Wie kann der Missbrauch von Werkverträgen im Arbeitsrecht verhindert werden? Das dürfte Thema der Koalitionsverhandlungen werden. Außerdem in der Presseschau: Professoren diskutieren über die Fünf-Prozent-Hürde, der Migrantenanteil in Schulklassen muss nicht gleichmäßig sein, ein altersschwacher UN-Richter wird zum Problem und ein schamloser Zahnarzt landet in Haft.
Thema des Tages
Missbrauch von Werkverträgen: beck.blog.de (Markus Stoffels) stellt einen Gesetzentwurf des Bundesrates vor, der den Missbrauch von Werkverträgen zur Umgehung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen verhindern soll. Der Gesetzentwurf wurde bei der letzten Sitzung des Bundesrats am 20. September beschlossen.
Der Anwalt Norbert Pflüger stellt auf der FAS-Seite "Beruf und Chance" ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Stuttgart aus August vor. Danach muss Daimler zwei IT-Experten fest anstellen, die bisher über Werkverträge beim Sub-Auftragsnehmer eines Daimler-Vertragspartners arbeiteten. Entscheidendes Kriterium: Sie wurden bei Daimler wie normale Arbeitnehmer behandelt. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, habe aber jetzt schon abschreckende Wirkung.
beck.blog.de (Markus Stoffels) verweist außerdem auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von Mittwoch. Dort wurde im Fall eines bayerischen Denkmalpflegers die Abgrenzung zwischen Werk- und Dienstverträgen bekräftigt. Wer, wie der Denkmalpfleger, nur die Tätigkeit und nicht einen bestimmten Erfolg schulde, sei Arbeitnehmer.
Rechtspolitik
Papier zu Staatsrecht: Ex-BVerfG-Präsident Hans-Jürgen Papier schlägt im Interview mit dem Focus (Stefanie E. Stallmann, Kurzfassung) vor, über eine Absenkung der Fünf-Prozenthürde auf drei Prozent nachzudenken. Außerdem entspreche eine große Koalition mit zahlenmäßig schwacher Opposition nicht dem Idealbild einer parlamentarischen Demokratie, so Papier. Dagegen hat er keine Bedenken, wenn Parteien ihre Wahlversprechen nach Koalitionsverhandlungen aufgeben.
Fünf-Prozent-Hürde: In einem Beitrag für verfassungsblog.de hält die Professorin Sophie-Charlotte Lenski das Bundestagswahlrecht für verfassungswidrig, weil es davon ausgehe, dass Bürger nur in begrenztem Maße Kleinparteien wählen. Wenn sich aber "der Wählerwille dem Wahlsystem anpassen soll, nicht umgekehrt, sind die Voraussetzungen einer freien Wahl nicht mehr erfüllt." Sie schlägt vor, die Fünf-Prozent-Hürde automatisch auf drei Prozent abzusenken, wenn sonst eine bestimmte Stimmenzahl unberücksichtigt bleibe.
Rechtsprofessor Christoph Schönberger verteidigte, ebenfalls auf verfassungsblog.de, die Fünf-Prozent-Hürde: "Das Parlament hat nicht allein die Aufgabe, die Pluralität der Gesellschaft auszudrücken; es ist mindestens ebenso sehr der Ort, wo die Bürger durch ihre Repräsentanten zu gemeinsamen Regeln und Orientierungen kommen." Statt im Parlament sollten kleine Parteien häufiger in den Medien zu Wort kommen. Die Fünf-Prozent-Hürde sei "keine Ideenpolizei des öffentlichen Raums."
Oppositionsrechte: Im Fall einer großen Koalition könnte die Opposition aus Linken und Grünen weder Untersuchungsausschüsse beantragen noch eine abstrakte Normenkontrolle. Spiegel stellt Stimmen zusammen, die eine Stärkung der Oppositionsrechte für rechtlich geboten halten oder ablehnen.
Minderheitsregierung: Heribert Prantl (Samstags-SZ) kritisiert im Feuilleton die ungerechtfertigte deutsche Angst vor Minderheitsregierung. Er räumt aber ein: "Das Grundgesetz macht es einer echten Minderheitsregierung auch nicht ganz leicht, sich zu etablieren."
Totalüberwachung: Anwalt Jürgen Melchior weist auf ra-melchior-blog.de auf die Initiative "Anwälte gegen Totalüberwachung" hin, die sich gegen die NSA-Überwachung wendet.
Justiz
VG Berlin zu Migrantenanteil in Schulklasse: Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Klage von drei Schülern mit Migrationshintergrund gegen ihre schlechten Schulnoten abgelehnt. Diese hatten den hohen Migrantenanteil in "segregierten Klassen" hierfür verantwortlich gemacht. Die Pflicht, Schüler deutscher und nichtdeutscher Herkunft gemeinsam zu unterrichten, bedeute jedoch nicht, dass Kinder gleichmäßig auf Klassen verteilt werden müssen, so das Gericht laut Samstags-SZ (Johann Osel). Für Schulleiter sei jedes sachliche Kriterium bei der Zusammensetzung einer Klasse zulässig, solange keine Diskriminierung vorliege.
LG München zu Lebensmittelwarnungen: Das Landgericht München lehnte die Amtshaftungsklage eines Wildhändlers gegen den Freistaat Bayern ab. Die bayerischen Behörden durften unter Nennung der Firma die Öffentlichkeit informieren, dass "nicht gesundheitsschädliches, aber zum Verzehr ungeeignetes und ekelerregendes" Fleisch in nicht unerheblicher Menge in den Verkehr gelangt sei, meldet der Focus.
OLG Hamm zu Graffiti: internet-law.de (Thomas Stadler) weist auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom August hin. Danach ist eine unerwünschte Wandbemalung dann nicht als Sachbeschädigung strafbar, wenn die Wand bereits "vorher von zahlreichen Tags verschandelt" worden war und neue Zeichen nicht erheblich ins Gewicht fallen.
OLG Düsseldorf zu Kabelfusion: Anwalt Sören Rößner analysiert auf lto.de den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus dem August, mit dem es die vom Bundeskartellamt genehmigte Übernahme von Kabel BW durch Unity Media gekippt hat. Unity Media habe inzwischen Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Wenn die Rechtsmittel keinen Erfolg haben, müsse die Übernahme entweder rückabgewickelt werden oder per Ausnahmegenehmigung des Bundeswirtschaftsminister rechtfertigt werden oder die Wettbewerbsbeschränkung müsse auf andere Weise beseitigt werden.
LG Augsburg – Haftbedingungen: Im Fall des mutmaßlichen Polizistenmörders Raimund M., der gemeinsam mit seinem Bruder seit Februar vor dem Landgericht Augsburg steht, hat Verteidiger Adam Ahmed die "unmenschliche" Isolationshaft des unter Parkinson leidenden Angeklagten gerügt. Dessen Gesundheitszustand habe sich dramatisch verschlechtert. Ein Gutachter prüft jetzt die Verhandlungsfähigkeit, berichtet spiegel.de (Julia Jüttner).
LG Braunschweig – Klage gegen Porsche: Eine Firma der Unternehmerfamilie Merckle klagt gegen Porsche auf Schadensersatz in Höhe von über 200 Millionen Euro. Porsche habe bei dem Versuch, VW zu übernehmen, die Öffentlichkeit falsch informiert. Deshalb sei der inzwischen durch Suizid gestorbene Unternehmer Adolf Merckle Kurswetten eingegangen, die zu einem Verlust von rund 200 Millionen Euro führten. Der Spiegel (Frank Dohmen/Dietmar Hawranek) hält die Klage für wenig aussichtsreich, weil bereits ähnliche Klagen gescheitert waren. Das Landgericht Braunschweig verhandelt am 30. Oktober.
StA Stuttgart – KZ-Wachmann: Der Spiegel (Felix Bohr) stellt ausführlich die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den ehemalige KZ-Auschwitz-Wachmann Hans Lipschis vor und beschreibt, warum gegen derartige KZ-Wächter erst jetzt Anklage erhoben wird.
StA Münster – Organtransplantation: Wegen mutmaßlicher Manipulationen bei Lebertransplantationen ermittelt die Staatsanwaltschaft Münster jetzt gegen Ärzte des dortigen Uniklinikums, berichtet spiegel.de. Bisher bestehe aber nur ein Anfangsverdacht.
Helmut Simon ist tot: Der von 1970 – 1987 amtierende Verfassungsrichter Helmut Simon ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch*) erinnert an ihn. Er habe den Bürgern "zu mehr Freiheit verholfen", insbesondere durch seine Mitwirkung am Brokdorf-Beschluss zum Demonstrationsrecht.
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst, dass der Nachruf von Heribert Prantl verfasst worden sei. Geändert am 30. September 2013, 10:05.
Recht in der Welt
ICTY – Richter Günay: Am Dienstag wählen die Richter des UN-Jugoslawientribunals turnusgemäß ihren Präsidenten neu. Im Vorfeld berichtet die Montags-SZ (Ronen Steinke) über den Konflikt um den türkischen Richter Mehmet Günay. Kritiker werfen ihm vor, er sei altersschwach und könne den Verhandlungen nicht mehr folgen. Der Präsident des Internationalen Strafgerichts für das ehemalige Jugoslawien Theodor Meron halte ihn nur im Amt, weil er Günays Stimme bei der Durchsetzung der neuen milden Linie gegenüber Kriegsverbrechern benötige.
Griechenland – Goldene Morgenröte: In Griechenland sind die Führer der im Parlament vertretenen Nazi-Partei Goldene Morgenröte festgenommen worden. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach dem griechischen Strafgesetzbuch vorgeworfen. Die Montags-taz (Jannis Papadimitriou) schildert die Tatvorwürfe.
USA/Italien: Amanda Knox: Ab Dienstag verhandelt ein Gericht in Florenz zum vierten Mal die Mordvorwürfe gegen die US-Studentin Amanda Knox und einen ehemaligen Kommilitonen. Sie sollen in Italien eine britische Studentin getötet haben. spiegel.de (Gesa Mayr) schildert die Medienstrategie von Knox, die nicht an dem Prozess teilnehmen wird.
Das Letzte zum Schluss
Spanner im weißen Kittel: Ein Zahnarzt aus Gera hat seine Mitarbeiterinnen jahrelang beim Umziehen in der Umkleide gefilmt und die Aufnahmen gespeichert. Das Amtsgericht Gera verurteilte ihn nun zu zwei Jahren und vier Monaten Haft. Der Mann sei skrupellos und ohne jedes Mitgefühl vorgegangen, kritisierte das Gericht laut spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. – 30. September 2013: Missbrauch von Werkverträgen – Altersschwacher UN-Richter – Spanner im weißen Kittel . In: Legal Tribune Online, 30.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9701/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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