Deutsche Behörden können nach einem EuGH-Urteil nicht verlangen, dass für öffentliche Aufträge immer Mindestlöhne gezahlt werden. Außerdem in der Presseschau: Erkenntnisse vom DJT, gestaffelte Kündigungsfristen sind rechtens, ein EuGH-Richter spricht über das Google-Urteil und warum im Schulunterricht keine Kokablätter verteilt werden sollten.
Thema des Tages
EuGH zu Subunternehmern im EU-Ausland: Behörden können bei der Vergabe öffentlicher Aufträge von deutschen Bietern nicht verlangen, dass deren Subunternehmer im EU-Ausland deutsche Mindestlöhne entrichten. Das hat der Europäische Gerichtshof am Donnerstag entschieden. Die Stadt Dortmund hatte die Digitalisierung von Akten ausgeschrieben und der Bundesdruckerei den Zuschlag nicht erteilt, da das nordrhein-westfälische Vergaberecht einen Tarif von 8,62 Euro vorschreibt, Subunternehmer der Bundesdruckerei in Polen diesen Tarif aber nicht zahlen. Die Stadt hatte die Vorgabe gemacht, dass auch Subunternehmer im Ausland den Mindesttarif zahlen müssen. Daraufhin verklagte der Bund das Land Nordrhein-Westfalen.
Der EuGH sieht in der Lohnuntergrenze einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit. Das Argument des Arbeitnehmerschutzes konnte die Vorgabe für den EuGH nicht rechtfertigen. Entscheidendes Argument: Die Mindestlohnbestimmung gelte nur für öffentliche Aufträge – nicht für private. Die Untergrenze sei nur gerechtfertigt, wenn sie den öffentlichen und den privaten Sektor gleichermaßen betreffe. Außerdem könne der deutsche Mindestlohn auf polnische Verhältnisse wegen dort niedrigerer Lebenshaltungskosten nicht übertragen werden. Dies zu tun, sei eine "zusätzliche wirtschaftliche Belastung", die die Vergabe von Dienstleistungen in anderen EU-Staaten "behindern oder weniger attraktiv machen" könne.
Es berichten das Handelsblatt (Frank Specht), die SZ (Wolfang Janisch) und lto.de. Frank Specht (Handelsblatt) moniert, dass ausgerechnet Staatsunternehmen ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht werden, indem sie Mindestlohnbestimmungen umgingen – auch wenn der Fall "juristisch wasserdicht" sei.
Rechtspolitik
Deutscher Juristentag: Die FAZ (Joachim Jahn und andere) und die SZ (Wolfang Janisch) fassen die Diskussionspunkte und Ergebnisse des DJT zusammen. Die Beschlüsse des DJT fungieren als Empfehlungen an den Gesetzgeber.
Im Arbeitsrecht seien die Abstimmungen über Reformvorschläge von der Tagesordnung gestrichen worden – mit der Begründung, die anstehenden Gesetzesentscheidungen zur Tarifeinheit "nicht zu stören". Im Strafrecht sollen sich Gesetzgeber und Gerichte an Vorstellungen hiesigen Rechtsgemeinschaft orientieren, nicht an den religiösen oder kulturellen Vorstellungen der Täter. Fremdenfeindliche Motive in die Strafzumessung explizit aufzunehmen – wie vom Bundesjustizministerium jüngst angestoßen –, fand hingegen kaum Zustimmung. Das geistige Eigentum schließlich solle nicht geschwächt werden, indem man die Interessen von Nutzern und Verwertern explizit kodifiziere, die Zuständigkeit dafür solle auch nicht gänzlich auf die EU verlagert werden; Haftungsfragen für WLAN-Betreiber seien gesetzlich klarzustellen.
Außerdem werden Ergebnisse zu den Gebieten Wirtschaftsrecht (Haftung von Managern), Haushaltsrecht (Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen) und Prozessrecht vorgestellt. Dort sei man etwa überwiegend dagegen, Spruchkörper an Gerichten auch mit fachkundigen Laienrichtern zu besetzen. Auf Zustimmung sei die Idee gestoßen, spezielle Kammern für internationale Handelssachen zu schaffen; außerdem Strukturen für eine stärkere Spezialisierung von Gerichten. Den Aspekt "Knowhow in der Justiz" beleuchtet lto.de (Pia Lorenz) genauer.
Asylpolitik: An diesem Freitag stimmt der Bundesrat über eine Verschärfung des Asylrechts ab. Danach sollen Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden und Flüchtlinge von dort kein Asyl mehr erhalten können. Für Matthias Drobinski (SZ) ist das Asylrecht "ein Grundrecht der freien Welt". Mit dem neuen Gesetz hingegen stünde die Praktikabilität des Rechts vor dem Menschenschutz. Die FAZ (ahan) weist darauf hin, dass Flüchtlinge sich – unabhängig vom in Deutschland kodifizierten Recht auf Asyl – auch auf die Genfer Konvention berufen können.
Außerdem im Bundesrat diskutiert wird laut FAZ (Eckart Lohse) am heutigen Freitag eine Änderung des Bauplanungsrechts. So sollen die Belange von Asylsuchenden in der Bauleitplanung künftig stärker berücksichtigt werden, damit Unterkünfte etwa in Gewerbegebieten ermöglicht und erleichtert werden.
Trennbankengesetz: Das Trennbankengesetz dient der Stabilisierung des europäischen Bankensystems. Kreditinstitute müssen danach unter anderem risikoreichere Bereiche (Hedgefonds) vom Einlagengeschäft abtrennen. Laut FAZ (Manfred Schäfers, Markus Frühauf – Kurzfassung) soll das Gesetz nach Plänen des Bundesfinanzministers Wolfang Schäuble (CDU) nun entschärft werden. Hintergrund: Eine künftige europäische Verordnung werde weniger streng ausfallen als das deutsche Gesetz. Dies könne nach Angaben des Finanzministeriums zu Problemen führen, weil die Banken bereits jetzt Umstrukturierungen nach dem Trennbankengesetz vornehmen müssten.
Justiz
EuGH zu Zusatzkosten bei Billig-Airlines: Behörden innerhalb der EU dürfen Fluggesellschaften nicht untersagen, von Passagieren zusätzliche Gebühren für Gepäckstücke zu verlangen. Das hat der Europäische Gerichtshof am Donnerstag entschieden. Alles, was nicht über das Handgepäck hinausgeht, sei nicht als unerlässlich für die Beförderung anzusehen – und Gebühren für zusätzliches Gepäck seien wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells von Billig-Airlines. Eine spanische Behörde hatte gegen eine Fluggesellschaft eine Sanktion verhängt. focus.de berichtet.
BAG zu gestaffelten Kündigungsfristen: Kündigungsfristen hängen im Arbeitsrecht davon ab, wie lange die angestellte Person im Betrieb zugehörig ist: je länger, desto größer die Trennungszeit. Benachteiligt diese Staffelung jüngere Arbeitnehmer mittelbar? Ja – aber zurecht, wie der das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag entschied. Eine 31-jährige Frau hatte auf die längstmögliche Kündigungsfrist von sieben Monaten bestanden und geklagt. Sie führte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie ins Feld – jedoch ohne Erfolg. Der weitere Kündigungsschutz für betriebstreue Angestellte sei auch dadurch gerechtfertigt, dass Ältere größere Probleme hätten, einen neuen, gleichwertigen Job zu finden. Die Badische Zeitung (Christian Rath), lto.de und sueddeutsche.de berichten. In den Augen Joachim Käppners (SZ) ist das Urteil richtig, es lasse aber erahnen, "welche Konflikte in Sachen Generationengerechtigkeit noch bevorstehen".
BGH zu Sprachsoftware in gelb: Wie internet-law.de (Thomas Stadler), die SZ (Jannis Brühl) und handelsblatt.com melden, kann der Verlag Langenscheidt einem Konkurrenten verbieten, Sprachlernsoftware in durchgängig gelber Verpackung anzubieten. Der BGH hat entschieden, dass Farben die Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem inländischen Markt der zweisprachen Wörterbücher prägen. Das Publikum verstehe in diesem Produktbereich die vom beklagten Konkurrenten großflächig und durchgängig verwendete Farbe Gelb als Produktkennzeichen von Langenscheidt.
BGH zu Duzen in Spielewerbung: Kinder über Werbung direkt anzusprechen und zum Kauf von Produkten aufzufordern, ist wettbewerbswidrig. Doch wie sieht es mit Duzen in Werbung aus? Werden so gezielt Kinder angesprochen? Ja, so der Bundesgerichtshof. Das Gericht entschied am Donnerstag, dass der Hersteller des PC-Spiels "Runes of Magic" nicht mit informeller Sprache ("Pimp deinen Charakter") oder vergleichbaren "gängigen Anglizismen" werben darf. Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband. Der Spielebranche werde damit formelle Sprache aufgenötigt, meinen die Rechtsanwälte Konstantin Ewald und Felix Hilgert auf lto.de.
OLG Hamburg zu Gesäßtaschen: Im Streit zwischen den Modelabels New Yorker und Levi Strauss hat das Oberlandesgericht Hamburg am Donnerstag eine Markenrechtsverletzung seitens New Yorker bejaht. Streitpunkt war die Gestaltung von Jeans-Gesäßtaschen (V-förmige Doppelnaht), die New Yorker bei Levi Strauss abgekupfert haben soll. New Yorker muss die Jeans jetzt aus dem Handel nehmen und Schadensersatz zahlen. Eine Revision hat das OLG nicht zugelassen. Die Welt (Michael Gassmann) schreibt über den Fall.
LG Münster legt Holzlieferungen dem EuGH vor: Das Landgericht Münster hat am Donnerstag den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die Unionsrechtskonformität von Verträgen zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem österreichischem Unternehmen Klausner beurteilen zu können. Gegenstand der umstrittenen Verträge sind Holzlieferungen, die die schwarz-gelbe Landesregierung 2007 nach dem Orkan "Kyrill" mit Klausner vereinbart hatte. Nachdem das Land die Lieferungen 2009 einstellte, klagte Klausner. Die rot-grüne Nachfolgerregierung sieht die Verträge als nichtig an. Begründung: Sie seien unionsrechtswidrige Beihilfen. Die FAZ (Reiner Burger) berichtet.
StA Koblenz prüft Nürburgring: Wie die SZ (Susanne Höll) meldet, prüft die Staatsanwaltschaft Koblenz, ob der Versuch rechtens war, den Nürburgring mit einem über 300 Millionen Euro schweren Kredit zu retten. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hatte 2010 "wider menschliche Vernunft" versucht, das Erlebnisparkprojekt am Nürburgring zu retten – ohne Erfolg. Die Prüfung werde einige Zeit in Anspruch nehmen, heißt es.
Recht in der Welt
Nigeria – Folter Gefangener: Zwar ist Folter in Nigeria verboten. Dennoch wirft die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nigerianischen Sicherheitskräften vor, Gefangene systematisch zu foltern, meldet die taz.
Sonstiges
Recht auf Vergessenwerden – Interview mit EuGH-Richter: Im Interview mit der taz (Christian Rath) äußert sich Koen Lenaerts, Vizepräsident des Europäischen Gerichtshofs, zum Ausmaß des Google-Urteils vom Mai dieses Jahres. Seit dem Urteil können Betreiber von Suchmaschinen verpflichtet werden, Ergebnisse aus dem Index zu streichen, wenn das Persönlichkeitsrecht überwiegt ("Recht auf Vergessenwerden"). Es gehe hierbei nicht um die Einschränkung der Presse; auch hat der EuGH das "Recht auf Vergessenwerden" mit dem Urteil in den Augen Lenaerts nicht postuliert, sondern lediglich die EU-Datenschutz-Richtlinie ausgelegt. Dass nach dem Urteil möglicherweise viele Fragen offen seien, kontert Lenaerts mit dem Hinweis, das Gericht sei schließlich nicht der Gesetzgeber – sondern entscheide von einem Fall zum nächsten. Außerdem skizziert Lenaerts allgemein die Rolle des EuGH neben den nationalen Verfassungsgerichtsbarkeiten sowie seine Rechtsmethodik.
Greenpeace-Rechtsgutachten zu Atommüll-Export: Laut einem von Greenpeace vorgelegten Gutachten ist der von der nordrhein-westfälischen rot-grünen Landesregierung geplante Export von 152 Castorbehältern in die USA rechtswidrig. Grund sei der frühere Zweck der Anlage als Leistungsreaktor, aus dem der Atommüll stammt. Die SZ (miba) und die taz (Malte Kreutzfeldt) berichten.
Kritik am Planungsrecht: Nachdem der Bund Naturschutz (BN) und der Deutsche Alpenverein mangels Erfolgschancen ihre Klage gegen die künstliche Beschneiung eines bayerischen Skigebietes zurückgezogen haben, kündigt der BN eine Musterklage gegen das deutsche Planungsrecht vor dem Europäischen Gerichtshof an. Das meldet die SZ (Heiner Effern). Behörden dürften ihre Bescheide während eines Verfahrens nachbessern, so der BN-Chef – klagende Umweltschützer dürften ihre Argumente hingegen nicht präzisieren.
Das Letzte zum Schluss
Kokablätter im Unterricht: Eine Lehrerin und ihr Kollege stehen wegen Beihilfe zur unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln vor dem Landgericht Memmingen. Sie sollen in einer siebten Klasse eine Peruanerin eingeladen haben, die über Sitten in ihrer Heimat sprach – und die Kokablätter an die Kinder verteilte. Die Kinder kauten teilweise auf den Blättern, erlitten aber offenbar keine gesundheitlichen Schäden. In Südamerika gelten sie als Heilmittel, hierzulande fallen sie unters Betäubungsmittelgesetz. "Mir war nicht bewusst, dass da ein Unrecht geschieht", soll die Lehrerin vor Gericht gesagt haben. spiegel.de berichtet.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. September 2014: Mindestlohn und Dienstleistungsfreiheit – gestaffelte Kündigungsfristen – EuGH-Richter im Interview . In: Legal Tribune Online, 19.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13239/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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