verfassungsblog.de gegen eine Zustimmungspflichtigkeit des Ratifizierungsgesetzes.
Legalitätsprinzip: Reinhard Müller (FAZ) behauptet im Leitartikel des Blattes, es existierten rechtsfreie Räume in Deutschland. So müssten Bürger erleben, dass ihnen die Polizei bedeute, Anzeigen etwa wegen Diebstahls nicht aufnehmen zu wollen. Auch würden "unter den Augen des Staates innerstädtische Räume gleichsam offiziell für rechtsfrei erklärt", indem auf konsequentes Vorgehen gegen Rauschgifthändler und Taschendiebe verzichtet werde. Hierdurch verfestigten sich "Eindrücke von rechtsfreien Räumen". Dagegen sei der Schutz der Bürger oberstes staatliches Gebot.
BND-Gesetz: netzpolitik.org (Sven Braun) berichtet zu der Kritik des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Privatsphäre, Joseph Cannataci, an der jüngst verabschiedeten BND-Gesetz-Reform. Kritisiert würde unter anderem die gering anmutende Effektivität des neu geschaffenen Kontrollgremiums.
Flüchtlingskontingente: Christian Rath (taz) setzt sich in einem Kommentar für den Beginn einer "Diskussion über die Aufnahme angemessen großer Flüchtlingskontingente" ein. Derartige Kontingente seien aktuell die einzige Chance für schutzbedürftige Flüchtlinge, nach Europa zu gelangen und erfüllten eine langjährige Forderung des UNHCR. Sie seien keine Alternative zum "Asyl für hier ankommende Flüchtlinge", sondern ergänzten dieses vielmehr.
Nichteinwilligungsfähige: Unter dem Titel "Gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen" befasst sich ein aktueller Regierungsentwurf mit einer des Arzneimittelgesetzes. Auf lto.de stellt Sebastian von Kielmannsegg, Rechtsprofessor, die zugrunde liegenden rechtlichen und ethischen Probleme vor und zählt sechs Gründe auf, die in ihrer "Summe die geplante Ermöglichung gruppennütziger Forschung vertretbar erscheinen lassen."
Gesetzänderungen: Zum 1. November in Kraft tretende Gesetzänderungen, etwa beim Bundesmeldegesetz, stellt bild.de vor.
Justiz
BVerfG – Ceta: Während des vergangenen Wochenendes haben mehrere Antragsteller, unter ihnen die Bundestagsfraktion der Linkspartei, Eilanträge gegen die Anwendung des erst am Sonntag abgeschlossenen Freihandelsabkommens Ceta beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Antragsteller behaupteten einen Verstoß gegen die erst vor zwei Wochen vom Karlsruher Gericht beschlossenen Auflagen, schreibt das Hbl (Heike Anger). Die Anträge würden vom Gericht mit der "gebotenen Eilbedürftigkeit" geprüft.
BGH zu Beweiswürdigung: Detlef Burhoff (blog.burhoff.de) macht auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom März aufmerksam, der in "Grundkurs"-Manier die Grundsätze der Beweiswürdigung durch den Tatrichter, speziell in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen durchdekliniert.
LG Erfurt – Rechtsextreme: Die Welt (Florian Flade/Marcel Pauly) berichtet zu dem am Landgericht Erfurt geführten Verfahren gegen 15 mutmaßliche Neonazis, denen ein gewalttätiger Überfall auf ein linkes Kulturhaus in Ballstädt vorgeworfen wird. Ein Abschluss des "Mammutverfahrens" sei auch nach 26 Verhandlungstagen nicht absehbar. Die Angeklagten sollen ihre Kosten durch Einnahmen sogenannter Solidaritätskonzerte der rechten Szene bestreiten, eine Praxis, die auch in anderen Verfahren, beispielsweise zur Unterstützung des im Münchner NSU-Prozess mitangeklagten Ralf Wohlleben, zur Anwendung komme.
LG Dresden – Kannibalismus: Nach Aufhebung durch den Bundesgerichtshof und Zurückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dresden beginnt am heutigen Dienstag "der endgültig letzte Prozess gegen Detlev G.". Die Welt (Sven Eichstädt) geht ausführlich auf die bekanntgewordenen Hintergründe des sogenannten Kannibalismus-Falls in einer Pension im Erzgebirge ein. Die erstinstanzliche Verurteilung des früheren LKA-Polizisten G. war vom BGH beanstandet worden, weil nicht rechtsfehlerhaft ausgeschlossen worden sei, dass der Geschädigte sich selbst getötet habe. Andererseits hätte die Verurteilung wegen Mordes zwingend eine lebenslängliche Haftstrafe nach sich ziehen müssen.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: In einem ausführlichen englischsprachigen Beitrag untersucht Rechtsprofessor Laurent Pech auf verfassungsblog.de die der EU-Kommission zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen im Konflikt mit der polnischen Regierung zur umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts des Landes.
Niederlande – Geert Wilders: In den Niederlanden hat in Abwesenheit des Angeklagten der Prozess gegen den Politiker Geert Wilders begonnen. Hierbei wurden Zeugenaussagen verlesen, berichtet die FAZ (Michael Stabenow). Der Bericht der taz (Fabian Busch) geht auch auf die zur Verhandlung stehenden Vorwürfe dar und beschreibt, wie Wilders das politische Klima im Nachbarland beeinflusst habe.
Sonstiges
Subsidiaritätsprinzip: In Fortsetzung einer Reihe zum Zustand der Europäischen Union befasst sich ein Gastbeitrag von Dieter Grimm im Wirtschafts-Teil der FAZ mit dem Subsidiaritätsprinzip. Nach Auffassung des früheren Verfassungsrichters ist nicht die mangelnde Durchsetzung des in den europäischen Verträgen verankerten Prinzips das Problem, vielmehr "das Prinzip selbst". In seiner Definition in Art. 5 des EU-Vertrags sei es "an Inhaltsarmut schwer zu überbieten" und fordere zur politischen Ausgestaltung heraus, tauge aber "nicht zur Lösung konkreter Kompetenzkonflikte und schon gar nicht als Maßstab gerichtlicher Urteile".
Um das Prinzip "konkret und folgenreich zum machen", sei eine Einordnung der Gesetzgebungskompetenzen nach Sachmaterien als "einziger Weg" erfolgversprechend, hierdurch würde sich auch ein diskutierter Subsidiaritätsgerichtshof erübrigen. Beachtlich sei ferner, dass das Prinzip gegenüber der Rechtsanwendung tatsächlich nicht zum Zuge komme. Dabei seien gerade hier "Terraingewinne" der EU durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der völkerrechtliche Verträge Verfassungsrang und damit Anwendungsvorrang gegenüber nationalen Regelungen zuerkannte, am sichtbarsten.
Schiedsgerichte: Investitionsstreitigkeiten durch private Schiedsgerichte benachteiligen Staaten nicht systematisch. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, zu der die FAZ (Marcus Jung) berichtet. Bei einem guten Drittel der untersuchten Verfahren sei zugunsten der Staaten entschieden worden.
NRW – U-Ausschuss Silvesterübergriffe: Als letzten prominenten Zeugen hat der nordrhein-westfälische Untersuchungsausschuss zu den Kölner Silvesterübergriffen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vernommen. Der Minister habe dargelegt, dass die Ereignisse nicht vorhersehbar gewesen seinen, schreibt spiegel.de. Eine im Anschluss getätigte Äußerung zum Polizeieinsatz sei dagegen keineswegs als Kritik zu verstehen gewesen, vielmehr habe er seinem Wunsch nach einer harten Antwort des Rechtsstaats Ausdruck verleihen wollen.
Das Letzte zum Schluss
Autokorso: Fröhlich hupende Autokolonnen kündigen oftmals türkischstämmige Hochzeitgesellschaften auf Wegen des Kraftverkehrs an. Die Freude über den schönsten Tag im Leben wohl ein klein wenig übertrieben hatte ein aus 20 Fahrzeugen bestehender Autokorso, den die Duisburger Polizei am Wochenende stoppte. Wie focus.de schreibt, stellten die nach Schüssen durch Anwohner alarmierten Beamten "6 GAS-/Schreckschusswaffen, dazugehörige Munition, Bengalos" und weitere pyrotechnische Gegenstände sicher.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. November 2016: Moralisches Sexualstrafrecht / Zustimmung für Ceta / Zukunft für Subsidiaritätsprinzip . In: Legal Tribune Online, 01.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21209/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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